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Archiv "Klinische Ethikberatung: Das letzte Wort hat der Arzt" (24.01.2003)

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tarr blickt die Frau an die Wand, ihre Augenlider scheinen sich nicht mehr zu bewegen. Sie wird über eine PEG-Sonde ernährt. Vor einigen Jahren war die ehemalige Ärztin nach einem Schlaganfall in das Freiburger Univer- sitätsklinikum eingeliefert worden. Zu Beginn des Krankheitsverlaufs hatte sie bei noch vollem Bewusstsein in einer Patientenverfügung festlegen lassen, dass sie im Falle einer Verschlechterung ihres Zustands keine lebensverlängern- den Maßnahmen mehr wünsche. Men- schenwürdig sollte ihr Dasein

sein, sonst wolle sie nicht län- ger leben. Jetzt liegt sie da, un- fähig, über Leben und Tod ei- ne Entscheidung zu fällen.*

Während die aktuelle Ge- setzgebung in den Niederlan- den und in Belgien aktive Sterbehilfe in einem solchen Fall ermöglichte, sind ent- sprechende Regelungen in Deutschland verboten. Kommt es zu Unsicherheiten hinsicht- lich möglicher Therapieent- scheidungen bei kritischen Kranken, sind die meisten Ärzte auf sich selbst gestellt.

Am Freiburger Universitätsklinikum gibt es jedoch seit 1996 eine Institution, die Ärzten in Grenzsituationen des Le- bens auf Wunsch durch klinische Ethik- beratung zur Seite steht: das Zentrum für Ethik und Recht in der Medizin (ZERM). Das Freiburger Universitäts- klinikum gehört neben Kliniken in Köln, Marburg und Tübingen zu den wenigen Universitätsklinika, die kommissions- freie Ethikberatung anbieten. „Wir kom- men als Unbeteiligte von außen mit me- thodisch-technischen Kenntnissen“, er- klärt der Leiter des Forschungsreferats

am ZERM, Dr. Giovanni Maio, vor Jour- nalisten Anfang Dezember 2002 in Frei- burg. Im Gegensatz zu „klassischen“

Ethikkommissionen, bei denen es aus- schließlich um die Begutachtung von Forschungsvorhaben geht, handelt es sich bei dem „Freiburger Modell“, ähn- lich wie bei den institutionalisierten kli- nischen Ethikkomitees, um ein festes Beratungsteam. Je nach Bedarf und Not- wendigkeit von fachlichen Qualifikatio- nen besteht die klinische Ethikberatung, auch Ethikkonsil genannt, aus Theolo-

gen, Juristen, Ärzten und Medizin-Ethi- kern. Dieses Gremium kann von Ärz- ten, Schwestern, Pflegern, Patienten oder deren Angehörigen bei kritischen Entscheidungen angefordert werden.

„Es ist für den Arzt häufig schwierig, ein- deutige Diagnosen oder Prognosen zu treffen“, erläutert der Sprecher des ZERM und ehemalige Direktor der Ab- teilung Innere Medizin II an der Medizi- nischen Universitätsklinik Freiburg,Prof.

Dr. med. Dr. h. c. Hanjörg Just. Deshalb habe die Zahl der beim ZERM anfra- genden Stationen in den letzten Jahren zugenommen. Von Juli 2001 bis Juli letz- ten Jahres fanden 37 Beratungen statt,

wobei die meisten Anfragen von der In- neren Intensivstation kamen. In 21 Fäl- len, so Just, habe es sich bei den Fra- gestellungen um Unsicherheiten hin- sichtlich der Indikation zur Therapiebe- grenzung gehandelt.

Die Vorgehensweise des Ethikkonsils ist immer die gleiche: Im Vorfeld werden zunächst die Krankenunterlagen des Pa- tienten beurteilt, um einen Überblick über dessen Situation zu gewinnen. Han- delt es sich um Informationen über die allgemeine Rechtslage oder Auslegungs- hilfen bei Vorliegen einer Patientenver- fügung, ist der zuständige Jurist des Ethikkonsils, Hans-Georg Koch, gefragt.

Danach erfolgt nach Absprache mit dem behandelnden Arzt ein Besuch auf der Station. Das Gespräch, das bis zu einer Stunde dauern kann, sollte möglichst auf Konsens ausgerichtet sein. Maio: „Wir kommen hauptsächlich als Aufklärungs- helfer und als Informationsdienst des Arztes.“ Es werde nicht beabsichtigt, sich in das Arzt-Patient-Verhältnis einzumi- schen oder Schaden für die Angehörigen durch unvorsich- tige Empfehlungen zu verursa- chen. Es solle vielmehr ein erzieherischer Effekt der Ärz- te erreicht werden, sodass ein Ethikkonsil langfristig über- flüssig werde. „Vor allem ist es wichtig, dass die endgültige Entscheidung immer vom Arzt gefällt wird“, ergänzt Just. Die- ser müsse letztlich seinem Ge- wissen nach handeln und ent- scheiden.

Ob es überhaupt eine

„Pflicht“ zur Sterbehilfe gibt, ist auch für die Mitarbeiter am ZERM schwer zu beantworten. Für notwendig hält Prof. Dr. theol. Franz Josef Illhardt, Theologe am ZERM, je- doch eine ständige Überprüfung, Kor- rektur und Revision von Behandlungs- zielen, Gespräche mit Patienten, Kol- legen und die Einschätzung eigener Ressourcen. Vor allem müsse die Ge- sellschaft darüber nachdenken, warum so viele Menschen aktive Sterbehil- fe befürworteten. Prof. Just und Dr.

Maio wissen eine mögliche Antwort: Ei- ne Kultur des Sterbens werde in der westlichen Welt nicht gepflegt, auch wenn das Sterben zum Leben mit dazu

gehöre. Martina Merten

T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 424. Januar 2003 AA165

Klinische Ethikberatung

Das letzte Wort hat der Arzt

Entscheidungshilfe in medizinischen Grenzsituationen zu leisten, hat sich das Freiburger Zentrum für Ethik und Recht in der Medizin zur Aufgabe gemacht.

*Der von der Autorin beschriebene Fall ist authentisch.

Die Entscheidung über grundlegende medizinische Eingriffe bei schwer kranken Patienten zu treffen stellt für den Arzt oft einen

Überzeugungskonflikt dar. Foto: KNA

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