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Archiv "Codierqualität in den Krankenhäusern: Unberechtigte Vorwürfe" (14.08.2009)

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A1596 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 33⏐⏐14. August 2009

P O L I T I K

G

laubt man der Berichterstat- tung einzelner Medien, so be- reichert sich ein Großteil der Kran- kenhäuser in betrügerischer Absicht auf Kosten des Gemeinwohls. Ab- rechnungsbetrug im großen Stil, lau- tet der Vorwurf. Nach eigenen Anga- ben stellen der Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Berlin-Brandenburg, die AOK in Hessen und die Techniker-Kranken- kasse in Thüringen in mehr als 50 Pro- zent der geprüften Fälle eine über- höhte Krankenhausrechnung fest. In vielen Fällen handele es sich um

„Upcoding“. Die Kliniken versuch- ten, „teurere Leistungen abzurech- nen, als sie tatsächlich erbracht hät- ten“, behauptete der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund (MDS) gegenüber „Spiegel-Online“.

Der MDS-Statistik zufolge seien die

„frisierten“ Rechnungen um durch- schnittlich 500 Euro zu hoch. „Offi- zielle Angaben zum Gesamtschaden macht der MDK aber nicht – auch weil er nur etwa zehn Prozent aller Krankenhausrechnungen kontrol- liert.“ Die Techniker-Krankenkasse in Thüringen kommt zum Schluss, dass die Zahlen eindrucksvoll beleg- ten, „dass auch fünf Jahre nach Ein- führung der Fallpauschalen weiter- hin eine intensive Überprüfung der Krankenhausabrechnungen durch den MDK notwendig und wirt- schaftlich zwingend geboten“ sei.

Die vom Gesetzgeber zur Eindäm- mung der Prüfquoten eingeführte und kürzlich erhöhte Aufwandspau- schale wird von den Krankenkassen vor diesem Hintergrund als Zumu- tung empfunden.

Aber: Strafanzeigen oder Stich- probenprüfungen nach § 17 c Kran- kenhausfinanzierungsgesetz, die die Option von Strafzahlungen bei vor- sätzlich zu hoch abgerechneten Fäl- len ermöglichen, kommen so gut wie nie vor. Bei mehr als 50 Prozent an

„frisierten“ und überhöhten Rech- nungen wäre doch schon ein enormes kriminelles Potenzial zu erwarten. Es ist an der Zeit, die medienwirksamen Zahlen zu hinterfragen.

Prüfquoten unverändert hoch Viele Kostenträger nutzen zur Iden- tifikation von Fällen mit Rech- nungskürzungspotenzial einschlägi- ge Prüfsoftware. Dabei sind die Prüfalgorithmen inzwischen äußerst ausgefeilt, sodass davon ausgegan- gen werden darf, dass der überwie- gende Anteil der Fälle mit Rech- nungskürzungspotenzial auch einer Einzelfallprüfung unterzogen wird.

Weder die Einführung der Sechswo- chenfrist noch die der Aufwands- pauschale haben zu einer Reduktion der Prüfquoten geführt. Die Prüf- quoten liegen seit Jahren auf einem

hohen Niveau von knapp über zehn Prozent aller Krankenhausfälle; ins- gesamt werden damit in Deutsch- land jährlich mehr als 1 500 000 Einzelfallprüfungen durchgeführt.

Untersuchungen im Rahmen einer von medinfoweb.de publizierten Um- frage im Frühjahr 2008, in der 121 Kliniken aus 14 Bundesländern Aus- sagen zu Rechnungsprüfungen mach- ten, ergaben, dass in 36 Prozent der Fälle die Ergebnisse der Prüfung zu- gunsten der Kostenträger ausfielen (bei einer Prüfquote für stationäre Behandlungsfälle von 10,3 Prozent).

Die Diskrepanz zu den von MDK und Kostenträgern angegebenen „Er- folgsquoten“ von 40 bis mehr als 50 Prozent dürfte im Wesentlichen auf den Unterschied zwischen Erstbe- gutachtung und Ergebnis nach Wi- derspruch des Krankenhauses zu- rückzuführen und Ausdruck derzeiti- ger Begutachtungspraxis sein.

Die häufigsten Gründe für Einzel- fallprüfungen sind aber nicht Falsch- abrechnungen (Codierung), sondern Überprüfungen von Notwendigkeit und Umfang der erbrachten Leistun- gen (primäre und sekundäre Fehlbe- legung). Diese Ergebnisse werden durch die Umfrage im Rahmen des Krankenhaus-Barometers 2008 auf Grundlage von 347 Krankenhäusern gestützt. Hier stellten die Prüfungen der korrekten Abrechnung nur 23 Prozent aller Einzelfallprüfungen dar (bei vergleichbarer Prüfquote von 10,8 Prozent aller Krankenhausfäl- le). Da sich darunter auch Prüfungen der Indikation spezieller Leistungen finden (zum Beispiel off-label use bei Zusatzentgelten), dürfte die Quote der reinen Abrechnungsprü- fungen noch niedriger liegen. Es ist damit zunächst festzustellen, dass bei einer Prüfquote von 10,8 Pro- zent und einem Anteil von weni- ger als 23 Prozent Prüfungen auf Falschabrechnung, bei „nur“ circa CODIERQUALITÄT IN DEN KRANKENHÄUSERN

Unberechtigte Vorwürfe

Behauptungen der Kostenträger, wonach die Krankenhäuser im großen Stil falsch abrechnen, sind nicht haltbar.

In betrügerischer Absicht „teurer“ zu codieren, als es den Tatsachen ent- spricht, wirft der Medizinische Dienst des Spitzenver- bandes Bund der Krankenkassen den Kliniken vor.

Foto:iStockphoto

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A1598 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 33⏐⏐14. August 2009

P O L I T I K

2,5 Prozent aller Rechnungen der Verdacht auf eine frisierte Rechnung bestehen kann.

Begutachtungen des MDK zu Fra- gen der korrekten Abrechnung gehen wesentlich seltener zugunsten der Kostenträger aus als Prüfungen zu Art und Umfang der Leistungen. Die

„Erfolgsquote“ für die Kostenträger liegt deutlich unter 20 Prozent. Bei ei- ner hoch geschätzten „Erfolgsquote“

(das heißt vorliegender Falschab- rechnung) von 20 Prozent kann daher geschlossen werden, dass allenfalls 0,5 Prozent aller abgerechneten Fälle zuungunsten der Kostenträger falsch sind. Die Frage, wie viel Prozent der Rechnungen zugunsten der Kosten- träger falsch zu niedrig sind, lässt sich nicht genau beantworten. Im Hin- blick auf die niedrige Reliabilität, die weiterhin bestehenden unterschiedli- chen Interpretationen der der Abrech- nung zugrunde liegenden Codier- richtlinien und die Ergebnisse der wenigen Stichprobenprüfungen dürf- te mindestens eine vergleichbare Zahl von falsch zu niedrigen Abrechnun- gen existieren. Wohlgemerkt versu- chen Kostenträger bei ihrer Auswahl der Fälle für Einzelfall- und Stichpro- benprüfungen, solche Fälle verständ- licherweise nicht aufzugreifen.

Die Ergebnisse lassen in der Ge- samtschau – insbesondere im Hin- blick auf die nicht trivialen und intui- tiv zu erfassenden Vorgaben (Codie- rung) – auf eine relativ gute Codier- und Abrechnungsqualität in den Krankenhäusern schließen. Die oben getroffenen Aussagen der Kostenträ- ger und des MDK zu frisierten Rech- nungen und Versuchen, Leistungen teurer abzurechnen, als sie erbracht wurden, sind bei detaillierter Analy- se nicht haltbar. Falsche Rechnungs- beträge sind wegen des robusten DRG-Systems seltener, als sie auf- grund der komplexen Codierung zu erwarten wären, und stellen damit of- fensichtlich nicht das Problem dar.

Heftig gestritten wird über die In- dikation und den notwendigen Um- fang von Krankenhausleistungen (zum Beispiel primäre und sekundä- re Fehlbelegung). Diese Leistungen wurden zweifelsfrei erbracht und mit fehlerfreien Rechnungen versehen.

Entsprechende Kosten sind den Krankenhäusern bei der Behandlung

ebenfalls entstanden. Strittig ist nur, ob die erbrachten Leistungen medizi- nisch zwingend notwendig waren.

Es ist müßig, im Detail darzu- stellen, warum für Krankenhäuser Anreize bestehen, Indikationen zur Leistungserbringung in bestimmten Konstellationen großzügiger zu stel- len, und für Kostenträger Anreize bestehen, einen großen Teil der er- brachten Leistungen bezüglich der medizinischen Notwendigkeit infra- ge zu stellen beziehungsweise auf eine unzureichende Dokumentation der medizinischen Gründe und da- mit auf Nachweisprobleme der Krankenhäuser zu setzen. Bemer- kenswert ist jedoch, dass die Parti- kularinteressen nicht selten eher zu- lasten der direkten Konkurrenz als zulasten des Selbstverwaltungspart- ners als Ganzes gehen. Ausgeklügel- te Budget- und Ausgleichsmecha- nismen, zum Beispiel auf Landes- ebene oder im Rahmen der DRG- Kalkulation gewährleisten, dass die Gesamtausgaben nicht aus dem Ru- der laufen. Es geht daher nicht so sehr um mehr oder weniger Geld für die Krankenhäuser beziehungswei- se mehr oder weniger Gesundheits- ausgaben als um eine Umverteilung von Ressourcen und den Kampf um das größtmögliche Stück vom im Umfang begrenzten Kuchen. Dies betrifft nicht nur die Leistungser- bringer, sondern auch die Kostenträ- ger, für die die realisierten Poten- ziale der Einzelfallprüfung Wettbe- werbsvorteile darstellen können.

Andere Anreize setzen

Die stationäre Leistung wird da- durch in Bezug auf die Primärleis- tung teurer. Denn die Kosten für die Leistungserbringung fallen ja – anders als bei einer Falschabrech- nung – beim Krankenhaus an. Hinzu kommen die Kosten für Prüfsoft- ware, Prüfteams, MDK und der Aufwand in den Krankenhäusern, der dort die teure und knappe ärztli- che Ressource bindet. Bei gedeckel- ten Budgets und steigender Prüf- quote kann so stetig weniger Pri- märleistung am Patienten für das gleiche Geld erbracht werden. Eine intensivere Einzelfallprüfung von Krankenhausabrechnungen führt we- der zu einer Kostenreduktion im

Gesamtsystem noch zu einer Effizi- enzsteigerung. Die ärztliche Res- source ist wertvoll und sollte weder aufseiten der Kostenträger und ihrer Prüfdienste noch aufseiten der Leis- tungserbringer in einem Prozess des Wettrüstens vergeudet werden. In der Vermeidung von Einzelfallprü- fungen liegen noch erhebliche Ra- tionalisierungsreserven.

Soll nun wirklich weiterhin in- tensiv geprüft werden, wie es etwa die Techniker-Krankenkasse ankün- digte? Räumen höhere Prüfquoten das Misstrauen der Kostenträger aus dem Weg? Nein. Der Schlüssel zum Problem liegt in der Schaffung gleichgerichteter Anreize und damit in der Gestaltung des G-DRG-Sys- tems und der gesetzlichen Rah- menbedingungen. Besteht kein fi- nanzieller Anreiz für Leistungser- bringer, medizinisch immer weich bleibende Indikationen im Hinblick auf Art und Umfang der Leistungen auszudehnen, kann (und muss) das Recht der Prüfung im Einzelfall durch den Kostenträger einge- schränkt werden. Vorschläge zur Abschaffung der mengenmäßig füh- renden Prüfung der Verweildauer existieren. Es wird sich zeigen, in- wieweit die auf internen Konsens angewiesenen Selbstverwaltungs- partner in der Lage sind, Lösungen im Sinne des Gesamtsystems her- beizuführen.

Das DRG-System wurde einge- führt, um Anreize zwischen Leis- tungserbringern und Kostenträgern zu harmonisieren. Die in den Einzel- fallprüfungen umkämpften Grenz- verweildauern wurden zum Schutz der Patienten vor dem Anreiz zur stil- len Rationierung in den Kliniken ein- geführt. Bislang sorgen sich die Kos- tenträger erstaunlich wenig um eine möglicherweise stattfindende stille Rationierung. Sie prüfen lediglich, ob ihre Versicherten zu viel Leistung erhalten haben, nicht jedoch das Ge- genteil. Bei deutlichen Anreizen für Kostenträger und Leistungserbringer zur Rationierung bedarf es vielleicht einer anderen Institution, die die In- teressen der Versicherten vertritt. I Dr. med. Wolfgang Fiori, Kristina Brüning, Dr. med. Holger Bunzemeier, Prof. Dr. med. Norbert Roeder

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