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Archiv "Weltgesundheitsorganisation: Armut ist eine politische Entscheidung" (10.04.2009)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 106Heft 1510. April 2009 A709

T H E M E N D E R Z E I T

morpatienten in der palliativen Ver- sorgung viele andere Dinge, wie zum Beispiel häusliche Pflege und psychosoziale Betreuung, damit sie die ihnen verbleibende Lebenszeit noch nutzen könnten. „Dieses Geld wird uns bald nicht mehr zur Verfü- gung stehen, weil wir es für schlecht geprüfte Arzneimittel mit minimalem Fortschritt ausgeben werden“, kritisierte Ludwig und forderte mehr und bessere Studien nach der Zulassung eines Arznei- mittels.

Doch die Mezis-Veranstaltung machte auch klar: Nicht nur vielen Ärzten, auch einigen Medizinjour- nalisten würden „Conflict of Inter- est“-Erklärungen gut anstehen. Be- sonders anfällig für die unlauteren Methoden der pharmazeutischen Industrie seien freie Medizin- und Wissenschaftsjournalisten, meint Dr. Elke Brüser. Die Wissen- schaftsjournalistin ist Mitglied der Redaktion der pharmaunabhängi- gen Verbraucherzeitschrift „Gute Pillen – schlechte Pillen“ und weiß aus eigener Erfahrung, dass festan- gestellten Redakteuren kaum noch Reisen, Gratisessen oder Wellness- wochenenden angeboten werden.

Anders sei das jedoch bei der Frak- tion schlecht bezahlter freier Mitar- beiter, die froh seien, wenn ihre 100 Zeilen veröffentlicht und die Reisekosten von der Pharmafirma übernommen würden. Da die Print- medien neben den Nachrichtena- genturen anderen Medien wie Fernsehen oder Hörfunk als Quelle dienten, werde Werbung von Phar- maunternehmen durch unprofes- sionelle journalistische Arbeits- weise oder auch gezielte Hofbe- richterstattung schnell zur Infor- mation.

Dass nicht nur Ärzte in das Beu- teschema der pharmazeutischen In- dustrie passen, mag tröstlich sein, ändert jedoch nichts an der Proble- matik. Daher erntete Mezis-Grün- dungsmitglied Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen einhellige Zu- stimmung für seinen Vorschlag, das Thema „Ärzte und Pharmain- dustrie“ zum Tagesordnungspunkt eines Deutschen Ärztetages zu

machen. I

Ulrike Hempel

D

ie gegenwärtige Finanzkrise zeigt nicht nur, wie fragil die globale Wirtschaftsordnung ist, son- dern auch, wie ungleich Gewinne und Verluste zwischen Staaten und innerhalb von Gesellschaften ver- teilt sind. Was soziale und wirt- schaftliche Ungleichheit für die Gesundheit breiter Bevölkerungs- schichten weltweit bedeutet, ver- deutlicht der aktuelle Report einer von der Weltgesundheitsorganisati- on (WHO) eingesetzten Kommissi- on zu den sozialen Ursachen von Gesundheit und Krankheit (1). Der Report fasst das Ergebnis einer glo-

balen Bestandsaufnahme zum Aus- maß sozial ungleicher Krankheits- und Sterblichkeitsrisiken zusam- men. Das erwartbare Fazit ist, dass sich die Weltkarte der Gesundheit weitgehend mit der des Wohlstands deckt. Je ärmer ein Land ist und je geringer sein politischer Einfluss, desto geringer sind die Chancen sei- ner Einwohner auf ein gesundes und langes Leben. Solche Grenzen ver- laufen nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb von Staaten, in denen ein höherer Wohlstand in der Regel mit einer besseren Gesundheit ein- hergeht. Deutschland bildet da keine WELTGESUNDHEITSORGANISATION

Armut ist eine politische Entscheidung

Die Weltkarte der Gesundheit deckt sich weitgehend mit der des Wohlstands. So lautet das Fazit eines Reports zu den sozialen Ursachen von Erkrankungen.

Foto:dpa

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A710 Deutsches ÄrzteblattJg. 106Heft 1510. April 2009

T H E M E N D E R Z E I T

Ausnahme. So zeigen neuere Daten, dass die Lebenserwartung in den höchsten Einkommensgruppen um bis zu zehn Jahre über der in den niedrigsten Einkommensgruppen liegt (2). Vergleichbare Befunde liegen für viele Erkrankungen und Gesund- heitsstörungen vom Kindes- bis ins hohe Lebensalter vor (3).

Es ist nicht naturgegeben, dass Menschen in manchen Regionen der Welt durchschnittlich 30 Jahre früher sterben als in anderen, son- dern das Produkt „einer toxischen Mischung aus ungenügender sozia- ler Sicherung, unfairen wirtschaft- lichen Verhältnissen und schlechter Politik“, so die Kommission in ih- rem Report. Die toxische Wirkung entfaltet sich über die aus der Be- nachteiligung resultierenden schlech- ten Lebensbedingungen. Hier iden-

tifiziert der Report verschiedene Bereiche, in denen soziale Benach- teiligung zu gesundheitlicher Be- nachteiligung führt. Am Anfang steht die Versorgung von Kindern und ihren Müttern, deren Gesund- heit besonders anfällig ist. Nach Schätzungen der WHO sterben je- des Jahr zehn Millionen Kinder, be- vor sie das erste Lebensjahr errei- chen. Ein Großteil von ihnen stirbt in armen Ländern oder in der armen Bevölkerung reicherer Länder. Als weitere Bereiche zählt der Bericht die Wohn- und Arbeitsbedingungen der Menschen, die sozialen Siche- rungssysteme und schließlich das medizinische Versorgungssystem auf.

Da die Kommission ein sehr viel- fältiges Geschehen erklären will, bleibt der Bericht notgedrungen im Detail vage. Die sozialen Hinter- gründe ungleicher Lebensverhältnis- se sind von Land zu Land, von Ent- wicklungsstand zu Entwicklungs- stand verschieden und Faktoren, die in den Subsaharastaaten die Gesund- heit der Bevölkerung massiv beein- trächtigen, spielen in Europa kaum eine Rolle und umgekehrt.

Wichtiger als eine erschöpfende Darstellung wissenschaftlicher Evi- denz ist der Kommission daher der politische Appell. Es werden zu al-

len Bereichen Handlungsempfeh- lungen gegeben, und durch eine Vielzahl von Beispielen aus aller Welt wird belegt, dass es möglich ist, soziale Ungleichheit abzubauen und dadurch gesundheitliche Ver- besserungen für breite Bevölke- rungsgruppen zu erreichen.

Als übergreifendes Konzept wird ein integrierter Politikansatz gefor- dert, bei dem die sozialen Hinter- gründe der Gesundheit in allen Poli- tikfeldern berücksichtigt werden.

Das bedeutet zunächst die Einsicht, dass auch Entscheidungen in der Bildungs- und Wirtschaftspolitik ge- sundheitliche Folgen haben. Mikro- kredite in Indien, städtebauliche Ein- griffe in Slums in Südamerika oder nationale konzentrierte Programme zur Bekämpfung der Kinderarmut in Irland werden neben vielen anderen

Initiativen als Zeugen für die Wirk- samkeit integrierter Programme auf- geführt. Wenn der politische Wille da ist, können einschneidende Verbes- serungen erzielt werden, das ist die Hauptbotschaft des Reports. Und dass der Wille in manchen Staaten bereits da ist, sollte andere Staaten motivieren, sozial ungleiche Ge- sundheitschancen ebenfalls auf die politische Agenda zu setzen.

An Ressourcen fehle es jeden- falls nicht, meint der Vorsitzende der Kommission, Sir Michael Mar- mot. Der Wissenschaftler rechnet vor, dass mit einem Bruchteil der Gelder, die von den Regierungen der Industrienationen für die ange- schlagene Bankenbranche bereitge- stellt werden, alle Slumbewohner der Welt mit sauberem Wasser ver- sorgt werden könnten. „Armut ist eine politische Entscheidung“, sagt Marmot.

Dass solche Sätze nicht völlig oh- ne Wirkung bleiben, zeigt eine breite Beteiligung nationaler Regierungen und internationaler Institutionen bei der Vorstellung des Reports in Lon- don. Eröffnet wurde die Konferenz vom britischen Premierminister Gor- don Brown, der ankündigte, soziale Ungleichheit und ihre gesundheitli- chen Folgen sowohl global als auch

national verstärkt zu bekämpfen. Un- ter anderem beauftragte er Vertreter der WHO damit, nach dem Vorbild des globalen Berichts einen nationa- len Bericht zum Ausmaß und zu den Ursachen gesundheitlicher Un- gleichheit in Großbritannien zu er- stellen. Dass dringender Handlungs- bedarf besteht, illustrierte Brown mit Daten zur Lebenserwartung aus Lon- don: Auf der U-Bahn-Strecke vom Regierungsbezirk in Westminster in Richtung der ärmeren Vorstädte sin- ke die mittlere Lebenserwartung mit jeder Station um ein Jahr.

Wie groß der Wille für Verände- rungen angesichts der andauernden wirtschaftlichen Krise tatsächlich sein wird, bleibt abzuwarten. Ein Erfolg ist aber bereits, dass der star- ke Einfluss politischer, wirtschaftli- cher und sozialer Faktoren auf die Gesundheit zunehmend zur Kennt- nis genommen wird. Angesprochen sind aber auch Ärztinnen und Ärzte, denn im Konzept der WHO kommt dem Gesundheitswesen eine wichti- ge Rolle bei der Reduktion gesund- heitlicher Ungleichheit zu – und dies nicht nur als Reparaturbe- trieb, der die gesundheitlichen Fol- gen gesellschaftlicher Missstände beseitigen soll. Ebenso wichtig ist die Möglichkeit, als Experten im Gesundheitswesen Projekte anzu- stoßen und den Einfluss zu nutzen, sozial ungleiche Gesundheitschan- cen zu einem breiten politischen Thema zu machen. Denn nur im Ge- sundheitssystem ist der Kampf ge- gen soziale Ungleichheit nicht zu gewinnen, wie der Report zeigt. So- ziale Gerechtigkeit ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft, und wie hoch der Preis sozialer Ungerech- tigkeit ist, kann im WHO-Report

nachgelesen werden. I

Dr. phil. Nico Dragano

LITERATUR

1. Commission on Social Determinants of Health:

Closing the Gap in a Generation: health equi- ty through action on the social determinants of health. Final Report of the Commission on Social Determinants of Health. Geneva:

World Health Organization, 2008.

2. Lampert T, Kroll L, Dunkelberg A: Soziale Ungleichheit und Lebenserwartung in Deutschland. Aus Politik und Zeitgeschichte 2007, 42: 11–8.

3. Mielck A: Soziale Ungleichheit und Gesund- heit. Bern: Verlag Hans Huber, 2000.

Es ist nicht naturgegeben, dass Menschen in manchen

Regionen durchschnittlich 30 Jahre früher sterben.

Referenzen

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