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Archiv "Präventiv-Therapien: Patienten müssen mehrstufig aufgeklärt werden" (09.02.2001)

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m die Erfolgsaussichten der Prä- vention kardiovaskulärer Erkran- kungen zu verbessern, haben die Fachgesellschaften und die WHO kürz- lich die Normgrenzen für Risikofaktoren herabgesetzt: Die Obergrenzen für einen normalen Nüchtern-Blutzucker wurden von < 126 mg/dl auf < 100 mg/dl und für den normalen Blutdruck von < 140/90 mm Hg auf < 130/85 mm Hg gesenkt. In Abhängigkeit von dem Gesamt-Risiko- Profil eines Menschen werden auch für die Primär-Prävention Cholesterin-Spie- gel von < 200 mg/dl als Ziel-Größe emp- fohlen. Dies führt zu einer erheblichen Zunahme des Bevölkerungsanteils, für den eine Therapie empfohlen wird.

Die Senkung der Normgrenzen grün- det sich auf epidemiologische Analysen.

Die notwendigen Wirksamkeitsnach- weise für die Behandlungsempfehlun- gen durch randomisiert kontrollierte Studien fehlen. So gibt es für die Redu- zierung des Nüchtern-Blutzuckers unter 126 mg/dl keinen Wirksamkeitsnach- weis. Bei Personen ohne Diabetes führ- te die antihypertensive Therapie mit dem Ziel der Unterschreitung des dia- stolischen Blutdrucks von 85 mm Hg in der HOT-Studie zu keiner Reduk- tion der kardiovaskulären Morbidität oder Mortalität (Lancet 1998; 351:

1755–62).

Für einige der an den früher übli- chen, höheren Normgrenzen ausgerich- teten Behandlungen wurden Wirkungs- nachweise erbracht. Aber selbst wenn für eine Präventiv-Intervention ein po- sitiver Wirksamkeitsnachweis vorliegt, gilt: Der Nutzen für den Einzelnen wird mit der Absenkung der Interventions- schwelle immer geringer. Je geringer das Ausgangsrisiko, umso unwahrscheinli- cher ist ein möglicher Nutzen der Inter- vention für den Einzelnen und umso

ungünstiger das Verhältnis zwischen Nutzen einerseits und Schaden und Auf- wand andererseits. Dies wird durch ei- ne quantitive Darstellung der Wirkun- gen in Absolut-Werten beziehungswei- se in Häufigkeiten verdeutlicht.

So gelingt eine Primär-Prävention der koronaren Herzkrankheit mittels des Cholesterin-Synthese-Hemmers Pra- vastatin bei symptomfreien Menschen bei der früher üblichen Interven- tionsschwelle von einem Cholesterin-

Spiegel von 250 mg/dl (WOSCOP-Stu- die, NEJM 1995; 333: 1301–7): Einher- gehend mit einer mittleren Senkung des Cholesterin-Spiegels um circa 20 Pro- zent, ergibt sich eine absolute Redukti- on der primären Endpunkte (nicht töd- liche Herzinfarkte oder koronarer Tod) über fünf Jahre (von 7,9 auf 5,5 Prozent) um 2,4 Prozent (entsprechend 30 Re- lativ-Prozent), mithin eine NNT5 Jahre (number-needed-to-treat) von 42.

98 von je 100 Personen hatten keinen Nutzen von der Therapie, indem sie den Endpunkt trotzdem (5,5 Prozent) oder ohnehin nicht (92,1 Prozent) erlitten

haben. Wegen der (im Vergleich zu Schottland) niedrigeren Inzidenz der koronaren Herzkrankheit ist für Deutschland aufgrund dieser Daten al- lerdings davon auszugehen, dass 84 Menschen über fünf Jahre mit Pravasta- tin behandelt werden müssten, um ei- nen Endpunkt zu verhindern oder hin- auszuschieben. Dem Nutzen der medi- kamentösen Lipidsenkung sind der Aufwand an Kosten, die tägliche Medi- kation und die Kollateral-Wirkungen der Therapie gegenüberzustellen.

Auch in der Sekundär-Präventi- on müssen die Erfolgsaussichten quantitativ dargestellt werden. Da- nach ergäbe sich zum Beispiel für Hoch-Risiko-Patienten durch die Medikation mit Ramipril (i.e. nicht zur Therapie der Hypertonie oder einer Myokardinsuffizienz) eine absolute Risiko-Reduktion für ei- nen primären Endpunkt (Herzin- farkt, Schlaganfall oder kardiovas- kulärer Tod) über fünf Jahre (von 17,8 auf 14,0 Prozent) um 3,8 Pro- zent (also 21 Relativ-Prozent); mit- hin eine NNT5 Jahrevon 26.

Das heißt: 26 Patienten müssen über fünf Jahre mit Ramipril be- handelt werden, um bei einem Patienten einen Endpunkt zu vermeiden bezie- hungsweise hinauszuzögern. 96 von je 100 Patienten hatten von der Therapie keinen Nutzen, indem sie entweder trotzdem einen (14,0 Prozent) oder auch ohne die Intervention keinen (82,2 Pro- zent) Endpunkt erlitten haben (HOPE- Studie; NEJM 2000; 342: 145–153).

Selbst bei Patienten mit einem mani- festen Diabetes mellitus Typ 2, für die ein um das Vielfache gesteigertes kar- diovaskuläres Morbiditäts- und Morta- litäts-Risiko bekannt ist, müssen die Er- folgsaussichten einer Blutzucker-Sen- P O L I T I K

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A294 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 6½½½½9. Februar 2001

Präventiv-Therapien

Patienten müssen mehrstufig aufgeklärt werden

Das Primat der „Informierten Entscheidung“ des Patienten (informed decision making) wurde im deutschen Gesundheitswesen bisher nicht beachtet.

Medizinreport

Um Patienten eine „Informierte Entscheidung“ zu er- möglichen, müssen auch die Ergebnisse der Wirksam- keits-Studien dargestellt werden. Foto: Peter Wirtz

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kung quantifiziert werden. Neuerliche Empfehlungen drängen zunehmend auf eine Senkung des HbA1c-Wertes bei Pa- tienten mit Diabetes mellitus Typ 2 bis auf Werte von < 6,5 Prozent.

Dies ist mit einem erheblichen the- rapeutischen Aufwand und Nebenwir- kungsrisiken verbunden. Der Nachweis, dass hierdurch die Prävention der Ma- kroangiopathie und deren Organkompli- kationen zu erreichen ist, konnte nicht erbracht werden. Erfasst man diabe- tesassoziierte makro- und mikrovasku- läre Komplikationen gemeinsam unter dem aggregierten Endpunkt ADREP (any diabetes-related endpoint), so ge- lingt durch eine verschärfte Blutzucker- Einstellung ein signifikanter Erfolg (UKPDS, Lancet 1998; 352: 837–53): Ver- gleicht man eine „konventionelle“ Blut- zucker-Einstellung mit einem medianen HbA1c-Wert von etwa acht Prozent über zehn Jahre mit einer intensivierten Ein- stellung, die zu einem medianen HbA1c- Wert von sieben Prozent führte, so er- gibt sich durch die verbesserte Stoff- wechseleinstellung eine absolute Risiko- verminderung (für die Inzidenz des Erst- auftretens irgendeiner diabetesassozi- ierten Komplikation) um fünf Prozent (von 46 auf 41 Prozent). Dafür geben die Autoren eine NNT10 Jahrevon 20 an: Bei 95 von je 100 Patienten sind die strengere Blutzucker-Einstellung, der erhebliche Aufwand und die Risiken, die damit über zehn Jahre für den Patienten verbunden waren, ohne Erfolg geblieben.

Mehr Risiken bei geringeren Erfolgsaussichten

Mit dem Absenken der Normwerte für Risiko-Marker und der Verschärfung der Therapieziele werden der Öffentlichkeit steigende Kosten und dem Einzelnen zu- nehmende Anstrengungen und Neben- wirkungsrisiken zugemutet. Diesen Be- lastungen stehen für den Einzelnen im- mer geringer werdende Erfolgsaussich- ten gegenüber. In dieser Situation ist eine umfassende Aufklärung unumgänglich.

Für die anstehenden Entscheidun- gen bestehen weder für die Öffentlich- keit noch für den Einzelnen die sonst üblichen Zwänge des Zeitdrucks oder der Unwiderrufbarkeit. Daher ist – an- ders als vor der Einholung einer

Einverständniserklärung vor einem akuten medizinischen Eingriff – eine vollständige und mehrstufige Informa- tion zu fordern.

Ziel eines derartigen Informations- prozesses ist es, den Betroffenen ei- ne Informierte Entscheidung (informed decision) zu ermöglichen. Inhaltlich sind dazu primär die Ergebnisse der Wirksamkeits-Studien darzustellen. Ei- ne Beschränkung der Information auf das, „was den Laien zugemutet wer- den kann“, ist nicht angebracht, denn das Verständnis der Fakten zu Erfolgs- aussichten und Risiken einer Interven- tion oder deren Unterlassung bezie- hungsweise des Fehlens entsprechender Erkenntnisse ist nicht von der Absolvie- rung eines Medizinstudiums abhängig.

Das britische General Medical Coun- cil hat im Jahr 1999 ethische Grundsätze für den Informations-Prozess formu- liert, der die Grundlage für eine Infor- mierte Entscheidung durch den Betrof- fenen darstellt. Danach muss vor der Abwägung zu einer Therapie-Maßnah- me über die Prognose im Falle des Ver- zichts auf Behandlung (natural course) informiert werden. Im Vergleich dazu sind für die in Rede stehende und für al- ternative Behandlungen deren Wirkun- gen (patient-oriented outcomes) und Nebenwirkungen, Unsicherheiten und Risiken, medizinische, soziale und fi- nanzielle Folgen (Kollateral-Effekte) quantitativ darzustellen.

Darüber hinaus hat der Betroffene Anspruch auf Information über die even- tuelle (interdisziplinäre) Planung des weiteren Verfahrens, zu Unterstützungs- und Beratungs-Angeboten. Die Infor- mationen müssen verständlich und aus- gewogen dargeboten werden (zum Bei- spiel Angaben von Häufigkeiten anstelle von Relativ-Prozenten) und auf die re- levanten Endpunkte ausgerichtet sein.

Dem Betroffenen muss ausreichend Zeit für die Entscheidung gegeben werden.

Finanzielle Interessen und Abhän- gigkeiten seitens des Therapeuten oder der von ihm vertretenen Institution(en) sind dem Betroffenen offen zu legen;

zum Beispiel die Annahme von Vor- tragshonoraren oder Forschungs-Bei- hilfen durch Pharma-Firmen, deren Produkte für die anstehende Therapie zur Diskussion stehen. Die Wahrschein- lichkeit, dass die Betroffenen aufgrund

der Information die Behandlung ableh- nen mögen, darf keinesfalls ein Grund dafür sein, die entsprechenden Daten vorzuenthalten.

Die Art und Weise, in der den Be- troffenen (symptomfreien Mitbürgern in der Primär-Prävention und den Pati- enten vor einer elektiven Therapie) entsprechende Informationen vermit- telt werden können, ist Gegenstand ak- tueller wissenschaftlicher Projekte. Ein Beispiel dafür stellt die Information der Frauen vor der Entscheidung zur Teilnahme an einem Mammographie- Screening-Programm dar (arznei-tele- gramm 1999 [10]: 101–108; Kirchheim- Verlag, Mainz, 2000).

Resümee

Bei der Intensivierung der Präventiv- Therapie geht es zumeist um marginale Wahrscheinlichkeitsverschiebungen für patientenrelevante Endpunkte (etwa eine weitergehende Risiko-Verminde- rung von Folgeschäden bei zusätzlichem Behandlungsaufwand und steigendem Nebenwirkungs-Risiko). Es muss dem Patienten vorbehalten bleiben, ob er sich unter Kenntnis dieser Gesichts- punkte für eine derartige Therapie-In- tensivierung entscheidet.

Der Therapie-Erfolg kann nur daran gemessen werden, in welchem Ausmaß das von dem Patienten aufgrund ei- ner Informierten Entscheidung defi- nierte Therapieziel erreicht wird. Da- bei wird der Nachweis darüber, dass dem Patienten tatsächlich durch den Therapeuten eine Informierte Entschei- dung ermöglicht wurde, in Zukunft mehr und mehr ein wesentliches Kri- terium für ärztliche Leistung darstellen.

Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Michael Berger Klinik für Stoffwechselkrankheiten und Ernährung (WHO Collaborating Center for Diabetes) Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstraße 5, 40225 Düsseldorf bergermi@uni-duesseldorf.de

http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/MedFak/MDN/

Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser Professur für Gesundheit IGTW, Universität Hamburg

Martin-Luther-King-Platz 6, 20146 Hamburg ingrid_muehlhauser@uni-hamburg.de http://www.chemie.uni-hamburg.de/igtw/

gesundheit/gesundheit.htm P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 6½½½½9. Februar 2001 AA295

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