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it einer ungewöhnlichen Stellenanzeige im Deut- schen Ärzteblatt sorgten An- fang September 270 Assistenz- und Fachärzte der Berliner Charité für Aufsehen. Aus Protest gegen „verschlechter- te Arbeitsbedingungen durch neue Tarifverträge“ suchten sie „neue, interessante Aufga- ben“. Die vermeintliche „Ärz- teflucht“ zeigte Wirkung: Cha- rité-Vorstand und Ärztever- treter einigten sich jetzt auf einen Kompromiss.Auslöser für die Proteste waren von der Klinikleitung im Frühjahr durchgesetzte Gehaltskürzungen bei Neu- einstellungen und Vertrags- verlängerungen. Seither be- trägt die Wochenarbeitszeit für betroffene Beschäftigte einheitlich 40 Stunden, Ur-
laubs- und Weihnachtsgeld entfallen. Das Einstiegsgehalt wird weiterhin nach Bundes- angestellten-Tarif gezahlt, je- doch ohne die bislang auto- matische Steigerung.
Nach dem nun gefundenen Kompromiss sind die neuen Vertragsbedingungen allen- falls auf ein Jahr befristet.
Allen Berufsgruppen, die von den Änderungen betroffen sind (auch Pflegepersonal), wird rückwirkend ein Be- währungsaufstieg gewährt, so- fern die entsprechenden Vor- aussetzungen vorliegen. Bei der Streichung des Urlaubs- geldes bleibt es vorerst, doch erhalten die Beschäftigten aus einem Sonderfonds einen Weihnachtsgeldersatz.
Rund 450 Stellenangebote von Krankenhäusern aus dem
In- und Ausland sowie von Pharmaunternehmen seien als Reaktion auf die Anzeige im Deutschen Ärzteblatt ein- gegangen, berichteten die In- itiatoren des Ärzteprotestes.
Fünf Ärzte hätten die Charité verlassen. Entsprechend er- leichtert über die nun gefun- dene Einigung zeigte sich Charité-Vorstandschef Prof.
Dr. med. Detlev Ganten.
Trotz der schwierigen finanzi- ellen Bedingungen seien für alle Betroffenen Verbesserun- gen ausgehandelt worden.As- sistenzarztvertreter Dr. med.
Olaf Guckelberger äußerte
sich zufrieden, dass sich der Vorstand auf die Forderung der Ärzte zu bewegt hat.
Die Einigung an der Cha- rité könnte bundesweit Si- gnalwirkung haben. Erst Mit- te Oktober demonstrierten in Stuttgart mehr als 1 000 Ärz- tinnen und Ärzte der vier Universitätskliniken in Ba- den-Württemberg gegen ta- rifliche Kürzungen und ver- schlechterte Arbeitsbedingun- gen. Das zuständige Wissen- schaftsministerium kündigte bereits an, die Neuregelungen
zu überprüfen. SR
A K T U E L L
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 101⏐⏐Heft 44⏐⏐29. Oktober 2004 AA2917
Sepsis
Wie Endotoxine entschärft werden
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ndotoxine werden nicht gerade als förderlich für die Gesundheit einge- stuft. Sie sind es aber – vorausgesetzt, es handelt sich um geringe Mengen. Weit- hin unbemerkt habe sich in den vergan- genen Jahren ein Wandel im Denken vollzogen, erklärte Prof. Dr. med. Ernst Rietschel (Borstel) als Laureat der diesjährigen Behring-Vorlesung. „En- dotoxine sind ein mikrobielles Vitamin, das als konstanter Stimulus den Tonus der körpereigenen Immunabwehr auf- rechterhält.“ Wie der Preisträger zum 100-jährigen Jubiläum der Impfstoff- Produktion in Marburg darlegte, leben im menschlichen Körper etwa 1 014 Mikroorganismen; sie sind mit nichts anderem beschäftigt, als sich zu re- produzieren. Um diese potenziellen Krankheitserreger in Schach zu halten,hat das körpereigene Abwehrsystem spezielle Strukturen entwickelt, die frühzeitig eine drohende „Gefahr“ mel- den. Diese Rezeptoren (toll like Recep- tors/TLR) erkennen als „Fühler“ des Abwehrsystems entweder Oberflächen- antigene oder Endotoxine anhand kon- servierter Muster von Kohlehydrat- strukturen oder Lipopolysacchariden und aktivieren dann über Mediatoren das Immunsystem, das die Pathogene direkt oder indirekt ausschaltet.
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iese Reaktion kann entgleisen und bei höheren Endotoxin-Konzentra- tionen in eine Autoaggression münden.Ein Beispiel ist die Sepsis bei massivem Meningokokken-Befall. Bei Krebspati- enten reagiert der Körper auf kleinste Endotoxin-Mengen mit einer über- schießenden Produktion von Zytoki- nen, die ebenfalls zur Sepsis führen können. Im Gesamtkonzept der Sep- sistherapie sieht Rietschel deshalb ne- ben der Elimination des Infektionsher- des und der Antibiotikatherapie die Notwendigkeit, auch Endotoxine „ab-
zublocken“. Dies kann mit der Absor- ber-Technologie geschehen, möglicher- weise eleganter durch kreuzreagieren- de monoklonale Antikörper. Am For- schungszentrum Borstel haben Riet- schel und Kollegen vom Leibniz-Zen- trum für Medizin und Biowissenschaf- ten einen derartigen Antikörper ent- wickelt, der mit Endotoxinen verschie- dener Herkunft (E. coli, Salmonella, Shigella) aufgrund gemeinsamer Struk- turen reagiert. Im Mausmodell hat er die endotoxin-vermittelte Letalität ver- hindert.