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Archiv "Myasthenia gravis: Aktuelle Therapie unter pathophysiologischen Aspekten" (28.01.1988)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Myasthenia gravis

Aktuelle Therapie

unter pathophysiologischen Aspekten

Judith Haas

ie Myasthenia gravis ist eine Autoimmun- krankheit, die sich an der motorischen End- platte manifestiert und durch eine abnorme Ermüdbar- keit und wechselnde Schwäche der Skelettmuskulatur geprägt ist. Be- vorzugt sind die äußeren Augenmus- keln betroffen, die mimische Mus- kulatur und die proximale Extremi- tätenmuskulatur. Eine rein bulbäre Manifestation ist ebenfalls möglich.

Lebensbedrohlich ist der Befall der Atem- und Schluckmuskulatur.

Die Erkrankung ist selten. Ihre Inzidenz wird mit 1 : 20 000 angege- ben (5). Vor dem 30. Lebensjahr sind von der Erkrankung mehr Frau- en als Männer betroffen, in höherem Lebensalter mehr Männer als Frau- en (Abbildung 1). Die Erkrankung kommt auch, jedoch selten, schon vor dem 10. Lebensjahr vor (5).

Diagnosesicherung mittels Test

Die Diagnose ist meist schon durch die charakteristische Be- schreibung des Kranken möglich.

Rasch auftretende Ptose, wechselnd ausgeprägte Doppelbilder, Ermüd- barkeit beim Kauen, Mühe beim Ar- beiten mit erhobenen Armen und beim Treppensteigen und tageszeit- Neurologische Klinik mit Klinischer Neurophysiologie (Direktor: Professor Dr. med. Helmut Künkel) der

Medizinischen Hochschule Hannover

Die Myasthenia gravis ist ge- prägt durch eine abnorme Er- müdbarkeit und Schwäche der Skelettmuskulatur. Sie ist eine Autoimmunerkrankung. Im Se- rum der Erkrankten können An- tikörper gegen den postsyn- aptischen Acetylcholinrezeptor der motorischen Endplatte nach- gewiesen werden. Die Progno- se ist auch bei bulbärer Manife- station mit Schluck- und Atem- störungen gut. Je nach Schwere- grad erfolgt die Therapie mit Cholinesterasehemmern, Korti- kosteroiden und langfristig im- munsuppressiv mit Azathioprin oder Cyclophosphamid. Bei jungen Patienten ist die Thym- ektomie am erfolgreichsten.

liehe sowie belastungsabhängige Schwankungen sind charakteri- stisch. Bei der Untersuchung der Kranken lassen sich die Symptome leicht durch Aufforderung zur repe- titiven Innervation und Dauerbela- stung provozieren. Der neurologi- sche Befund ist darüber hinaus ganz regelrecht.

Der gebräuchlichste pharmako- logische Test zur Sicherung der Dia- gnose ist der Tensilon®-Test. Die Gabe von 10 mg Edrophoniumchlo- rid, einem kurzfristig wirkenden Cholinesterasehemmer, bessert in- nerhalb von 30 bis 60 Sekunden die Lähmungen (Abb. 2). Das Tensi- lon® sollte mit einer sogenannten In-

sulinspritze aufgezogen werden. Ein Zehntel der Dosis wird als Testdosis gespritzt. Atropin sollte als Antidot bereitliegen. Der Test kann falsch positiv sein, wenn der Patient sich besonders anstrengt, falsch negativ, wenn die betroffenen Muskelgrup- pen schon refraktär sind.

Die Einteilung der klinischen Manifestationstypen nach dem mo- difizierten Schema von Ossermann (39) hat sich bewährt. Typ I: okuläre Myasthenie, Typ II a: leichte gene- ralisierte Schwäche, Typ II b: erheb- liche generalisierte Schwäche, Typ III: mit bulbärer Manifestation, Typ IV: Beatmung notwendig, Typ V:

Vollremission. In jüngeren Jahren überwiegen Typ II a und II b, wäh- rend die ausschließlich okuläre My- asthenie für das höhere Lebensalter charakteristisch ist. Schwere Verläu- fe mit bulbären Symptomen beob- achten wir in allen Dezennien nahe- zu gleichmäßig.

Nachweis von Acetylcholin-

rezeptor-Antikörpern Im Serum der Erkrankten kön- nen in ca. 90 Prozent bei generali- sierter Myasthenia gravis und in ca.

70 Prozent bei okulärer Myasthenie Antikörper gegen den postsynapti- schen Acetylcholinrezeptor der mo- torischen Endplatte nachgewiesen werden. Der Nachweis von Acetyl- cholinrezeptor-Antikörpern (ACH- R-AK) ist hochspezifisch für eine Myasthenia gravis. Statistisch gese- Dt. Ärztebl. 85, Heft 4, 28. Januar 1988 (37) A-145

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Manifestationsalter Inzidenz 1:50 000

d:9=

2:1

1 1

•-•

n

0-10 11-20 21-30 31-40 41-50 51-60 61-70 71-80 81-90 Jahre 10

n 20

Manifestationstyp und ACH-R-AK

9

pos.

d

9

d

Typ 1 Typ Ha Typ lib Typ 111

Abbildung 1: Geschlecht und Manifestationsalter von 122 Kranken mit Myasthenia gravis.

Manifestationstyp und Acetylcholinrezeptor-Antikörper (ACH-R-AK) hen, besteht insgesamt keine Korre-

lation zwischen klinischem Verlauf und der Höhe der Titer (32, 25, 46, 28, 32). Es gibt jedoch Kranke, bei denen der Verlauf der ACH-R-AK- Titer mit dem der Erkrankung über- einstimmt (40).

Die Analyse der ACH-R-AK bei 105 Kranken ergab, daß die Titer um so höher erwartet werden kön- nen, je jünger der Kranke, je schwe- rer die Erkrankung, je kürzer die Krankheitsdauer. Bei Kranken über 45 Jahren finden sich nur noch selten AK-Titer von mehr als 20 nmo1/1. Im Verlauf der Erkrankung sinken die ACH-R-AK mit und ohne Therapie ab (Abbildung 4). Die Titerhöhe schwankt zwischen 0,5 und 1000 nmo1/1. Während andere Autoren höchste Titer bei Thymomträgern fanden (28), sahen wir solche bei jungen Kranken mit generalisierter Myasthenia gravis, ohne daß bei die- sen die Titerhöhe mit der Schwere der Erkrankung korrelierte.

Der Nachweis der ACH-R-AK erfolgt mit einem Radioimmunoas- say. Das Design des Radioimmuno- assay (25) erlaubte zunächst nur den Nachweis von ACH-R-AK, die eine andere Bindungsstelle an den Re- zeptor haben als das Alphabungaro- toxin. Mit einem Inhibitionstest ist es aber möglich, zum Beispiel Anti- körper nachzuweisen, die gegen die Alphabungarotoxin-B indungsstelle gerichtet sind.

Inzwischen ist ein äußerst hete- rogenes Muster von Acetylcholinre- zeptor-Antikörpern zu den verschie- denen Bindungsstellen des Rezep- tors identifiziert (33). Es gelang bis jetzt noch nicht, ein bestimmtes An- tikörpermuster mit der Schwere der Erkrankung in Verbindung zu brin- gen (26, 8). Möglicherweise sind die- se negativen Ergebnisse noch me- thodisch bedingt (36).

Die gegen den nikotinartigen Acetylcholinrezeptor, ein Glykopro- tein, gerichteten Antikörper rufen die postsynaptische Leitungsstörung der Myasthenia gravis hervor. Ver- antwortlich für die Muskelschwäche ist nicht allein eine immunpharma- kologische Blockade. Entscheidend ist der individuelle Verlust der Ace- tylcholinrezeptoren. Das Ausmaß der Minderung der ACH-R-Dichte

bestimmt die Schwere der Erkran- kung im Einzelfall. Der Rezeptor- verlust kommt einmal durch eine Komplement verbrauchende Lyse zustande (20), zum anderen ist der Abbau der Acetylcholinrezeptoren (45) erhöht. Auf der postsynapti- schen Membran konnten elektro- nenmikroskopisch Immunkomplexe nachgewiesen werden (18, 17). Die Fältelung der motorischen Endplat- te ist vergröbert, der synaptische Spalt erweitert, die Aktivität der Rezeptorkanäle verändert (47). Das Miniaturendplattenpotential ist er- niedrigt.

Auch dies ist Folge des ACH-R- Verlustes , da die Höhe des Minia-

turendplattenpotentials direkt mit der Zahl der Acetylcholinrezeptoren korreliert. Der Acetylcholingehalt im myasthenen Muskel selbst aber soll erhöht sein (37). Auch zelluläre Immunmechanismen spielen eine Rolle (14).

Die Rolle des Thymus

Hinsichtlich der Entstehung der Myasthenia gravis basiert die Virus- theorie auf der Vorstellung, daß ei- ne Thymitis den Autoimmunprozeß triggert. Der Thymus enthält Myoid- zellen mit Acetylcholinrezeptoren vom sogenannten „nonjunctional A-146 (38) Dt. Ärztebl. 85, Heft 4, 28 . Januar 1988

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Abbildungen 2: (oben links) Okuläre Myasthenie, 75jähriger Patient: Ptose rechts ausgeprägter als links. Kompensatorische Stirnfalten.

Bulbusmotilität nach links außen eingeschränkt mit Angabe von Doppelbildern; (oben rechts) nach Gabe von 10 mg Tensilon® inner- halb von 60 Sekunden Besserung der Ptose und freie Bulbusmotilität; (unten links) okuläre Myasthenie, 49jährige Patientin: Belastungs- abhängige Ptose rechts; (unten rechts) nach Gabe von 10 mg Tensilon® deutliche Besserung der Ptose (links = links im Bild) type". Im Rahmen einer Thymitis

soll die ACH-R-AK-Produktion ge- gen diese Myoidzellen durch Thy- muslymphozyten gestartet werden.

Es gelang zu belegen, daß immun- kompetente Lymphozyten aus dem Thymus (T-Helferzellen) in vitro spontan Acetylcholinrezeptor-Anti- körper produzieren (48). Aber auch Blutlymphozyten (38) produzieren diese Antikörper, wobei die Bildung durch Anwesenheit von Thymuszel- len auf das zehnfache gesteigert wer- den kann.

Weder elektronenmikroskopi- sche Untersuchungen des Thymus noch Thymuskulturen, Inokula- tionsversuche oder Immunofluores- zensverfahren erbrachten aber einen Virusnachweis (2).

Die Erkrankung Myasthenia gravis geht häufig mit einer Thy- mus-Vergrößerung einher, nach- weisbar am besten durch ein me- diastinales Computertomogramm, doch zeigen mehr als 50 Prozent der Fälle einen unauffälligen Be- fund. Histologisch soll aber bei 70 Prozent der Kranken eine Thymus- hyperplasie vorliegen. Thymome kommen, besonders bei jungen Kranken, selten vor.

Gefährdung Neugeborener

Trotz der oft beträchtlichen ACH-R-AK-Titer entwickeln etwa nur 12 Prozent der Neugeborenen an Myasthenia gravis erkrankter Mütter eine neonatale Myasthenia gravis. Stillen verbietet sich, da die Cholinesterasehemmer in die Mut- termilch gelangen und beim nicht myasthenen Neugeborenen Durch- fall verursachen können.

Assoziation mit anderen Autoimmunerkrankungen

Wie bei anderen Autoimmuner- krankungen findet man bei der My- asthenia gravis häufig bei den Be- troffenen das Histokompatibilitäts- antigen HLA B 1, HLA B 8 und in der nordeuropäischen Bevölkerung HLA-Dr 3 (24). Familienuntersu- chung und die Zwillingsforschung konnten aber keine eindeutigen Hinweise dafür erbringen, daß fami- liär ein zentraler genetischer Defekt in der Immunregulation vorliegt (4).

Die Myasthenia gravis tritt nicht sel-

ten assoziiert mit anderen Erkran- kungen, die Folge einer gestörten Immunregulation sind, auf. Wir selbst beobachteten bei 17 Prozent unserer Kranken eine primäre chro- nische Polyarthritis, in 20 Prozent Schilddrüsenerkrankungen, darüber hinaus einen Lupus erythematodes , eine zirkumskripte Sklerodermie, ei- ne Immunkomplex-Nephritis, eine Retinitis pigmentosa, eine chroni- sche aggressive Hepatitis, eine per- niziöse Anämie, ein Sjögren-Syn- drom, eine Multiple Sklerose (21), zweimal aber auch ein Non- Hodgkin-Lymphom.

Epilepsie und andere zerebrale Symptome

Auch das gemeinsame Auftre- ten mit einer Epilepsie kommt vor.

Wahrscheinlich sind die ACH-R- AK nicht nur gegen die nikotinarti- gen Synapsen in der Peripherie ge- richtet, sondern auch gegen die ZNS-Acetylcholinrezeptoren (19, 31). Hinweise für die Mitbeteiligung des Zentralnervensystems bei der A-148 (40) Dt. Ärztebl. 85, Heft 4, 28. Januar 1988

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0 Jahre 10 15 AC

n H m -

o R

1:1

AK Acetylcholinrezeptor-AK-Titer und Dauer der Erkrankung

20

10

nmold Acetylcholinrezeptor-AK-Titer (>7) und Lebensalter 4

n=13 n=11

n=20

n=16

n=12

n=13 I I n=12

11-20 21-30 31-40 41-50 51-60 61-70 71-80 Jahre 20

10

Abbildung 3: Acetylcholinrezeptor-Antikörpertiter und Dauer der Erkrankung. Acetyl- cholinrezeptor-Antikörpertiter und Lebensalter

Myasthenia gravis sind das Vorkom- men sogenannter oligoklonaler Ban- den im Liquor von Myasthenie- Kranken (27) sowie der Nachweis von ACH-R-AK in Liquor und Ge- hirn (10, 31).

Eine Beeinträchtigung der Hirn- leistungsfähigkeit wurde schon frü- her nachgewiesen (34). Wir konnten bei neueren Untersuchungen bele- gen, daß das Kurzzeitgedächtnis bei der Myasthenia gravis gegenüber ge- sunden Kontrollpersonen erheblich beeinträchtigt ist. Das cholinerge System des ZNS gilt als relevant für Gedächtnisprozesse. Psychische Auffälligkeiten gehen der Myasthe- nia gravis oft voraus (16, 41) oder treten in ihrem Verlauf auf.

Medikamentös induzierte Myasthenia gravis

Die bekannteste medikamentös induzierte Myasthenia gravis steht im Zusammenhang mit der Gabe von D-Penicillinamin (9). Das D-Pe- nicillinamin bindet sich an den ACH-R und induziert die ACH-R- AK-Bildung. Der Einsatz von zahl- reichen Medikamenten, besonders Antibiotika, mit Wirkung an der motorischen Endplatte muß sorgfäl- tig bei Myasthenia gravis überprüft werden (3).

Therapie

der Myasthenia gravis

Cholinesterasehemmer:

Die Gabe von Cholinesterase- hemmern dient der Kompensation der Muskelschwäche und steht zu- nächst im Vordergrund der Thera- pie. Gebräuchlich sind hier wegen der ausreichend langen Halbwertzei- ten Pyridostigminbromid (Mesti- non®) und Pyridostigminbromid in Retardform (Mestinon® retard).

Der individuelle Bedarf schwankt zwischen 40 mg und 1200 mg. Wäh- rend Mestinon® in der Regel alle drei bis vier Stunden notwendig ist, kann man den Abstand der einzel- nen Gaben bei Mestinon® retard auf bis zu acht Stunden ausdehnen.

Die Schwierigkeit der Dosie- rung macht es im Einzelfall häufig

notwendig, die Therapie unter sta- tionären Bedingungen zu beginnen.

Ist man sich nicht sicher, ob höhere Dosen die Symptomatik noch ver- bessern, sollte man dies mit Hilfe ei- nes Tensilon&Testes kontrollieren.

Nicht immer gelingt es, durch Cholinesterasehemmer die Muskel- schwäche voll zu kompensieren. Die Überdosierung aber birgt die Gefahr einer sogenannten cholinergen Krise in sich, wobei die muskarinartigen Wirkungen (Schwitzen, Durchfall, Tachykardie, Faszikulieren, Waden- krämpfe) das Bild beherrschen und darüber hinaus eine zunehmende ge- neralisierte Schwäche eintritt.

Da die langfristige Therapie mit Cholinesterasehemmern, wie bei al- len Transmittern, auch an der neu- romuskulären Endplatte die Rege- neration der Rezeptoren stört, ist es hilfreich, in krisenhaften Situationen (myasthene oder cholinerge Krise), wenn ohnehin eine Beatmung not- wendig ist, für mehrere Tage ein so- genanntes „drug holiday" durchzu- führen. Es dient der Erholung der Endplatte und der Neueinstellung mit Cholinesterasehemmern.

Kortikosteroide:

Hoch wirksam ist darüber hin- aus die Therapie mit Kortikosteroi- den, die jedoch ausreichend dosiert und langfristig durchgeführt werden muß. Bei uns hat sich bewährt, die Myasthenia gravis zunächst so gut wie möglich mit Cholinesterasehem- mern zu kompensieren und erst dann die Steroid-Therapie einzulei- ten. Hiervon wird man aber indivi- duell immer wieder abweichen müs- sen. Zum einen gibt es Patienten, die kaum Nutzen durch Cholineste- rasehemmer haben. Zum anderen gibt es Situationen, wo man mög- lichst schnell einen Erfolg erzielen will, wie zum Beispiel bei der my- asthenen Krise mit drohender Beat- mung. Hier wird man gleichzeitig mit Steroiden beginnen und den in- dividuellen Mestinon-Bedarf täglich neu unter der Therapie mit Kortikoiden ermitteln.

Bei der Kortikosteroid-Thera- pie ergeben sich bei der Myasthenia gravis spezielle Probleme. Die an- fänglich hohen Dosen (100 mg De- cortin® täglich) führen meist am dritten Tag zu einer vorübergehen- Dt. Ärztebl. 85, Heft 4, 28. Januar 1988 (41) A-149

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den Verschlechterung, so daß hier in schweren Fällen eine Dekompensa- tion mit Atemstörungen droht und eine prophylaktische Plasmapherese sinnvoll ist. Die Behandlung sollte deshalb stationär begonnen werden.

Darüber hinaus gibt es Patienten, die langfristig nicht ohne Kortikoid- steroide auskommen. Wir handha- ben es in der Regel so, daß wir die Dosis von anfänglich 100 mg inner- halb von sechs Wochen auf 10 mg jeden zweiten Tag reduzieren.

Plasmapherese:

In myasthenen Krisen ist die Wirkung der Plasmapherese ein- drucksvoll. Sie muß jedoch von ei- ner immunsuppressiven Therapie, in der Regel auch Kortikosteroiden, begleitet werden. Der Effekt ist nur kurzfristig. Sie sollte daher bei Kri- sen täglich durchgeführt werden, insbesondere, um die Beatmungs- dauer zu verkürzen oder eine Beat- mung zu verhindern. Um die ACH- R-AK-Produktion zu verhindern, werden auch Versuche mit der Leu- koplasmapherese gemacht (44).

Thymektomie:

Zahlreiche Arbeiten der letzten Jahre beschreiben großartige Erfol- ge der Thymektomie, ohne jedoch auf entsprechende Vergleichskollek- tive verweisen zu können (13, 23, 30, 35). Retrospektive Untersuchun- gen von thymektomierten und nicht thymektomierten Kranken überzeu- gen nicht (29, 43).

Wie bei allen chronischen Er- krankungen mit schubförmigem Verlauf ist auch bei der Myasthenia gravis der spontane Verlauf nur schwer abzuschätzen. Eine Doppel- blindstudie ist aus ethischen Grün- den nicht möglich. Jede Myasthenia gravis wird heute in der Regel im- munsuppressiv behandelt, wenn nach der Thymektomie keine Re- mission eintritt. Die Indikation zur Thymektomie aber hat sich auch in den einzelnen Zentren im Laufe der Jahre geändert. Bestand zeitweilig der Trend, nur Kranke unter 40 Jah- ren zu thymektomieren, so wechsel- te dies im Laufe der letzten Jahre.

Manche Autoren empfehlen heute, Kranke in jedem Lebensalter zu thymektomieren, sogar solche mit einer rein okulären Mysthenia gravis (42). Patienten mit einer Thy-

musvergrößerung werden in jedem Lebensalter operiert, da man über die Dignität der Thymusvergröße- rung anders keinen Aufschluß ge- winnen kann. Die Operationsletali- tät ist fast zu vernachlässigen. Pro- blematisch sind nur die Fälle mit ei- nem infiltrativ wachsenden malignen Thymom, das ohnehin eine Thora- kotomie notwendig macht.

Wenn sich drei bis sechs Monate postoperativ keine Besserung ein- stellt, wird eine immunsuppressive Therapie nicht zu umgehen sein.

Der Wert der Thymektomie ist ge- genüber spontanen Remissionen nur schwer abzuschätzen. Übereinstim- mend mit Angaben der Literatur (39) sind unsere Erfahrungen, daß die Thymektomie ihren günstigsten Effekt bei jungen Frauen hat, die kein Thymom haben. Dieser Effekt der Thymektomie bei Kindern und jungen Menschen unter 20 ist ein- drucksvoll. In diesem Lebensalter sind Thymome eine Rarität.

Von 14 Myastheniekranken, al- le weiblich, zwischen 9 und 19 Jah- ren, waren 11 innerhalb von sechs Monaten beschwerdefrei. Sie benö- tigen nun schon mehrere Jahre keine weitere Therapie mehr. Die Thym- ektomie verhindert aber auch bei jungen Frauen nicht immer einen schweren Verlauf. Zwei Kranke, die nach einer Entfernung eines Thy- moms trotz immunsuppressiver Be- handlung immer wieder schwerste myasthene Krisen entwickelten, ver- starben schließlich bei uns an einer nicht beherrschbaren Sepsis.

Von einigen Zentren werden die Kranken vor der Thymektomie mit Kortikoiden behandelt. Dies halten wir nur dann für nötig, wenn sich der Kranke vor der Thymektomie in ei- nem krisenhaften Zustand befindet.

Eine Thymektomie sollte immer erst dann erfolgen, wenn die Myasthenia gravis so gut wie möglich kompen- siert ist, da dann die Gefahren der Operation, insbesondere die langfri- stige Beatmung, nur gering sind.

Warum die Thymektomie überhaupt wirksam ist, bleibt unklar. Immerhin gibt es Untersuchungen, die danach Veränderungen in der zellulären Im- munität belegen (7). Erfahrungsge- mäß sinken nach der Thymektomie die ACH-R-AK ab, und das Verhal-

ten von T-Helfer/T-Suppressor-Zel- len ändert sich (7).

Immunsuppressive Therapie:

Langfristig gesehen, hat sich bei der Myasthenia gravis die immun- suppressive Therapie mit Azathio- prin (Imurek®) (2 mg/kg Körperge- wicht) bestens bewährt. Unter die- ser Behandlung tritt nahezu regel- haft eine Stabilisierung, wenn nicht Remission ein. Die Behandlung soll- te, auch wenn eine Vollremission eingetreten ist, mindestens drei Jah- re fortgeführt werden. Auch dann besteht allerdings nach dem Abset- zen die Gefahr, daß sich die My- asthenia gravis innerhalb von sechs Monaten erneut manifestiert. Bei Patienten mit einer bulbären Form der Myasthenie gravis, die über 70 Jahre alt sind, führen wir daher die- se Therapie lebenslang fort.

Die Nebenwirkungen der lang- fristigen immunsuppressiven Thera- pie bestehen im wesentlichen in Blutbildveränderungen (22). Wird die Therapie mit Azathioprin nicht toleriert, dies kann auch aufgrund gastrointestinaler Nebenwirkungen der Fall sein, so bietet sich alternativ eine Behandlung mit Cyclosphos- phamid (Endoxan®) an, und zwar in einer Dosierung von 100 mg täglich, wie sie auch bei anderen Autoim- munkrankheiten, etwa dem Lupus erythematodes, verwendet wird.

Eine neue Hoffnung in der Be- handlung der Myasthenia gravis ist Ciclosporin A (Sandimmun®). Tier- experimentell ist die Wirkung bestens belegt (15). Auch die ersten positiven Ergebnisse klinischer Studien liegen vor. Ein anderer vielversprechender Ansatz ist die Entwicklung antiidioty- pischer Autoantikörper.

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, zu beziehen über die Verfasserin.

Anschrift der Verfasserin:

Privatdozentin

Dr. med. Judith Haas Neurologische Klinik mit Klinischer Neurophysiologie Medizinische Hochschule Hannover

Konstanty-Gutschow-Straße 9 3000 Hannover 61

A-150 (42) Dt. Ärztebl. 85, Heft 4, 28. Januar 1988

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