• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Myasthenia gravis und myasthene Syndrome" (25.12.2000)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Myasthenia gravis und myasthene Syndrome" (25.12.2000)"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

N

eben der seit langem bekannten Myasthenia gravis wurden in den vergangenen Jahren eine Reihe von angeborenen oder immunologisch verursachten Störungen der neuro- muskulären Signalübertragung identi- fiziert und der jeweils zugrunde lie- gende molekulare Mechanismus wur- de aufgeklärt. Wir geben hier einen Überblick zur Pathophysiologie und Molekulargenetik dieser Endplatten- Erkrankungen. Bei einigen der Er- krankungen haben sich aus dem Ver- ständnis der Pathogenese wirkungs- volle Behandlungsmöglichkeiten er- geben.

Die neuromuskuläre Signalübertragung

Jede Skelettmuskelfaser wird von ei- ner einzelnen motorischen Endplatte versorgt (Grafik 1). Die Längenaus- dehnung der menschlichen Endplat- ten liegt bei 30 mm, während Skelett- muskelfasern länger als 10 cm sein können. Bei der Depolarisation der Nervenendigung durch ein Aktions- potenzial öffnen sich Calciumkanäle, durch die Calcium in die Nervenendi- gung einströmt. Dieser Calciumein- strom bewirkt die Exozytose von Acetylcholinvesikeln in den synapti- schen Spalt im Bereich von so genann- ten aktiven Zonen. Botulinum- und

Tetanustoxine spalten und inaktivie- ren Proteine, die an der Acetylcholin- ausschüttung beteiligt sind. So spaltet das in der Neurologie bei Dystonien therapeutisch eingesetzte Botulinum- toxin A ein Protein der präsynapti- schen Membran, an das die Acetylcho- linvesikel „andocken“ (25).

Das aus der Nervenendigung frei- gesetzte Acetylcholin bindet am niko- tinischen Acetylcholinrezeptor. Auf- bau und Funktionsweise dieses ligan- dengesteuerten Ionenkanals sind sehr genau bekannt. Dieser Kanal konnte in geschlossenem und geöffnetem Zu- stand mit kristallographischen Me- thoden dargestellt werden (Grafik 2) (28, 29). Die fünf Untereinheiten des Kanals bilden eine Pore mit einer Länge von 65 Å (1 Å=10-10 m). Der Kanal öffnet sich durch eine Konfor- mationsänderung im transmembranö- sen Bereich, wenn die beiden Acetyl- cholin-Bindungsstellen des Kanals mit Acetylcholin besetzt sind und bleibt dann für Millisekunden offen (14). Pro Millisekunde strömen etwa 10 000 Ka- tionen in die Muskelfaser. Selbst der Austausch von einzelnen Aminosäu- ren durch Punktmutationen kann den Öffnungsmechanismus des Kanals er- heblich stören. Die Folge solcher Mu- tationen ist gegebenenfalls eine ausge- prägte Muskelschwäche.

Mit den durch die Pore des offe- nen Acetylcholinrezeptors einströ- menden Kationen depolarisiert der postsynaptische Bereich. Ist diese postsynaptische Depolarisation, das synaptische Potenzial (Grafik 3), aus- reichend groß, kommt es durch die Öffnung von spannungsgesteuerten Natriumkanälen zu einem muskulä- ren Aktionspotenzial, das über die Muskelfaser weitergeleitet wird und zur Muskelkontraktion führt. Die myasthene Schwäche kann elektro-

Myasthenia gravis und myasthene Syndrome

Jörn Peter Sieb

1, 2

, Simone Kraner

2, 3

, Wolfgang Köhler

4

, Berthold Schalke

5

, Ortrud K. Steinlein

3

Zusammenfassung

Neben der Myasthenia gravis wurden in den vergangenen Jahren eine Reihe von angebore- nen oder immunologisch verursachten Störun- gen der neuromuskulären Signalübertragung identifiziert und der jeweils zugrunde liegen- de molekulare Mechanismus aufgeklärt. Die motorische Endplatte stellt ein Modellsystem für die Untersuchung von Erkrankungen der synaptischen Signalübertragung dar. Der Bei- trag gibt einen Überblick zur Pathophysiologie und Molekulargenetik dieser überwiegend auf einer gestörten Funktion von Ionenkanälen be- ruhenden Erkrankungen. Immunologisch be- dingte Störungen liegen bei der Myasthenia gravis, dem Lambert-Eaton-Syndrom und der Neuromyotonie vor. Die angeborenen Defekte greifen vielfältig in die neuromuskuläre Sig- nalübertragung ein, wobei es sich überwie- gend um Mutationen des Acetylcholinrezep- tor-Ionenkanals handelt. Bei einigen Endplat- ten-Erkrankungen haben sich aus dem Ver- ständnis der Pathogenese wirkungsvolle Be- handlungsmöglichkeiten ergeben.

Schlüsselwörter: Acetylcholin, Endplatte, neu- romuskuläre Signalübertragung, Ionenkanal, Slow-Channel-Syndrom

Summary

Myasthenia gravis and Myasthenic Syn- dromes

Recently, a variety of defects of neuromuscular transmission were identified. The endplate can serve as a model system for studying disorders of synaptic transmission. This article reviews physiology and molecular biology of the end- plate disorders. In most of them the function of ion channels is impaired. Myasthenia gravis, the Lambert-Eaton myasthenic syndrome, and neuromyotonia are autoimmune-mediated endplate disorders. The genetic defects impair neuromuscular transmission in different ways but most of them result from mutations in the acetylcholine receptor ion channel. For some of these disorders pathophysiological studies al- ready have led to the development of efficient treatment.

Key words: acetylcholine, endplate, neuromus- cular transmission, ion channel, slow-channel syndrome

1Max-Planck-Institut für Psychiatrie (Direktor: Prof. Dr.

med. Dr. rer. nat. Florian Holsboer), München

2Neurologische Klinik und Poliklinik (Direktor: Prof. Dr.

med. Thomas Klockgether), Rheinische Friedrich-Wil- helms-Universität, Bonn

3Institut für Humangenetik (Direktor: Prof. Dr. med. Peter Propping), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn

4Neurologische Abteilung, Sächsisches Krankenhaus Hu- bertusburg (Chefarzt: Wolfgang Köhler), Wermsdorf

5Neurologische Klinik und Poliklinik (Direktor: Prof. Dr.

med. Ulrich Bogdahn), Universität Regensburg

(2)

physiologisch auf die Reduktion des synaptischen Potenzials zurückgeführt werden (Abbildung).

Der neuromuskuläre Signalimpuls wird mit der Spaltung von Acetyl- cholin durch die Acetylcholinesterase beendet. Die Acetylcholinesterase sitzt an der Basallamina im synapti- schen Spalt. Dieses Enzym wird bei der Myasthenia gravis medikamentös gehemmt. Ein angeborener Mangel

dieses Enzyms führt jedoch zu einer muskulären Schwä- che (17). Bei den Endplat- ten-Erkrankungen liegen un- terschiedliche Defekte der neuromuskulären Signalüber- tragung vor, die nach der Lokalisation und nach dem zugrunde liegenden Schä- digungsmechanismus einge- teilt werden (Textkasten 1 und 2).

Myasthenia gravis

Unter den hier vorgestellten neuromuskulären Erkran- kungen ist die Myasthenia gravis die häufigste Form (9, 18). Sie kann in jedem Le- bensalter beginnen. Etwa zehn Erkrankte kommen auf 100 000 Einwohner, und ihre jährliche Inzidenz wird mit 3 bis 4 pro Million ange- geben (6). Die Myasthenie ist als or- ganspezifische, antikörpervermittelte und T-Zell-abhängige Erkrankung die wohl am besten verstandene Autoim- munerkrankung (13). Es kommt bei ihr zur Bildung von Autoantikörpern gegen den nikotinischen Acetylcholin- rezeptor, einem Ionenkanal (27). Die polyklonalen Antikörper sind über- wiegend nicht gegen die Acetylcholin- Rezeptorregion des Kanals gerichtet,

sondern gegen einen bestimmten Ab- schnitt der alpha-Untereinheiten (Gr- afik 2). Die Autoantikörper reduzie- ren die Zahl der verfügbaren Acetyl- cholinrezeptor-Ionenkanäle pro End- platte, und es kommt zu einer kom- plementvermittelten Destruktion des postsynaptischen Apparats mit einer Verarmung an sekundären synapti- schen Spalten (Grafik 1). Durch mo- derne elektrophysiologische Untersu- chungstechniken wurde gezeigt, dass die Antikörper den Acetylcholinre- zeptor-Ionenkanal offenbar auch di- rekt blockieren können (2). Nicht bei allen Myasthenie-Kranken werden Autoantikörper serologisch nachge- wiesen, wobei bei seronegativen Pati- enten die Antikörper wohl vorliegen, aber im üblicherweise eingesetzten Immunadsorptionstest dem Nachweis entgehen (9). Der absolute Antikör- pertiter korreliert nicht mit der Schwe- re der Erkrankung, jedoch zeigt der individuelle Titerverlauf Verschlechte- rungen oder Verbesserungen an.

Bei der großen Mehrzahl der My- asthenie-Patienten ist der Thymus morphologisch verändert. Es findet sich eine Thymitis (früher Thymushy- perplasie genannt) oder ein Thymom beziehungsweise ein hochdifferenzier- tes Thymuszellkarzinom, wobei sich die jeweils an der Myasthenie-Induk- tion beteiligten Immunmechanismen unterscheiden (13, 20). Bislang ist un- klar, was die der Myasthenie zugrunde liegende Immunreaktion letztlich aus- löst (8). Eine umstrittene Erklärung für die Myasthenie-Entstehung ist das so genannte antigene Mimikry, wobei eigene oder exogene Antigene, die Epitopen am nikotinischen Acetyl- cholinrezeptor ähneln, autoreaktive T-Zellen aktivieren sollen.

Die Störung der neuromuskulären Signalübertragung bei der Myasthenia gravis bewirkt eine belastungsabhängi- ge Muskelschwäche (Textkasten 3). Kli- nisch finden sich insbesondere Doppel- bilder, eine Ptose, Kau- und Schluck- störungen sowie eine Schwäche der re- spiratorischen und der rumpfnahen Muskulatur (Abbildung). Die Sym- ptomatik nimmt typischerweise bei körperlicher Belastung und im Tages- verlauf zu. Häufig ist die Myasthenie zunächst auf die äußeren Augenmus- Mitochondrium

Muskelfaser

Muskelfaser Schwann-Zelle Nerven-

endigung

Moto- neuron

Basallamina mit AChE Aktive Zone ACh-Vesikel Synaptischer Spalt ACh-Rezeptor-Ionenkanäle Sekundäre synaptische Spalten Grafik 1

Struktur der motorischen Endplatte. Jede Skelettmuskelfa- ser, die mehr als 10 cm lang sein kann, wird lediglich von ei- ner Endplatte versorgt, deren Längenausdehnung meist bei 30 mm liegt. Die Nervenendigungen sind angefüllt mit Acetylcholinvesikeln, deren Exozytose im Bereich von akti- ven Zonen erfolgt. Postsynaptisch öffnet Acetylcholin den Ionenkanal. Eine Besonderheit der Endplatte ist die Ausbil- dung eines postsynaptischen Faltenapparats, der biophysi- kalisch wohl als Verstärker der neuromuskulären Signalü- bertragung wirkt. Die AChR-Ionenkänale sind an den Auf- wölbungen der Falten lokalisiert, spannungsgesteuerte Na- trium-Kanäle finden sich in der Tiefe der sekundären synap- tischen Spalten. AChE, Acetylcholinesterase.

Abbildung: Klinisches Bild bei Myasthenia gravis. Ausgeprägte Muskelschwäche bei einem 67-jährigen Myasthenia-gravis-Patienten mit einer sich anbahnenden myasthenen Krise. Es besteht eine beidseitige Ptose (links), die beim Aufwärtsblick über 60 Sekunden (Simpson-Test) zunimmt (Mitte). Die Schwäche der mimischen Muskulatur zeigt sich beim gleichzeitigen Versuch zu Pfeifen.

Bei der bestehenden Schwäche der Nackenstrecker kann der Kopf nur zeitweilig aufrecht gehalten werden. Der Patient hielt deshalb im Sitzen meist mit beiden Händen den nach vornüber fallenden Kopf (rechts). Zum Zeitpunkt der Aufnahmen bestand bereits eine leichte Ruhedyspnoe. Der Patient musste zwei Tage später wegen der rasch abnehmenden Vitalkapazität auf eine Intensivstation ver- legt werden (22).

(3)

keln beschränkt, um dann im Krank- heitsverlauf zu generalisieren. Nur bei circa 15 Prozent der Erkrankten blei- ben die Symptome dauerhaft auf die Augen beschränkt (9).

Ursprünglich war die Myasthenie- Sterblichkeit erheblich. Etwa ein Drit- tel der Patienten verstarben meist in den ersten Jahren der Erkrankung (5).

Heute haben sich Prognose und Lebensqualität maßgeb- lich verbessert. Selbst zu my- asthenen Krisen, also der Ausbildung einer respiratori- schen Insuffizienz, kommt es nur noch bei weniger als fünf Prozent der Myasthenie- Kranken, wobei hier weit überwiegend Therapiefehler, wie ein vorzeitiges Beenden einer Immunsuppression, oder Infektionen ursächlich sind (26). Diese günstige Entwicklung bei der My- asthenie ist auf die differen- zierten Therapiemöglichkei- ten zurückzuführen. Basis der Therapie sind Inhibito- ren der Acetylcholinestera- se, wie Pyridostigmin. Bei ge- neralisierten Myasthenien ist häufig eine Langzeit-Immun- suppression, zum Beispiel mit Azathioprin, erforder- lich, wobei meist einleitend zusätzlich Glucocorticoide gegeben werden. Krisenhafte Verläufe können mit der Plasmapherese beziehungs- weise der Immunadsorption wirksam behandelt werden.

Weiterhin werden hier hoch- dosiert Immunglobuline ein- gesetzt.

Trotz des therapeutischen Fortschritts gibt es jedoch kaum prospektive Studien zur Myastheniebehandlung.

So liegen lediglich retrospek- tive Untersuchungen zur Wirksamkeit der seit mehr als 50 Jahren bei My- asthenie-Kranken durchge- führten Thymektomie vor.

Trotzdem hat die Thymekto- mie einen festen Platz im the- rapeutischen Regime der Myasthenie. Die Thymekto- mie sollte unbedingt bei Thymomver- dacht durchgeführt werden. Anson- sten wird dieses Verfahren meist Pati- enten vor dem 60. Lebensjahr mit ge- neralisierter Myasthenie empfohlen (1). Eine interessante neue Entwick- lung ist die Thymom-Darstellung durch die Somatostatinrezeptor-Szin- tigraphie (12).

Die Therapie der Myasthenie muss individuell erfolgen. Dies geschieht am besten in Abstimmung mit einem darin erfahrenen Neurologen im Rah- men einer Myasthenie-Sprechstunde.

Entsprechende Adressen können bei der Deutschen Myasthenie Gesell- schaft erfragt werden (Langemarck- straße 106, 28199 Bremen; Telefon 04 21/59 20 60, E-Mail: dmg-info@t- online.de).

Lambert-Eaton-Syndrom und Neuromyotonie

Die Pathogenese dieser beiden Er- krankungen ist nahezu spiegelbildlich.

Ursache ist jeweils eine immunolo- gisch gestörte Funktion von präsynap- tischen Ionenkanälen:

Beim Lambert-Eaton-Syndrom ist die Transmitterfreisetzung bei cholin- ergen Synapsen des motorischen und autonomen Nervensystems gestört.

Ursache sind Antikörper gegen prä- synaptische Calciumkanäle (10). Ent- sprechend kommt es pro Aktionspo- tenzial zu einem verminderten Calci- umeinstrom in die Nervenendigung, was die Acetylcholinausschüttung re- duziert. Eine wirksame Therapiemög- lichkeit besteht in der Gabe von Kali- um-Ionenkanalblockern, wie 3,4-Di- aminopyridin, das zwar nicht als Arz- neimittel zugelassen ist, aber im Rah- men eines individuellen Heilversuchs verordnet werden kann (19). Die Re- polarisation am Ende des nervalen Aktionspotenzials beruht auf der Öff- Post-

synaptische Membran

Synaptischer Spalt

Myoplasma

COOH NH2

MIR

M1

M1 Membran

M1 M2 M2

S S

M2 M3 M4

ACh

ACh MIR

a b

c

e

d

MIR

ACh ACh Grafik 2

Struktur des nikotinischen Acetylcholinrezeptors. a) Dreidi- mensionale Rekonstruktion mit einer Auflösung von 9 Å. Der Kanal besteht aus fünf Untereinheiten, die eine Pore bilden.

b) Längsschnitt durch den Kanal. Der engste Abschnitt fun- giert als ionenselektive Pore und wird durch die M2-Domänen der fünf Untereinheiten gebildet. Sind zwei Moleküle Acetylcholin gebunden, erfolgt die Kanalöffnung im Wesent- lichen im Bereich der M2-Domänen. c) Blick vom synaptischen Spalt in den AChR-Ionenkanal. Der geschlossene Kanal ist blau, der offene Kanal weiß dargestellt. d) Anordnung der fünf Untereinheiten des AChR. Die beiden alpha-Untereinhei- ten tragen je eine Acetylcholinbindungsstelle. Der innervierte Muskel bildet die epsilon-Untereinheit und der denervierte die gamma-Untereinheit. e) Schematische Darstellung der al- pha-Untereinheit mit den vier Transmembranregionen. Die Punkte markieren die sechs Aminosäuren, die den Acetylcho- linrezeptor bilden. Die Immunreaktion bei der Myasthenia gravis ist hauptsächlich gegen die Abschnitte der Aminosäu- ren 61 bis 76 gerichtet (MIR, main immunogenic region). Die anderen Untereinheiten sind ähnlich mit vier Transmembran- regionen aufgebaut. Die Teilabbildungen a) und c) stammen aus Veröffentlichungen von N. Unwin, Cambridge (28, 29) (mit freundlicher Genehmigung von N. Unwin und der Verla- ge).

Einteilung der Endplatten-Erkrankungen Angeboren:

Kongenitale Myasthenie-Syndrome (Textkasten 2) Erworben:

Immunologisch

– Präsynaptisch: Lambert-Eaton-Syndrom Neuromyotonie – Postsynaptisch: Myasthenia gravis

erworbenes Slow-Channel- Syndrom*

Toxisch

Medikamentennebenwirkung, Botulismus, Al- kylphosphatintoxikation

* Offenzeit des Acetylcholinrezeptor-Ionenkanals ver- längert

Textkasten 1

(4)

nung von Kaliumkanälen. Werden diese Kanäle blockiert, kommt es zu einer Verlängerung des Aktionspoten- zials und damit zu einem vermehrten Calciumeinstrom in die Nervenendi- gung.

Klinisch charakteristisch für das Lambert-Eaton-Syndrom ist eine bein- betonte Gliedergürtelschwäche ver- bunden mit autonomen Symptomen, wie Mundtrockenheit, Obstipation so- wie Störungen von Erektion, Eja- kulation und Akkomodation. Circa 60 Prozent der Fälle dieser Erkran- kung treten paraneoplastisch im Rah- men eines kleinzelligen Bronchialkar- zinoms auf (16). Bemerkenswerter- weise haben wohl Karzinompatienten mit einem Lambert-Eaton-Syndrom eine bessere Prognose als diejenigen ohne einen solchen Autoimmunpro- zess (11).

Bei der Neuromyotonie ist dagegen immunologisch die Funktion von prä- synaptischen Kaliumkanälen gestört (21). Folge ist eine vermehrte Trans- mitterausschüttung. Klinisch findet sich eine gesteigerte muskuläre Akti- vität unter anderem mit Muskel- krämpfen und -steifigkeit sowie ver- mehrtes Schwitzen.

Kongenitale Myasthenie- Syndrome

In den vergangenen Jahren wurden mehrere Myasthenie-Syndrome mit angeborenen Defekten der neuromus- kulären Signalübertragung charakte- risiert (Textkasten 2). Diese nur wenig bekannten Erkrankungen werden wohl häufig als Myopathie, seronega- tive Myasthenia gravis oder als psy- chosomatische Störung verkannt. Das klinische Bild ist uneinheitlich und reicht von einer leichten Beeinträchti- gung bis zur schweren Behinderung mit vitaler Gefährdung (3, 4, 23). Die sichere Diagnose dieser Krankheits- bilder ist nur durch die Kombina- tion von morphologischen, elektro- physiologischen und moleku-

largenetischen Spezialunter- suchungen möglich. Im Fol- genden werden die wichtig- sten Krankheitsbilder aus dieser Krankheitsgruppe vor- gestellt.

Typisch für das „My- asthenie-Syndrom mit episo- dischen Apnoen“ ist eine krisenhaft sich entwickeln- de Muskelschwäche bei- spielsweise bei fiebrigen Er- krankungen oder besonderer körperlicher Belastung, die lebensbedrohlich werden kann. Betroffen sind Kinder, wobei im Intervall die Er- krankten häufig normal er- scheinen oder nur geringe myasthene Symptome auf- weisen. Eine Besserung der Symptomatik soll mit der Pu- bertät eintreten. Die elektro- physiologischen Daten spre- chen für eine Störung der Acetylcholinsynthese oder der Aufnahme von Acetyl- cholin in die präsynaptischen Vesikel (15). Der genaue molekulare Mechanismus ist jedoch ungeklärt. Inhibito- ren der Acetylcholinestera- se, wie Pyridostigminbromid, sind gut therapeutisch wirk- sam.

Die bisher bekannten Mu- tationen bei der Acetylcho- linesterase-Defizienz betref-

fen die Verankerung des Enzyms an der Basallamina und nicht die kataly- tischen Untereinheiten des Enzyms (17). Folge des Enzymmangels mit ei- nem gestörten Abbau von Acetylcho- lin ist eine ausgeprägte und meist seit der frühen Kindheit bestehende Mus- kelschwäche. Die Erkrankung wird auf die Nachkommen autosomal-re- zessiv vererbt.

Es sind inzwischen zahlreiche Mu- tationen des nikotinischen Acetylcho- linrezeptors in den verschiedenen Un- tereinheiten (alpha, beta, delta und epsilon) beschrieben worden (Grafik 2). Die Mutationen können danach eingeteilt werden, ob sie die Wirkung von Acetylcholin verstärken oder ver- mindern. Klinisch zeigt sich eine pro-

0 5 10 +40

+30 +20 +10 0 -10 -20 -30 -40 -50 -60 -70 -80 -90

Membranpotenzial (Vm)

0 5 10

-30 -40 -50 -60 -70 -80 -90

Membranpotenzial (Vm)

Muskuläres Aktionspotenzial

Sicherheitsbereich Schwellenwert

Schwellenwert

Synaptisches Potenzial

Synaptisches Potenzial

Zeit (sec)

Zeit (sec) Grafik 3

Sicherheitsbereich der neuromuskulären Signalübertra- gung. Dies ist die Differenz zwischen der postsynaptischen Depolarisation durch die Acetylcholin-Ausschüttung bei ei- nem nervalen Aktionspotenzial (synaptisches Potenzial) und derjenigen Depolarisation im Endplattenbereich, die gerade noch ausreichen würde, ein muskuläres Aktionspotenzial auszulösen. Bei den Endplatten-Erkrankungen ist dieser Si- cherheitsbereich reduziert, und es kommt nicht immer zur Induktion eines muskulären Aktionspotenzials. Klinisch fin- det sich eine bei Belastung zunehmende Muskelschwäche ((AAbbbbiilldduunngg)).

Kongenitale Myasthenie-Syndrome (KMS)

Präsynaptisch

– KMS mit episodischen Apnoen (familiäre in- fantile Myasthenie)

– KMS mit Vesikelmangel und reduzierter Quan-tenfreisetzung

Synaptisch – AChE-Defizienz – KMS mit Plectindefizienz

Postsynaptisch

Verminderte Acetylcholinwirkung – Fast-Channel-Syndrom – AChR-Defizienz

Gesteigerte Acetylcholinwirkung – Slow-Channel-Syndrom

Nicht ausreichend charakterisiert: zum Beispiel – Kongenitales Lambert-Eaton-Syndrom – KMS mit AChR-Mangel und verminderter Aus-

bildung sekundärer synaptischer Spalten – Gliedergürtel-Myasthenie

– KMS mit Gesichtsschädelfehlbildungen AChE: Acetylcholinesterase

AChR: Acetylcholinrezeptor-Ionenkanal KMS: Kongenitales Myasthenie-Syndrom Textkasten 2

(5)

grediente Muskelschwäche, die teil- weise erst nach der Pubertät manifest wird.

Beim zumeist autosomal-dominant vererbten Slow-Channel-Syndrom, bei dem überwiegend Punktmutatio- nen im Bereich der M1- und M2- Domänen der Untereinheiten vorlie- gen, ist die Offenzeit des Ionenkanals verlängert und damit die Wirkung von Acetylcholin verstärkt. Entsprechend kann wirksam mit Chinidin therapiert werden, das den Acetylcholinrezeptor blockiert (7, 24).

Bei einigen wenigen Patienten fan- den sich Mutationen, welche zu einem so genannten Fast-Channel-Syndrom führen. Hierbei ist die Offenzeit des Ionenkanals deutlich verkürzt und die postsynaptische Reaktion auf die Ga- be von Acetylcholin verringert, ob- wohl die Anzahl der Ionenkanäle an der Endplatte nicht verändert ist. Es fanden sich sowohl autosomal-rezessi- ve als auch autosomal-dominante Erb- gänge.

Mutationen, die einen vorzeitigen Abbruch der Proteinkette bewirken, führen zu einer verringerten Anzahl von Acetylcholinrezeptor-Ionenkanä- len und reduzieren so die Wirkung von Acetylcholin an der motorischen End- platte. Diese Mutationen finden sich in der epsilon-Untereinheit, wobei ei- ne Minimalfunktion möglicherweise

durch eine Persistenz des fetalen Acetylcholinrezeptors aufrechterhal- ten wird (23). Der zugrunde liegende Erbgang ist zumeist autosomal-rezes- siv bei, vermutlich abhängig von der Position der jeweiligen Mutation im Gen, variabler Schwere des Krank- heitsbilds.

Insgesamt sollte bei Patienten mit diagnostisch unklarer Muskel-schwäche die Möglichkeit einer Endplatten-Er- krankung erwogen werden. Aus der ge- nauen Charakterisierung des ursächli- chen Defekts mit Spezialuntersuchun- gen können sich wirkungsvolle Be- handlungsmöglichkeiten ergeben.

Danksagung

Die Arbeitsgruppe „Analyse kongenitaler Myasthenie- Syndrome“ an der Universität Bonn wird von der Deut- schen Forschungsgemeinschaft (Si 472/3-1), der Uni- versität Bonn (BONFOR-Programm) und der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke, Freiburg i. Br., unter- stützt.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A 3496–3500 [Heft 51–52]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med. Jörn Peter Sieb Max-Planck-Institut für Psychiatrie Kraepelinstraße 2–10

80804 München

E-Mail: sieb@mpipsykl.mpg.de Klinik und Diagnostik der Myasthenia gravis

Vorgeschichte: Doppelbilder

Kau- und Schluckbeschwerden Schwäche proximaler Muskelgruppen

Zunahme im Tagesverlauf/durch muskuläre Belastung

Einnahme Myasthenie-verstärkender Medikamente, wie zum Beispiel bestimmte Antibiotika

Körperliche Untersuchungs- – Typischerweise rein motorische Störung befunde: – Ptose, Doppelbilder, bulbäre Symptome

– Vorzeitige Ermüdbarkeit in Halteversuchen – Vitalkapazität erniedrigt (?)

Zusatzuntersuchungen: Pharmakologische Testung: Edrophoniumchlorid-Test

Elektrophysiologie: Serienstimulation (pathologisches Dekrement?), gelegentlich Einzelfaser-EMG

Labor: Anti-AChR-Autoantikörper, Antikörper gegen Skelettmuskel/

Titin, Schilddrüsen-Diagnostik Thorax-CT (Thymom?)

Bei ausschließlich okulärer oder okulopharyngealer Symptomatik: CT/

NMR des Kopfs zum Ausschluss einer intrakraniellen Raumforderung AChR, Acetylcholinrezeptor; EMG, Elektromyographie

Textkasten 3

Die Kombination von 5-Fluorouracil (5-FU) und Leucovorin war lange Zeit die Standardbehandlung des metasta- sierenden kolorektalen Karzinoms.

Irinotecan führte zu einer Verlänge- rung der Überlebenszeit bei gegen- über der Standardbehandlung refrak- tären Patienten.

Die Autoren berichten über eine prospektive Studie mit 683 Patienten, von denen 231 Irinotecan, 5-FU und Leucovorin, 226 Studienteilnehmer 5- FU und Leucovorin und 226 Patien- ten nur Irinotecan erhielten. Die Do- sen lagen dabei bei 125 mg/m2Irino- tecan, 500 mg 5-FU/m2 als i.v. Bolus und 20 mg/m2 Leucovorin als Bolus wöchentlich für vier Wochen in sechs- wöchigem Intervall. Die Dosis für 5- FU lag bei 425 mg/m2 als Bolus und Leucovorin 20 mg/m2für fünf konse- kutive Tage alle vier Wochen und bei Irinotecan bei 25 mg/m2 wöchentlich alle vier Wochen in sechswöchigem In- tervall.

Die wöchentliche Behandlung mit Irinotecan plus 5-FU plus Leucovorin erwies sich hinsichtlich Tumorpro- gression und Überlebenszeit den bei- den anderen Therapiemodalitäten als überlegen. Der Zusatz von Irinotecan zu dem bislang üblichen 5-FU plus Leucovorin-Schema führte nicht zu ei- ner Beeinträchtigung der Lebensqua-

lität. w

Saltz LB, Cox JV, Blanke DOC et al.: Irinotecan plus fluorouracil and leucovorin for metastatic colorectal cancer. N Engl J Med 2000; 343: 905–914.

Dr. L. B. Saltz, Gastrointestinal Oncology Service, Me- morial Sloan-Kettering Cancer Center, 1275 York Ave- nue, New York, NY 10021, USA.

Irinotecan plus

5-FU plus Leucovorin bei Darmkrebs

Referiert

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Hinweise auf eine Myasthenia gravis können die Lokalisation der betroffenen Muskelgruppen, die tageszeitlichen Schwankungen der Muskelschwäche oder ihre Zunahme unter

Wird die Therapie mit Azathioprin nicht toleriert, dies kann auch aufgrund gastrointestinaler Nebenwirkungen der Fall sein, so bietet sich alternativ eine Behandlung

Nach Gleichmann und Griem können Metall- ionen – zum Beispiel Goldionen in der Rheumatherapie – körpereigene Eiwei- ße durch Vernetzung, das heißt auch an- ders oder

Kunze, Hamburg, stellte klar, daß die Thymektomie nicht als isolierte Therapiemaßnahme, sondern nur im Zusammenhang mit der Gesamt- therapieplanung der Myasthenie un-

Zusammenfassend zeigten die Ergebnisse der vorliegenden Studie eine signifikant reduzierte Ausdauerleistungsfähigkeit bei normaler neuromuskulärer Ermüdung

Nach einer Metaanalyse der vorhandenen Klasse- II-Evidenzstudien zur Thymektomie bei Myasthenia gravis (21) geht man davon aus, dass durch eine voll- ständige Thymektomie bei

Als Zeichen für die pathologische Aktivierung der humoralen Immunität konnten wir dann auch eine erhöhte Frequenz an antikörperproduzierenden Plasmablasten im Blut von

Diese füh- ren dazu, dass das Signal zur Kontraktion nicht mehr richtig auf den Muskel übertragen werden kann:.. Zum einen kommt es nach Bindung der Antikörper an den Rezeptor zur