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Archiv "Myasthenia gravis" (28.05.1981)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 22 vorn 28. Mai 1981

Myasthenia gravis

Chirurgische Aspekte in der Behandlung

Friedrich Wilhelm Hehrlein, Hans Heinrich Scheld, Rüdiger Höge und Erhard Schleussner

Aus der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie

(Leiter: Professor Dr. med. Friedrich Wilhelm Hehrlein) und der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin (Leiter: Professor Dr. med. Gunter Hempelmann)

am Zentrum Chirurgie der Justus-Liebig-Universität Gießen

Das häufige Vorkommen von Thymushyperplasie oder Thy- mombildung in Kombination mit der Myasthenia gravis pseudoparalytica ist hinläng- lich bekannte Empirie.

Die pathogenetischen Wir- kungsmechanismen warten noch auf endgültige Klärung.

Gleichwohl weiß man, daß die motorische Endplatte als Ort der Störung des Wechsel- spiels zwischen Acetylcholin und Cholinesteraseaktivität anzusehen ist. Seit knapp 50 Jahren werden operative Be- handlungsmethoden ange- wandt und diskutiert. Ihr Stel- lenwert im gesamten Thera- pieplan der Myasthenia gravis kann nach den heutigen Er- fahrungen präzise festgesetzt werden.

Die Thymektomie besitzt im Therapieplan der Myasthenia gravis hohen Stellenwert. Der chirurgische Eingriff muß die radikale Exstirpation der Drü- se garantieren. Die Remis- sionsrate liegt bei 90 Prozent.

Einleitung

Nach der ersten erfolgreichen Thy- musexstirpation bei einem Patienten mit Myasthenie im Jahre 1936 durch Alfred Blalock wurde dieses Resek- tionsverfahren des Drüsenkörpers vor allem in den Vereinigten Staaten zunehmend praktiziert (2, 3)*).

Narkosebedingte und infektionsbe- dingte Komplikationen forderten je- doch in den Anfangsjahren einen hohen Tribut.

Die Operationsletalität war so hoch, daß lange Zeit und vielerorts die chirurgische Myastheniebehand- lung mit Vorbehalten betrachtet wurde (4, 5, 10).

Der Gießener Neurologe F. Erbslöh baute zusammen mit dem Chirurgen K. Vossschulte und dem Anästhesio- logen H. L'Allemand zu Beginn der 60er Jahre einen Arbeitskreis auf, der nicht nur die chirurgischen Be- handlungsmethoden weiterentwik- kelte, sondern auch ihre Leistungs- fähigkeit in Langzeitbeobachtung analysierte und damit in unserem Sprachraum neue Akzente setzte (6, 7, 12).

Operationsindikation

Der Erfolg jeder chirurgischen Be- handlung der Myasthenia gravis hängt primär ab von einer sehr sorg- fältigen Indikationsstellung zum Ein- griff sowie von einer manchmal sehr langwierigen Operationsvorberei- tung und erst in zweiter Linie von der chirurgischen Technik, die in der Regel keine übersteigerten An- forderungen stellt.

Eine absolute Indikation zur Opera- tion ist beim Vorliegen eines Thy- moms gegeben. Die Gefahr mali- gner Entartung und penetrierenden Wachstums impliziert ein radikales und frühzeitiges Eingreifen.

Keine Indikation sehen wir im Sta- dium I und Ila nach Ossermann, da hier konservative Maßnahmen bei ge- ringerem Behandlungsrisiko gleich- wertige Ergebnisse erbringen (14).

Eine bevorzugte Indikation stellen für uns die Stadien Ilb, III und IV dar, da hier durch die Thymektomie die Mortalität des Myastheniekranken

*) Die in Klammern stehenden Zahlen bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Myastheniebehandlung

Abbildungen la, lb, lc, ld: Operationsschema der Thymektomie

gesenkt werden kann und eine deut- liche Verbesserung der Ansprech- barkeit auf Cholinesterasehemmer zu erkennen ist. In dieser Gruppe der instabilen Myasthenie sind die häufigsten und anhaltendsten Re- missionen zu verzeichnen.

Diagnostische Maßnahmen Im Vorfeld der Diagnostik stehen ne- ben der üblichen Röntgenuntersu- chung des Thorax und der Tomogra- phie des Mediastinums die Thymus- szintigraphie sowie die Pneumome- diastinographie, insbesondere wenn es darum geht, die Größenverhält- nisse des Drüsenkörpers abzugren- zen. Elektromyographie, Tensilon- test und Antikörperbestimmungen

ergänzen die Routineuntersuchun- gen. Der informative Gehalt der me- diastinalen Lympho- und Venogra- phie wurde anfangs überbewertet.

Die Aussagekraft der Kontrastmittel- darstellung der Arteria mammaria interna wird von unserer Arbeits- gruppe zur Zeit untersucht. Muskel- biopsien und der Nachweis von nu- kleären und muskulären Antikör- pern sind wichtige differentialdia- gnostische Kriterien.

Operationstechnik

Das Grundprinzip jeglicher Opera- tionsstrategie muß darin bestehen, eine vollständige Entfernung der ge- samten Thymusdrüse mit allen ihren Ausläufern zu erreichen und auch

möglicherweise vorhandenes dysto- pes Thymusgewebe mitzuerfassen.

Dies ist nicht nur bei dem Verdacht auf Tumorbefall obligatorisch, son- dern auch ein Gradmesser für das Ausmaß des Behandlungserfolges der Myasthenie. Wir halten die von einigen Autoren propagierte trans- versale Zervikotomie (8, 9, 15) ebenso wie die partielle obere Ster- notomie (16, 17) für nicht ausrei- chende Zugangswege, um eine übersichtliche Darstellung des ge- samten Organs zu ermöglichen.

Auch die anterolaterale Thorakoto- mie links erscheint uns ungeeignet (13). Diese Schnittführungen gestat- ten nicht, die kaudalen Thymusaus- läufer oder die kranialen Zapfen so- weit wie notwendig präparatorisch zu verfolgen. Nach unseren Erfah- 1092 Heft 22 vom 28. Mai 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Abbildung 2 (oben):

Thymom (Patient, A. H., männlich, 17 Jahre)

Abbildung 3 (oben rechts):

Thymuspräparat (Patient M. H., weiblich, 28 Jahre)

Abbildung 4 (unten rechts):

Thymuspräparat (Patient S. J., weiblich, 29 Jahre)

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Myastheniebehandlung

rungen erweist sich nur die Sterno- tomia longitudinalis totalis geeignet, eine ausreichende Übersicht zu ge- währen. Sie gestattet die Durchfor- stung des gesamten Mediastinums und der beidseitigen Halsregion.

Nach standardisierter Methode be- ginnt die Freipräparation des Drü- senkörpers an dessen hornartigen, fettdurchsetzten kaudalen Ausläu- fern, die sich bis zum Diaphragma hin erstrecken können und die manchmal in eine enge topographi- sche Beziehung zu den Nervi phreni- ci treten. Die Mobilisation geschieht teils stumpf, teils scharf unter Hoch- klappen des Mittelteils der Drüse, in dem gegebenenfalls die echten Thy- mome oder maligne Prozesse lokali- siert sind. Sämtliche venösen Ver- bindungen zur Vena anonyma (mei-

stens 3 bis 5 große Venen) müssen einzeln ligiert und durchtrennt wer- den. Die kranialen Ausläufer um- schlingen nicht selten die Aorta oder erstrecken sich zwischen Aorta und Vena anonyma bis weit in die Halsre- gion. Nur eine schonende, zugfreie Präparation ermöglicht eine voll- ständige Entfernung des Organs, die jedoch bei normaler Hyperplasie im- mer gelingt (Abbildungen la bis d).

Nicht selten bleiben beide Pleura- höhlen geschlossen, so daß ledig- lich eine retrosternale Drainage er- forderlich wird. Manche Autoren for- dern generell eine Eröffnung beider Pleurae, um ektopisches Drüsenge- webe zu ermitteln. Wir sehen dies nur bei dem Verdacht auf tumoröse Entartung indiziert. In diesen Fällen können ausgiebige En-bloc-Resek-

tionen von Thymus, Perikard, Lun- gengewebe und Segmenten der Ve- na anonyma notwendig werden. Bei anatomisch gerechter Thymusex- stirpation erhält man als Operations- präparat in der Regel ein schmetter- lingsförmiges Organgebilde, selbst bei tumoröser Veränderung, die in 15 Prozent der Fälle zu finden ist (Abbildungen 2 bis 4).

Perioperative Behandlung

Für die Operationsvorbereitung gilt der von F. Erbslöh geprägte Satz:

„Der Myastheniker muß Zeit haben"

(7). Die früher geforderte prophylak- tische Tracheotomie halten wir heu- te nicht mehr für notwendig, da eine naso-tracheale Intubation, im Be- DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 22 vom 28. Mai 1981 1093

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dartsfall auch über einen längeren Zeitraum hin, die gleichen Effekte bietet, ohne eine zusätzliche Gefahr für die Wundheilung im Gebiet der Sternotarnie darzustellen.

Eine Vorbehandlung mit Antibiotika wird nur in den seltensten Fällen er- forderlich sein, wobei darauf zu ach- ten ist, daß keine Präparate mit cura- re-ähnlichen Effekten verabreicht werden.

Die präoperative Strahlenbehand- lung verursacht eine überschießen- de Vaskularisation des Operations- gebietes, ohne daß die Prognose der Erkrankung wesentlich zu beeinflus- sen ist (15). Aus diesem Grunde hal- ten wir dieses Verfahren für über- holt.

Die unmittelbar postoperative Phase birgt als Hauptgefahr eine choliner- gische Intoxikation, insbesondere dann, wenn eine Sauerstoffmangel- situation die Ansprechbarkeit des Myasthenikers auf Cholinesterase- hemmstoffe vermindert.

Wir halten jeden Patienten nach ei- ner Thymektomie 2 bis 4 Tage lang für intensivpflegebedürttig, wobei die Dauer der Nachbeatmung durch den präoperativen Zustand des Pa- tienten bestimmt ist.

..,.. Gezielte Bronchialtoilette, ..,.. Flüssigkeitsbilanzierung, ..,.. Ausgleich des Säure-Basen- Haushalts und des Elektrolytstaft- wechsels

sind notwendige Routinemaß- nahmen.

Von Bolooki wird über die Vorteile einer parioperativen hochdosierten Stereidtherapie berichtet (1 ).

Unsere eigenen Erfahrungen veran- lassen uns heute, eine perioperative Dreierbehandlung mit

.... ACTH,

..,.. Kortikosteroiden und ..,.. Immunsuppressiva zu bevorzugen.

Ergebnisse

Seit 1963 wurde an der Gießener Kli- nik bei 64 Patienten (53 weiblich, 11 männlich) wegen Myasthenia gravis eine Thymektomie durchgeführt.

Das mittlere Patientenalter betrug 33 Jahre. ln der Anfangsserie bis zum Jahre 1968 waren drei Todesfälle (1 mal Lungenembolie, 1 mal Media- stinitis, 1 mal Herzversagen) zu be- klagen. Von den folgenden Patien- ten verstarb keiner mehr. Zehn Kran- ke hatten ein histologisch gesicher- tes Thymom. ln dieser Gruppe war in drei Fällen eine ausgiebige Perikard- resektion und in zwei Fällen die Re- sektion des linken Lungenoberlap- pens notwendig geworden. Bei 58 bis zum Jahre 1979 nachuntersuch- ten Patienten ließ sich ein auffälli- ger geschlechtsspezifischer Unter- schied in der Besserung der My- astheniesymptomatik nachweisen.

Während bei den weiblichen Patien- ten eine deutliche Besserung (Be- schwerdefreiheit bis signifikante Re- duktion des Medikamentenbedarfs) innerhalb des ersten Jahres in 60 Prozent und in den weiteren Jahren in 80 Prozent zu erzielen war, wurde bei den männlichen Patienten eine im Vergleich hierzu um 15 Prozent geringere Besserungsrate beobach- tet (11 ).

Die besten Ergebnisse zeigten die Patienten der letzten Jahre, bei de- nen unter konsequenter Kombina- tion von Operation mit Dreier-Be- handlung (ACTH, Kortison, Immun- suppressiva) eine Remissionsrate von 90 Prozent erreicht wurde.

Zusammenfassung

Die Thymektomie stellt einen in der Regel einfachen und risikoarmen operativen Eingriff dar, der heute im Therapieplan der Myasthenia gravis einen hohen Stellenwert besitzt. Die chirurgische Technik muß die radi- kale Exstirpation des Drüsenkörpers mit seinen sämtlichen Ausläufern garantieren. Als geeignetster Zu- gangsweg wird hierfür die totale me- diane Sternotarnie angesehen. Im ei- 1094 Heft 22 vom 28. Mai 1981 DEUTSCHES ARZTEBLATT

genen Krankengut fand sich die höchste Remissionsrate bei der Kombination von Thymektomie mit gleichzeitiger Verabreichung von ACTH, Kortikosteroiden und Immun- suppressiva.

Eine sinnvolle und erfolgverspre- chende Therapie der Myasthenie ist nur durch die enge Zusammenarbeit von Neurologen - Herrn Professor Dr. K. Kunze, Abteilung Klinische Neurophysiologie an der Justus-Lie- big-Universität Gießen sei an dieser Stelle für die langjährige Zusam- menarbeit herzlich gedankt - Anäs- thesiologen und Chirurgen zu ver- wirklichen

Literatur

Blalock, A.; Mason, M. F.; Morgan, H. J., and Rives, S. S.: Myasthenia gravis and tumors of the thymic region, Ann. Surg. 110 (1939) 554-561 - Buckingham, J. M.; Howard, F. W.; Bernatz, P. E., et al: The value of thymectomy in myasthenia gravis: a computer matched stu- dy, Ann. Surg. 184 (1976) 453-Kunze, K.: Die Bedeutung der Thymektomie im Gesamt-The- rapieplan der Myasthenie, Vortrag 9. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, Bad Nauheim (1980)-Le Brigand, H.; Noviant, U.: Die chirurgische Be- handlung der Myasthenie, Thoraxchicurgie 18 (1970) 169-Perlo, V. P.; Arnason, B.; Poskan- zer, D., et al: The role of thymectomy in the treatment of myasthenia gravis, Annals of the New York Academy of Seiences 183 (1971) 308 - Prinz, H.: Zur Frage der Thymektomie bei Myasthenia gravis, Langenbecks Arch. Klin. Chir. 321 (1968) 284 - Sauerbruch, F.: Die C!lirurgie der Brustorgane Bd. II., Springer- Verlag Berlin (1925)

Anschrift für die Verfasser: Professor Dr. med.

Friedrich Wilhelm Hehrlein Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie am Zentrum Chirurgie

der Justus-Liebig-Universität Klinikstraße 29

6300 Gießen

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