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Archiv "Stationäre psychosomatische Kurzzeittherapie: Chancen zur Veränderung" (20.03.1998)

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Academic year: 2022

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ach Inkrafttreten der dritten Stufe der Gesundheitsreform am 1. Juli 1997 steht das Kur- und Rehawesen vor einem Umbruch.

Vor dem Hintergrund, daß in den letz- ten vier Jahren das Ausgabenvolu- men für ambulante und stationäre Rehabilitationsmaßnahmen (ein- schließlich Kuren) von drei Milliar- den DM auf knapp 5,1 Milliarden DM, also um 70 Prozent, gestiegen ist und sich damit die durchgeführten medizinischen Rehabilitationsmaß- nahmen von rund 850 000 auf mehr als eine Million erhöht haben, hat der Gesetzgeber einschneidende Spar- maßnahmen verfügt. Die daraus fol- genden zahlreichen Diskussionen ha- ben aber im wesentlichen nur Besitz- standswahrung im Auge und verlieren sich in gegenseitigen Schuldzuweisun- gen. Die Politiker machen die Kassen verantwortlich, die Krankenkassen die Politik, und die Ärzte sowie Kur- und Rehabilitationseinrichtun- gen machen sowohl die Politiker als auch die Kassen für den Mißstand ver- antwortlich.

In der aktuellen Diskussion wird das Kur- und Rehabilitationswesen in einen Topf geworfen und nur wenig zwischen der einfachen Erholungs- und Vorsorgekur und hochqualifizier- ten Rehabilitationsmaßnahmen diffe- renziert, die einen hohen medizini- schen Leistungsstandard aufweisen können. Die Diskussion wird in vielen Bereichen unsachlich, sehr emotional und teilweise polemisch geführt, wo- bei diese Entwicklung seit langem voraussehbar war, ohne daß Klinik-

träger erforderliche Kosteneinspa- rungen und Veränderungen in der Ef- fektivität vorgenommen haben. Viele haben unbeweglich gewartet, um jetzt in das große bundesweite Lamento einzustimmen.

Modellprojekt

Bei diesem allgemeinen Schlag- abtausch wird allerdings übersehen, daß in diesem großen Einschnitt eine gewaltige Chance zur Veränderung bisheriger, traditionalisierter Behand- lungsstrategien liegt. Es ist jetzt noch mehr als vorher an der Zeit, langdau- ernde stationäre Behandlungskon- zepte in Frage zu stellen und sie auf Effizienz und Finanzierbarkeit zu überprüfen. Bisher schien nur wenig Interesse zu bestehen, die Effektivität der einzelnen Behandlungskonzepte wissenschaftlich fundiert zu überprü- fen. Dies zeigt sich beispielsweise deutlich in der Qualitätssicherung, die vom Gesetzgeber bereits 1991 ge- wünscht wurde, bisher aber nur in we- nigen psychosomatischen Kliniken umgesetzt wurde.

Nachdem jetzt die dritte Stufe der Gesundheitsreform greift, ist man mehr als früher zum Handeln gezwun- gen. Krankenkassen scheinen immer weniger gewillt (und vor dem Kosten- druck sind sie dazu auch kaum noch in der Lage), stationäre psychosomati- sche Behandlungen von einer durch- schnittlichen Dauer zwischen sechzig und neunzig Tagen zu finanzieren.

Seit Juli 1994 läuft im Allgäu ein Mo-

dellprojekt einer veränderten kli- nisch-psychosomatischen Versorgung, das nachzuweisen versucht, daß auch bei einer wesentlich verkürzten Auf- enthaltsdauer von vier bis sechs Wo- chen bei verändertem Behandlungs- konzept mindestens gleich gute The- rapieergebnisse wie bei mehrmonati- ger stationärer Behandlungsdauer zu erzielen sind. Um die Effizienz eines solchen neuartigen Modells klinisch- psychosomatischer Versorgung zu überprüfen, ist eine wissenschaftliche Absicherung erforderlich. Deshalb wurde durch die Forschungsstelle für Psychotherapie in Stuttgart seit April 1995 ein qualifiziertes exter- nes Qualitätsmanagement-Programm durchgeführt.

Die Ergebnisse dieser Qualitätssi- cherung bestätigen die Effizienz dieser klinischen Kurzzeitstrategie: Bei einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 35,7 (1996/97: 34) Tagen wurde ei- ne Patientenzufriedenheit von 97 Pro- zent (1997: 98 Prozent) erzielt. Auch bei einer sechs und zwölf Monate nach Entlassung durchgeführten Katamne- se bleiben diese Werte aus Sicht der Patienten auf einem hohen Niveau (93 beziehungsweise 89 Prozent Zu- friedenheit mit der Qualität der Be- handlung). Kein Patient war länger als acht Wochen stationär in Behandlung.

Das Qualitätssicherungsprogramm be- inhaltet eine standardisierte psycholo- gische Eingangs- und Entlassungsdia- gnostik sowie eine detaillierte Doku- mentation der therapeutischen Maß- nahmen. Einbezogen werden 50 Pro- zent zufällig ausgewählte Patienten.

Alle Beurteilungen erfolgen sowohl aus der subjektiven Sicht der betroffe- nen Patienten als auch aus der profes- sionellen Sicht der Therapeuten.

Sowohl aus der Sicht der Patien- ten als auch der Therapeuten verbes- sern sich bis zur Entlassung die kör- perliche und die seelische Verfassung sowie das allgemeine Befinden und die Leistungsfähigkeit bei rund 90 Prozent. Auch auf den psychometri- schen Skalen finden sich bei der Halb-/Jahresnachuntersuchung ein ähnlich stabiler Befund. Auch hier bleiben die in der Behandlung er- reichten Verbesserungen für viele Pa- tienten erhalten. Drei von vier ehe- maligen Patienten geht es rund sechs Monate nach Behandlungsbeginn A-656 (28) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 12, 20. März 1998

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Stationäre psychosomatische Kurzzeittherapie

Chancen

zur Veränderung

Stationäre Aufenthalte über mehrere Monate sind kaum mehr finanzierbar. Es gilt, über eine effizientere Therapie die Behandlungszeiten abzukürzen.

Wolf-Jürgen Maurer

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besser als vor der Behandlung. Dies gilt gleichermaßen für die körperliche (74 Prozent) und seelische (76 Pro- zent) Verfassung sowie die Leistungs- fähigkeit (74 Prozent) und das Allge- meinbefinden (78 Prozent). Diese Er- gebnisse wurden bei 56 Prozent der Patienten während einer klinischen Behandlungsdauer bis fünf Wochen und bei 92 Prozent der Patienten während einer Behandlungsdauer bis höchstens sechs Wochen erzielt.

Unterschiede in der Patientenstruktur

Die Patientenstruktur unter- scheidet sich nicht wesentlich vom ty- pischen Bild für psychosomatische Kliniken im Rehabilitations-Bereich.

Insbesondere bei Differenzie- rung der Probleme, die die Patienten zur Therapie brachten, ergibt sich ei- ne weitgehende Übereinstimmung zu vergleichbaren stationären psychoso- matischen Kliniken: Gut zwei Drittel der Patienten fühlten sich vor der Be- handlung stark oder sehr stark von Gefühlen der Erschöpfung, Angst, Depression oder Ärger beeinträchtigt (67 Prozent). Danach folgen Proble- me mit dem Selbst, der eigenen Le- bensorientierung. Sie belegen nach der Häufigkeit der Nennungen die Rangplätze zwei bis sieben. Dazwi- schen rangieren psychische Probleme, die mit körperlichen Krankheiten verbunden sind (35 Prozent).

Mit welchem Behandlungskon- zept wurden diese Ergebnisse erzielt?

Das Ziel der stationären psychothera- peutischen Behandlung liegt in der aktiven Hilfe zur Problembewälti- gung. Durch die Behandlungsmaß- nahme soll der Patient die berufliche Reintegration erreichen, eine größt- mögliche Selbständigkeit gewinnen und seine sozialkommunikativen Fähigkeiten wiedererlangen. Wichti- ge Ziele sind die Entlastung, die Ver- arbeitung von Konflikten und die Ein- leitung zur Veränderung von Ver- haltensstrukturen. Um diese Ziele während einer stationären Kurzzeit- therapie zu erreichen, wird in Schei- degg ein multimethodaler Therapie- ansatz angewandt, der Verhaltensthe- rapie und interpersonale Therapie ebenso umfaßt wie Reizkonfrontati-

onsbehandlung bei Angststörungen, Paartherapien bei Ehekrisen, famili- entherapeutische Interventionen bei problematischen oder belastenden Familienkonstellationen, Hypnose, sexualtherapeutische Übungen sowie Entspannungsverfahren, Kommuni- kationstraining, Gesprächspsychothe- rapie und vieles mehr.

Im Behandlungskonzept werden die verschiedenen naturwissenschaft- lich „schulmedizinischen“, naturheil- kundlichen und psychotherapeuti- schen Behandlungsverfahren sinnvoll miteinander kombiniert. Das Be- handlungskonzept wird durch ein mehrdimensionales Therapieangebot realisiert, das Pharmakotherapie, bal- neophysikalische Maßnahmen, inten- sive Sport- und Bewegungstherapie, individuelle Krankengymnastik, Ent- spannungstherapie, Kunsttherapie, Gruppen- (dreimal je Woche) und Einzelpsychotherapie (mindestens zweimal fünfzig Minuten je Woche) und alle anerkannten Naturheilver- fahren (Kneipp-Ernährungstherapie, Phytotherapie, ausleitende Verfah- ren, Bewegungstherapie, Akupunk- tur, manuelle Therapie, Ordnungs- therapie, Mikrobiologische Therapie, Homöopathie, Neuraltherapie und Heilfasten) einschließt.

Es wird bei diesem Behandlungs- ansatz auf eine allein symptomorien- tierte Therapie verzichtet; die Be- handlung erfolgt im allgemeinen „am Symptom vorbei“ und beinhaltet die Betrachtung des „ganzen Menschen“

ohne Fixierung auf die Symptomatik.

Schulenübergreifend wird stets ein in- dividueller Behandlungsplan nach den aktuellen Bedürfnissen und Kom- petenzen des Patienten aufgestellt.

In Herstellung und Aufrechter- haltung einer guten therapeutischen Beziehung muß einer der wichtigsten spezifischen Beiträge des Therapeu- ten zum Therapieerfolg gesehen wer- den. „Eine gute Therapiebeziehung muß und kann vom Therapeuten ge- staltet werden“ (Klaus Grawe, Psy- chotherapie im Wandel). Hierbei ist Voraussetzung für eine gute Therapie, daß der Patient den Bezugstherapeu- ten wechseln kann, wenn keine Ver- trauensbasis entsteht. Die Möglich- keit des Wechsels des Bezugsthera- peuten ist im Gegensatz zu vergleich- baren anderen Kliniken ein wesentli-

cher Grundsatz des Scheidegger Be- handlungskonzeptes.

Da es Ziel sein muß, mit einem hohen therapeutischen Angebot in kurzer Zeit eine hohe Effizienz zu er- zielen, ist ein enger therapeutischer Kontakt erforderlich. Ein optimales Arbeiten ist bei einem Therapeuten- schlüssel von 1 : 7 möglich, den wir rea- lisiert haben und durch den wir nach- weisen, daß diese „hohe therapeuti- sche Dichte“ mit einem marktgerech- ten Pflegesatz zu erreichen ist. Im Re- sultat ergibt das immer noch eine sehr deutliche Kostenersparnis, da die sta- tionäre Behandlungsdauer je Patient wesentlich reduziert werden kann.

Ein weiterer wesentlicher Be- standteil und Grundsatz unseres Be- handlungskonzeptes ist die Schaffung einer persönlichen Klinikatmosphäre mit einem offenen und konstruktiven Klima zwischen Therapeut und Pati- ent und wesentlich auch innerhalb der therapeutischen Gemeinschaft, was wesentlich zum Therapieerfolg bei- trägt. Hierzu ist eine Begrenzung der Patientenzahl erforderlich.

Stationäre Psychosomatik in an- onymen Großkliniken mit einer kühlen Atmosphäre ist nicht sinnvoll.

Eine Klinik sollte nicht mehr als 80 bis 90 Betten haben, um diese therapeuti- schen Rahmenbedingungen zu schaf- fen. Die gegenwärtige Struktur- und Kostenkrise des Gesundheitssystems sollte dazu auffordern, traditionelle Behandlungsstrategien zu überden- ken, neue, kostengünstigere und effizi- entere Therapieformen zu entwickeln und wissenschaftlich zu überprüfen so- wie mehr auf die Bedürfnisse der Pati- enten abzustimmen. Hierzu sollte die vom Gesetzgeber seit langem ge- wünschte Qualitätssicherung grund- sätzlich zur Überprüfung des eigenen Therapiekonzeptes eingesetzt werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-656–657 [Heft 12]

Anschrift für die Verfasser

Dr. med. Wolf-Jürgen Maurer

Oberarzt an der Panorama Fachklinik für Psychosomatik

Psychotherapeutische Medizin und Naturheilverfahren Kurstraße 22

88175 Scheidegg/Allgäu

A-657 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 12, 20. März 1998 (29)

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

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