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Archiv "Psychosomatik am Allgemeinen Krankenhaus: Seit langem gefordert, kaum realisiert" (16.10.1992)

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Antje Haag', Walter Pontzen 2 und Michael Wirsching3

Die Einbindung psychosomatischer Dienste in das Allgemeine Kran- kenhaus wurde bereits 1975 im Bericht über die „Lage der Psychia- trie in der Bundesrepublik zur psychiatrischen und psychotherapeu- tisch/psychosomatischen Versorgung der Bevölkerung" (Psychiatrie- Enquöte der Bundesregierung) empfohlen. Im November 1988 wurde von der Expertenkommission der Bundesregierung zur Reform der Versorgung im psychiatrischen und psychotherapeutisch/psychoso- matischen Bereich noch einmal die Einrichtung psychosomatischer Konsultations-Liaison-Dienste in die stationäre Versorgung gefordert.

Geschehen ist wenig: Bei einer 1990 veröffentlichten Umfrage (1) fan- den sich in der alten Bundesrepublik nur 11 eigenständige außeruni- versitäre Abteilungen an Allgemeinen Krankenhäusern. Die psycho- somatische Versorgung wird damit fast ausschließlich von den Uni- versitätsabteilungen und den psychosomatischen Fachkliniken, die vorrangig rehabilitativen Charakter haben und damit nicht an der akuten Krankenversorgung beteiligt sind, geleistet.

THEMEN DER ZEIT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Psychosomatik am Allgemeinen Krankenhaus:

Seit langem gefordert, kaum realisiert

I

n der stationären Akutversor- gung muß die Berücksichtigung psychosomatischer Aspekte als völlig unzureichend bezeichnet wer- den. Es ist sicher nicht übertrieben, die Psychosomatik als das schwäch- ste Glied in der medizinischen Ver- sorgung zu bezeichnen (2). Dieses wiegt um so schwerer, als verschiede- ne epidemiologische Untersuchun- gen auf einen großen Bedarf hinwei- sen: Eine Metaanalyse von 11 Studi- en ergab eine durchschnittliche Prä- valenzquote für psychosomatische Patienten im Allgemeinen Kranken- haus von 41,8 Prozent (3). Es han- delt sich dabei um solche, bei denen psychosoziale Faktoren maßgeblich an der Entstehung oder dem Verlauf ihrer Erkrankungen beteiligt sind.

Werden diese Aspekte in Diagnostik und Therapie nicht berücksichtigt — dies ist bei nicht speziell ausgebilde-

1) Psychosomatische Abteilung der II. Medizini- schen Universitätsklinik, Martinistraße 52, W-2000 Hamburg 20

2) Städtische Krankenanstalten, Psychosomati- sche Abteilung, Flurstraße, W-8500 Nürnberg 3) Abteilung für Psychotherapie und Psychoso-

matische Medizin der Universität, Hauptstra- ße 8, W-7800 Freiburg

Die Autoren sind Vorstandsmitglieder im Deutschen Kollegium für Psychosomatische Me- dizin

ten Ärzten häufig der Fall —, kann es häufig zu langen Patientenkarrie- ren kommen, die nicht nur durch sinnlose Wiederholungsuntersu- chungen, sondern auch durch hohe Arbeitsunfähigkeitszeiten bis zu Frühberentungen einen nicht uner- heblichen Kostenfaktor im Gesund- heitswesen ausmachen. Dem Psycho- somatiker drängt sich dabei der Ein- druck auf, daß eine in immer mehr Subspezialitäten aufgesplittete Me- dizin nicht selten chronische Krank- heitsverläufe selbst mit produziert.

Zielgruppen

In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu betonen, daß die Motivati- on der Patienten, sich mit den psy- chosozialen Aspeken von Krankhei- ten auseinanderzusetzen, mit der Krankheitsdauer abnimmt Der Zeit- punkt einer psychosomatischen In- tervention ist also von wesentlicher prognostischer — und auch ökono- mischer — Bedeutung. Dies bestäti- gen seit etwa 20 Jahren in den USA durchgeführte Kosten-Nutzen-Ana- lysen mit zum Teil eindrucksvollen Ersparnissen durch die Einbindung psychosomatisch tätiger Ärzte (4),

Publikationen, die hierzulande bis- her kaum zur Kenntnis genommen werden.

Neben den traditionellen Ziel- gruppen der Psychosomatik, den

„klassischen" Psychosomatosen (wie zum Beispiel Asthma und chronisch entzündliche Darmerkrankungen), Eßstörungen und den funktionellen Erkrankungen, das heißt Somatisie- rungen psychosozialer Konflikte und/oder affektiver Störungen (wie Angst- und Depressionszustände), hat sich in den letzten Jahren das Spektrum der Leiden, die psychoso- matische Betreuung erfordern, sehr verbreitert. Gerade Patienten, die im Zuge schwerer chronisch-körperli- cher Erkrankungen (zum Beispiel Krebserkrankungen, chronischem Nierenversagen, neurologischen Er- krankungen) seelisch und sozial sehr belastet sind, bedürfen kompetenter Unterstützung und Betreuung.

Modelle psychosomatischer Dienste

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Psychosomatik am Allgemeinen Krankenhaus findet in unterschiedli- chen Aufgabenbereichen statt, die jeweils ihren eigenen Stellenwert und Schwerpunkt haben, de facto je- doch ineinander übergehen. Idealer- weise muß von einer Arbeitsgruppe ausgegangen werden, die — wie zum Beispiel die Anästhesie — dezentral arbeitet und über eine eigene Station mit 16 bis 18 Betten verfügt.

Folgende Aufgaben sind zu be- rücksichtigen:

Konsiliardienst

Als Konsiliardienst werden dia- gnostische und therapeutische Lei- stungen des Psychosomatikers auf Anfrage einer Krankenstation oder in einer Ambulanz erbracht. Die Hauptbedeutung dieser Kooperati- onsform ist eine Grundmodalität der Zusammenarbeit nach dem traditio- nellen medizinischen Modell. Unter A.1-3428 (36) Dt. Ärztebl. 89, Heft 42, 16. Oktober 1992

(2)

geeigneten Bedingungen kann sie ein — meist erstes — Stadium einer prozeßhaften Entwicklung der un- mittelbaren Kooperation von soma- tischer Klinik und Psychosomatik sein. Problematisch wird Konsiliartä- tigkeit, wenn sie durch die Abspal- tung psychsozialer Aspekte der Ab- schiebung problematischer Patien- ten Vorschub leistet. Konstruktiv wirkt sie, wenn beim primär behan- delnden Arzt das psychosomatische Verständnis und die psychosomati- sche Behandlungsbereitschaft geför- dert werden. Der Konsiliardienst strebt eine Integration psychosozia- ler Aspekte in die Krankenversor- gung durch Kooperation an (5).

Liaisondienst

Liaisontätigkeit beinhaltet die kontinuierliche Kooperation von Psychosomatik und Klinik mit einem breiten Gestaltungsspielraum, der gemeinsame Visiten, regelmäßige Fallbesprechungen und Stationskon- ferenzen einschließen kann. Insbe- sondere der Liaisondienst erhöht die psychosoziale Kompetenz der in Diagnostik und Therapie Beteilig- ten. Diese Kompetenzsteigerung be- trifft auch das Pflegepersonal. Die Aufspaltung der Patientenversor- gung in eine apparativ-technische durch die Arzte und eine pflege- risch-psychosoziale durch die Schwe- stern und Pfleger ist eine wesentliche Mitursache für Unzufriedenheit und Konflikte, die sich nicht nur in den jeweiligen mit Patienten tätigen Ärz- ten, Schwestern und Pflegern erge- ben, sondern auch zwischen den Be- rufsgruppen. Ein in das Stationsteam integrierter Psychosomatiker hat auch die Aufgabe, für solche Bezie- hungsprobleme, die sich auf ver- schiedenen Ebenen abspielen, zu sensibilisieren und gemeinsam mit dem Stations- bzw. Abteilungsteam Lösungen zu erarbeiten. Wir glau- ben, daß eine solche Arbeit — nicht zuletzt unter dem Aspekt der gegen- wärtigen Krise des Pflegepersonals

— wertvoll und notwendig ist. Die Liaisontätigkeit kann als Modell ei- ner Integration psychosomatischen Denkens durch Kompetenzsteige- rung angesehen werden (5).

Psychosomatische Betten Für Patienten, deren Problema- tik sich gleichsam zwischen den klas- sischen „organischen" Fächern wie zum Beispiel Neurologie oder Inne- rer Medizin einerseits und Psychia- trie andererseits bewegt, ist ein Be- reich, in dem kompetente psycho- therapeutische Versorgung in enger Kooperation mit somatischen Kolle- gen stattfindet, unverzichtbar. Es handelt sich etwa um Patienten mit Eßstörungen, schweren somatisier- ten Angstneurosen oder depressiven Störungen bzw. akuten Krisen mit unter Umständen behandlungsbe- dürftigen somatischen Begleitsym- ptomen. Im Akutversorgungssystem fallen diese Patienten „durch die Maschen". Dies ist um so problema- tischer, als es sich häufig — insbe- sondere bei denjenigen mit Eßstö- rungen — um jüngere Patienten han- delt. Bei der derzeitigen Praxis, näm- lich einer Versorgung in meist ent- fernten Fachkliniken, können weder, zum Beispiel im Rahmen einer Fa- milientherapie, pathogene Konstel- lationen mit berücksichtigt noch eine adäquate ambulante Nachsorge aus- reichend gesichert werden.

Ähnlich wie für psychiatrische wären auch für psychosomatische Patienten teilstationäre Behand- lungsangebote, etwa Tageskliniken, denkbar und erstrebenswert. Solche Angebote gibt es bisher nahezu überhaupt nicht (Ausnahme: Düssel- dorf und Bielefeld).

Vorschläge und Empfehlungen Der hohen Prävalenz psychoso- matischer Krankheitsbilder in der ärztlichen Primärversorgung ist 1987 insofern Rechnung getragen worden, als durch die Einführung der „psy- chosomatischen Grundversorgung"

basale psychotherapeutische Inter- ventionen honoriert werden, wenn diese Honorierung auch sehr niedrig veranschlagt ist. Inzwischen werden in fast allen Landesärztekammern Curricula angeboten, die eine Quali- tätssicherung garantieren sollen.

Unsere Forderung ist die einer

„psychosomatischen Grundversor- gung im Krankenhaus" im Sinne ei-

ner Komplettierung somatischer Weiterbildungsinhalte durch die psy- chosoziale Dimension, wobei diese alle im Krankenhaus tätigen Berufs- gruppen, insbesondere auch das Pflegepersonal, einschließen sollte.

Voraussetzung wäre die Umset- zung der von den Expertenkommis- sionen 1975 und 1988 gegebenen Empfehlungen, nämlich der Etablie- rung psychosomatischer Abteilungen bzw. Arbeitsgruppen in der stationä- ren Akut- und Regelversorgung.

Diese sollten eigenständig und fä- cherübergreifend arbeiten.

Detaillierte Angaben für eine angemessene Stellenausstattung sind schwer zu fixieren. Unter Berück- sichtigung von Inanspruchnahme- quoten vorhandener Universitätsab- teilungen kann man grob von einem Verhältnis von einem Konsultations/

Liaison-Psychosomatiker auf 100 Betten ausgehen. In diese Berech- nung fließen neben diagnostischen Gesprächen und kurzfristigen thera- peutischen Interventionen Teamsu- pervisionen oder Balintgruppen ein.

Unter Berücksichtigung einer klei- nen stationären Einheit von rund 16 bis 18 Betten müßten für ein Allge- meines Krankenhaus der maximalen Versorgungsstufe mit 1000 Betten neben dem leitenden Arzt Stellen für 10 bis 12 akademische Mitarbei- ter (psychotherapeutisch weiterge- bildete Arzte und Psychologen) ein- gerichtet werden. Ideal wäre ein Ro- tationsprogramm für Schwestern und Ärzte. Die Zahlen lehnen sich an die Berechnungen der leitenden Fachvertreter für Psychosomatik und Psychotherapie an (6).

Wichtigste Voraussetzung für das gute Funktionieren einer psycho- somatischen Abteilung ist allerdings eine gute Kooperation mit den übri- gen Fächern und nicht zuletzt mit der Schwesterdisziplin Psychiatrie.

Literatur beim Verfasser

Anschrift für die Verfassen

Prof. Dr. med. Michael Wirsching Ärztlicher Direktor

Abteilung Psychotherapie und Psychosomatische Medizin an der Universität Freiburg Hauptstraße 8

W-7800 Freiburg/Breisgau

Dt. Ärztebl. 89, Heft 42, 16. Oktober 1992 (39) A1-3431

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