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m 1. und 2. November 1996 fand im Sauerstoff-Therapie- zentrum Düsseldorf das zwei- te Internationale Symposi- um zur hyperbaren Oxygenierung (HBO) in der Strahlentherapie statt.Das Treffen wurde von Ulrich M. Carl, Universitätsstrahlenklinik Düsseldorf, und Peter Vaupel, Institut für Physiolo- gie und Pathophysiologie der Univer- sität Mainz, organisiert und geleitet.
HBO in der Strahlentherapie
Während des Symposiums wur- den die therapeutisch relevanten Indi- kationen der HBO in der Strahlenthe- rapie wissenschaftlich erörtert. Be- kannterweise besteht eine sensibilisie- rende Wirkung des Sauerstoffs für schwach ionisierende Strahlung im Gewebe. Entsprechend ist die Kon- zentration oder der Partialdruck des Sauerstoffs in Tumor- und Normalge- weben von besonderer Bedeutung für die therapeutische Wirkung einer Strahlenbehandlung mit Photonen.
Darüber hinaus eignet sich die HBO für die Behandlung chronischer radio- gener Nebenwirkungen, aber auch die akute Wundheilung nach einer Strah- lenbehandlung wird von HBO günstig beeinflußt.
Wenn der Umgebungsdruck auf zwei Bar bei gleichzeitiger Atmung von reinem Sauerstoff erhöht wird, so findet sich nach etwa 20 Minuten eine pO2-Erhöhung im Gewebe von bis zu 600 Prozent. Innerhalb kürzester Zeit nach Verlassen der Druckkammer normalisiert sich die Sauerstoffkon- zentration aber wieder (Ince, Amster- dam; Kau, München; Thews, Mainz).
Daraus ergibt sich, daß eine Strahlen- behandlung unmittelbar in der HBO- Kammer erfolgen muß, um den Sauer- stoffeffekt beziehungsweise die gestei- gerte Bildung kurzlebiger Sauerstoff- Radikale zu nutzen. Die verstärkende Wirkung schwach ionisierender Strah-
lung bei hohen Sauerstoffkonzentra- tionen liegt insbesondere darin be- gründet, daß die Bildung von reakti- ven Sauerstoff-Spezies vom Sauer- stoffpartialdruck im Gewebe abhängt (Bast, Amsterdam).
Bisher veröffentlichte Daten be- gründen die Hypothese, daß Hypo- xieareale in Tumoren häufig mit ungünstigen Bestrahlungsergebnis- sen korrelieren. Daher gilt ein beson- deres Augenmerk der Messung der Sauerstoffkonzentration oder des Sauerstoff-Partialdrucks in Tumoren, weil hierdurch möglicherweise Pati- enten für die Bestrahlung unter HBO-Bedingungen selektiert werden können (Nordsmark, Aarhus).
Weiterhin hat sich HBO auch in der Therapie radiogener Nebenwir- kungen bewährt. Ein wichtiger Me- chanismus bei der Reaktion von Nor- malgeweben ist die aktinische Rarefi- zierung von Blutgefäßen mit konseku- tiven Gewebeveränderungen. Unter HBO-Bedingungen zugeführter Sau- erstoff überwindet größere Diffusi- onsstrecken. Der Gewebe-pH norma- lisiert sich als Folge des erhöhten pO2, eine Voraussetzung für eine verbes- serte Gewebeheilung. In einer großen klinischen Studie wurde nämlich be- legt, daß die Abstoßung von Kno- chenimplantaten, Metallen und AO- Materialien durch HBO ungeachtet einer Strahlenbehandlung reduziert werden kann (Granström,Göteborg).
Aber auch die Bedingungen für eine Infektabwehr werden verbessert. Dies gilt auch für andere Problemwunden, die – unabhängig von einer Strahlen- behandlung – mit einer Gefäßrarefi- zierung einhergehen.
Respiratorische Hyperoxie in der Strahlentherapie
In der Strahlenbehandlung mali- gner Tumoren bringt die Erhöhung der Sauerstoffkonzentration im Ge- webe eine gesteigerte Strahlensensibi-
lität mit sich. Bei normobarer Sauer- stoffatmung stellt häufig die sauer- stoffbedingte Vasokonstriktion ein Problem dar, das jedoch durch den Einsatz von Carbogen reduziert wer- den kann (Denekamp, Umea; Rojas, Northwood). Bei Carbogen handelt es sich um ein Gasgemisch aus 95 Pro- zent O2und fünf Prozent CO2. Carbo- gen ist einfach zu applizieren. Im Tier- experiment wurde die Wirkung auf den Tumor bis zu einem Faktor von 1,7 gesteigert, wenn zusätzlich Nico- tinamid (ARCON-Technik) verab- reicht wurde. In Tierexperimenten konnte gezeigt werden, daß ARCON dann besonders vorteilhaft ist, wenn eine Tumorhypoxie die Wirksamkeit der Bestrahlung eindeutig limitiert (Rojas, Northwood). Da jedoch die Strahlensensibilität von Normalgewe- ben ebenfalls vom Oxygenierungs- grad abhängt, besteht theoretisch die Möglichkeit, daß sich die Rate an Ne- benwirkungen erhöhen kann. So hängt der therapeutische Gewinn vom Verhältnis der Sensibilisierung von Tumorgewebe und Normalgewebe ab.
In vielen onkologischen Konzep- ten werden Strahlen- und Chemothe- rapie kombiniert. Chemotherapeutika können unterschiedliche Wirkungen auf die Mikrozirkulation von Tumoren haben. Im ungünstigen Fall führt eine chemotherapiebedingte Mikrozirkula- tionsstörung mit Hypoxie zur vermin- derten Strahlensensibilität. Die Mes- sung der O2-Verteilung in Tumoren er- laubt frühzeitig, das heißt noch während der Therapie, eine Abschät- zung des zu erwartenden Behand- lungserfolgs. Am Modell der „Isolier- ten Extremitäten-Perfusion“ wurde gezeigt, daß Weichteilsarkome häufig höhere pO2-Werte aufweisen als Mela- nome. Hyperthermie beeinflußt den pO2praktisch nicht. Chemotherapeu- tika, wie zum Beispiel Melphalan und Cisplatin, können den pO2-Status im Tumor verschlechtern, während Doxy- rubicin die Mikrozirkulation unbeein- flußt läßt (Hohenberger, Berlin).
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M E D I Z I N KONGRESSBERICHT
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 16, 18. April 1997 (49)
Hyperbarer Sauerstoff (HBO) in der Strahlentherapie
Die Bedeutung der respiratorischen Hyperoxie
Bisher durchgeführte klinische Therapiestudien mit HBO und Be- strahlung sind beim heutigen Kennt- nisstand und den technischen Mög- lichkeiten nicht mehr relevant: Frü- her wurden sehr hohe Einzeldosen gewählt, die auf Grund neue- rer strahlenbiologischer Kenntnisse grundsätzlich (das heißt unabhängig von HBO) eine erhöhte Morbidität er- warten lassen. Es besteht somit der Be- darf an Studien, in denen Einzelstrah- lendosen appliziert werden, die im kli- nisch relevanten Bereich liegen (Hart- mann, Düsseldorf/Amsterdam). Für die Planung derartiger Studien stehen moderne Computersimulationen zur Verfügung (Denekamp, Umea).
Um der möglichen Sensibilisie- rung des Normalgewebes Rechnung zu tragen, sollte das Behandlungsvo- lumen nur unwesentlich größer sein als das Zielvolumen. Eine Möglich- keit der Reduktion des zwangsläufig mitbehandelten Normalgewebes liegt in der Anwendung von lokal appli- zierter Strahlung mit geringer Reich- weite. Brachytherapie (zum Beispiel in Afterloading-Technik) bietet gute Möglichkeiten der optimierten loka- len Therapie bei gleichzeitiger Scho- nung des Normalgewebes. Aber wenn so nur ein Patient zur Zeit bestrahlt werden kann, sind die Zeit bis zur optimalen Gewebssättigung in der HBO-Kammer und die Dekompressi- onszeit limitierende Faktoren. Durch Bestrahlung mehrerer Patienten gleichzeitig während einer „Kammer- fahrt“ (mit einem Multi-Channel- Loader) kann bei einer Bestrahlungs- zeit von wenigen Minuten einer Wirt- schaftlichkeitsprüfung standgehalten werden. Die zentrale Anforderung an die Kammertechnik ist dann aller- dings die Berücksichtigung des Strah- lenschutzes (Bahnsen, Hamburg).
Auch bei der Verwendung von Radionukliden können mehrere Pati- enten gleichzeitig mit HBO behandelt werden. Wie auch beim Symposium im Jahre 1995 wird über gute Erfah- rungen bei Neuroblastomrezidiven Stadium IV berichtet. Die Ergebnisse haben sich stabilisiert: Die nach Ka- plan-Meier berechnete Überlebens- rate liegt nach drei Jahren bei 35 Pro- zent, wenn zusätzlich zu 131J-MIBG HBO appliziert wird. Ohne HBO liegt die Überlebensrate nach drei
Jahren bei fünf Prozent. Prospektive Studien ohne HBO sind ethisch nicht vertretbar. Einzige Prüfgrößen bei ei- nem derartigen Studiendesign blei- ben die Zahl der HBO-Fraktionen und der angewendete Kammerdruck (v. d. Kleij, Amsterdam).
HBO – Eine
nebenwirkungsarme Behandlungsform
Bei dem Symposium stand die HBO-Therapie bei Tumorpatienten, die bestrahlt werden, im Mittelpunkt der Diskussionen. Entsprechend wur- den schwerpunktmäßig das Risiko der Begünstigung einer Metastasie- rung und die mögliche Förderung des Tumorwachstums durch HBO erör- tert. Allerdings kann durch eine Rei- he von internationalen Studien belegt werden, daß weder experimentell noch klinisch zu erwarten ist, daß HBO mit einem erhöhten Risiko ver- bunden ist (Almeling, Strande). Die Diskussion dieses Teilaspektes war lebhaft: Theoretisch ist ein Risiko ge- geben, das aber klinischen Überprü- fungen nicht standhält (Granström, Göteborg). Dennoch wird überein- stimmend festgestellt, daß neue tier- experimentelle Studien notwendig sind, um hier eine grundsätzliche Sicherung und Aufklärung der Me- chanismen zu bewirken.
Alle Patienten müssen sich einer gründlichen Voruntersuchung auf
„Tauchfähigkeit“ unterziehen. Nur so läßt sich das allgemeine Risiko verrin- gern. Spezielle Risiken für ZNS und Lunge lassen sich jedoch auch bei gründlichster Vorbereitung nicht si- cher ausschließen. Der Paul-Bert- Effekt beschreibt die Sauerstofftoxi- zität für das ZNS, die mit einer Reihe unterschiedlicher neurologischer Sym- ptome verbunden sein kann. Diese tre- ten in der Regel als Aura vor einem generalisierten Anfall auf. Im Gegen- satz zur Epilepsie bilden sich hyper- oxische Anfälle innerhalb von 10 bis 15 Minuten nach Beendigung der O2- Atmung ohne Folgeschäden zurück.
In der HBO-Therapie müssen die normalerweise kurzen O2-Phasen (zum Beispiel zwei- bis dreimal 30 Mi- nuten) bei Umgebungsdrücken von 2,4 bis 2,5 bar nur bei wenigen Indika-
tionen überschritten werden, so daß die Inzidenz von Anfällen nur etwa 0,12 Promille beträgt (Welslau).
Neben dem ZNS ist die Lunge ein Risikoorgan für HBO-Nebenwirkun- gen. Der Lorraine-Smith-Effekt be- schreibt die Reduktion der Vitalkapa- zität und Compliance nach 24 und mehr Stunden kontinuierlicher, nor- mobarer Sauerstoffatmung. Diese Ef- fekte sind reversibel. Erst bei längerer, ununterbrochener Sauerstoffexpositi- on wird die Ausbildung einer Lungen- fibrose begünstigt. Unter den norma- len Druckkammerbedingungen ist das Risiko gering und steigt erst bei 60 und mehr konsekutiven HBO-Behand- lungseinheiten (Welslau). (Abstract- Band des Symposiums, Strahlenther.
Onkol., Band 172, Suppl. II).
Priv.-Doz. Dr. med. Ulrich M. Carl Klinik für Strahlentherapie Universität Düsseldorf Moorenstraße 5 40001 Düsseldorf
A-1066
M E D I Z I N
KONGRESSBERICHT/FÜR SIE REFERIERT
(50) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 16, 18. April 1997
1991 wurde als Erreger des Mor- bus Whipple Tropheryma whippelii entdeckt. Die Heidelberger Autoren stellen ihre Ergebnisse einer neuent- wickelten Polymerase-Kettenreaktion und einer spezifischen Hybridisie- rungssonde vor. Die DNA von Tro- pheryma whippelii wurde bei allen 30 Patienten mit Morbus Whipple im Formalin-fixierten Biopsiematerial, nicht jedoch im Bouin-fixierten Mate- rial gefunden. Während und nach ei- ner entsprechenden Behandlung war die PCR bei 23 von 24 Patienten nega- tiv. Die Konversion erfolgte in der Re- gel innerhalb eines Jahres. Trotz nega- tiver intestinaler PCR entwickelten drei Patienten einen symptomatischen zerebralen Morbus Whipple. w Von Herbay A, Ditton H J, Maiwald M:
Diagnostic application of a polymerase chain reaction assay for the Whipple’s di- sease bacterium to intestinal biopsies.
Gastroenterol 1996; 110: 1735–1743.
Pathologisches Institut und Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Univer- sität Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 220, 69120 Heidelberg.