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Archiv "Sonne, Pigment und Melanome" (20.03.1992)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Sonne, Pigment

und Melanome

Ernst G. Jung

elanome sind mali- gne Tumoren mit ei- nem hohen Maligni- tätsgrad, die von den Melanozyten ausgehen. Dementsprechend gibt es Melanome an der Haut, zehnmal sel- tener am Auge und auch an der Lep- tomeninx, allerdings noch einmal deutlich seltener. Die Melanome der Haut sind also weitaus die häufig- sten. Sie müssen von den gutartigen melanozytären Veränderungen und von den Naevi abgegrenzt werden.

Die folgenden Ausführungen bezie- hen sich ausschließlich auf die Mela- nome der Haut und sind gekenn- zeichnet von zwei grundlegenden epidemiologischen Beobachtungen.

Die Melanome der Haut zeigen in ihrer Häufigkeit eine deutliche rassische Abhängigkeit. Sie finden sich am häufigsten bei den gering und inhomogen pigmentierten weiß- häutigen Menschen („Kaukasier") und hier wiederum bevorzugt bei den Menschen mit den Hauttypen I- III (Tabelle 1). Dunkelhäutige Men- schen und Asiaten haben deutlich weniger Melanome an ihrer Haut.

Allein die akrolentiginösen Melano- me (ALM), welche an den Grenzen der pigmentierten Hautareale auf- treten (Haut-Schleimhaut-Übergän- ge, Finger- und Zehenkuppen, Na- gelbetten, Ränder der Handflächen und Fußsohlen) sind bei allen Ras- sen in annähernd gleicher Häufigkeit Hautklinik der Fakultät für Klinische Medizin Mannheim

(Direktor: Prof. Dr. med. Ernst G. Jung) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Die Melanome der Haut haben in den vergangenen vierzig Jahren um das Zehnfache zugenommen und treten bei hellhäutigen Men- schen sehr viel häufiger auf als bei den stark pigmentierten Ras- sen. Einzig die akrolentiginösen Melanome (ALM), die etwa zehn Prozent aller Hautmelanome aus- machen, weichen von dieser Re- gel ab, Die übrigen Hautmela- nome entsprechen zwei un- terschiedlichen Gefährdungsmu- stern der Sonnenexposition. Es handelt sich um die lebenslange kumulative UV-Exposition, welche die Tumoren der Keratinozyten und die Lentigo-maligna-Melano- me (LMM) verursacht, und um die überstarke UV-Exposition in der Jugend, die zu den nodulären (NM) und den superfiziell sprei- tenden Melanomen (SSM) bei- trägt. Von besonderer Bedeutung ist die Anzahl Pigmentnaevi, die als Melanomvorläufer oder als In- dikatoren betrachtet werden kön- nen. Das Risiko der verschiedenen Einflußgrößen kann in Verhältnis- zahlen ausgedrückt werden.

zu

beobachten (15, 20). Diese ALM sind also weder abhängig von der Rasse der Menschen noch vom Pig- mentgehalt deren Haut. Tabelle 2 zeigt die Melanominzidenz und die Verteilung der unterschiedlichen Melanomtypen bei verschiedenen Menschenrassen. Diese Beobach- tung legt schon lange die Vermutung nahe, daß der Grad der Pigmentie- rung und die Qualität der Pigmente (unterschiedliche Zusammensetzung aus Eumelanin und Phäomelanin) von vorrangiger Bedeutung sind.

Dieses „Pigmentkleid" des Men- schen ist in einem polygenen System

genetisch festgelegt und fixiert. Es liegt nahe, daß der pigmentbedingte Lichtschutz, besonders derjenige ge- gen den karzinogenen Bereich des ultravioletten Lichtes zwischen 280 bis 320 nm, eine wesentliche Rolle bei der Melanomentstehung spielt.

Zunahme der Melanom- inzidenz in den

vergangenen 40 Jahren Als weitere, weltweit beobachte- te und sehr eindrückliche Tatsache findet man eine annähernd zehnfa- che Zunahme der Melanominzidenz in den vergangenen 40 Jahren (2, 5, 18), die vor allem und fast aus- schließlich die weiße Rasse (Kauka- sier; Hauttyp I—IV) betrifft (Tabelle 1). Im deutschen Sprachbereich tre- ten jetzt jährlich 9000 neue Melano- me der Haut auf. Eine ähnliche Zu- nahme ist bei den dunkelhäutigen Menschen (Hauttyp V—VI) und bei den Asiaten nicht festzustellen. Die- se Zunahme betrifft die Melanome vom Typ des Lentigo-maligna-Mela- noms (LMM), des nodulären Mela- noms (NM) und des oberflächlich spreitenden Melanoms (SSM), nicht aber die akrolentiginösen Melanome (ALM), und zeigt eine gewisse Beto- nung der frei getragenen und damit der Sonne exponierten Hautstellen.

Dazu gesellt sich der gewaltig gestiegene Sonnenkonsum, der wil- lentlich angestrebt und oft grenzen- los praktiziert wird, der mit Argu- menten des Wohlbefindens, der kos- metisch anzustrebenden Bräunung und anderen, mehr psychologischen Argumenten motiviert wird und sich in der Freizügigkeit und in der Feri- enindustrie beträchtlich auswirkt.

Die Zunahme der Hautmelanome,

deren lichtbedingte Verteilung und

der gestiegene Sonnenkonsum wei- sen mit Deutlichkeit darauf hin, daß bei den weißhäutigen Menschen (vor

I

Rassische Abhängigkeit der Melanominzidenz

1

Dt. Ärztebi. 89, Heft 12, 20. März 1992 (41) A1-1003

(2)

Melanom-Typen:

NM SSM

LMM 10 5 1

4 7 60

ALM

5 12

Andere

Tabelle 2: Melanome der Haut: Inzidenz und Verteilung der Typen Deutsches

Register

USA Weiße Schwarze

Asiaten (Japan u. China) Inzidenz: Neue Fälle

pro 100 000 Ein- wohner und Jahr

9-12 6-15 1,0 0,2

24 50

30 5 15

70

&

29 12 5 42 12 allem bei den Hauttypen IAH) der

genetisch fixierte, rassische Pigment- schutz unzureichend ist und damit der verstärkt gesuchten UV-Exposi- tion in keiner Weise mehr gewach- sen ist. Somit kann sich die verstärk- te und häufig wiederholte UV-Expo- sition als Initiator und als Promotor für Melanome der Haut auswirken.

Dem genetisch determinierten, polygenen System des rassischen Pig- mentkleides kommt also ein Primat an Bedeutung zu bei der ätiologi- schen Betrachtung von Hautmelano- men. Fehlt das Pigment ganz oder teilweise, ist es inhomogen ausgebil- det (Mosaik) oder ist es durch seine Zusammensetzung wenig effektiv, so kann sich die UV-Belastung der Haut besonders deutlich auswirken.

Untersuchungen, Experimente und Überlegungen zur UV-bedingten Pathogenese der Hautmelanome müssen also an den weißhäutigen Menschen und an deren Zellsyste- men durchgeführt werden. Nur so

lassen sich der Einfluß und das Aus- maß der UV-Effekte auf die Mela- nomentstehung darstellen. Damit können auch Unterlagen zur Präven- tion, zur Charakterisierung und Er- fassung von Risikogruppen und zur Früherkennung der Melanome, möglichst schon der Vorstufen, ge- wonnen werden, die praktisch rele- vant und damit anwendbar sind. Dies soll im folgenden vorgestellt werden.

UV-Bestrahlung und Hautmelanome bei der weißen Rasse

Die klinischen, epidemiologi- schen und experimentellen Untersu- chungen an Menschen der weißen Rasse (Hauttyp I—IV) zeigen sehr deutlich, daß sich zwei grundsätzlich unterschiedliche Schadensmuster beschreiben lassen, deren Erken- nung und Differenzierung größte Bedeutung zukommt (4, 9, 11, 12,

19). Es sind dies einerseits das Mu- ster der kumulativen lebenslangen UV-Exposition und dasjenige der überstarken UV-Exposition in der Jugend. Diese beiden Muster wer- den getrennt vorgestellt.

Die Lichtschäden treten durch wiederholte, kumulativ wirkende UV-Exposition auf. Dabei erstrek- ken sie sich flächenhaft auf die licht- exponierten Areale und werden mit multiplen Foci relativ spät im Leben manifest (Abbildung). Neben der flä- chigen aktinischen Elastose (Heli- osis) treten herdförmig und multipel aktivische Keratosen, Basaliome, Spinaliome und Merkelzelltumoren als Präkanzerosen und Karzinome des Keratinozytensystems auf. Hier sind, ausgehend von den Melanozy- ten in aktinischer geschädigter Haut, auch die Lentigo-maligna-Melanome (LMM) zugeordnet. Diese entspre- chen nach Manifestationsalter, Mor- phodynamik, multilokulärer Anlage und der strengen Lichtlokalisation dem genannten Schadensmuster und machen zehn Prozent der kutanen Melanome aus.

Experimentelle Daten an Fibro- blasten und an Keratinozyten zeigen, daß die Wirksamkeit der zellulären Reparatursysteme und deren Über- forderung eine wesentliche Rolle spielen. Die Exzisionsreparatur, ge- messen als „unscheduled DNA syn- thesis" (UDS), vermag lichtbedingte DNS-Schäden in den ersten Stunden der Bestrahlung fehlerfrei zu repa- rieren. Dieses enzymatische Repara- tursystem der Zellkerne ist mit ein- halb bis ein MED (minimale Ery- themdosis) nach oben begrenzt und wird durch kurzfristig wiederholte Bestrahlungen erschöpft. Es kann dann nicht mehr alle UV-bedingten DNS-Schäden reparieren, so daß sie persistieren und andere, fehleranfäl- lige Reparatursysteme aktiviert wer- den. Dadurch kann es zu onkogenen Punktmutationen und zur Bildung von malignen Kloni in der Epider- mis, aber auch in den Melanozyten kommen (1, 4, 6, 9, 14, 19, 22). >

Tabelle 1: Hauttypen des Menschen unter Berücksichtigung der Entzün- dungsreaktion auf Sonnenexposition und des Bräunungsverhaltens Hauttyp I immer Erythem, keine Bräunung

Hauttyp II immer Erythem, manchmal Bräunung Hauttyp III manchmal Erythem, immer Bräunung Hauttyp IV kein Erythem, immer Bräunung Hauttyp V dunkelhäutige Rassen

Hauttyp VI Neger

I 1. Die kumulative,

lebenslange UV-Exposition

A1-1006 (44) Dt. Ärztebl. 89, Heft 12, 20. März 1992

(3)

Klinische Charakteristik kummulativ, lebenslang sehr stark, in

lichtexponierte Areale multipel

späte Manifestation

atypische Lokalisation solitär

frühe Manifestation

Morphologie der Hauttumore

Aktinische Keratosen Basaliome

Spinalinome

Lentigo maligna Melanome

Noduläre Melanome

Oberflächig spreitende Melanome Aktivierung kongenitaler Naevi

Aktivierung dysplastischer Naevi (DNS)

10 bis 50 Naevi mehr als 50 Naevi

ns ns

24, 25 24, 25 5,0

24,0

> 1600 ns

9, 13 8 ns

> 2000

25 24, 25 21, 23 Hauttyp I

Sonnenexposition im Beruf (> 20 Jahre) Solariumbenutzung

12,9 3,4 2,7

ns 2,3 1,6

Tabelle 3: Relatives Risiko der Melanomtypen in Abhängigkeit von verschiedenen Einflußfaktoren

Einflußgrößen LMM SSM + NM Literatur

DNS (dysplastische Naevi) XP (Xeroderma pigmentosum)

mehr als 5 Sonnenbrände bis 15. Lebensjahr (DK) mehr als 5 Sonnenbrände 15.-20. Lebensjahr (USA) Einwanderung nach Austra- lien zwischen dem

10. und 20. Lebensjahr

ns ns ns

2,7 2,2 6,8

17 22 6 Abbildung: Die beiden absolut unterschiedlichen Schadensmuster der Haut in Verbindung mit Sonnenexposition

Beispiel:

Xeroderma pigmentosum (XP)

Dies kann an der autosomal-re- zessiv vererbten Erbkrankheit Xero- derma pigmentosum (XP) modell- mäßig gezeigt werden (8). Bei erhöh- ter Lichtempfindlichkeit erleiden diese Patienten nach einmaliger oder wenigen UV-Bestrahlungen chroni- sche Lichtschäden an der exponier- ten Haut und frühzeitig im Leben so- wie in großer Dichte und Multiplizi- tät bösartige Tumoren der Haut. Bei der Häfte der XP-Patienten entwik- keln sich melanotische Präkanzero- sen und Melanome, ausschließlich vom Typ der Lentigo-maligna-Mela- nome (LMM). Das relative Risiko der XP-Patienten, ein LMM zu bekom- men, ist, gegenüber der normalen Be- völkerung, extrem erhöht (Tabelle 3).

Zudem treten die LMM nicht in der zweiten Lebenshälfte, sondern schon in der Adoleszenz und im frühen Er- wachsenenalter auf. Die epidemiolo- gischen Daten aus allen Kontinenten und über lange Zeiträume können für die weiße Rasse wie folgt zusammen- gefaßt werden: Hauttumoren sind:

—hauptsächlich in lichtexponierten Hautbereichen lokalisiert;

—häufiger bei Leuten, die im Freien arbeiten als bei solchen in Häusern oder unter Tage;

—häufiger bei Weißen als bei Schwarzen oder Orientalen;

—besonders angereichert bei den Weißen mit den hautempfindlichen Phänotypen I und II;

—mit hoher Inzidenz bei Weißen in äquatornahen Gegenden;

—angereichert bei Weißen mit star- kem Sonnen-Konsum seit der Kind- heit.

Diese Daten belegen die welt- weit gemachte Erfahrung, daß die lichtbedingten Hautschäden in der zweiten Lebenshälfte multipel an den hauptsächlich exponierten Stel- len auftreten und vordringlich das Keratinozytensystem betreffen. Von den Melanomen sind dabei nur zehn Prozent, nämlich die Lentigo-mali- gna-Melanome eingeschlossen. Die- se Schäden sind durch die kumulati- ve lebenslange UV-Exposition be- dingt und abhängig davon, wie deut- lich die rassische Pigmentierung als Schutz dagegen wirksam gewesen ist.

Die Wechselwirkung und die Bedeu- tung dieser beiden Faktoren kann am besten durch Vergleich von Risi- kofaktoren ausgedrückt werden, die in Tabelle 3 zusammengestellt sind.

1

2. Die überstarke in der Jugend

Die Bedeutung der Sonnenexpo- UV-Exposition

sition während der Kindheit und der

Adoleszenz und insbesondere der Einfluß von schweren Sonnenbrän- den in diesem Zeitraum auf die Ent- stehung von maligen Melanomen, insbesondere vom Typ des SSM und MM, konnte in den letzten Jahren an epidemiologischen Studien dargelegt werden. Einwanderungsstudien aus Israel und Australien zeigen, daß diejenigen Menschen, die aus son- nenarmen Ländern vor dem 20. Le- bensjahr einwanderten, die Mela- nominzidenz des Einwanderungslan- Dt. Ärztebl. 89, Heft 12, 20. März 1992 (47) A1-1009

(4)

flach, lichenoid Oberfläche

größer als 5 mm Ausdehnung

Tabelle 4: Klinische Charakteristika von dysplastischen Naevi Begrenzung unregelmäßig, polyzyklisch

polychromatisch mit schwarzen, braunen und rosa Anteilen

Farbe

Dynamik Randausläufer und Regressionszonen des erreichten, während Einwande-

rer nach dem 20. Lebensjahr die Me- lanominzidenz des Ursprungslandes behielten (1, 16). Eine dänische Stu- die belegt zudem, daß die Zahl schwerer Sonnenbrände bis zum 15.

Lebensjahr für die Inzidenzzunahme entscheidend ist (17). Diese Inzi- denzzunahme ist vorwiegend bedingt durch eine Zunahme von SSM und NM bei Männern am Stamm und bei Frauen an den Beinen, also an Stel- len, die nicht der regelmäßigen Lichtexposition ausgesetzt sind (6, 22). Aber nicht nur die Inzidenz der Melanome steigt mit der kindlichen Sonnenbelastung deutlich, sondern auch die Zahl und die Größe der Pigmentnaevi (6). Auch die Anzahl, die Größe und die Progredienz von dysplastischen Naevi ist an lichtexpo- nierten Körperteilen von Jugendli- chen größer als an Stellen, die vom Badeanzug bedeckt sind (3, 22).

Die epidemiologischen Daten aus dem letzten Jahrzehnt können für die Menschen der weißen Rasse zusammengefaßt werden:

Melanome vom Typ der SSM und NM sind:

—deutlich im Zunehmen;

—nicht typisch lichtlokalisiert; bei Männern vorwiegend am Stamm, bei Frauen bevorzugt an den Beinen;

—gehäuft bei Menschen, die in der Jugend und in der Adoleszenz in sonnenreiche Länder auswanderten;

—gehäuft bei Menschen mit vielen Pigmentnaevi und abhängig von de- ren Anzahl.

Faßt man diese Daten zusam- men, so kann man festhalten, daß ei- ne überstarke UV-Exposition in der Jugend (bis zum 15. Lebensjahr), die mit einem oder mehreren schweren Sonnenbränden einhergeht, ein be- sonderes Risiko für die Melanome vom Typ der SSM und der NM dar- stellt — Melanome, die sich zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr manife- stieren. Diese Melanome treten also früher auf als die LMM, sie treten solitär auf und sind nicht typisch lichtlokalisiert (9, 11, 12).

Bei aller Bedeutung dieser neu gewonnenen epidemiologischen Er- kenntnisse darf nicht übersehen wer- den, daß das größte und eindrück- lichste Risiko für SSM und NM die Zahl der Pigmentnaevi darstellt (Ta-

belle 3). Diese können Aktivitätszei- chen zeigen, also auffallen, oder nicht. Das relative Risiko steigt deut- lich mit der Anzahl solcher Naevi und ist als „Basisrisiko" bei der Ge- burt fixiert und nach der Pubertät morphologisch erkennbar und zähl- bar (14, 23-25). Das lichtinduzierte, durch schwere Sonnenbrände in Ju- gend und Adoleszenz zu charakteri- sierende Risiko für SSM und NM er- scheint zusätzlich und auf das „nae- vusbedingte" Risiko gleichsam auf- gepfropft.

Beispiel:

Syndrom der Dysplastischen Naevi (DNS)

Auch für diesen Risikotyp verfü- gen wir über ein Modellbeispiel, das Syndrom der Dysplastischen Naevi (DNS). Es handelt sich um ein au- tosomales, multifaktoriell vererbtes Syndrom mit multiplen dysplasti- schen Naevi, die sich während und nach der Adoleszenz bizarr, unregel- mäßig und mit Farbwandel vermeh- ren und ausdehnen. Träger dieses Syndroms entwickeln zwischem dem 20. und 40. Lebensjahr solitäre oder multiple Melanome, also früher als die übrige Bevölkerung. Hochge- rechnet hat sich bei jedem Träger des Syndroms bis zum 70. Lebens- jahr mindestens ein Melanom ent- wickelt (13). Die Aktivität und die Zahl der dysplastischen Naevi sind an Hautstellen mit Sonnenexposition deutlich höher als an bedeckten Stel- len (3, 22).

Melanome beim DNS machen mindestens 20 Prozent der NM und SSM aus. Die Vielzahl der dysplasti- schen Naevi mit Progredienz im Er- wachsenenalter, die erhöhte Mela- nominzidenz und das frühe Mani- festationsalter charakterisieren das Syndrom der dysplastischen Naevi.

Träger des Syndroms können auf zytogenetischer Ebene durch eine UV-induzierbare Hypermutabilität (UVB und UVC, nicht aber UVA) charakterisiert werden (9, 10). Auch beim Syndrom der dysplastischen Naevi führt mit großer Wahrschein- lichkeit die überstarke UV-Expositi- on in der Jugend zur frühen Manife- station und zu einer richtungweisen- den Verstärkung des Risikos.

Während der dargestellte Zu- sammenhang der überstarken UV- Exposition in der Jugend mit dem Auftreten von Melanomen vom Typ der NM und SSM an epidemiologi- schen und Migrationsstudien deut- lich zu machen ist, ist er weniger deutlich darzustellen an Fallkon- trollstudien retrograder Art (23-25).

Dieser Unterschied kann nur teilwei- se durch die unzulängliche Erinne- rung an das bisherige Sonnenverhal- ten und an die Sonnenbrände in der Jugend erklärt werden (4).

Jeder Mensch trägt mehr oder weniger deutliche Pigmentnaevi, die sich im Laufe der Jugend und der Adoleszenz zur endgültigen Größe und Zahl entwickeln. Es besteht eine große interindividuelle Variabilität.

Pigmentnaevi sind in der Regel harmlos und bleiben dies auch. Den- noch besteht ein gesicherter Zusam- menhang zwischen der Zahl der Pig- mentnaevi einer Person und deren individuellem Melanomrisiko. Dabei können die Melanome aus Naevi („Melanoma ex naevo") entstehen, sie können sich in einem „dyspla- stischen" Naevus (Kennzeichen:

Wachstum und Veränderung des Pigmentgehaltes) entwickeln (Tabel-

I

Pigmentnaevi als

Indikatoren für Melanome

A1 -1010 (48) Dt. Ärztebl. 89, Heft 12, 20. März 1992

(5)

le 4), oder sie treten gar zwischen den Naevi in normal pigmentierter Haut auf.

Pigmentnaevi in ruhender oder in aktiver Form können also sowohl Indikatoren als auch Vorläuferläsio- nen für Melanome vom Typ der SSM und NM darstellen. Menschen mit zahlreichen Pigmentnaevi tragen ein höheres Melanomrisiko als solche mit wenigen. Sie sind regelmäßig zu kontrollieren, wobei melanomver- dächtige Läsionen in und zwischen den Naevi gezielt gesucht werden müssen und im Gesunden zu exzidie- ren sind. Aber auch „dysplastische Naevi" (Tabelle 4) sind zu identifizie- ren und als Präventivmaßnahme vor- sorglich durch eine Exzisionsbiopsie zu entfernen.

Tabelle 5: Relatives Melanom- risiko bei kongenitalen Pig- mentnaevi (CN) in Abhängig- keit von deren Größe bei der Geburt (1 entspricht dem nor- malen Basisrisiko)

CN unter 1,5 cm 0 1 CN 1,5 - 10 cm 0 300 CN über 10 cm 0 1000

Eine besondere Stellung neh- men die kongenitalen Naevi (CN) ein, die schon bei der Geburt vor- handen sind und in der Regel mit den Kindern mitwachsen. Sie zeigen je nach Größe bei der Geburt ein ab- gestuftes Melanomrisiko (Tabelle 5), weshalb sie zu kontrollieren und rechtzeitig zu entfernen sind.

Die kongenitalen Naevi, deren Durchmesser größer als 1,5 Zenti- meter ist, bilden ein erhöhtes Mela- nomrisiko, das ab dem achtzehnten Lebensjahr eintritt. Aus sechs Pro- zent dieser kongenitalen Naevi ent- wickelt sich im Laufe des Erwachse- nenalters ein Melanom (7). Es ist deshalb dringend geboten, die kon- genitalen Naevi, die größer als 1,5 Zentimeter sind, vor dem achtzehn- ten Lebensjahr zu exzidieren. Es ist zulässig, diese Naevi regelmäßig zu kontrollieren, bis die Kinder in ein Alter kommen, in welchem die voll- ständige Exzision einzeitig (oder

zweizeitig) in Lokalanästhesie vorge- nommen werden kann.

Die großen kongenitalen Naevi, deren Durchmesser bei der Geburt über 10 Zentimeter beträgt (auch Tierfellnaevi oder Badehosennaevi, wie sie bei der neurokutanen Mela- nose auftreten), tragen ein Mela- nomrisiko von 10 bis 20 Prozent, wo- von sich ein großer Teil in den ersten zehn Lebensjahren manifestiert.

Große kongenitale Naevi sind also frühzeitig zu entfernen oder unter engmaschiger Kontrolle zu halten, mit Teilexzisionen der auffälligen Bereiche. Dazu eignet sich die Schleifung in den ersten Lebenswo- chen, die Serienexzision in Narkose bei den Kindern oder wenigstens die engmaschige Kontrolle und die re- gelmäßige Exzision von farbverdich- teten oder knotigen Elementen.

Das individuelle Melanomrisiko ist abhängig von der rassischen Pig- mentierung der Haut und kann ei- nerseits durch Art und Anzahl der Pigmentnaevi charakterisiert werden und wird andererseits durch die übermäßige UV-Bestrahlung mit zwei grundsätzlich unterschiedlichen Mustern verstärkt. Während die Kenntnisse, die exakte Beobachtung, die Wertung und die Entfernung von Pigmentnaevi als Maßnahmen der Früherkennung von großer Bedeu- tung sind, entspricht die Aufklärung über das angepaßte und vernünftige Sonnenverhalten den elemantaren Grundsätzen der Präventivmedizin.

Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1 -1003-1012 [Heft 12]

Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordern über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Ernst G. Jung Hautklinik am Klinikum der Stadt Mannheim Postfach 10 00 23 W-6800 Mannheim 1

FÜR SIE REFERIERT

Magnesium i. v. bei Myokardinfarkt

Zur Untersuchung des Einflus- ses von intravenös appliziertem Ma- gnesium auf die Letalität bei Ver- dacht auf akuten Myokardinfarkt führten die Autoren eine Metaanaly- se aller randomisierten Studien durch, bei denen die Patienten ent- weder Magnesium i. v. oder eine

sonst gleiche Behandlung ohne Ein- satz von Magnesium erhalten hatten.

In den sieben Studien wurden 1301 Patienten der kardiologischen Abteilungen verschiedener Kranken- häuser berücksichtigt. Es traten 25 (3,8 Prozent) Todesfälle bei 657 Pa- tienten mit Magnesium-Therapie und 53 (8,2 Prozent) Todesfälle bei den 644 Patienten ohne Magnesium- Behandlung auf, im allgemeinen noch im Krankenhaus. Dies bedeutet eine Reduzierung der Wahrschein- lichkeit eines Todesfalles um 55 Pro- zent.

70 von 648 Patienten mit und 109 von 641 Patienten ohne Magne- sium-Therapie entwickelten schwere ventrikuläre Arrhytmien. Magnesi- um reduziert offenbar ihre Inzidenz, wenn auch die Definition unter den verschiedenen Studien variierte. An- dere Nebenwirkungen waren bei der begrenzten Anzahl von Patienten, von denen Daten zur Verfügung standen, selten.

Auch mit der geringen Patien- tenzahl zeigt diese Analyse jedoch - so die Autoren -, daß eine Magnesi- um-Therapie die Letalität des aku- ten Myokardinfarktes reduzieren kann. Weitere großangelegte Versu- che zur Bestätigung oder Widerle- gung dieser Ergebnisse seien wün- schenswert. ing

Teo, K. K. et al.: Effects of intravenous magnesium in suspected acute myocardial infarction: overview of randomised trials.

Brit. Med. Journ. 303 (1991) 1499-1503 Dr. Salim Yusuf, Clinical Trials Branch, Division of Epidemiology and Clinical Ap- plications, National Heart, Lung, and Blood Institute, Bethesda, MD, USA.

A1-1012 (50) Dt. Ärztebl. 89, Heft 12, 20. März 1992

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