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Archiv "Klinische Sektionen: Umfrage zeigt allgemeine Zustimmung" (17.12.2010)

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A 2492 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 50

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17. Dezember 2010

D

ie klinische Sektion könne, so ihre Befürworter, wesent- lich dazu beitragen, die Qualität der Gesundheitsversorgung für künfti- ge Patienten aufrechtzuerhalten oder zu verbessern. Doch obwohl der klinischen Sektion in medizini- schen Fachpublikationen regelmä- ßig ein hoher Wert zugemessen wird, sinken seit Jahren sowohl in Deutschland als auch international die Sektionsquoten kontinuierlich.

In den USA fiel die Sektionsquote von circa 50 bis 60 Prozent in den 1950er Jahren auf circa zehn Pro- zent um die Jahrtausendwende (1).

In den ersten Jahren des 21. Jahr- hunderts sank die Quote weiter auf unter fünf Prozent (2). In Groß-

britannien fiel die Quote klinischer Sektionen von neun Prozent im Jahr 1966 auf circa zwei Prozent im Jahr 1991 (3, 4). Ähnliche Entwicklun- gen sind beispielsweise in Kanada (5) und auch in China (6) zu beob- achten. In Deutschland wurden im Jahr 2004 nur noch circa 37 100 klinische Sektionen durchgeführt, was bei 818 271 in diesem Jahr Ver- storbenen einer Quote von 4,5 Pro- zent entspricht (7).

Diese aus Sicht vieler Ärzte un - zureichende Sektionstätigkeit habe vielfältige medizinische und gesund- heitspolitische Folgen. Klinische Diagnosen auf Totenscheinen wer- den selten überprüft, obwohl die nachgewiesenen häufigen Fehldia -

gnosen auf Totenscheinen zu einer nachhaltigen Verfälschung der Todes- ursachenstatistik führen. Mediziner weisen außerdem darauf hin, dass sowohl der medizinische Fortschritt als auch die Aus- und Weiterbildung unter der rückläufigen Sektionsquote leiden (8). Insgesamt wirke sich eine solch niedrige Sektionsquote negativ auf die Qualitätssicherung der ärzt - lichen Behandlung (9, 10) und die Rechtssicherheit aus (11).

In medizinischen Fachpublika- tionen wird häufig von einer negati- ven Einstellung der Bevölkerung zur klinischen Sektion ausgegan- gen. Um dies zu überprüfen, wurde am Institut für Soziologie der Tech- nischen Universität Berlin eine repräsentative Bevölkerungsbefra- gung konzipiert und im Februar 2010 telefonisch durch das Mei- nungsforschungsinstitut „Forsa“

durchgeführt. Es wurden deutsch- landweit 1 003 Bundesbürger im Alter ab 18 Jahren unter anderem zu folgenden Aspekten befragt: zu ihrer prinzipiellen Einstellung zur klinischen Sektion, zu ihrer Einstel- lung zur Sektion eines gestorbenen Angehörigen und zur Sektion ihres eigenen dereinst toten Körpers so- wie zu ihrer tatsächlichen Entschei- dung in der konkreten Situation, wenn es diese schon einmal gab.

Keine klaren und einheitlichen Strukturen

Es konnte festgestellt werden, dass sich die große Mehrheit der Bun- desbürger für klinische Sektionen ausspricht. 84 Prozent der Be frag - ten waren prinzipiell dafür, dass klinische Sektionen durchgeführt werden. Lediglich zehn Prozent der Befragten lehnten dies ab. In Nord-, Süd- und Ostdeutschland lag die Zustimmung zur Sektion dabei et- was unter dem Durchschnitt (80 bis 82 Prozent), in Westdeutschland et- was darüber (90 Prozent). Jüngere Personen und Männer stimmten der Sektion etwas häufiger zu als ältere Befragte und Frauen. Befragte mit einem Hauptschulabschluss und Protestanten lehnten die Sektion eher ab als Befragte mit einem höheren Bildungsabschluss sowie Katholiken und Befragte ohne Kon- fessionszugehörigkeit.

KLINISCHE SEKTIONEN

Umfrage zeigt allgemeine Zustimmung

Obwohl sich eine große Mehrheit der Bundesbürger für Obduktionen ausspricht, sinken die Sektionsquoten

seit Jahren kontinuierlich.

Antje Kahl

Foto: mauritius images

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Deutsches Ärzteblatt

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17. Dezember 2010 A 2493 Der Großteil der Befragten zeig-

te sich bereit, sowohl den eigenen toten Körper (72 Prozent) als auch den Körper eines gestorbenen An- gehörigen (im Durchschnitt 65 Pro- zent) zur klinischen Sektion frei - zugeben. 45 Prozent der Befragten waren nach eigenen Angaben noch nie in der Situation, in der sie über eine Sektion entscheiden mussten, da noch kein Angehöriger von ih- nen im Krankenhaus gestorben war.

Fast ebenso viele (40 Prozent) hat- ten zwar bereits einen Angehörigen im Krankenhaus verloren, wurden jedoch vom Arzt nicht nach einer Sektion gefragt. Lediglich fünf Pro- zent gaben an, dass schon einmal ein Angehöriger im Krankenhaus gestorben sei, sie vom Arzt nach einer Sektion gefragt wurden und dieser auch zugestimmt

haben. Vier Prozent wur - den nach dem Tod eines Angehörigen im Kran- kenhaus von einem Arzt nach einer Sektion ge-

fragt und haben dies abgelehnt.

Dass die Befragten sich bei Todes- fällen nahestehender Personen selbst für eine Sektion ausgesprochen hät- ten, während der Arzt ihnen davon abriet, hat weniger als ein Prozent der Befragten erlebt.

Die Ergebnisse lassen folgende Schlüsse zu:

1. Dass die Einstellung der An- gehörigen als Begründung für die niedrige Sektionsquote gelten kann, ist zu verneinen.

2. Wenn das Verhältnis von Zu- stimmung und Ablehnung in der Praxis ähnlich dem ist, wie es sich in der Befragung abzeichnet, be- deutet dies, dass eine ungefähr 50-prozentige Sektionsquote mög- lich wäre, wenn die Sektionsanfra- ge zur Standardprozedur im Zuge eines Todesfalls in einem Kranken- haus gehören würde.

3. Die sinkende Sektionsquote ist ein strukturelles Problem. Auf eine für die Sektionsquote eher unter- geordnete Rolle der Angehörigen als Entscheidungsträger weisen auch Studien hin, in denen eine hö- here Sektionsquote explizit ange- strebt wurde. Diese zeigen, dass Sektionsquoten erhöht werden kön- nen, wenn dieses Ziel konsequent

verfolgt wird – und zwar aus- schließlich durch medizinische Ak- teure und über die Einflussnahme auf Faktoren innerhalb des Medi- zinsystems (12, 13).

Wenn man sich die klinische Sek- tion auf institutioneller Ebene ge- nauer anschaut, lässt sich feststellen, dass es für diesen Vorgang (von der Aufnahme des Patienten im Kran- kenhaus bis zur Abrechnung der Sektion) keine klaren und einheitli- chen Strukturen, keine umfassende Formalisierung und Standardisie- rung gibt. Die Frage nach der Frei- gabe des Körpers zur Obduktion ist in den Abläufen, die nach dem Tod eines Patienten einsetzen, nur unzu- reichend verankert und der gesamte Vorgang nur schwach institutionali- siert (14). Das zeigt sich unter ande-

rem in unterschiedlichen Praxen der Zustimmungserfragung, der unzu- reichenden Dokumentation, der un- spezifischen (und möglicherweise auch unzureichenden) Budgetierung oder auch in der Tatsache, dass es zumeist allein dem behandelnden Arzt überlassen bleibt zu entschei- den, ob eine Obduktion angefragt wird oder nicht.

Wandel des Aufgabenfelds der Pathologie

Gerade im Hinblick auf das Interes- se der Kliniker zeigt sich, dass dies vor allem der Aufklärung des un- verstandenen, individuellen Sterbe- falls dient – selten jedoch gesund- heitspolitischen oder medizinfort- schrittlichen Erwägungen folgt oder der Qualitätskontrolle im Ge- sundheitswesen dient.

Jenseits der Prozeduren der Zu- stimmungserfragung lässt sich au- ßerdem feststellen, dass auch nicht jeder Pathologe ein ausgeprägtes Interesse an Obduktionen hat, was sicherlich vor allem mit dem Wandel des Aufgabenfelds der Pathologie zu tun hat: Die Schwerpunktverschie- bung weg von der Obduktion hin zur Diagnostik am Operationspräparat oder am Biopsat führt dazu, dass

heutzutage der Großteil der Arbeits- zeit eines Pathologen für Tätigkeiten aufzubringen ist, die nichts mit der Obduktion zu tun haben.

Keine flächendeckende gesetzliche Regelung

Auch die Rahmenbedingungen im Umfeld des Krankenhauses sind nicht optimal. Die klinische Sektion unterliegt noch immer keiner flä- chendeckenden gesetzlichen Rege- lung. Diese unsichere Rechtslage dürfte auf politisches Desinteresse zurückzuführen sein – offenbar wird kein Regelungsbedarf für diesen Bereich gesehen. Darüber hinaus ist die klinische Sektion wi- der Erwarten kein etablierter Quali- tätssicherungsmechanimus des Ge- sundheitswesens. Trotz der Argu- mentation derjenigen, die die rückläufige Sektionsquote bekla- gen, die Obduktion sei der zuverlässigs- te Qualitätssicherungs- mechanismus innerhalb des Medi- zinsystems, wurden diesbezüglich bis 2009 (Zeitpunkt der Nachfrage) von der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung im Gesundheits- wesen keine Daten erhoben. Und auch von den Klinikern und von Juristen wird die Obduktion eben nicht als Qualitätssicherungsme- chanismus angesehen, der ja als solcher nicht der Zustimmung durch Angehörige – die darüber hinaus noch durch den behandeln- den Arzt eingeholt wird – unterliegen dürfte. Es lässt sich also feststellen, dass die klinische Sektion durch- aus mit Legitimitätsproblemen zu kämpfen hat, allerdings nicht in ers- ter Linie in der breiten Öffentlich- keit, sondern medizinintern und dies sowohl hinsichtlich ihrer Funk- tion als auch ihres Stellenwerts.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2010; 107(50): A 2492–3

Anschrift der Verfasserin Antje Kahl

Institut für Soziologie, FG Allgemeine Soziologie Fakultät VI, Technische Universität Berlin Franklinstraße 28/29, 10587 Berlin E-Mail: antje.kahl@tu-berlin.de

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit5010

Die unzureichende Sektionstätigkeit hat vielfältige medizinische und

gesundheitspolitische Folgen.

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KLINISCHE SEKTIONEN

Umfrage zeigt allgemeine Zustimmung

Obwohl sich eine große Mehrheit der Bundesbürger für Obduktionen ausspricht, sinken die Sektionsquoten seit Jahren kontinuierlich.

Antje Kahl

LITERATUR

1. Rosenbaum G, Burns J, Johnson J, Mit- chell C, Robinson M, Truog R: Autopsy consent practice at US teaching hospitals.

Results of a national survey. Arch Intern Med 2000, 160: 374–380.

2. Burton E, Phillips R, Covinsky K et al.: The relation of autopsy rate to physician’s be- liefs and recommendations regarding au- topsy. American Journal of Medicine 2004, 117: 255–261.

3. Start RD, McCulloch TA, Benbow EW, Lau- der I, Underwood JCE: Clinical necropsy rates during the 1980s: the continued de- cline. Journal of pathology 1993, 171:

63–66.

4. Start RD, Firth JA, Macgillivray F, Cross SS: Have declining necropsy rates redu- ced the contribution of necropsy to medi- cal research? Journal of Clinical Pathology 1995, 48: 402–404.

5. Wood MJ, Guha AK: Declining clinical au- topsy rates versus increasing medicolegal autopsy rates in Halifax, Nova Scotia: why the difference? A historical perspective.

Archives of Pathology & Laboratory Medi- cine 2001, 125 (7): 924–930.

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9. Wittekind C, Gradistanac T: Das älteste Werkzeug der Qualitätssicherung – die Obduktion – stirbt aus? Zeitschrift für ärztliche Fortbildung und Qualität im Ge- sundheitswesen 2004, 98: 715–720.

10. Schned AR, Mogielnicki RP, Stauffer ME: A comprehensive quality assessment pro- gram on the autopsy service. American Journal of Clinical Pathology 1986, 86:

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11. Becker V, Pollak S: Obduktion. In: Korff W, Beck L, Mikat P, Honnefelder L (eds.): Le- xikon der Bioethik Bd. 2. Gütersloh: Gü- tersloher Verlagshaus 1998; 789–792.

12. Lugli A, Anabitare M, Beer JH: Effect of simple interventions on necropsy rate when active informed consent is required.

Lancet 1999, 354: 1391.

13. Souza VL, Rosner F: Increasing autopsy rates at a public hospital. Journal of gene- ral internal medicine 1997, 12 (5):

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14. Kahl A: Das Trajekt der Obduktion. In:

Knoblauch H, Esser A, Groß D, Tag B, Kahl A (eds.): Der Tod, der tote Körper und die klinische Sektion. Berlin: Duncker & Hum- blot 2010 (im Druck); 89–108.

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Referenzen

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