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Archiv "Künstler — die wichtigsten Leute der Welt: Betrachtungen zum Menschenbildnis Gerhard Richters" (07.04.1977)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

FEUILLETON

Auf der Biennale 1972 in Venedig zeigte der damals vierzigjährige Ma- ler Gerhard Richter im Hauptsaal des für ihn allein reservierten deut- schen Pavillons 48 Porträts bedeut- samer Dichter, Musiker, Philoso- phen und Naturwissenschaftler.

Richter hat die vier Dutzend be- rühmter Männer, die noch im 19.

Jahrhundert geboren und von des- sen Geist beeinflußt wurden, sämt- lich in derselben grauen, leicht un- scharfen Malweise und im gleichen

Format (70 x 55 Zentimeter) mit großer Sorgfalt nach Fotos aus Kon- versationslexika gemalt. Der daraus resultierende Gleichheitseffekt der gesamten Porträts wurde noch da- durch verstärkt, daß man die Bilder in gleicher Höhe an den weißen Wänden aufreihte (Abbildung 1). Der Eindruck, der durch eine solche mo- notone Zurschaustellung großer Köpfe entstand, mußte auf den von herkömmlichen Denk- und Sehge- wohnheiten geleiteten Betrachter,

der zum ersten Mal mit der Malerei Gerhard Richters konfrontiert wurde, desillusionierend wirken.

Als Gerhard Richter seine schablo- nenhafte, graue Porträtreihe für die venezianische Biennale malte, lagen schon über zehn Jahre einer eigen- willigen künstlerischen Entwicklung mit wichtigen internationalen Aus- stellungsbeteiligungen hinter ihm.

Schon damals konnte man diesen Düsseldorfer Künstler anhand sei- nes malerischen Werkes, das zur Biennale in einem sorgfältig redi- gierten Oeuvre-Katalog präsentiert wurde (1), nur schwer in eine der Hauptströmungen der bildenden Kunst der sechziger und siebziger Jahre einordnen. Da die realisti- schen Gemälde Gerhard Richters fast immer nach Vorlagen von Fotos gemalt worden sind, hat man ihn häufig dem sogenannten Fotorealis- mus zugeordnet. Doch die Werk-

(1) Gerhard Richter: Ausstellungskatalog 36, Biennale Venedig, Dtsch. Pavillon, Essen, 1972

Künstler —

die wichtigsten Leute der Welt

Betrachtungen zum Menschenbildnis Gerhard Richters

Axel Hinrich Murken und Christa Murken-Altrogge

Abbildung 1: Achtundvierzig Porträts, 1971/72, je 70 x 55 cm; Werkverzeichnis 324/1-48; Sammlung Ludwig — Neue Galerie der Stadt Aachen; Blick in die Gerhard-Richter-Ausstellung im Luzerner Kunstmuseum 1973; aus: Gerhard Richter, Bilder aus den Jahren 1962-1974, Ausstellungskatalog, Bremen, 1975, S. 43

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft

14

vom 7. April 1977

967

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Abbildung 2: Porträt Dr. Knobloch, 1964, 100x 90 cm; Werkverzeichnis 41; Privatbe- sitz, Krefeld

Spektrum der Woche Aufsätze Notizen

Künstler — die wichtigsten Leute der Welt

gruppen seiner informellen, abstrak- ten und konstruktivistischen Bilder und die Weiterentwicklung seiner Malerei in den letzten Jahren lassen eine einfache Schematisierung kaum noch zu. Gerade die jüngste Retrospektive seines künstlerischen Werkes in der Bremer Kunsthalle (1975) ließ eine so ungewöhnliche malerische Stilvielfalt erkennen, wie man sie bisher etwa in dem künstle- rischen Lebenswerk Picassos zu se- hen gewohnt war.

Zu Recht schrieb die Hamburger Kunsthistorikerin Petra Kipphoff:

„Richter kann alles, und wer durch seine Ausstellung geht und das nicht weiß, wird hinterher behaup- ten, er habe eine Gemeinschaftsaus- stellung von ungefähr fünf verschie- denen Künstlern gesehen" (2).

Menschen, Landschaften, Flugzeuge

Gleichzeitig erschwert auch die the- matische Vielfalt seines malerischen und graphischen Oeuvres, in dem sich das alltägliche Leben unserer Umwelt zu spiegeln scheint, eine Eingruppierung in bestimmte kunst- historische Kategorien. Die Themen- bereiche seiner Malerei umfassen Menschenbildnisse ebenso wie Bil- der von Tieren, Landschaften, Wol- ken, Stadtpanoramen, Gebäuden, Einrichtungsgegenständen, Flug- zeugen und Autos. Man könnte bei den einzelnen Sujets eine gewisse chronologische Abfolge in der Ge- samtentwicklung feststellen, doch immer wieder überschneiden sich einzelne Bereiche und wird ein Thema nach einiger Zeit unter ande- ren malerischen Aspekten neu be-

handelt. Die Landschaftsbilder Rich- ters aus den Jahren 1968 bis 1971 wurden inzwischen in ihrer stilisti- schen Eigenart ausführlich unter- sucht (3).

Doch mehr noch als die Land- schaftsdarstellung scheint das Men- schenbildnis, das sich bis heute durch das gesamte Werk zieht, die- sen vielseitig begabten Maler zu be- schäftigen. Man könnte die Richter- schen Menschenbilder in verschie- dene Gruppen unterteilen: in anony- me Einzelporträts (Sekretärin, Flie- ger, Turnerin), in meist namenlose Familienbildnisse (Familie, Familie am Meer, Mutter und Tochter), in Bilder von zeitweilig Prominenten der Boulevardpresse (Terese An- deszka, Helga Matura, Jacqueline Kennedy), in Gruppenbilder (Neger, Schwimmerinnen, Matrosen, Kran- kenschwestern) und in Porträts von Künstlern, Sammlern und Galeristen aus dem Umkreis des Malers. Ver- einzelt lassen sich auch Bildnisse von historisch relevanten Figuren nachweisen (Philipp, Wilhelm, Hitler, Mao, Königin Elizabeth). Als eine be- stimmbare Berufsgruppe finden sich unter den Einzel- und Gruppenbil- dern auch einige Darstellungen von Ärzten und Krankenschwestern, die in diesem Beitrag besonders be- rücksichtigt werden.

Bühnenmaler und Meisterschüler Die thematische und stilistische Ei- genständigkeit der Malerei Gerhard Richters kann man vielleicht zu ei- nem wesentlichen Teil aus seinem bisherigen Lebensweg und dem Be- such von traditionsreichen Kunst- akademien in beiden Teilen Deutschlands erklären. Gerhard Richter, 1932 in Dresden geboren, hatte Mitte der sechziger Jahre, als er mit den ersten größeren Ausstel- lungen seiner Bilder hervortrat, eine lange künstlerische Ausbildung durchlaufen:

(2) Petra ,Kipphoff: Kissenkunst, zerrissene Realität, Ausstellungen: Graubner in Hamburg, Richter in Bremen; Die Zeit, Nr. 52, 19. 12.

1975, S. 36

(3) Rolf Wedewer: Zum Landschaftstypus Ger- hard Richters, Pantheon 33 (1975), S. 41-49

968 Heft 14 vom 7. April 1977

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Abbildung 3: Porträt Prof. Zander, 1965, 150 x 140 cm; Werkverzeichnis 81; Privatbe- sitz, München

Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen

Künstler

Von 1949 bis 1950 war er Bühnen- maler am Stadttheater in Zittau, an- schließend Maler in Zittauer Betrie- ben, um dann ab 1952 das Studium an der Kunstakademie in Dresden aufzunehmen, wo er von 1957 bis 1960 Meisterschüler gewesen ist. Im Jahre 1957 heiratete er in Dresden die Tochter des ehemaligen Ärztli- chen Direktors der Dresdner Frau- enklinik.

An der Düsseldorfer Kunstakademie setzte er 1961 sein Kunststudium fort und beendete es — wiederum als Meisterschüler — im Jahre 1964. In dieser Zeit entstehen dann die er- sten Menschenbildnisse seines seit 1962 fortlaufend durchnumerierten malerischen Werkes. Nach zeitwei- ser Tätigkeit als Dozent an der Ham- burger Hochschule für bildende Künste (1967) und als Kunsterzieher an einem Düsseldorfer Gymnasium (1968 bis 1969) wurde er im Jahre 1971 als Professor an die Staatliche Kunstakademie Düsseldorf berufen.

Schon bei den Menschenbildnissen der frühen sechziger Jahre greift Richter in den grauen Farbtönen, der leicht verwischten Malweise und der Reihung das gleiche stilistische Verfahren auf, das bereits für die anfangs erwähnten Bilder der Bien- nale in meisterhafter Weise ange- wandt wurde. Häufig bildete er Fo- tos aus fremder Hand oder aus Zei- tungen und Zeitschriften unmittel- bar auf der Leinwand ab.

Grautöne, Kargheit und unscharfe Konturen

Eines der ersten Porträts, die im Richterschen Oeuvre-Verzeichnis aufgeführt sind, das Porträt der Fachärztin für Gynäkologie und Ge- burtshilfe Dr. med. Gisela Knobloch (geboren 1913), Krefeld, gibt in vier- facher Form das Bildnis einer Frau mittleren Alters wieder (Abbildung 2). Dieses Arztbildnis — ein Auftrags- porträt — sowie eine weitere Varian- te, die von Richter vernichtet wurde, entstanden auf seinen Wunsch hin nach Fotos aus einem Automaten für Paßbilder. Der Maler kombinierte in diesem Bild vier verschiedene An-

sichten eines Gesichtes, wie es ein- zeln gesehen in seiner Mimik, Hal- tung und Stilisierung den klassi- schen Bildvorstellungen entgegen- kommt. Die Fotovorlagen wurden alle auf etwa 50 x 45 Zentimeter vergrößert. Dadurch entstand eine Unschärfe, wie sie auch bei einer regulären Vergrößerung entstanden wäre.

Die graue Monotonie, die unschar- fen Konturen und die karge Darstel- lungsweise, welche sich vom foto- grafischen Vorbild kaum abzuheben scheint, wirken auf den ersten Blick distanziert, substanzlos und uninter- essant. Aber zugleich irritiert die Feststellung, daß ein Porträt nach einem beliebigen Automatenfoto ohne irgendwelche Abhebung vom Alltäglichen auf sorgfältige, aufwen- dige Art gemalt wurde. Die vierfache Wiedergabe dieses Gesichtes erin- nert an einige Bildnisse von Andy Warhol, etwa an die von Jacqueline Kennedy.

Doch Richter wiederholt nicht ste- reotyp eine bestimmte Haltung, Ge-

stik oder Mimik, er hat vielmehr leicht unterschiedliche Gesichtszü- ge ausgewählt. Dieses Vorgehen be- wirkt, daß das Porträt bei näherer Betrachtung eine spürbare psycho- analytische Komponente erhält, die mit der synoptischen Wiedergabe ei- nes Menschen bei Picassos Bildnis- sen der vierziger und fünfziger Jahre verglichen werden könnte.

Richter hat die Möglichkeit einer si- multanen Darstellungsweise ein Jahrzehnt später, 1975, bei den Bild- nissen der englischen Künstler Gil- bert und George, für die er selbst die Fotovorlagen anfertigte — wie am Schluß dieses Beitrages noch ge- zeigt werden wird —, in anderer Form wiederaufgenommen. Doch auch in den noch zu besprechenden Rei- henporträts der „Acht Lernschwe- stern" (1966) sowie in den schon erwähnten 48 Porträts berühmter Köpfe untersucht der Maler mit ver- gleichbaren Stilmitteln das Erschei- nungsbild vom Menschen als Teil der Wirklichkeit.

• Wird fortgesetzt

970 Heft 14 vom 7. April 1977

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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