DIE BEDEUTUNG DER HANDSCHRIFT BAD' AL-HALQ
WA-QISAS AL-ANBIYÄ' DES ÄBÜ RIFÄ'A 'UMÄRA B. WÄTlMA
B. MÜSÄ B. AL-FURÄT AL-FÄRISl (GEST. 289 H./902)
FÜR DIE ERFORSCHUNG DES FRÜHISLAMS
Von R. G. Khouey, Heidelberg
Vom K. al-Bad' wa-qisas al-anbiyä' des 'Umära gibt es nur eine einzige
bekannte Kopie, die der Vatikanischen Bibliothek (Vat. Borg. 165). Von
Levi Deila Vida wurde sie in wenigen Zeilen beschrieben (Elenco, S. 264, Nr.
165). Eine knappe Untersuchung des Inhalts machte Nägel in seiner 1967
erschienenen Dissertation : „Die Qisas al-anbiyä'. Ein Beitrag zur arabischen Literaturgeschichte" (S. 157 ff).
Die Hs. ist aus dem Jahre 512 H./1118, das Original jedoch viel früheren
Datums, wie dies aus dem letzten Satz auf folio 153r hervorgeht, und wir
weiter unten sehen werden. Die 153 Folien sind zweiseitig voll beschrieben mit Ausnahme des letzten Blattes, dessen Rectoseite nur zur Hälfte beschrif¬
tet ist. Überkommen ist lediglich der zweite Teil der Hs. von al-Hidr ab,
Foho 4 ff. Sie befindet sich in gutem Zustand, trotz der Wasserflecken, die
einige Ränder beschädigt haben : Mit Ausnahme der drei letzten Folien ist
dadurch der Text nicht in Mitleidenschaft gezogen. Der verwendete Duktus
ist die bekannte magribinisch-spanische Schrift, die, obwohl die Seiten
gleichmäßig beschriftet sind und die Zeilen parallel laufen, weder schön noch
schlecht, sondern nur korrekt ist. Was dennoch die Entzifferung an manchen
Stellen erschwert, ist die Tatsache, daß hier die Tinte verwischt ist und der
Schreiber Silben, ja Wörter und ganze Sätze ausgelassen hat. Die Randbemer¬
kungen dienten dem Schreiber als Anhaltspunkte ; manchmal sind sie auch da¬
zu da, ihn auf den Inhalt des einen oder anderen Passus aufmerksam zu machen .
Der Autor dieses Buches ist Abü Rifä'a 'Umära b. Watima b. Müsä b.
AL-FüBÄT al-Fäbisi al-Fasawi. In Ägypten geboren, wann Avissen wir
nicht, starb er dort im Öumädä II. des Jahres 289 H./902. Er tradierte nach
Abü Sälih 'Abdallah b. Sälih al-Öuhani (gest. 122 o. 123 H./739), dem
Sekretär des berühmten Lait b. Sa'd (94 H./713 -175 H./791). Wichtiger für
die Überheferung aber war der Vater des Autors, Watima, zugleich sein
bester Lehrer. Nach ihm überlieferte 'Umäea sein ganzes Werk. Wissen wir
über den Sohn wenig, so sind wir über den Vater etwas besser unterrichtet,
wenngleich auch von ihm kein Geburtsdatum bekannt ist. Er stammte aus
der persischen Stadt Fasä, südöstlich von Siräz, die ihren Höhepunkt zur
Zeit des Istahbi (gest. 346 H./957) erlebte und besonders durch den Handel
mit Stickereien, hauptsächlich aus Seide (waSy) bekannt war. Auch Watima
war Händler in Stickereien, daher die Bezeichnung al-wasM'. Sein Beruf
scheint ihn zunächst nach Basra geführt zu haben, später nach Ägypten und
selbst nach Andalusien. Genauere Angaben darüber finden sich nicht; fest
steht jedoch, daß er sich in Ägypten niederließ, eine Familie gründete und
dort ira Öumädä II. 237 H./851 verstarb.
Doch befaßte sich dieser persische Traditionarier nicht nur rait dem
Handel von Stickereien. Seine Reisen nach Basra und anderswohin hatten
noch einen anderen Grund : nämlich die HaditüheTliefernng, für die er z. B. in
Andalusien bekannt war (Ibn al-Faeadi, II, 36). Zudem schreiben ihm alle
arabischen Biographen ein Buch über die Ridda zu, dessen Inhalt uns
Yäqüt, insbesondere aber Ibn Hallikän ziemlich ausführlich wiedergeben
(Ibn Hallikän, Wafayät, Hrsg. Ihsän 'Abbäs, VI, 12 ff. ; Yäqüt, IrSäd, VII,
226). Ibn Hagae al-'Asqaläni (gest. 852 H./1449) hat das Ms. noch in
Händen gehabt, da er es in seinem Isäba 110 Mal zitiert, wie das die Arbeit
Hoenbbbachs deutlich zeigt'. Das Werk gilt allgemein als gut und nützlich.
Watima, der als ragul maähür hingestellt wird, ist nicht nur der Autor dieses
Buches, wie das Ibn Hallikän angibt, da ihm nur diese Schrift Watimas
bekannt war. Wir besitzen einige Anhaltspunkte dafür, daß Watima auf dem
Gebiet der Geschichte eine viel breitere Tätigkeit ausgeübt hat.
1. Das ständige Vorhandensein seines Namens als Informant des Sohnes in
dieser unserer Hs.
2. Die Annahme wird unterstützt durch andere, wenngleich wenige Texte,
die sich zuraeist auf Ereignisse beziehen, die im ersten, verlorenen Teil
unserer Hs. zu finden sein sollten : es sind dies einige Stellen bei Ibn 'Abd
al-Hakam über Sära, Nebukadnezar und Jeremija u. a. {Futüh Misr, Ed.
Torrey, s. Register) ; daneben Stellen über Noah oder Abraham etc. in der
Hs. des Ibn HiäÄM al-Hagaei : „Qisas al-anbiyä' ", die Wahb Ibn Munab-
bih seines Ansehens wegen zugeschrieben wurde (108v, llOr, 127r, 127v,
127v, 153r). Alle diese Stellen erwähnen nur den Vater, nie den Sohn. Auf
llOr, 3 ist eindeutig die Rede von einem Mubtada' Watima, in dem der
Autor gelesen hat. Ein weiterer Hinweis auf 108v, 13.
3. Ein Zeugnis bekräftigt diese letzte Angabe. Bei Ibn Hagae al-'Asqaläni
(in seinem Lisän al-Mlzän, VT, 217) lesen wir, daß der andalusische
Philosoph und Mathematiker Maslama b. al-Qäsim oder nur Qäsim (gest.
353 H./963 oder 398 H./1007) neben dem K. ar-Ridda ein umfangreiches
Buch Watimas über die Vorgeschichte und die Prophetenlegenden gese¬
hen haben will.
Ohne Zweifel handelt es sich um das gleiche Werk, dessen eine Hälfte wir
in der Hs. vor uns haben, zumal da alle Angaben bezüglich der Informanten
' Watlnm's Kiiäb ar-Ridda aus Ibn Honor's l^äba. Wiesbaden 1951.
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miteinander übereinstimmen, aucli wenn hier und dort ein Glied in der
Überliefererkette fehlt. Dem Sohne wird in zahlreichen Bibliographien ein
Tärih, chronologisch abgefaßt, zugesprochen. Betrachtet man jedoch den
Isnäd in der Hs., so wird deutlich, daß man es hier mit der Arbeit des Vaters zu tun hat, die als umfangreich bezeichnet wurde, was allein schon der zweite
überkommene Teil vermuten läßt. Es kann sich bei dem hier zusammen¬
getragenen Material um keine Schöpfung ex nihilo des 'Umäea handeln ; es
muß notwendigerweise auf das des Vaters zurückgehen. Damit bleiben wir
im Rahmen der frühislamischen Tradition, die im Umkreis der Pamilie
entstand und sich weiterentwickelte. Dies war bereits der Fall bei den
Schriften Ibn Munabbihs, deren beste Vermittler seine eigenen Verwandten
waren. Nabia Abbott gibt in ihren Studies II Beispiele dafür, daß man den
ältesten Gelehrten einer Familie das ursprünghche Material zuzuerkennen hat.
Kann in einem solchen Fall die ursprünghche Lehre rein erhalten bleiben ?
Die Antwort lautet nein, denn es ist unvermeidlich, daß die einzelnen
Gelehrten, die nacheinander das Werk bearbeiteten, diesem ihren Stempel
aufzudrücken pflegten. In unserem Fall ist dies zu beweisen leicht, da wir ein
Dokument besitzen, das in irgendeiner Weise schon dem Vater als Vorlage
gedient hat ; es handelt sich hierbei um das erste Buch über dieses Thema im
Islam überhaupt: das ,,K. al-Mubtada' wa-qisas al-anbiyä' " des Ibn Münab-
BIH*. In der Bearbeitung der Legende des Königs David, die in Heidelberg als
Papjnrus liegt, wird deutlich, wie eklektisch diese Version ist. Sie verwendet
Wahbs Material an erster Stelle, erweitert es aber um einige zusätzliche
Kommentare, die bekannten Kommentatoren wie Qatäda, al-Hasan al-
Basbi oder Muqätil entlehnt sind.
Die Vorstellung, daß der Sohn Abü Rifä'a in der gleichen Weise mit seines
Vaters Werk verfuhr, ist nicht abwegig, denn wir besitzen eine, wenn auch
kurze Stelle, die einen Vergleich ermöglicht : es handelt sich um einen Passus,
der sich im „Futüh Misr" des obengenannten Ibn 'Abd al-Hakam befindet,
u. zw. über den Einzug Nebukadnezars in Ägypten und Jeremija (S. 31,3 ff.) :
die Unterschiede sind unwesenthch und die beiden Stellen laufen manchmal
ebenso parallel, wie die Legenden über David im Papyrus und bei al-Fäeisi.
Der Sohn ist wahrscheinlich aus Respekt seinem Vater gegenüber dessen Leh¬
re in den großen Linien treu geblieben. In einigen Stellen deuten jedoch ge¬
wisse ideologische und mystische Punkte auf eine spätere Bearbeitung hin.
Wenden wir uns jetzt den Quellen zu, aus denen der Vater geschöpft hat.
Daß seine Aufgabe die des Sammlers und nicht die des Schöpfers war, zeigt
sich, sobald man seine Isnäde einer Untersuchung unterzieht, insbesondere,
da die Gattung bereits im I. Jh. der H. durch Ibn Munabbih vertreten war.
2 S. R. G. Khouby, Wahb h. Munabbih. 1. Der Heidelberger Papyrus PSR
Heid Arab. 23. Leben und Werk des Dichters. 2. Faksimiletafeln. Wiesbaden
1972, S. 222ff.
Der Sohn, dessen Name als Autor nur am Anfang des Buches zitiert wird,
tradiert nach seinem Vater, den er mehr als 10 Mal erwähnt; ansonsten
gehen die Mitteilungen in verschiedenen Weisen auf namhafte Autoritäten
ziu-ück, die zu verstehen geben, daß er nicht immer in direktem Kontakt zu
seinen Gewährsleuten stand, vielmehr ihre Werke las und sich von einigen
Kopien besorgte, wie dies in Gelehrtenkreisen jener Zeit usus war. Es gibt
rund 450 Isnäde in unserem Buch. Trägt man denjenigen Rechnung, die
mehr als zwei oder drei Mal vorkommen, so kann der größte Teil in 16
Gruppen zusammengefaßt werden, die den Stoff der wesentlichen Teile des
Werkes enthalten. Unter ihnen ragen vier der Häufigkeit ihrer Wieder¬
holungen wegen hervor.
An erster Stelle stehen die Isnäde, die sich auf Ibn Munabbih beziehen,
darauf folgen solche, die auf Qatäda (gest. 118 H./735), al-Hasan al-Basbi
(gest. 110H./728) mittels Sa'id b. Abi 'Abüba in der Hauptsache (gest.
156 H./772) zurückführen. An dritter Stelle kommen Öuwaybib b. Sa'id al-
Balhi (gest. zwischen 140 und 150 H./757 und 767) und ein nicht identifi¬
zierbarer Gubavb, die nach äd-Dahhäk b. Muzähim (gest. 105 oder 106 H./
723), nach Ibn 'Abbäs tradieren. Und an vierter Stelle ist Ibn Sim'än zu
nennen, mehr frommer Qäss als Gelehrter im wahren Sinne des Wortes, der
sich in der Hauptsache auf Makhül (gest. 112 H./730) berief, einen Gelehr¬
ten, der in der Omaiyaden-Hauptstadt berühmt wurde.
In den verbleibenden 12 Gruppen von Isnäden erscheinen häufig namhafte
Autoritäten, wie z. B. Sufyän at-Taübi (gest. 161 H./778) oder Ibn Ishäq
(gest. 150 H./767). Auf deren Erwähnung muß hier wegen der Knappheit der
zur Verfügung stehenden Zeit verzichtet werden. Ob man diesen Isnäden
Glauben schenken will oder nicht, ändert nichts an der Tatsache des
Vorhandenseins des Materials. Trotz des Mißtrauens dem Isnäd gegenüber,
der keine ausreichende Garantie für Echtheit und Wert der überkommenen
Texte bieten kann, gibt nur er die Möglichkeit, einiges von der frühislami¬
schen Kultur zu retten. Die Analyse der verschiedenen Isnäde dieses Buches
läßt diese Frage richtiger verstehen und beantworten. Wir besitzen hier eine
Fülle von Informationen, die auf zahlreiche Autoritäten zurückführen. Der
Sammelis»«d, dessen sich der Autor immer wieder bedient, weist mit Nach¬
druck auf die große Zahl der Quellen hin, die ihm zur Verfügung standen.
Indem er auf Unterschiede in den Berichten aufmerksam macht und diese zu
resümieren versucht, um sein Werk nicht unnötig anzuschwellen, zeigt er
sich als ziemlich kritisch für die damalige Zeit.
Aus allen untersuchten Isnäden geht hervor, daß der gehaltvolle Stoff mit
dem Namen weniger Autoren verbunden ist. Alle führen auf solche zurück,
die als Muhadditün und Korankommentatoren bekannt waren, ohne daß dies
bei dem einen oder anderen eine Beschäftigung mit Folgedisziplinen aus¬
schloß. Ibn Munabbih war der einzige unter ihnen, der bereits zu seinen
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Lebzeiten zur Quelle aller Quellen hinsichtlich biblischer Fragen und insbe¬
sondere der Prophetenlegenden erhoben wurde : die Huldigung, die ihm seine
Zeitgenossen und die späteren Gelehrten entgegenbrachten, ist einhellig. Die
Mitteilungen und Erzählungen, die mit seinem Namen verbunden sind, sind
die häufigsten und an historischer Substanz reichsten.
Was ist natürlicher, als sich sein „K. cd-Mubtada' wa-qisas al-anbiyä' " als
1. Quelle des FäeisI vorzustellen ? Was die Aussagen der anderen Autoren
anbetrilTt, so ist zu sagen, daß diese, wenn sie nicht mehr den Charakter eines
Koraukommentars, sondern den einer biblischen Erzählung haben, nicht
immer von diesen Autoren bzw. Traditionariern stammen ; hier müssen sie in
Verbindung zu Gelehrten gebracht werden, die auf diesem Gebiet im Früli-
islam als Autoritäten angesehen wurden. Dies zeigt uns beständig at-
Tabaei, indem er solche Berichte auf Leute wie Ka'b al-Ahbäb, 'Abdallah
b. Saläm oder Wahb b. Munabbih zurückführt. Alle namhaften Gelehrten
diesbezüghch waren aber direkte oder indirekte Lehrer Ibn Munabbihs, so
daß ihr Wissen auf diesem Gebiet zum ersten Male in seinen Schriften oder
vielmehr im Laufe des 11. Jhs. der H. nach ihm niedergelegt wurde. Dies
wd dm-ch die Tatsache bezeugt, daß der Heidelberger Papyrus über die
Legende Davids keine originalgetreue Wiedergabe seines Werkes ist, sondern
eine eklektische Version, die an erster Stelle sein Buch zur Vorlage hatte.
Watima b. Müsä b. al-Fübät al-Fäeisi bekräftigt noch diesen Tatbestand,
da er seine Legende über den König David ziemlich parallel zu der des
Papyrus laufen läßt. Dieser letztere trägt das Datum 229 H. ; Watima starb
237 H; alles, was über ihn bekannt ist, schheßt aus, daß er sich erst in seinen
letzten Lebensjahren zum Schreiben eines so mnfangreichen Buches ent¬
schloß. Er mußte daher viel früher als 229 H. über eine Vorlage von Wahbs
Schritt verfügt haben.
Wie schon Wahbs „K. al-Mulük al-Mutaiuiuaga min Himyar wa-ahbärihim
wa-qisasihim wa-qubürihim wa-as'ärihim" die Substanz des ,,K.at-Tigän"
Ibn Hi§äms darstellt, trotz des Verschweigens von Wahbs Namen in einem
guten Teil des Buches, so ist sem „K. al-Mubtada' wa-qisas al-anbiyä'" im
„K. al-Bad' wa-qisas al-anbiyä'" der Fäbisi (Vater und Sohn) enthalten.
Und da, wo der Isnäd in undeutlicher Weise auf alte Quellen zurückführt, ist
man berechtigt, zunächst an Ibn Munabbih zu denken: so z. B. bei den
Zitaten, die sich auf Ibn Ishäq - der siebte Isjiäd in den 16 untersuchten
Gruppen - beziehen ; wir wissen, daß dieser in biblischen Fragen sehr enge
Beziehungen zu Wahb unterhielt, wie das die durch Ibn HiäÄM ausgelasse¬
nen Teile seiner Sira bezeugen, die glückhcherweise bei at-Tababi erhalten
sind. Und diese Auslassungen sind umfangreich. Daraus ist ersichtlich,
welche Bedeutung ein solches Werk hat, denn neben dem „K. at-Tigän" und
den „Ahbär" des 'Ubayd b. Saeya, die mit ihm zusammen gedruckt wurden,
stellt es das älteste Denkmal der erzählenden arabischen Prosa überhaupt
dar, da es das ganze Werk Ibn MuNABBras aufbewahrt hat. Darin liegt zuerst sein geschichtlicher Wert.
Keinen geringeren besitzt es aber auf dem Gebiet der Sprache, da diese
interessante Beobachtungen erlaubt. Daß solche Texte in der klassisch¬
arabischen Sprache einen vorzüghchen Platz einnehmen, zeigen in aller
Deutlichkeit einerseits der Heidelberger Papyrus, dessen eine Hälfte zu
einem großen Teil durch die Legende Davids des hier behandelten Buches
ergänzt werden konnte, zum anderen das Phänomen der Verflechtung der
klassischen Autoren untereinander, denn es finden sich an den verschieden¬
sten Stellen eine Pülle von Texten in erstaunlicher Treue wieder. Die
Autoren, die, wie Ibn Qutayba etwa, diese Texte in ihren Werken auf¬
bewahrt haben, haben meist die Namen ihrer wahren Schöpfer verschwiegen.
Dabei haben gerade sie oft zum unverdienten Ruhme beigetragen. Eine
solche Sprache ist also nicht von heute auf morgen mit diesen Klassikern
entstanden; sie wiude bereits im Laufe des II./VIII. Jhs. verwendet, u. zw.
von den frommen, philologisch geschulten Predigern und Qmsäs in Basra,
die die Urheber der koranischen Schulen und der FreitagsÄM/a6 waren (s.
Anawati-Gaedet, Mystique musulmane, 1968, S. 24). Basra erlebte eine
Blütezeit der Erzähl- und Redekunst. Es genügt wohl, den Namen eines
Hasan al-Basri zu erwähnen, dessen zahlreiche Schüler eine äußerst wich¬
tige Rolle dabei gespielt haben.
Diesem irakischen Milieu verdanken wir ohne Zweifel die sprachliche
Schönheit des Heidelberger Papyrus und somit des Textes von al-Färisi:
eine Sprache, die einfach, geschmeidig und musikalisch, in der Wiedergabe
des Gefühls und in ihren Bildern frisch. Ja naiv und damit ursprünghch
bleibt. Nun zu einigen Eigenheiten des Textes, die mir interessant erscheinen :
1. Von der Hamzaschreibung lasse ich die merkwürdigsten Formen, die auf
einewillkürhchcEntwicklunghinzudeutenscheinen, beiseite, und erwähne
die Aufrecliterhaltung des Hamza in Wörtern wie nubuwwa und nabiy
(.^^ i ijJ), die deutlich auf den Dialekt von Hi§äz hinweisen (s. BLACHiiRE,
Histoire, I, 72). Im Heidelberger Papjrrus ist das Hamza überhaupt nicht
eingezeichnet, sehen wir von einigen wenigen Fällen ab, wo es im Vers
des Metrums wegen steht.
2. Merkmale, die oft auf eine dialektische Herkunft zurückführen, wie z. B.
die Verwechselung einiger Buchstaben untereinander, vermitteln den
Eindruck, daß es sich um einen alten Text handelt, dessen Sprach- und
Schreibregeln noch schwankend waren.
3. Die merkwürdigste und daher vielleicht interessanteste Beobachtung ist
wohl die Längung kurzer Vokale in Verben, Adjektiven, Substantiven und
selbst Eigennamen, die sich zu häufig wiederholt, als daß man sie der
Willkür oder Unachtsamkeit zuschreiben könnte.
'UBAIDALLÄH B. ÖIBRlL B. BÄHTlSü"S THESE ZUR THERAPIE
SEELISCHER UND KÖRPERLICHER KRANKHEITEN
(MS LEIDEN 1332)
Von Felix Klein-Franke, Jerusalem
Im Jahre 429/1037 fand in Basra ein Streitgespräch über das Thema statt :
,Ist die Medizin eine hinlängliche, selbständige Kunst, und worin besteht die
vortreffliche Eigenschaft des Arztes?' Die Philosophen waren der Ansicht,
die Heilkunde an sich sei keine Wissenschaft, sondern eine Kunstfertigkeit,
welche erst durch die Philosophie ihre theoretische Sanktionierung erhalte.
Die Ausbildung des Arztes bestand daher zu einem großen Teile im Studium
der antiken Philosophie. Der Kairiner Arzt und Zeitgenosse des 'Ubaidalläh
b. Bahtisü', Ibn Ridwän, bezeichnete mit ,tabib' nur denjenigen Arzt, der
zugleich auch Philosoph war, im Gegensatz zum ,inutatabbib' , was man mit
, Heilpraktiker' übersetzen kann'. Gegen diese Bevormundung durch die
Philosophen begannen im XI. Jahrhundert einige Ärzte Basra's sich aufzu¬
lehnen. Anscheinend aber konnten sie in dem genannten Streitgespräch ihren
Einwänden nicht genügend Geltung verschaffen, so daß sich einer der
Teilnehmer an 'Ubaidalläh b. Bahtisü' wandte, der damals am 'Adud-
Hospital in Bagdad war, mit der Bitte, eine Schrift zu verfassen, in der ihre
These gegen die Philosophie theoretisch begründet würde, so daß sie sich
besser verteidigen könnten. Ibn Bahtisü' hat der Bitte willfahren und eine
Schrift verfaßt mit dem Titel: ,,Über die Notwendigkeit, daß der Arzt die
seelischen Vorgänge beachtet, und über die These, daß die Liebe eine
Krankheit ist" {,wugüb an-nazar 'alä -t-tabib fi -l-ahdät an-nafsäniyya wa-fi
kaun al-'iSq maradan'). Dieses Sendschreiben an die Ärzte von Basra enthält
geradezu das Programm für die Auseinandersetzung der Ärzte mit den
Philosophen und ist daher ein wichtiges Dokument für die Geschichte der
Wissenschaften im Islam und für die Geschichte der Medizin im besonderen.
Als griechische medizinische Werke den Arabern in Übersetzungen zu¬
gänglich wurden, hatten sie diesen aus eigenem nichts entgegenzusetzen,
sondern mußten sie einfach akzeptieren*. Dies trifft natürlich auch für
andere Disziplinen zu. Die Übernahme des antiken Geistesguts verhef in
ihren Anfängen rein rezeptiv. Zusammen mit den Scholien und Kommenta¬
ren wurden auch kritische Bemerkungen überliefert. Doch diese Funken
' J. Schacht and M. Meyekhof, The medico-philosophical controversy be¬
tween Ibn Butlan of Baghdad and Ibn Ridwan of Cairo, 1937, S. 77.
2 M. Ullmann, Die Medizin im Islam, 1970, S. 25.