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Noch einmal die Adhyäyatheilung des Rigveda.
Von H. Oldenbergr.
Herr Bergaigne hat die Kritik, welche ich in dieser Zeitschrift (XLI, 508 fgg.) gegen seine Aufstellungen über die Adhyäyatheilung
des Rigveda gerichtet habe, in einem Aufsatz des Journal
Asiatique (Nov. Dec. 1887, 488 fgg.) bekämpft. Da mich die
Erörterungen des vorzüglichen Vedaforschers auch jetzt nicht über¬
zeugen, halte ich es für geboten, auf meine Bedenkeu noch einmal
zurückzukommen : der Wunsch , die Reihe der Kritiken und Anti¬
kritiken nicht allzu lang werden zu lassen, muss hinter der Forderung
ziuücktreten , dass Jeder zur Erörterung des wichtigen Problems
beitrage, so viel er beitragen kann.
Ich unterlasse es, die bisherigen Discussionen vollständig zu
resumiren ; die Leser der Bergaigne'schen Aufsätze und des meinigen sind hinlänglich orientirt. So kann ich mich direet zu den einzelnen streitigen Punkten wenden.
Die Antwort auf die Frage, wieviel Pra9nas im Normalfall
einen Adhyäya bilden, resp. nach welcher Methode man die PäUe
behandelte, in welchen die genaue Norm nicht einzuhalten möglich
war, hatte ich versucht, aus den vorhegenden Zahlen der Pra9nas
selbst abzuleiten. Eine Bestätigung des auf diesem Wege zu
findenden Ergebnisses hatte ich darin erblickt, dass dasselbe mit
dem Zeugniss des Präticäkhya übereinkommt. Das Präticäkhya
giebt über die Pracnabildung Bestimmungen sehr detaillirter Natur,
welche abgesehen von einem sogleich zu besprechenden specieUen
Punkt unzweifelhaft — die Untersuchungen Bergaigne's haben uns
dies gelehrt — das Richtige treffen. So überzeugen wir uns hier
von dem Vorhandensein einer Tradition, welche von den An¬
ordnern der Adhyäyatheilung bis zum Verfasser des Präticäkhya
gereicht haben muss '): Gruud genug , wie mir scheint , auch bei
1) Diu Mögliclikoit, dass ohne solche Tradition Qaunaka oder seine Ge¬
währsmänner die betreffenden Regeln durch glückliche Combination gefunden haben sollten, wird mau, denke ich, nicht ernstlich geltend macheu wollen.
2 7.
Olclenberrf, Nuch emmal die Adhijäyatheilung des Rigveda. 363
dem mit der Frage der PracnabilduDg so nahe verbundenen Problem
der Adhyäyabildung in der Uebereinstunmung jener Autorität mit
dem eignen, unabhängig entvrickelten Ergebniss eiu Moment von
wesenthchem Gewicht zu finden. Hier hält nun Bergaigne entgegen,
dass ich in Bezug auf die Frage, ob die Wiederbolungen im vedischen
Text [samaya] bei der Bildung der Pracnas mitzuzählen sind oder
nicht , einen vom Präticäkhya unabhängigen Weg gehe und somit
die Autorität dieses Werkes, die ich an der einen Stelle für wesent¬
lich halte, an der andern preisgebe. In der That kann die Be¬
stimmung von Sütra 854, nach welcher die samaya, seien sie
gross oder klein . in Abzug zu bringen sind , mit den vorliegenden
Thatsachen nicht in Einklang gebracht werden; vielmehr sind
offenbar — hierin stimme ich ganz mit B. überein — zwischen
samaya und samaya Unterschiede gemacht worden, welche
durch jenes Sütra verwischt werden. Aber verlieren dadurch, dass
in der Nebenfrage der samaya das Präticäkhya sich mit einer
aUzu summarischen Angabe begnügt, die positiven Regeln desselben
über die Principien der Adhyäyabildung ihr Gewicht? In dem einen
Fall handelt es sich um die — allerdings incorrecte — Unterlassung
detaillirter Unterscheidungen über einen specieUen Punkt, der, so
wichtig er für unsre nachrechnende Kritik ist, doch für die Zwecke
des Präticäkhya ziemlich nebensächlich war. In dem andern Fall
müsste es sich um die Fehlerhaftigkeit einer positiven, zahlenmässig
bestimmten Angabe über einen Hauptpunkt des ganzen Systems
handeln : einer Angabe auftretend in einer Gegend der Ueberlieferung,
welche im Uebrigen augenscheinliche Indicien guter Information
an sich trägt, einer Angabe endhch, die mit unsrer eignen Unter¬
suchung der betreffenden Zahlenreihen in bemerkenswerthem Ein¬
klang stebt.
Hier freilich begegne ich von Neuem dem Widerspruch Ber¬
gaigne's, welcher sich gegen meine Behandlung der Pracnazahlen
ricbtet. Der Streitpunkt betrifft eben die Frage der samaya.
Wir sind, wie bereits bemerkt, einig darüber, dass dieselben bei
der Feststellung des Pracnaurafangs zum Theil abzuziehen sind,
zum Theil nicht. Ob das eine oder das andre, darüber kann offen¬
bar, wenn hier überhaupt verständige und. verständliche Principien gewaltet haben, nur auf der einen Seite der grössere oder geringere
Umfang des wiederholten Textstückes , auf der andern die grössere
oder geringere Nähe der Wiederholungen unter einander den Aus¬
schlag gegeben haben. Meinen Versuch die Pälle der berücksichtigten
und der vemachlässigten samaya gegen einander abzugrenzen findet
B. willkürlich. Derselbe entfernt sich allerdings, wie bereits gesagt
wurde , von dem Sütra 854: aber von diesem Sütra emancipirt
sich Bergaigne nicht minder. Meine Grenzlinie zwischen den beiden
Arten von samaya ist der seinen im Princip vollkommen analog, nur
glaube ich ihr insofern eine etwas andre Lage geben zu sollen, als B.
allein die Nähe der identischen Textstücke uuter einander entscheideri
364 Oldenberg, Noch einmal die AdhyäyatheÜMng des Rigveda
lässt, ich dagegen vermuthe, dass daneben der ümfang derselben
in Betracht kam, dass nämlich auch bei entfernteren, d. h. in ver¬
schiedene Süktas fallenden Wiederholungen der samaya dann,
wenn er einen ganzen Vers betrug , als wesenthch angesehen und
in Abzug gebracht wurde. Die eine Auffassung ist an sich so
willkürlich oder so wenig willkürlich wie die andre, und nur die
zahlenmässigen Resultate können entscheiden. Mit diesen nun ver¬
hält es sich, wie bereits in meinem früheren Aufsatz bemerkt
wurde, folgendermassen. Kein Adhyäya, der sonst normal sein
würde, erscheint bei der von mir vorgeschlagenen Berechnungs¬
weise als unregelmässig. Dagegen acht Adbyäyas , die unregel¬
mässig sein würden, werden normal, resp. können bei der Frei¬
heit der Berechnung welche die indische Tradition und ihr nach¬
folgend auch Bergaigne in Bezug auf die vierzigsylbigen Verse
gestattet, als normal angesehen werden. Bergaigne hält entgegen,
dass bei drei Adbyäyas — II, 6; VI, 3; VIII, 4 — von dieser
freien Wahl, die seiner Ansicht nach die Aufrechterhaltung des
Gleichgewichts zwischen den Adbyäyas zu erleichtem bestimmt war,
ein Gebrauch gemacht wäre, der diesen Adbyäyas eine ungewohnte
Länge gegebeu und dadurch jenes Gleichgewicht beeinträchtigt
hätte. Mir scheint, B. stellt sich die Thätigkeit jener vedischen
Diaskeuasten doch um ein gutes Theil vollkommener und durch¬
dachter vor, als sie, glaube ich, in der That gewesen ist. Zeigt
sich nicht in ihren Arheiten überall , gemischt mit Versuchen zu
feiner, individueller Behandlung des einzelnen Falles ein Hinein¬
gerathen in verfehlte Consequenzmacherei, gemischt andrerseits mit
Ansätzen zu berechtigter Consequenz ein Verfallen in absolute Will¬
kür? Man verfolge etwa die Behaudlung der Sandhierscheinungen
im überlieferten Satphitätexte — wu dürfen annehmen, dass die¬
selbe aus den nämlichen oder aus verwandten Werkstätten her¬
stammt wie die Anordnung der Adbyäyas —: wenn man dies
Gemisch von Consequenz und Inconsequenz, von wundervoll treuem
Bewahren einzelner Punkte des Altüberlieferten imd von leicht¬
fertigem Verwischen grosser Gebiete von Erscheinungen betrachtet, wird man, glaube ich, den Muth verlieren, einen Satz wie denjenigen
Bergaigne's: les HindOus ne font rien par ä peu prfes,
anders als mit hundertfältigen Reserven zu acceptiren; man wird
den Muth verlieren, wenn eine bestimmte freie Wahl zwischen
verschiedenen Möglichkeiten an einem bestimmten Punkt für die
Thätigkeit der Diaskeuasten ausdrücklich bezeugt ist und sich
thatsächlich als vorhanden bewährt, den Motiven nachzurechnen,
die im Einzelnen für die Benutzung dieses freien Spielraums hätten
bestimmend sein müssen, wenn die Thätigkeit jener Inder das
Musterbild eines zweckmässigen und zweckbewussten Verfahrens
gewesen wäre, das sie leider ofifenbar nicht gewesen ist ').
1) Wollen wir übrigens doch die Frage nach dem Motiv dor Inder bei der Abgrenzung der langen Adbyäyas II, 6 etc. uns stellen, so liegt eine Ver-
Oldenberg, Noch einmal die Adhyäyatheilung des Rigveda. 365
Bergaigne schliesst seine neue Erörterung des Adhyäyapro-
blems ausgesprochenermassen in die engen Grenzen der zahlenmässigen
Untersuchung und der Discussion der Präticäkhyaregeln ein. Ich
bin ihm in dies Gebiet gefolgt. Aber ich kann nicht unterlassen,
zum Schluss doch noch daran zu erinnern , dass es sich bei der
ganzen Frage auch um die allerweitgehendsten und tiefgreifendsten Folgerungen für die vedische Textgeschichte und Textkritik handelt.
Die Annahme der massenhaften Interpolationen, jünger als die Adhyä¬
yatheilung , zum grossen Theil an sonst vollständig unverdächtigen Stellen, lässt sie sich in das Bild der vedischen Textgeschichte ein¬
fügen, zu dessen Feststellung, wie ich glaube, alle andern Zweige der
Untersuchung sich vereinigen? Widerstrebt eine solche Annahme
aber der Einfügung in dies Bild — ich kann mich bier allerdings
für jetzt nur auf einen bevorstehenden Versuch meinerseits, jenes
Bild zu entwerfen, vorausbeziehen — wirft dann dies Pactum nicht
seinen Schatten zurück auf die Behandlung der Einzelheiten, die
wir zu untersucben hatten ? Sehen wir Auffassungen von so zweifel¬
haftem Becht, wie die, dass das Präticäkhya, wenn ein Pehler an
einem bestimmten Punkt seiner Darstellung zugegeben wird, damit
überhaupt alle Autorität verhert, — oder Argumente, wie das eben
discutirte vou den Gesichtspunkten, welche die Inder in der Be¬
nutzung der Preiheit bei der Berechnung der Prasnas vernünftigerweise
hätten befolgen sollen, zu Schlüssen führen, die eine Revolution
in der Beurtheilung des Vedatextes bedeuten — und zwar eine
Revolution, gegen deren Recht sonst Ahes zu sprechen scheint — :
werden wir da in dem Vertrauen darauf, dass die Untersuchung
sich auf dem richtigen Wege befindet, nicht wankend werden?
muthung vielleicht nicht fern. Die Samhitä war etwas zu lang, um 04 correcte Adhyayas zu geben: so sind die beiden letzten Adhyayas über die Norm hinaus vergrössert worden. Ist es nicht leiclit möglich, d.ass die Rücksicht auf eben diesen Ueberschuss auch dazu geführt hat, jenen drei in Rede stehenden Adbyäyas unter den zulässigen Massen das grösste zu geben?
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Ueber den impersonalen Gebrauch der Participia
necess. im Sanskrit.
Von 0. BShtiingk.
In keiner der mir vorhegenden Sanskrit-Grammatiken und auch
nicht in Speijer's Syntax wird die' impersonale Verwendung der
Participia necess. einigermaassen eingehend behandelt. Der Zweck
dieser Zeilen ist : Alles , was mir in dieser Beziehung bemerkens¬
werth erschienen ist, zusammenzustellen. Der Vollständigkeit wegen
wird auch Bekanntes und schon Besprochenes nicht mit Still¬
schweigen übergangen. Auf eine Anzahl vedischer Beispiele hat
mich B. Delbräck aufmerksam gemacht.
Das Sanskrit besitzt Participia necess. auf ^, ,
, Tf^f und «RI. Die auf ^ und ^(TSl, die nur der älteren
Sprache angehören, werden nach Delbrück nie impersonal gebraucht.
5EN^^ RV. 1, 170, 1 fasst Grassmann impersonal auf, jedoch
kann es hier auch anders construirt werdeu. Die Participia auf
"«(•Tl*! werden in der älteren Sprache nach Delbrück nicht impersonal verwendet ; auch in der klassischen Sprache scheint diese Construction
nicht sehr beliebt zu sein. Grammatiker führen Wm ITsfVf^
und Vj|«n«<«l, auf; vgl. noch «H^Jj^Tlq , f^wf^ und
»j\T(«n*l im Wörterbuch. Die Participia auf ^ werden häufig,
die auf <1'=«l aber am häufigsten impersonal verwendet und wohl
aus dem Grande, weil auf dieses Suffix nur Participia necess. aus¬
gehen, während die Wörter auf ^ und ■«(•Tl«« oft eine ganz andere
Bedeutung angenommen haben oder wohl auch gar nicht zunächst
auf eine Verbalwurzel zurückgehen.
Wäbrend im Lateinischen das impersonal gebrauchte Gerandivum
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