Zeitschrift für Pädagogik 27 (1981) 2, S. 187-224
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Titze, Hartmut: Überfüllungskrisen in akademischen Karrieren: eine Zyklustheorie - In: Zeitschrift für Pädagogik 27 (1981) 2, S. 187-224 - URN: urn:nbn:de:0111-pedocs-141505 -
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Zeitschrift für
Pädagogik
Jahrgang
27
-Heft
2
-April
1981
I.
Essay
Harald Weinrich Von der
Langeweile
desSprachunterrichts
169II.
Thema:
ÜberfüUungskrisen
in
akademischen Karrieren
HartmutTitze
PeterLlndcreen
DETLErK Muller
BerndZymek
AxelNath
ÜberfüUungskrisen
in akademischen Karrieren eineZyklustheone
187Das
Bildungsverhalten
höherer Schuler wahrend derakademischen
Übeifullungskrise
der1880er und 1890erJahreinPreußen 225
DerProzeßder
Systembildung
imSchulwesen Preußenswahrenddei zweiten Hälftedes 19 Jahihunderts 245
Derveideckte Struktuiwandelimhöheren Knabenschul¬ wesenPreußens zwischen 1920 und1940 271
DerStudienassessorimDritten Reich Eine
sozialhisto-nsche Studie zur
„Überfullungsknse"
des höherenLehramtsin Preußen 1932-1942 281
III. Literaturbericht
WOLF-DlETER SCHOIz/
AndraWolter
Gesellschaftliches BewußtseinvonLehrernalsProblem
der
empirischen Sozialforschung
Methodisches Artefaktodersoziale Wirklichkeit9 307
IV.
Besprechungen
Rudoli-Lennert
LudwigHuber
HermanNohl Das historische Bewußtsein 327
Hansgert
Peisert/Gerhild Framhein Das Hochschul¬systeminder
Bundesrepubhk
Deutschland 331Beltz
Verlag
Weinheim
und Basel
Amchriften
derRedaktion Dr Reinhard Fatke,Brahmsweg
19,7400Tubingen
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Tubingen
1,Prof Dr Walter HornsteinPippin-straße27,8035
Gauting
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bitte andieAnschriftenderRedaktionsenden Die„Zeitschriftfür
Pädagogik
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Zahlungsmodahtaten
zuerfragen
sindISSN 0044-3247
HartmutTitze
ÜberfüUungskrisen
in akademischen Karrieren: eine
Zyklustheorie
1.
Einleitung
Die
Entwicklung
der Studentenströme in Deutschland während der letzten 200 Jahrezeigt
bemerkenswerte Strakturen. Inlangen wellenförmigen Bewegungen
lösenAuf- undAbschwünge
einander ab undlegen
dieVermutung
nahe,
daß sich immer wiederÜber-füllungs-
undMangelsituationen
in den akademischen Karrierenergeben haben,
diegleich¬
sam
naturwüchsig
wie Ebbe und Flut über dieGenerationenfolge hinweg
pulsierten.
Demeinzelnen erscheintesals ein
unglücklicher
Zufall,
daßgerade
erin eine Generationhineingeboren
wurde,
derenZugangschancen
in eine akademische Karriereknapper
sind als die Chancen der vorausgegangenen oder
nachfolgenden
Generation.WenndieseVerknappung
der Chancen aberingewisser
Regelmäßigkeit
immer wieder inErscheinung
tritt, dann erhebt sich die
Frage,
ob sich hinter dem, was demeinzelnen alszufälüges
Schicksal erscheint,nicht eingeselbchaftlich
produzierter
Mechanbmusverbirgt,
dessenWirkungsweise
sozialwissenschaftlich untersucht undaufgeklärt
werdenkann.Die
Forschung
indiesem Bereich steckt nochganzindenAnfängen.
IndiesemBeitrag
wird eine
Zyklmtheorie
skizziert, die die beobachtete Wiederkehr immerneuerÜber-füllungs-
undMangelkrisen
in den akademischen Karrieren in Deutschland überunserAUtagswissen
hinaus verständlicher erscheinen läßt. DieAnalyse
stütztsich auf dasum¬fangreiche
empirische
Materialvonrund1,5MillionenDatenzurdeutschen Universitäts¬geschichte,
das im Rahmen desForschungsprojekts
„Qualifikationskrisen
und Struktur¬wandel im
BUdungswesen (QUAKRI)"
erhoben undmit den modernenMitteln der EDVuntersucht wurde
(Tabelle 1).
DadieAuswertung
noch nichtabgeschlossen
ist,lassen sichvorerstnur
Zwischenergebnisse
formulieren,
die denForschungsstand
nachfünfjähriger
Arbeit
zusammenfassen1.
1 Seit 1975bestehtamPädagogischenSeminarderUniversitätGöttingeneineForschungsgruppe
(unterderLeitungvonHans-GeorgHerrlitz und HartmutTitze),diesichmit derAnalysevon
ÜberfüUungskrisen
inakademischen KarriereninDeutschland(besondersimhöherenLehramt)im19.und20.Jahrhundertbeschäftigt.DieseUntersuchungenwerdenseit1977imRahmendes umfangreichen ProjektsQUAKRI(d.h.QUAUfikationsKRIsenundStrukturwandelimBildungs¬ wesen)von der Deutschen Forschungsgemeinschaftgefördert. Die Göttinger Gruppezählt gegenwärtig neun Mitglieder. Andem Gesamtprojekt sindeine weitereForschungsgruppe am
Institut fürPädagogikderRuhr-Universität Bochum(unterderLeitungvonDetlef K.Müller), sowie Peter Lundgreen(UniversitätBielefeld)und ManfredHeinemann(UniversitätHanno¬ ver) beteiligt. DievonQUAKRI erhobenen umfangreichen statistischen Materialiensollen im Rahmen eines Datenhandbuchs zur deutschen Bildungsgeschichteveröffentlichtwerden. Dort
werdenauchdiestatistischenQueUenundFundstellenerscheinen,dieausPlatzgründenindiesen
Beitragnichtaufgenommenwerdenkonnten.
Tabelle1:ÜbersichtzurMaterialgrundlagedesGöttingerForschungsprojekts„Qualifikationskrisen"
Daten¬ block '
Strukturder Daten Zeit Raum Umfang
der Daten Ol Studierendenansämtlichen deut¬
schen Einzeluniversitätennach
Fakultätenbzw.Fächern
1830-1941 Deutsches Reich
nach Geschlecht 1908-1941 DeutschesReich
¦ Studierendeanaltpreußischen
Universitäteninsgesamt
StudierendeaneinzelnenUniversi¬
täten(z.B.Göttingen)
1820-1941
vor1830
Altpreußen
ca. 540000 02 SemesterbesetzungderStudie¬
renden(1.bis 12.Sem.u.mehr)
1886-19121924-1932PreußenPreußen
03 AlterderStudierenden
04 Vorbildungder Studierenden
05 Religionsbekenntnisder Studierenden
06 SozialeHerkunft(Väterberufe)
derStudierenden
Studierendeansämthchenwissen¬
schaftlichenHochschulen 07 FakultätswechselderStudierenden 08 Berufszielder Studierenden
09 StudienförderungderStudierenden
1886-1912Preußen1924-1932Preußen
1928-1932 DeutschesReich ca. 100000
1886-1912 Preußen
1924-1932 Preußen
1928-1932 DeutschesReich ca. 40000
1886-1912 Preußen
1924-1932 Preußen
1928-1932 DeutschesReich ca. 110000
1886-1912 Preußen
1924-1932 -Preußen
1928-1932 Deutsches Reich ca. 32000
1886-1912 Preußen
1924-1932 Preußen
1928-1932 Deutsches Reich
1933,1934,1941 DeutschesReich ca. 220000
1886-1912 Preußen ca. 30000
1924-1932 Preußen
1928-1932 DeutschesReich ca. 90000
1886-1912 Preußen ca. 300000
Gesamtsumme derDaten ca.1462000
2. Vier
ÜberfüUungsweUen
zwbchen1780 und1940Verfolgt
mandieEntwicklung
bisinsausgehende
18. Jahrhundertzurück,dann lassen sichin einererstenÜbersichtvier
ÜberfüUungsweUen
erkennen:(1)
Von1780 bis kurz nach1800warendie beiden bedeutendsten akademischen Karrieren
(evangeUsche
Geistücheund
Juristen)
impreußischen
Staat und zumindest im gesamtenNorden Deutschlandsüberfüllt
(Allgemeines Repertorium
für dietheologische
Literatur und kirchlicheStatistik,Bd. 30
[1840],
S.72-86).
Noch fürdie Zeitvordempreußischen
Zusammenbruch im Jahr1806
gibt
esHinweise auf„soviel alteCandidaten,dieunversorgtgebUeben
sind"(Diete-rici1836,S.
120f.).
(2)
Auf eineMangelphase
„unmittelbar
nach demKriege" (Hoffmann
1843,S.204ff.)
ÜberfüUungskrisen
inakadembchen Karrieren: eineZyklustheorie
189
den Juristen
(Gillis
1971;Bleek1972)
voraUem wieder dieevangehschen Theologen
traf
(Allgemeine Kirchen-Zeitung
7[1828],
Nr. 58[12.4.1828],
Sp. 467-469).
Währendsich die
„Überproduktion"
bei den Juristen„schon
umdie Mitte der 30erJahre verlaufenhatte"
(Conrad
1884, S.105),
dauerte die viel stärkere Krise bei denevangehschen
Predigern
noch in den 40er Jahrenanund schwächte sich(durch
teilweise auchverschärfteNumerus
clausus-Bestimmungen
wie inWürttemberg
1854)
erstin den 50er Jahren ab(Ernesti
1875;Schlosser1873).
(3)
Dielanganhaltende
vormärzlicheÜberfüllungsphase
warden ältestenZeitgenossen
noch in
Erinnerang,
als sich im wilheminbchen Kaberreich eineerneuteaUgemeine
Uber-füllung
der akademischen Karrierenankündigte,
die sich biszurJahrhundertwende nach¬einander auf nahezu alle
Fakultätsdisziplinen
erstreckte(zusammenfassend:
Zeitschriftfür
Pädagogik,
14. Beiheft: HistorischePädagogik.
Weinheim/Basel 1977, S.13-128).
Im
Vergleich
zurvormärzlichen Krise stellte sich dieUberfüllungsproblematik
der 80erund 90er Jahre
verschärft
dar: Auf demHintergrund
derExpamion
dermeisten Karrierenging
die Zahl der BetroffenenzumerstenMal weit in die Tausende.Zumanderen wurdenvonder
Überfüllungskrise
mehr Karrieren erfaßt als indererstenHälfte des 19.Jahrhun¬derts;die damalsnurschwachberührten Berufsstände derÄrzteund Lehreranhöheren
Schulen und Hochschulenwaren nunvollmitbetroffen.
(4)
InderZwangslage
eines schwächer wachsenden Stellenmarkts für Akademikerzeigte
sichdasimmer wiederkehrende
Überfüllungsproblem
inden20er und 30er JahrenunseresJahrhunderts in seiner bisherschärfsten
Ausprägung
inderdeutschenGeschichte.Im Vor¬felddernationalsozialistischen
Gewaltlösungen stieg
das Reservoir der„Überzähligen",
dievonder„akademischenBerufsnot"(Schairer 1932)
betroffenwaren,weit in die Zehn¬tausende.Als historisch
neuartiger
Faktortratin dieser Krise das Frauenstudiumhinzu, das inderzweiten Hälfte der 20erJahre eine starkeAusweitung
erfahren hatte.In der historischen
Perspektive
zweier Jahrhunderte befinden wirunsgegenwärtig
in derfünften
aUgemeinen
Überfüllungswelle.
EineDramatisierung
ist nichtangebracht,
denneserscheint mehr als
fraglich,
ob sich nach der hbtorbchbebpiellosen Bildungsexpansion
der beiden letzten Jahrzehnte das
Überfüllungsproblem
in den 80er Jahren ganz in dentraditioneUen Bahnen
reproduziert.
3.
Schwankungsintemität
undRekrutierungsbasb
der StudentenströmeAngesichts
dervielfältigen
Wellenbewegungen
derStudentenströme wurde inerstenAna¬lysen
vorallem derFrage nachgegangen,
obsich die Studentenströme für die verschiedenenKarrieren hinsichtüch der Intensität ihrer
Auf-
undAbschwänge
unterscheiden. Um überden bloßen
Augenschein
hinaus die zahlreichenFrequenzkurven
einer strengerenAnalyse
unterziehenzu können,wurde zunächst der
allgemeine
Trendvondeneigentlich
inter¬essierenden
Zyklen
isoliert2.
Auf derBasis dieserTrendbereinigung
wurden für allefakul-2 Diemethodischen Probleme der Trendbestimmungkönnen in diesemBeitrag nicht diskutiert
werden.Umsicherzusein,daß dieAnalyseergebnissenichteinKunstproduktder benutztenVer¬
tätsspezifischen
Studentenströme die Zeitreihen der relativenZykluswerte
berechnet. Diese Wertegeben
an,wieweit einzyküscher Aufschwung
über das„normale"Niveau desaUge¬
meinen Trends
hinausgeht
und einzyklischer
Abschwung
daranterhinabgeht.
Dieum100pendelnden Zykluswerte
führen also diezyklischen Schwankungen
derwellenförmigen
Studentenströme in reiner Gestaltvor
Augen.
DieSchwankungsdifferenzen
derZyklus¬
wertewurden aufdie Zeit
bezogen,
in der diejeweiligen
Auf- undAbschwünge
stattfanden.Die auf diese Weise enechneten
Intensitätsfaktoren
derzyklbchen Schwankungen
liefer¬teneinen brauchbarenMaßstab,mit dem das unterschiedüche Pulsieren der Studenten¬
ströme gemessen werden
konnte3.
DieAnalyse
derSchwankungsintensität
erbrachte fol¬gende
Ergebnisse:
(1)
Der Studentenstrom derevangelbch-theologbchen
Fakultäten ist mit Abstand amstärksten
zyklischen Schwankungen
unterworfen.(2)
DasErscheinungsbild
derkatholbch-theologbchen
Fakultäten weicht in seiner Struktur ganz erheblichvondem aller anderenFakultäten ab. Die
Frequenzschwankungen
sind bei allen deutschenUniversitätenzwarerheblich,aber sievollziehen sich in
Zeitspannen,
die bemerkenswertlänger
sind alsbeiallen anderen Fakultäten.
(3)
ImUnterschiedzuden intensivenzyklischen Schwankungen
bei den
evangelisch-theologischen
Fakultäten sind diezyklischen
Schwankungen
bei denjurbtischen
Fakultäten wesentlich schwächerausgeprägt.
(4)
Bis zurstarkenExpansion
seit der Mitte der 1870er Jahre sind diemedizinbchen Fakultätennurrelativ schwachen
Schwankungen
unterworfen. Danach treten sie erheblich intensiver inErscheinung.
(5)
DasStrukturmerkmal der Mediziner-Studentenströmezeigt
sich nochausgeprägter
bei den
philosophbchen
Fakultäten: ImLauf des 19. Jahrhunderts,besonders seit demletzten
Drittel,
schlagen
diezyklischen Schwankungen
immerintensiverausundnähernsich im strukturellen Muster den
evangelisch-theologischen
Fakultätenan.lineare undpolynomiale Regressionskurven, exponentieller Trend) geprüft. Dieverschiedenen
Verfahren derTrendbereinigungführtenim wesentlichenzudengleichen,unten referiertenErgeb¬
nissen. SämtUcheRechenarbeitenwurden auf derAnlagedesUniversitätsrechenzentrums(Gesell¬
schaft für Wissenschaftliche Datenverarbeitung in Göttingen-Nikolausberg) durchgeführt. Zu¬
ständig für alle Rechenarbeiten innerhalb der Göttinger Projektgruppe: Dipl.-Math. Volker Müller-Benedict.
Die derAnalyse zugrunde liegenden absoluten Studentenzahlen für die Fakultäten sämtlicher preußischenUniversitätenbewegensichinvergleichbaren Größenordnungen,sodaß bei der Um¬ rechnungin relativeZykluswerte verzenende Effekteausgeschlossenwaren.Die Relativierung
derSchwankungsdifferenzenauf dieZeitwurde inmehrfacher Weisevorgenommen. Wennman
dieSchwankungsdifferenz,die einzyklischerAufschwungbeiansteigendenStudentenzahlenvom TiefpunktbiszumHöhepunkteiner halben Welleüberwindet,durchdieDauer desAufschwungs
in Semesterndividiert,dann erhältmaneinenQuotienten,denmanalsIntensitätsfaktordesAuf¬
schwungsbezeichnen kann.Entsprechendlassen sichdie IntensitätsfaktorenderAbschwüngebe¬
rechnen. Nach der Höhe ihrerIntensitätsfaktoren wurden sämtlichezyklischen Schwankungenin
einerRangreiheklassifiziert. UmvondenBesonderheitendereinzelnenAuf- undAbschwünge zu abstrahieren,wurde zweitens (alsarithmetisches Mittel aller einzelnen Intensitätsfaktoren)
ein durchschnittlicherIntensitätsfaktorerrechnet.Alternativ dazu wurden drittens alleabsoluten
Einzelwerte derSchwankungsdifferenzenfür sämtlichezyklischenAuf- undAbschwüngezueinem
Gesamtschwankungswert addiert. Dieser wurde durch die Summe aller Semesterdividiert, in
denen Auf- undAbschwüngestattfanden.Auf dieseWeiseerhältmaneinenglobalenIntensitäts¬
ÜberfüUungskrisen
inakadembchen Karrieren: eineZyklmtheorie
191
Die
Analyseergebnisse
hinsichthch der unterschiedlichenzyküschen
Schwankungsinten¬
sität bei den verschiedenenStudentenströmen
legten nahe,
im weiterenForschungsprozeß
einer
Hypothese nachzugehen,
die sich bereitsvorfünf Jahren imZusammenhang
einerSpezialuntersuchung
derÜberfüllungskrise
der höheren Lehrämter im Kaiseneichabge¬
zeichnet hatte
(HERRLiTz/TnzE
1976,S.363f.).
Die unterschiedlichenFrequenzschwan¬
kungen,
solautete dieVermutung, hängen
mit derjeweihgen
sozialenRekrutierungsbmb
einer Karriere funktional eng zusammen. Die
Hypothese
stütztsich auf diefolgenden
Überlegungen:
Das Statusstreben, in eine akademische Karriere zugelangen,
ist vonschichtspezifischen
normativenBedingungen abhängig
undvonRessourcen,die ebenfallsunterschiedüch über die sozialen Schichten verteilt sind.
Aufgrund
beiderBedingungs¬
komplexe
ist das akadembcheAnspruchsniveau
in oberen Sozialschichten zum einenhäufiger
verbreitet undzumanderen stabiler als in mittleren undunterenSozialschichten.Jeweiter eine akademische Karriere in ihrer
Rekratierangsbasis
nach „unten"offen ist und in diebildungsfernen,
nach Ressourcen und normativenBedingungen
„schwächeren"
Schichtenhineinreicht,desto intensiver wird derentsprechende
Studentenstromzyklischen
Schwankungen
unterworfen sein. Bei einerBestätigung
dieserHypothese
war zu erwar¬ten, daß die Struktur der Studentenströme nach ihrer
zyklbchen Abhängigkeit
mit derStruktur ihrer
Rekrutierungsbmb korrespondiert:
Sozial relativ „offene" Studenten¬strömemüßten stärker
pulsieren
als sozial relativ exklusive Studentenströme.Diewenigen Untersuchungenzursozialen Herkunft deutscher Studenten im 18. und 19. Jahrhundert
stützen dieseHypothese weitgehend (Conrad [1894]für dieUniversitätHalle1768-1881;Eulen¬
burg[1909]für dieUniversitätLeipzig1859-1909;F. Lenz[1910/1912]für dieUniversität Berlin
1810-1900;Rienhardt[1917]für dieWürttembergerStudenten1871-1911).Wegendergroßen Unterschiedezwischen deneinzelnen UniversitätenbiszumerstenWeltkriegsindSozialdaten,die
nurfür Einzeluniversitäten erhoben wurden,bezüglichihrerRepräsentativität allerdingssehrvor¬
sichtigzuinterpretieren.FürdiepreußischenStudierendeninsgesamt liegtein hochdifferenziertes Datenmaterialvor(1886/87-1911/12),dessenanalytische Durchdringungmit den modernen Mitteln
der EDV tiefere undzuverlässigeEinsichten in dieSozialstrukturderStudierendenerlaubt.
Die unterschiedlicheSchwankungsintensitätder Studentenströmekonespondiertmit einer ganzen
ReihevonIndikatoren,die wieSondenanbestimmte Teileeineskomplexenfunktionalen Zusammen¬
hangsheranführen.
(1)FaßtmanunterderRekrutierungsbasisderbildungsfernenSchichten dieSöhnevonnichtakade¬ mischgebildeten Beamten und Lehrern, vonLandwirten, Arbeitern, niederen Bediensteten und
Gehilfen
zusammen4,
dannergibtsich nach dem Anteilswert dieserStudierendenanderGesamtheit(QuotederbildungsfernenSchichten)eineHierarchiederFakultäten,dieim Sinne derHypothesemit
DiesozialeKlassifizierungderStudierendennach dem Beruf der Väter bereitet erhebliche Ab¬ grenzungsschwierigkeiten. DieGöttinger Gruppeisteinempragmatischen Konzept gefolgt,das weitgehendübereinstimmtmitdemSchema,das Jarausch(1980, S.135)entwickelt hat.-Eine
durchgängigklareAbgrenzungder SöhnevonLandwirten ist nichtmöglich,weil die Preußische StatistikindiesemBereichdieprimären Ergebnisseoffensichtlichmanipulierte.IndenerstenEr¬
hebungen
bis1887 wurdendieBauernsöhnevonden Söhnen der Gutsbesitzer undgleichstehenden Landwirteunterschieden.Danachtaucht bis1902/03 dieneueKategorieder„Rittergutsbesitzer"auf, die>vonallen „sonstigen selbständigenLandwirten" unterschiedenwird. Wie sich anhand
konkreter Zahlenvergleicheleicht überprüfen läßt, wurden alle Großgrundbesitzer (Gutsbe¬ sitzer),die nicht Rittergutsbesitzerwaren, mit den Bauern in derSammelkategorie „sonstige
selbständige
Landwirte"zusammengeworfen,wodurch die sozialenUnterschiedenatürlich ver¬wischt wurden. BereitsConradkritisierte dieseManipulationals einen„bedenklichenMißgriff,
derzyklischenAbhängigkeitderFakultätenimKaiserreichübereinstimmt:Die intensiv schwanken¬ dentheologischenundphilosophischenFakultäten sinderheblich„offener"als dieruhiger pulsieren¬ den medizinischen undjuristischenFakultäten.
(2)Klassifiziertmandie FakultätennachihrerAkademikerquote (d.h. demAnteil derStudierenden,
deren Väterselbst akademischgebildet waren),dannergibtsich eineanalogeHierarchie derFakul¬
täten. An derSpitze liegen eindeutigundmitweitemAbstand diejuristischenFakultäten mit38,02%
(AkademikerquoteallerreichsangehörigenStudierendenhn WS1886/87).Am Ende derHierarchie Uegendiephilosophischenmit22,17%und diekatholisch-theologischenFakultätenmitnur3,75%, wasdieSonderstellungderletzteren wiederum unterstreicht.
PrüftmandenIndikatorderAkademikerquoteeineAnalyseebenetiefer,bei denEinzeluniversitäten,
dannläßt sich hinsichtlich der SozialstrukturderStudentenschaft eine Hierarchie derUniversitäten
feststellen,dievonden exklusiven UniversitätenMarburg(34,20%)undGöttingen(31,36%)ange¬ führtwird. Eindeutigam Ende rangieren die „armen" und „offenen" Universitäten Königsberg (20,25 %)undBreslau(18,89%).Die noch nichtvollausgebauteUniversitätMünsternimmtmitihren beiden offenen (kathoUsch-theologischen und
philosophischen)
Fakultäten eine strukturell ganz abweichendeSonderstellungein(Akademikerquote: 8,19%).LegtmandieSondediesesIndikators nochtieferundklassifiziertdiefakultätsspezifischenAkademi¬
kerquotenaufder Ebene derEinzeluniversitäten,dannergibtsicheinekomplexehierarchische Struk¬ tur, dieweitdifferenziertvondenexklusivsten FakultätenandenexklusivstenUniversitätenbiszuden offenstenFakultätenandenoffenstenUniversitäten.Die Grenzendieser Hierarchieliegenbei51,80%
anderSpitze (JuristischeFakultät in
Göttingen)
und0,95%amEnde(katholisch-theologischeFakul¬tät inBreslau).Offensichtlich kumulierensich die sozialenSelektionsleistungender Fakultäten und
derUniversitäten.Esisthiereine verblüffendeLogikderSystembildungundVerteilung „sozialer Bedeutungen" am Werke (Tabelle2). Da die Selektionsleistungeneinerspezifischen Logikder Systembildung folgen,tretendieEffekte des funktionalenZusammenhangsvon„sozialerOffenheit" und zyklischer Abhängigkeit dortam klarstenin Erscheinung, wo sich die Selektionsleistungen kumulieren,dievonderhierarchischen StrukturderFakultäten und Universitätenausgehen:Unter sämtlichenpreußischenUniversitätenzeigen KönigsbergundBreslauimgesamtenZeitraum(1830 bis1940)dieintensivstenzyklischen Schwankungenin allenFakultätenund imbesonderenbei den theologischen.
(3) Der funktionale Zusammenhang zwischen den schwankenden Studentenströmen und deren Rekrutierungsbasis tritt nochkomplexer in Erscheinung, wenn man den weiteren Indikatorder
Tabelle2:SozialeTypologieder UniversitätenundFakultäten(Preußen 1887/88)
„Offen"<—HierarchiederUniversitäten—>„Exklusiv'
Fakultäten Universitäten Königsberg Breslau . . Göttingen Marburg
Akademiker¬ quoteder Universitäten 20.25 18.89 31.36 34.20 Akademiker¬ quotesämtl. Fakultäten
t „Offen" Kath.Theol. 3.75 - 0.95 -
-Hierarchie Phil.Fak. 22.17 11.95 18.35 24.79 31.95
der Ev.Theol. 26.12 17.06 18.96 25.57 29.85
Fakultäten Med. Fak. 23.27 22.97 19.95 34.88 33.61
*
„Exklusiv" Jur.Fak. 38.02 34.66 32.72 51.80 49.12
Provinzquoteder
Überfüllungskrben
inakadembchen Karrieren:eineZyklustheorie
193
Provinzquoteheranzieht,d. h.den Anteil derSmdierenden,die derselben Provinz entstammen, der dieUniversitätangehört.Dieser Indikator führtandensozialstrukturellenEinzugsbereichderEinzel¬ universitätenheran,der mit denzyküschen Frequenzschwankungenfunktionaleng verbundenist. Die
„armen"östlichen Universitäten weisen mitAbstanddie höchstenProvinzquotenauf:Mehr alsneun von zehnStudenten derUniversität Königsbergentstammen selbstderHeimatprovinz Ost- und Westpreußen (92,3%; vgl.auchSelle1944,S.325).Siebenvonzehn StudenteninBreslaurekrutieren sichausderHeimatprovinzSchlesien(72,9%).DieProvinzquotender exklusiveren Universitäten
des
preußischen
Staates sind demgegenüberdeutUchniedriger: Göttingen 67,6% und Marburg 45,5%.(4)EinweitererIndikator,derdenkomplexen Systemzusammenhangaufhellt,istdiefakultätsspezifi¬
scheQuotederUniversitätswechsler.DaderStudienortwechselzwischen den weit entferntenUniver¬ sitätennatürlich mitzusätzlichenKosten verbunden war, läßtdieunterschiedhcheMobilitätimUni¬ versitätsbesuch vermuten,wieweitdieStudierendenüber zusätzliche Ressourcenverfügtenodernicht. DieHierarchiederFakultätenwird durch diesen Indikator wiederum im wesentlichenbestätigt.Die
QuotederUniversitätswechslerist bei denJuristenmit Abstandamgrößten (zwischen68 und75%im
gesamtenZeitraum1886—1912).Esfolgendie Mediziner(53bis67%)und dieevangelischenTheo¬ logen(54bis 64%),die nachdiesem Indikator bemerkenswert hochrangieren. Deutüch seltener
kommt derUniversitätswechsel beiden Studenten derphUosophischenFakultätenvor(biszurJahr¬
hundertwendeum40%,danachansteigendwie beidenanderenFakultätenvon43 aufknapp 58%).
Die katholischenTheologenweichenwiederum auffallendvonderallgemeinenStrukturab: Nurjeder
fünfte bis achteunterihnen wechseltedie Universität(13bis20%). VergleichtmandieQuotenfür
denzwei-odermehrmaligen Wechsel, der imKaiserteichvermutlichnurfürgutsituierteStudenten erschwinglichwar, dann tritt die hierarchische Struktur nochnachdrücklicherzutage:Zwischenden
exklusiven Fakultäten(JuraundMedizin)auf dereinenund denrelativ offenen Fakultäten(Theo¬
logien, phil.Fak.)auf der anderen Seitezeigtsichwieder ein deutlicherAbstand.
Alle in die
Analyse einbezogenen spezifischen
Indikatoren weisenin dieselbeRichtung
und stützen die
allgemeine
Hypothese:
Die nach ihrerRekrutierangsbasis
relativ offenenFakultäten sind
zyklischen
Schwankungen
stärkerunterworfen als die relativ exklusivenFakultäten.
4.
Selektionsprozesse
inÜberfüllungs-
undMangelkrben
4.1.
Analytische
Rekonstruktion derÜberfüllungskrise
1880-1900Die
Mechanismen,
die imZusammenhang
vonÜberfüllungs-
undMangelkrisen
in aka¬demischen Karrieren
gesellschaftlich
produziert
werden,lassen sich anderEntwicklung
im Kaiseneich
exemplarisch
studieren. Auf derGrundlage
einerAnalyse
derzyklischen
Auf- und
Abschwünge
der Studentenströme(Tabelle 3)
und der Studienfachwahl derAbiturienten bzw. Erstsemester bietet sich für die Genese der
allgemeinen Übeifullungs¬
krise der Jahre 1880-1900 die
folgende analytische
Rekonstruktionan.(1)Zunächsterscheinenseit Ende der70erJahre/Anfangder 80er Jahre diejuristischenKarrieren
„überfüUt".DerAnteilunterdenGymnasialabiturienten,der sich fürein Jurastudiumentscheidet, gehtseit1876(fast 40%)stark zurück. EinbeträchtlicherTeil der„umorientierten"Studienanfänger,
die untergünstigeren Aussichten vermutlich Jurastudierthätten, wendetsich der medizinischen
Fakultätzu,dievon1876aneinezyklische Aufschwungphase zeigt.Ein vermutlichgeringererTeil
verstärktdie bereits imAufschwungbefindlichen Studentenströmein denphilosophischenund theo¬ logischenFakultäten.
(2)Die seitAnfangder 70er Jahrewegendes starkenLehrermangels expandierende phüosophische
Fakultät„kippt"als zweitegroßeBerufsfakultät„um".1882/83verstärkensichdie Anzeichen einer
Lehr-Tabelle3: DielangenWellen der StudentenströmeandenpreußischenUniversitäten
Fakultät/ Ord¬ Zeitraum
Uni¬ nungs- Auf¬ Ab- Dauerder Welle in:
versität Nummer schwung schwung Semestern Jahren
1 2 3 4 5 6 7 8 Ev. Theol. 1 1772 1782 1805/06 20 47 67 33,5 Göttingen 2 1805/06 -- 1828/29 - 1852 46 47 93 46,5 3 1852 - 1860 1876/77 16 33 49 24,5 4 1876/77 - 1888 - 1902/03 23 29 52 26 5 1902/03 - 1919 - 1925/26 33 13 46 23 Ev. Theol. Sämtliche 3 1852/53 -- 1861/62 - 1876/77 18 30 48 24 preußischen 4 1876/77 - 1887 1905/06 21 37 58 29 Universitäten 5 1905/06 -- 1913/14 - 1925 16 23 39 19,5 Kath.Theol. Sämtliche 1839 -- 1859/60 - 1880/81 41 42 83 41,5 preußischen 1880/81 - 1919 - 1925/26 77 13 90 45 Universitäten Jura 3 1843 - 1851/52 - 1860 17 17 34 17 Sämtliche 4 1860 -- 1878/79 - 1886 37 15 52 26 preußischen 5 1886 -- 1906/07 - 1915 41 17 58 29 Universitäten Medizin 1848 - 1871/72 - 1875/76 47 8 55 27,5 Sämtliche 1875/76 - 1887 1904/05 23 35 58 29 preußischen 1904/05 - 1919 - 1925 29 12 41 20,5 Universitäten Phil. Fak. / 2 1835 -- 1845/46 - 1854 21 17 38 19 Philologien 3 1854 -- 1869/70 - 1873 31 7 38 19 Sämtliche 4 1873 - 1882/83 - 1893 19 21 40 20 preußischen 5 1893 -- 1912/13 - 1924 39 24 63 31,5 Universitäten
amtsstudien sindseitden frühen 80er Jahren besondersdrastisch:HatsichEndeder 70er Jahrejeder
vierteGymnasialabiturientderphilosophischenFakultätzugewandt,soistesEnde der 80er Jahrenur
nochjederzehnte. DievomLehrerstudiumabgeschrecktenAbiturienten(derenZahl durch amtliche Warnungenin denSchulennoch verstärktwird)orientierensich,sofern sie durchSelbstselektionnicht
ganz auf einStudiumverzichten,auf die beiden anderen Fakultäten um, die auf noch nichtvonder
„Überfüllung"
erfaßte Karrieren vorbereiten. Besonders die theologische Berufsperspektive er¬scheintaussichtsreich;wegen der in der Mitte der 80er Jahre immer noch vorhandenenMangelsitua¬
tion im Kirchendienst beider Konfessionen wird die Pfarramtskarriere immer attraktiver. Seitder
höhere Schuldienst„überfüllt" erscheint,schnellt der AnteilunterdenGymnasialabiturienten,der
sich dertheologischenFakultätzuwendet,rapidenach oben(von25,8%1882/83auf34,2%1887/88).
DeranteiligeZustrom indie ärztliche Karriereschwilltbis1885/86 ebenfalls weiteran,wennauch weitgeringer.
(3)Rund vier Jahrespätererscheinen auch die beiden restlichen großenakademischenKartieren
dichtunddiemedizinischen undevangelisch-theologischenFakultäten tretenebenfallsin einezykli¬ scheAbschwungphaseein.Bisauf das wegenseinerbesonderenRekrutierungsbedingungenabwei¬
Überfüllungskrben
inakadembchen Karrieren: eineZyklmtheorie
195
Pfarrerund
Ärzte)
Ende der 80er Jahre als„überfüllt". In der öffentüchenWahrnehmungundDis¬ kussion wieinderadministrativenProblembearbeitung markieren dieJahre 1889 und 1890 den HöhepunktderÜberfüllungskrise
inder wilhelminischenÄra.Diese auf der Basis der
zyklischen
Auf- undAbschwünge
der Studentenströme vorgenom¬mene
analytische
Rekonstruktion stimmt im wesentlichen überein mit der tatsächlichenÜberfüllungssituation
derakademischenKarrieren,
soweit sich dieseauszeitgenössischen
QueUen
empirisch
belegen
läßt(vgl.
etwaBahr1914;Bünger1893,1898,1905;Conrad 1884, 1906; Ernesti 1875; Huckert 1895, 1904; Kannengiesser 1893; Lexis 1889, 1891,1905;Schoenflies1892;Schulte1886;Werner1893). Einiges spricht allerdings
für dieThese,daß die
zyklischen Wendepunkte
derfachspezifischen
Studentenströme dieTendenzwende in den
Berufsaussichten
umeinige
Jahreantizipieren.
Schon bevor dieÜberfüllung
einer Karrieretatsächlich inErscheinung
tritt,
verengtsichder Zustrombei den Erstsemestem. DieErstsemesterströmestellen insofern sensibleIndikatorendar,die dasHeranrollenvonÜberfüUungsweUen
„seismographisch"
registrieren.
Interessantsind die sozialen
Selektionsprozesse,
die demzyklischen
Pulsieren der Studen¬tenströme
zugrunde
liegen. Forschungsleitend
warenzwei einfacheÜberlegungen.
Eineganze ReihevonGründen
spricht
dafür, daßAspiranten
für akademische Karrierenausmittleren undunterenSozialschichtenunter
ungünstigen
objektiven Bedingungen,
wiesieÜberfüllungssituationen
darstellen,ihren akademischen Berufswunsch eheraufgeben
undsich eher
entmutigen
lassen als solche aus den oberen Sozialschichten.Komplementär
dazu ist die zweite
Überlegung,
die demAlltagswissen weniger
offensichtlich ist, weilsie sich auf einen
verborgenen,
kaum thematisierten Mechanismusbezieht: Untergünstigen
objektiven Bedingungen,
wie sieMangelsituationen
darstellen, werdenAspiranten
ausmittleren und unteren Sozialschichten in besonderem Maß ihre Chancen zu
ergreifen
suchen und verstärkt
denjenigen
Karrieren zustreben, die wegenihrerMangellage
be¬sonders
günstige
Berufsaussichten bieten. BeideÜberlegungen
führtenzurHypothese
vonder
doppelten
Selektivitätder„Akademikerkonjunkturen":
InÜberfüUungskrisen
zeigt
sich eine
negative
Selektionswirkung,
dieum sostärkerist,je
niedriger
dasNiveau derso¬zialen Herkunft der
Bildungsberechtigten
ist(Abschreckungseffekt).
InSchrumpfungs¬
phasen
derEntwicklung
derStudentenfrequenz
wächst derAnteilderStudierendenausoberen Sozialschichten
(Verdrängungseffekt).
InMangelkrisen zeigt
sich einepositive
Selektionswirkung,
dieum sostärkerist,je
niedriger
das Niveau dersozialen Herkunft derBildungsberechtigten
ist. InExpansionsphasen
derEntwicklung
derStudentenfrequenz
wächst der AnteilderStudierendenausunterenSozialschichten
(Sogeffekt).
Das
optimale
statistische MaterialzurPrüfung
dieserdoppelten
SelektivitätsthesewärenDaten über die soziale Herkunft der Abiturientenund der
fachspezifischen
Studienanfän¬ger. Da diese Daten für den
Untersuchungszeitraum
nichtvorliegen,
mußte versuchtwerden,auf der
Grundlage
des vorhandenenDatenmaterialsmöglichst
naheandiefrag¬
lichen
Zusammenhänge
undvermutetenMechanismenvorzudringen.
4.2.
Diezyklische
Veränderung
derRekrutierungsbasen
Wenn die
Hypothese
von derdoppelten
Selektivitätrichtig
ist, dann müßten sich dieRekrutierungsbasen
der akademischen Karrieren in einemFließgleichgewicht
kurzfristig
Rekrutierangsmveaw
dennoch ziemhch stabilbleiben.Fürdiepreußischen
Studierendenan den
preußischen
Universitäten wurde diezyklische Veränderung
derRekrutierungs-basenzwischen 1886 und 1912 untersucht. Bei allen Fakultäten
zeigen
sichspezifische
Abschreckungs-
undVerdrängungsprozesse
inÜberfüllungsphasen
undSogeffekte
inMangelphasen,
die dieHypothese bestätigen.
(1)In der
Überfüllungsphase
beidenevangelischenPfarrernwächst der Anteil derBeamtensöhneaUerKategorien (einschUeßlichderPfarrersöhneselbst)unterdemBerufsnachwuchs erheblich(von
55 auf72%), während die Söhnevon Landwirten und Gewerbetreibenden „verdrängt" werden
(Schrumpfungvon39auf22%).
(2)Für dasPriesteramt,das alseinzigeunterdenKarrierenin denkritischen Jahrzehntennicht über¬
fülltist,vervierfachtsich in den 80er und 90erJahrenderBerufsnachwuchs.Essindvorallem die
SöhnevonLandwirten,Handwerkern, Kleinkaufleuten,GehitfenundArbeitern,diedenverstärkten
Zustrom stellen.WährenddieSöhnevonArbeiternundGehUfenunterdenStudentenderbeiden
exklusivenFakultäten eine ganzseltene Ausnahmesind(diemeistenSemesterweitunter1%)und in denbeidenoffenen Fakultätenanteilmäßigauf ein Niveauvon1bis2%ansteigen,klettertihr Anteil
unterdemPriesternachwuchsandenpreußischenUniversitätenimKaiserreichvon2bis4% Endeder
80erJahreauf nichtwenigerals12%vordem ErstenWeltkrieg.
(3)In derzyklischen Abschwungphase (bei niedrigenStudentenzahlenalso)erreichendieSöhnevon
höheren Staatsbeamtenund Anwältenunterden Jurastudenten ihrehöchstenAnteilswerteimUnter¬ suchungszeitraum (über 26%).In derExpansionvordem ErstenWeltkrieg verringertsich ihrAnteil
bis unter19%.
(4)Aus derVerschlechterungderAussichtenin derArztkarriereziehendie Söhnevonfreiberuflichen
Akademikern(undhierbesonders die Arztsöhneselbst)dengrößtenNutzen: Unter demschrumpfen¬
denMedizinernachwuchskönnen sieihren Anteilfastverdoppeln (von7auf13%).
(5)AufdemHöhepunktder
Überfüllungskrise
imhöherenLehramtstellendieSöhnederhöherenBeamten im ersten Fachbereich derphilosophischen Fakultäten (alte und neue Philologien und
Geschichte)fast20%.In derMangelphasevordem ErstenWeltkrieghalbiert sichihrAnteil auf 10%.Umgekehrtistdie Tendenzbei den Söhnenausdenmittlerenund unterenBeamtenfamilien:In der
Uberfüllungsphase
sinkt ihrAnteilbisunter25%,inderMangelphaseklettert erdann bis auf40% hoch.Immathematisch-naturwissenschaftlichen Fachbereich sind dieTendenzenähnlich,teü¬ weisesogar nochausgeprägter.
Mit dem
zyklischen
Pulsieren derStudentenströme,
daraufweisen alleEinzelergebnisse
der
Analysen
hin,öffnensich die Karrieren inMangelphasen
ein Stück weit nachunteninbildungsferne
Schichten und schließen sich inUberfüUungsphasen
nach unten wiederengerundsozial exklusiver ab. Die
abgeschreckten
potentiellen
Anwärter aufeine akade¬mische Karriere ziehen sich durchSelbstselektion und
Senkung
ihresAnspruchsniveaus
(Ausweichen
auf nichtakademischeErsatzkarrieren)
entweder ganzaus der Statuskon¬kurrenz zurück oder werden in eine
„offene"
Karriere„verdrängt",
die aktueUgünstigere
Aussichten erwarten läßt. Da die
zyklische Verknappung
von akademischen Berufs¬chancennurin
allgemeinen
ÜberfüUungskrisen
sämtliche Karrierengleichzeitig
betrifft,
istdie
Verengung
der Chancen auf dem einen Berufsfeld meistens mit „nochgünstigen"
Aussichten oder sich bereits wieder
zyklisch
erweiternden Chancen auf anderenBerafs-feidern verbunden. Die
vielfältigen
Abschreckungs-,
Verdrängungs-
undSogeffekte,
diedas
komplexe
System
der akademischenStatusproduktion
ineinemFließgleichgewicht
erhalten,
müssendeshalb immer alsTeilprozesse
eineseinzigen funktionalen
Zusammen¬hangs
betrachtet werden. Jedes einzelne statistischeDatum läßt sich in seiner„sozialenÜberfüllungskrben
inakademischen Karrkren:eineZyklmtheork.
197
4.3.
Überfüllung,
Mangel
und StudienfachwahlWar die vorangegangene
Analyse
derzykUschen
Veränderung
derRekrutierungsbasen
perspektivisch
eineZustrom-Analyse
{woher
kommendie Studierenden der verschiede¬nen
Fakultäten?),
sowird diePerspektive
in derfolgenden Abstrom-Analyse umgekehrt:
Wohin wandern die Studierenden der verschiedenen
Herkunftsgruppen?
Wennes
richtig
ist,
daßsich dieStudienanfänger je
nachHerkunft schwächer oder stärkeranden
wahrgenommenen
Berufsaussichten in den einzelnen Karrierenorientieren,dannmüßte sich diese
Abhängigkeit
auch für dieStudierenden aller Semester einer Herkunfts¬gruppe noch nachweisenlassen,wenn manderen
VerteUung
auf die einzelnenStudien¬fächer überdie Zeit
verfolgt.
DieStudienfachpräferenz
einerHerkunftsgruppe
läßt sichin einem
Fächerprofil
darstellen,welchesdieprozentualen
Anteile,
indenensichdie Stu¬dierenden den verschiedenen
Studiengängen
zuwenden,anschaulichzumAusdrackbringt.
Sind die
Studienfachpräferenzen
einerHerkunftsgruppe
von denzyklischen
Wechsel¬lagen
vonÜberfüllung
undMangel
relativunabhängig,
dannist ein relativ stabiles Fächer¬profil
dieserHerkunftsgruppe
zuerwarten. Orientieren sich die Studierenden einerHer¬kunftsgruppe
aberin starkem Maßan denwechselnden Berufsaussichten, dann müßtesich dieser Einflußinihrem labilen
Fächerprofil
niederschlagen.
-DieAnalyse
der her¬kunftsspezifischen Fächerprofile
bestätigte
eindrucksvoll dieHypothese.
Aus derFülleder
Einzelergebnisse
tretendiefolgenden
als besonderswichtige
hervor.(1)Eininsgesamtsehr stabiles ProfilzeigtdieStudienfachpräferenzderSöhnevonhöherenStaats¬
beamten und Anwälten(Abbildung 1).Rundzwei Drittelbisdrei Viertel wendensichzwischen 1886
und 1912 denjuristischenundmedizinischenFakultätenzu.InnerhalbdesrelativstabilenGesamt¬
stromszudiesenbeiden exklusivenKarrierenläßt sicheinegewisse zyklische Gegenläufigkeitfest¬
stellen:Seitder zweiten Hälfte der 90erJahre,als sich dieBerufsaussichtenbei denÄrztenverschlech¬
tem,verengtsichder Zustrom in diemedizinischenFakultätenzugunstendernochbeherrschenderin Erscheinung tretenden Juraorientierung (62,9% 1905/06). Unbeeinflußt von den wechselnden
Berufsaussichten hältsichder ZustromzudenLehramtsstudiengängenauf einemniedrigenstabilen
Niveau.Ähnlich stabilin ihrer Struktur (beinoch stärkererDominanzvonJura)sind die Fächer¬
profilederSöhnevonOffizierenundRittergutsbesitzern.Die studierendenArztsöhnewenden sich mit hoherStabilität ebenfaUsdiesen beidenexklusivenKarrieren zu,wobeiderAnteil der medizinischen
Fakultäten wegen der hohenBerufsvererbungnaturgemäßdominiert.
(2)Stärker alsdieSöhnevonhöherenStaatsbeamten, Anwälten, Offizieren,Rittergutsbesitzernund ÄrztenorientierensichdieSöhnevonGeistlichenundLehrernanhöherenSchulenin ihrerStudien¬ fachpräferenzanden wechselndenBerufsaussichten.Besonders interessant ist dasFächerprofilder studierenden SöhnevonOberlehrern.Die imVergleichzuJuristen, ÄrztenundGeistlichenbemer¬
kenswertniedrigeQuotederBerufsvererbung folgtin ihrenSchwankungen(zwischen25 und43%)
den zyklischen Wechsellagen von
Überfüllung
und Mangel. Neben dieser Orientierung an den BerufsaussichtenschlägtsichimFächerprofilderSöhneauch dasStandesschicksalder Väter nieder:Inbemerkenswerthohen Anteilen streben die Söhneindiejuristische Karriere, derstatusmäßig
gleichgestelltzuwerden die Väter imKaiseneichüber Jahrzehntehinwegeinen verbissenenKampf führen,bisdenOberlehrernim Jahr 1909dieGleichsteUungmit den RichternersterInstanzzugestan¬
denwird(Titze 1977).UmdieJahrhundertwende,wenigeJahre nach dervondenLehrern mit Ver¬ bitterung registriertenneuerlichenBenachteiligungbeiderBesoldungsreformvon1897,ist die Jura¬ orientierungbei denstudierenden Oberlehrersöhnensogar stärkeralsdieBerufsvererbung. (3)AmstärkstenschlägtdieOrientierungandenwechselnden Berufsaussichtenin derFächerwahl der SöhneausdemneuenMittelstanddesschnell wachsendenöffentlichenDienstesdurch.DieMehr¬
heitdieserStudentenaus mittleren undunterenBeamten-und Volksschullehrerfamilienkannein
^__^^
_ _SonstigeFächer
derphil Fak 90-i
,—^~^-C-
x-^
-^ Mathematiku Naturwissenschaften s*~s*. r ' ~--y ~~ 80" 70-i 60:-^"~^^''^^^^.^_^
Philologienu Geschichte Zahnmedizin^^j
---/
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Medizin/^V
"^ 50J 40-i 30-Jura20-~*-<«=^_^
10- n-/Katholische Theologie "^Evangelische Theologie 1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910Abb. 1: DasFächerprofilderstudierenden Sohnevonhöheren Staats-undKommunalbeamten und
Anwalten(Preußen1886-1912)
uu-SonstigeFächer
derphil Fak
90-i 80-
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Mathematiku Naturwissenschaften TO-i so-; 50-i40^
X._
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Philologienund Geschichte 30: Zahnmedizin Medizin 20^ \~"~~X._
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^ Jura 10-i n-Katholische Theologie Evangelische Theologie 1880 1885 IB90 1895 1900 1905 1910Abb.2: DasFacherprofilder studierenden SohnevonLehrernohne akademischeBildung
Überfüllungskrben
inakademischen Karrieren:eineZyklustheorie
199
schnelleVersorgungnach dem Examenangewiesen.Esnimmtnichtwunder,daß dierelativstarke
Konzentration auf die offenen Fakultäten das erstestrukturelleMerkmal unddiezyklischeOrientie¬
rung der FachwahlamMangeldaszweite struktureUeMerkmal desFächerprofilsdieserStudenten¬
gruppeist. Sindauf demHöhepunktder
Überfüllungskrise
im höheren Lehramtnurrund 13%derstudierenden Volksschullehrersöhne inden beidenHauptstudiengängenfür dieseKarriereeinge¬
schrieben,soschnelltdieser Anteilmit derVerbesserungderAussichtenrapidenach obenund erreicht
1911/12nichtwenigerals 57%. Gegenläufigdazu schrumpftderAnteil, dersich der überfüllten Karriere desevangelischenPfarramtszuwendet,voneinemNiveauüber40%aufunter10%(Abbil¬ dung2).Ähnlich labilist dasFächerproblemder SöhnevonmittlerenundunterenBeamten. Zuden
labilenHerkunftsgruppen,die sichbei der akademischenBerufswahlinhohem Maßvonden Berufs¬
aussichten beeinflussen lassen, zählen auchdie Söhnevon mittleren undKleinlandwirten. Biszur
Überfüllungskrise
im Arztberuf strebensieinbemerkenswerthohen Anteüen noch denmedizinischenFakultäten zu, werdenvondenverschlechtertenAussichten seitderzweitenHälfte der 90er Jahre
aber stark abgeschreckt und wenden sich ebenfalls ganz überwiegendder „Mangelkarriere"des
höheren Lehramtszu.
4.4.
Überfüllung,
Mangel
undStudienfachwechselWenndie
Hypothese
vonderdoppelten
Selektivitätrichtig
ist,dannmüßten sichdie sozia¬lenMechanismen im Bereich der Studienfachwechselin
folgenden Erscheinungen
mani¬festieren:
(1)
Inzyklischen
Abschwungphasen
steigt
der Anteil derStudierendenanderGesamtheit,der dasbereits
begonnene
Fachstudiumaufgibt
und sich durch einenStudien¬fachwechsel einer anderen
Berufsperspektive
mit vermutetenbesseren Aussichten zu¬wendet
(Abschreckungseffekt). (2)
Die Studienfachwechsler orientieren sich vornehmlichanden
wahrgenommenen
Berufsaussichten und wenden sichdenjenigen
Fakultäten bzw.Studiengängen
zu,die besondersgünstige
Berufsaussichtenerwartenlassen(Sogeffekt).
Aufgrund
derverfügbaren
Datenlage
lassensich dieseHypothesen
nurfür diepreußischen
Studierenden
allgemein überprüfen,
nicht für die Studierenden nach ihrerspezifischen
sozialenHerkunft. Die
Quellenlage
erlaubt denempirischen
Testauchnurfür die beiden Fakultäten, die imUntersuchungszeitraum zyklische
Abschwünge
aufweisen: nämlichdie
evangelisch-theologische
Fakultät(1887-1905/06)
und die medizinische Fakultät(1887-1904/05).
Für beide Fakultäten wurde dieHypothese bestätigt.
In sämtlichenevangelisch—theologischen
Fakultätensteigt
der Anteil der Wechsler, die die Fakultätverlassen,von
7,42%
im WS1887/88 aufgutdasDoppelte
imTiefpunkt
derAbschwung-phase
umdieJahrhundertwende(16,14%
im WS1899/1900).
In denmedizinischen Fakul¬täten
steigt
derAnteil der abwandernden Studenten ebenfalls erheblich und verdreifachtsich sogar inder
Abschwungphase:
von2,86auf8,72%.Noch
überzeugender
als dieersteHypothese
über denAbschreckungseffekt
vonUber-füllungssituationen
wurde die zweiteHypothese
überdieSogeffekte
vonMangellagen
bestätigt.
DieEntwicklung
derStudienfachwechsel imUntersuchungszeitraum
ist durcheine zentrale Tendenz bestimmt,hinter der alle anderen
Veränderangen
zurücktreten:durch den breit anschwellendenZustromder Wechslerausallen Fakultäten in die
philo¬
sophischen.
Derin derFachöffentlichkeit(Bünger
1893; Schoenflies 1892; Huckert1896)
seit der Mitte der 90er Jahre(übrigens
imGegensatz
zumPhilologenverband
undzum
Kultusministerium)
wiederholtprognostizierte Lehrermangel
imhöherenSchuldiemtnach derJahrhundertwende löste nichtnurbei den
Studienanfängern
sondernauch beiSog-Wirkung
aus. Dieser Effekt läßt sichaus der Struktur allerAbstromprofile
deutücher¬kennen. Der Anteil der abströmenden Wechsler ausden einzelnen Fakultäten, der in
die
phUosophischen
Fakultätenabwandert, an derGesamtheit der Abwandererausderbetreffenden Fakultät
steigt
an:(a)
in denevangehsch-theologischen
Fakultäten von34,21%
imStudienjahr
1892 auf 84,10% imStudienjahr
1905;(b)
in denkathohsch-theologischen
Fakultätenvon34,49%
(1895)
auf80,83%
(1902); (c)
in denjuristischen
Fakultätenvon23,75%
(1888)
auf67,77%
(1905);
(d)
in denmedizinischen Fakultätenvon
32,77%
(1888)
auf66,07%
(1905).
DieseDatenbelegen
eindeutig:
Die Studentenanden
preußischen
Universitäten,
die zwischen 1900 und 1905 ihr Studienfachwechselten,strömten ganz
überwiegend
in diephUosophischen
Fakultäten und orientierten sich dabeianden besonders
günstigen
Berufsaussichten in derKarriere des höherenLehramts,dieder
empfindliche
Lehrermangel
anden höheren Schulenerwartenließ.In dengesamtenHypothesenrahmen fügensich weitereEinzelergebnisse stimmigein.Dieanteiligen
AbwandererströmeausdentheologischenFakultätensind erheblich stärkeralsdieausden exklusiven
juristischen undmedizinischen Fakultäten. Sensibler als bei denWechslernaus diesen Fakultäten spiegeltdas Wechslerverhaltender AbwandererausdenbeidentheologischenFakultäten die Ten¬ denzwendeimhöheren Lehramtwider:Endeder 80erJahre,Anfangder 90erJahregehendieAnteile derAbwandererangesichtsder Verschärfungder
Überfüllungssituation
im höheren Lehramtnochzurück,umdann ganzplötzlich-nach denersten
Mangelprognosen-in derTendenzumgekehrtsteil
anzusteigen(vgl.das
Äbstromprofil
derkatholisch-theologischenFakultäten inAbbildung 3).Wiestark sichdieSogwirkungderMangellageinderalternativen„offenen"Lehramtskarriere alsWande¬
rungsverlustniederschlägt,machtdasBilanzprofilderkathoUsch-theologischenFakultätendeutüch
(Vergleich
der absoluten Zu- und Abströme inAbbildung 4).Dieungewöhnlichen Wanderungsver¬lustebei den katholischenTheologiestudentenumdie Jahrhundertwende werdenverständlich,wenn
mansieauf demHintergrundderverändertenBerufsaussichten betrachtet. BiszurJahrhundertwende hat sichder noch 1890bestehendePriestermangelinPreußen(rund1100 vakanteSteUen) weitgehend ausgegüchen,dennzwischen1892 und1901erhöhte sich dieZahlderkathoüschen GeistUchenum
nichtwenigerals 1253(Lexis1905,S.6).Nach derAuffüUungder Lückenwandert ein beträchtlicher
100 80 60 40-20
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Wechsler in die phil.Fakultäten ; \;
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Wechsler in die med. Fakultäten Wechsler in die jur. Fakultäten 1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910Abb.3: DasÄbstromprofilderWechselausdenkath.-theologischenFakultätenderpreußischen
Überfüllungskrben
inakademischenKarrieren:eineZyklmtheorie
201
TeU des BerufsnachwuchsesvomPriesteramtin die attraktivere„Mangelkarriere"deshöherenLehr¬
amtsab. Die Tendenzwende indenBerufsaussichtenbeimhöheren Lehramt manifestiertsich auch sehrdeutlichimBilanzprofilderphUosophischenFakultäten.AngesichtsderlangenWartezeitenbei den Lehramtsbewerbern weisen die philosophischenFakultäten in der
ÜberfüUungsphase
einenhohenWanderungsverlustauf;der zunächstprognostizierte,seitderJahrhundertwende tatsächlich
eintretendeLehrermangelbeeinflußtdasWechslerverhaltenin derWeise,daß diephilosophischen
Fakultäten biszudenneuerüchen
ÜberfüUungswamungen
kurzvordem ErstenWeltkrieg(Huckert 1910)einenWanderungsgewinnverbuchen können(Abbildung 5).A--A
250-i 200-/
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50- n-Abströme (absolut) Zuströme (absolut) 1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910Abb. 4: DasBilanzprofilderAb- und Zuströme derkath.-theologischenFakultäten derpreußischen
Universitäten(1886-1912) BC0-. 7C0-; 600-1 500-; 4C0-; 300-; 200-3 ioo-!
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Zuströme (absolut) Abströme (absolut) 1880 1885 1895 1900 1905 1910Abb. 5: DasBilanzprofilderAb- undZuströme derphilosophischenFakultäten derpreußischen
5. Der
Einfluß
derWachstumsbedingungen
der akadembchen KarrierenDieschnelle
Expansion
derakademischen Karrieren imKaiserreich wirft dieFrage
nachden
langfristigen Wachstumsbedingungen
des tertiärenBUdungsbereichs
auf5.
DerStellen¬wertder
allgemeinen
Überfüllungskrise
der 80er und 90er Jahre läßt sicherstim Rahmeneiner
Analyse
derlängerfristigen Wachstumsbedingungen
bestimmen. NacherstenAna¬lysen
der Studentenströme bis 1940, die sich für diealtpreußischen
Universitäten von1820an,füreine Reihevon Einzeluniversitätenvoneinem noch früheren
Zeitpunkt
an(z.
B.Göttingen
ab1767) verfolgen
lassen,zeichnen sicheinige
neueHypothesen
ab,dievonder weiteren
Forschung präzisiert
werden müssen.Vorerstlassen sie sichnurdurcheine
plausible Argumentationskette
stützen, deren Haltbarkeit in allen Teilen durchweitere
empirische Untersuchungen überprüft
werden muß.5.1. Die
Stagnation
der Karrieren 1830-1860Die
zahlenmäßig
bedeutendsten akademischen Berufsstände sind im zweiten Drittel des19. Jahrhunderts nur bemerkenswert schwach
gewachsen
(Tabelle 4).
Dieverzögerte
Wachstumsentwicklung
imVormärzmanifestiertsich besonders imlangfristigen
Trend derAusbildung studienberechtigter
Abiturienten in Preußen.ImJahrzehnt 1820-1829wardieZahl der
studienberechtigten
Abiturienten bis auf ein Niveau von über 15200 ange¬schwollen
(Summe
für sämtUche 10Jahre; Wiese,Bd.1,1864,S.512ff.).
DieserAbituri¬entenboomwardie
Vorraussetzung
für die vormärzlicheUberfüllungskrise
in den aka¬demischen Karrieren. Wie schon bei der vorangegangenen
ÜberfuUungswelle
in denBeider Diskussionder hier untersuchten ProzessetauchtbeständigdieFragenachdendemogra¬ phischen Einflüssenauf.Im Untersuchungszeitraumdes Kaiserreichsspielensie mitSicherheit keineRolle. Um den Einflußderdemographischen Entwicklungzuprüfen,wurden dieStudenten¬
zahlenaufmehrereVergleichsgruppender männlichenGesamtbevölkerungPreußensprozentuiert
(z.B.die Alterskohortender17-24jährigen Männer).DieinBochumerhobenenBevölkerungs¬
datenstandenim Rahmen desQUAKRIinternenDatenaustauschs derGöttinger GruppezurVer¬
fügung.WegenderfastlinearenBevölkerungsentwicklung zeigendiedemographisch bereinigten
Daten bezüglich der Struktur der zykUschen Schwankungen keine Abweichungen. -Für die
Analyse derstarken Frequenzeinbrüche bei denStudentenströmen imDritten Reich sind die demographischen Einflüssedemgegenüberals sehrerheblichzuveranschlagen.Die starken Ge¬ burtenrückgängeseit 1915(dievonMitte der30erJahreanbei denAbiturientenundStudenten durchschlugen)sind neben denAbschreckungseffektender
Überfüllungskrise
unddendrastischen politischen Eingriffen unbedingt zuberücksichtigen, um Fehleinschätzungen derdramatischen SchrumpfungdesHochschulbesuchsimNationalsozialismuszuvermeiden.—Eingewisser,aller¬ dingsnichtsehr erheblicherTeil des Wachstums derStudentenzahlen im Kaiserreichgingzweifel¬
loszuLastenderVerlängerungder Studienzeiten. 1902 wurde dieStudienzeitderMedizinerobli¬
gatorischumeinauf zehn Semesterverlängert(Conrad1906,S.467).ErsteAnalysendesDaten¬ blocks 02(SemesterbesetzungderStudierenden)deuten daraufhin,daßesbeidenLehramtsstu¬
denten in dererstenHälfteder90erJahregewisseStaueffekte gab: angesichtsder
Überfüllungs¬
situationdehnte ein kleiner Teilder älteren Studenten dasStudiumeinige Semesteraus. -Das
Frauenstudium, das in Preußen erstseit dem letztenJahrfünft vordem ErstenWeltkriegeine
nennenswerte Rollespielte,ist indiesemBeitragganzausgeblendetworden.Einenerheblichen Einfluß auf die
UberfüUungskrise
in denakademischen Karrieren übte dieserneuartigeFaktor allerdingsin derZwischenkriegszeitaus(Schairer1932;Nath1981).ZumEinfluß beiderFak¬toren (Studienzeitverlängerung, Frauenstudium) auf das Wachstum bereits im Kaiserreich vgl.