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as haben eine Augenhornhaut, die transplantiert werden soll, und ein ACE-Hemmer ge- meinsam? Eigentlich relativ wenig. Das allerdings könnte sich schon bald än- dern. Geht es nach dem Bundesgesund- heitsministerium (BMG), dann unter- steht der Umgang mit menschlichen Zellen und Geweben künftig größten- teils dem Arzneimittelgesetz (AMG).Das BMG hat einen entsprechenden Referentenentwurf vorgelegt. Die ge- plante Gesetzesänderung hätte weitrei- chende Folgen: Für Arzneimittel gibt es kein Handelsverbot. „Wenn das Gewe- begesetz in seiner jetzigen Form in Kraft tritt, dann ist dem gewerblichen Markt für Gewebetransplantate Tür und Tor geöffnet“, warnt Bundesärzte- kammer-Präsident Prof. Dr. med. Jörg- Dietrich Hoppe.
Gravierende Fehlanreize
Das BMG habe es in dem Gesetzent- wurf versäumt, der Organtransplan- tation Vorrang vor der Gewebegewin- nung zu sichern, so die Bundes- ärztekammer (BÄK). Daraus könnten möglicherweise gravierende Fehlan- reize entstehen. Wird beispielsweise ein Spenderherz für eine Organtrans- plantation zur Verfügung gestellt, dann erfolgt dies unentgeltlich. Wer- den hingegen die Herzklappen ent- nommen, könnten diese nach dem Ge- setzentwurf zu gewerblichen Zwecken genutzt werden.
Das Ministerium hat unterdessen die Kritik der BÄK zurückgewiesen. Man wolle keinen gewerblichen Markt für
menschliche Gewebe und Zellen, be- tonte BMG-Sprecherin Annelies Ilona Klug gegenüber dem Deutschen Ärzte- blatt. Es handle sich lediglich um einen Gesetzentwurf. Die Stellungnahmen zu diesem Entwurf – wie
auch die der Bundesärzte- kammer – würden nun ausgewertet. Dann müss- ten gegebenenfalls For- mulierungen nochmals überarbeitet werden.
Doch der BMG-Ge- setzentwurf birgt weit mehr Probleme als die Gefahr der Kommerzia- lisierung von Gewebe- spenden. Wenn der Um-
gang mit Geweben und Zellen dem Arzneimittelgesetz unterstellt wird, würden Kliniken und Einrichtungen, die Gewebe entnehmen, praktisch wie pharmazeutische Unternehmer behan- delt. Konkret bedeutet dies: Für die Entnahme von Geweben und Zellen brauchen sie eine Herstellungserlaub- nis. Wenn eine Gewebespende an ei- nen Patienten in einer anderen Klinik geht, dann besteht eine Zulassungs- pflicht. Es ist denkbar, dass solche bürokratischen Hürden bestehende Gewebebanken in ihrer Existenz ge- fährden. „Es entbehrt jeder Logik, Gewebe dem Arzneimittelgesetz zu unterstellen, die nicht weiterverarbei- tet, sondern lediglich entnommen und aufbewahrt werden“, kritisiert Hoppe.
Es sei zu befürchten, dass die geplan- ten Regelungen den Mangel an be- stimmten Gewebetransplantaten weiter verstärkten – ohne einen Gewinn an Qualität und Sicherheit.
Darüber hinaus sieht der Entwurf in Verbindung mit einer noch zu erlassen- den Rechtsverordnung vor, dass eine Aufwandsentschädigung an Gewebe- spender gezahlt werden kann. Beson- ders heikel erscheint dies bei der post- mortalen Gewebespende von embryo- nalem und fetalem Gewebe. Wird hier die Mutter als Lebendspenderin ge- sehen, so wäre es möglich, ihr eine Aufwandsentschädigung zu zahlen. So könnten Fehlanreize gesetzt werden, und es käme möglicherweise zu einer verdeckten Bezahlung von Schwanger- schaftsabbrüchen.
Die BÄK hat grundlegende Ände- rungsvorschläge zum Gesetzentwurf er- arbeitet. In ihrer Stellungnahme fordert die Kammer unter anderem, nicht ein- fach alle Gewebe und Zellen über einen Kamm zu scheren. Die BÄK plädiert dafür, Gewebe, die ledig- lich entnommen und ver- wahrt werden – wie bei- spielsweise Hornhäute von Augen –, dem Trans- plantationsgesetz zu un- terstellen. Zellen und Ge- webe, die weiterverarbei- tet werden, sollen dem AMG unterliegen, denn sie ähneln eher Rohstof- fen für Arzneimittel und verlangen ganz andere Qualitätsstandards. Ein Beispiel dafür sind Endothelzellen, die zur Beschich- tung von Stents aufbereitet werden.
Das Gewebegesetz dient der Umset- zung einer EU-Richtlinie zur Fest- legung von Qualitäts- und Sicherheits- standards im Umgang mit mensch- lichen Zellen und Geweben (2004/
23/EG). Die Richtlinie hätte eigentlich bereits zum 6. April umgesetzt werden müssen, das BMG hatte den Gesetzent- wurf jedoch erst Anfang April vorge- legt. Nach Darstellung des Ministeri- ums soll das Gesetzgebungsverfahren bis Juli abgeschlossen sein. Dennoch appelliert die BÄK in ihrer Stellung- nahme an den Gesetzgeber, genügend Zeit für den Dialog zwischen Politik und Fachkreisen zur Verfügung zu stellen. Dr. med. Birgit Hibbeler P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 20⏐⏐19. Mai 2006 AA1345
Gewebegesetz
Fragwürdige Logik mit weitreichenden Folgen
Nach einem BMG-Gesetzentwurf soll künftig der Umgang mit menschlichen Zellen und Geweben weitgehend
dem Arzneimittelgesetz unterstehen. Ein kommerzieller Markt für Transplantate könnte sich entwickeln.
Hintergrundinformationen zum Gewebegesetz unter www.baek.de/15/index.html
„Wenn das Gewebe- gesetz in seiner jetzigen Form in Kraft tritt, dann ist dem gewerblichen Markt für Gewebe- transplantate Tür und Tor geöffnet.“
Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe