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VORLÄUFIGE FASSUNG Nur zum Gebrauch im Rahmen der Ausbildung Bitte nicht weitergeben

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Nur zum Gebrauch im Rahmen der Ausbildung Bitte nicht weitergeben

Arbeitsgruppe Hypnotherapie Prof. Dr. Dirk Revenstorf Universität Tübingen

2018

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Vorbemerkung

Diese Sammlung von Anekdoten und Metaphern gehört zu den Ausbildungsunterlagen der Curri- cula für klinische Hypnose und für medizinische Hypnose. Sie ist für den internen Gebrauch be- stimmt, mit der Bitte sie nicht weiterzugeben. Die Texte stammen aus verschiedenen Quellen und wurden von den Mitarbeitern der Arbeitsgruppe Hypnotherapie an der Universität Tübingen ge- sammelt und in der vorliegenden Form niedergeschrieben. Sie sollen eingesetzt werden, um den inneren Suchprozess des Klienten anzuregen. Daher kann jede Metapher in unzähligen Kontexten eingesetzt werden. Als Text zur Erläuterung der Nutzung von Metaphern in der Hypnotherapie sei auf das Kapitel 2.8 in dem Buch „Hypnose in der Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin"

hingewiesen (Revenstorf & Peter 2001; Heidelberg: Springer).

Tübingen, Dezember 2008 Prof. Dr. Dirk Revenstorf MH Erickson Akademie

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Inhalt

Einleitung 7

1. Der Adler 11

2. Die Steinpalme 11

3. Der Traum des Bettlers 12

4. Löwengeschichte 12

5. Der König und der Hofnarr 13

6. Kein Meister fällt vom Himmel 14

7. Das Portrait des Vogels 14

8. Die Metamorphose der Raupe 15

9. Hans im Glück 16

10. Der Einsiedler aus der Tundra 17

11. Beppo Straßenkehrer 17

12. Der Baum 18

13. Das Wasser 19

14. Die Sonne 19

15. Der Sämann 20

16. Auf einem Bein 20

17. Der Regenschirm 20

18. Elefant im Dunkeln 21

19. Schleier 21

20. Lange Löffel 21

21. Neunzehn Kamele 22

22. Mullahs Tochter – Tochter des Wanderpredigers 22

23. Drei Türen 23

24. Büffelkuh 23

25. Glatteis 24

26. Reisaffen 24

27. Friedhofsmauer 25

28. Mühlstein 26

29. Das Geheimnis des langen Bartes 26

30. Fabriklärm 27

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31. Die Sonne und der Nordwind 28

32. Die Maus 28

33. Der Biber 28

34. Zweidimensionale Welt 29

35. Wegen Umbaus vorübergehend geschlossen 30

36. Unglückliche Liebe 30

37. Der süße Brei 31

38. Vom goldenen Apfel 31

39. Warum es Krieg nicht geben kann 32

40. Der Mann im Turm 33

41. Die innere Stimme besser wahrnehmen 33

42. Der Ritter und das Rätsel 34

43. Die Schwierigkeit, es allen Recht zu machen 36

44. Zauberreich am Meer 37

45. Geschichte von der Turandot 38

46. Ballast eines Wanderers 40

47. Alter Cherokee 41

48. Bäumchen-Geschichte – 41

methaphorische Variation zu „Sammeln und Loslassen“ 41

49. Wassertropfen 43

50. Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen 45

51. Zeit zu leben 45

52. Da muss man´s haben 46

53. Das Kreuz, das nicht passt 47

54. In der Sonne 48

55. Flussüberquerung 48

56. Die Frösche im Milchtopf 49

57. Das Glück lag am Wegesrand 49

58. Binde Dein Kamel fest 53

59. Zwei Mönche 54

60. Der Spannungsbogen 54

61. Tempel der tausend Spiegel 55

(5)

62. Der Fisch im Traum 56

63. Die Kraft der Wärme 57

64. Wahre Freiheit 57

65. Wahre Liebe 57

66. Zu wenig 60

67. Der Baum 61

68. Der Ire und der jüdische Rabbi 61

69. Der Wachhund und der Schlafhund 62

70. Die zwei Götter der Zeit / Chronos und Kairos 63

71. Metapher Flussüberquerung 65

72. Tugend oder Leben 65

73. Der junge Bogenschütze 66

74. Geschichte von Hephaistos 66

75. Die Geschichte vom brennenden Haus 67

76. Das Märchen von der Traurigkeit 68

77. Ein Leben nach der Geburt 69

78. Die Mönche und das Wunder 70

79. Der heilige Mann und Gottes Güte 70

80. Schatten auf der Sonnenuhr 71

81. Der Sand und der Strom 71

82. Der Rat der Stachelschweine 72

83. Der Blutegel und die Libelle 72

84. Ein Teil des Ganzen – Wu Wei 73

85. Die Eiche und das Schilfrohr 73

86. Die Heilung des Kalifen 73

87. Der kluge Bauer 74

88. Die faulen Reispflanzen 74

89. Das Bäumchen, das nicht wachsen wollte 75

90. Klara, das Huhn oder die falsche Entfernung 75

91. Die Kathedrale 75

92. Königstochter Schlange 76

93. Lorbeerkind 78

(6)

94. Das weiße Entchen 80

95. Die drei Schwestern 83

96. Die Liebenden und die Zauberer 86

97. Die Kokosnuss 89

98. Wer hat die Tonne hierher gestellt? 89

99. Das geliehene Geld 90

100. Frosch und Skorpion 90

101. Der Elefant 91

102. Der Baum 91

103. Göttliche Erlaubnis 92

104. Das perfekte Kamel 92

105. Das Gewächshaus 93

106. Der beste Verkäufer 94

107. Faul in der Sonne 95

108. Die Macht der Gewohnheit 96

109.Schritt zur Seite 96

110.Die viel zu kleine Wohnung 96

111. Die verlorenen Juwelen 98

112. Der Ölbaum 99

113. Kung Fu und der Bambus 99

114. Die zwei Hemden 101

115. Adler und Henne 101

116. Der gefürchtete Restaurantbesuch 102

117. Die Trauer des Königs 103

118. Der Einbeinige 104

119. Wie Mendelssohn die Formet gewann 104

120. Dädalus und Ikarus 105

121. Tristan und Isolde 106

122. Siegfried und das Drachenblut 106

123. Der Gefangene auf einer Insel und der Dampfkochtopf 107

124. Stöckchen im Fluss 107

125. Stausee und Dammbruch 108

(7)

126. Ballon mit Sorgenkorb 108

127. Haus der Steine 108

128. Herzinfarkt 109

129. Drei Tote und ein Kühlschrank 110

130. Die Todesliste des Bären 110

Metaphern-Sammlung – Thematische Sortierung 112

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Einleitung

Metaphern variieren von ziemlich klaren Hinweisen auf die angestrebte Wirkung (z.B. folgende Analgesie-Metapher: „Stellen Sie sich eine Hütte in den Bergen im Winter vor. Sie treten vor die Tür und greifen in den Schnee und formen einen Schneeball mit bloßen Händen und spüren, wie der Schnee zwischen Ihren Fingern zerschmilzt und sie kalt und unempfindlich werden“) bis hin zu Bildern in der Geschichte, deren Mehrdeutigkeit durch ihre unterschiedliche Rezeption zum Ausdruck kommt.

Der Begriff der Metapher ist nicht klar definiert. Man kann zahlreiche Typen unterscheiden. Zu den Metaphern gehören – hier jeweils mit beispielhaften Bedeutungsgehalt –

Bilder wie Frosch oder Vogel für Perspektivwechsel, Handschuh für Analgesie

Symbole wie Sonne, Baum, Vulkan, Welle, Berg und andere Naturphänomene für Res- sourcen

Gleichnisse wie der Sämann (Matthäus, 13) für „Pacing“: Jesus spricht zu Bauern und be- nutzt die Metapher des Samens für den Glauben

Sprichwörter wie „Esel zwischen zwei Heuhaufen“ für Dilemmata

Zitate wie „Der Gerechte fällt siebenmal hin und steht wieder auf“ (Sprüche, 24) als auto- risierte Ermutigung

Rätsel wie das von den 19 Kamelen für die Grenzen der Vernunft

Parabeln, Allegorien und Fabeln (Wu Wei, Sonne und Nordwind) für Lebensweisheiten

Märchen und Mythen (Hans im Glück, Dädalus und Ikarus) für komplexe allgemein menschliche Motive und Probleme

therapeutische Geschichten (Steinpalme) als Hinweis auf das Veränderungspotenzial bei bestimmten pathologischen oder anderen menschlichen Themen

Fall-Anekdoten wie z.B.:

Erickson erzählte einem Patienten, der der Weisheit seines Körpers nicht vertraute, von einem Mann mit Holzbein, der Erickson (selber am Krückstock) bat, ihn über eine Glatteisstelle auf der Straße zu führen. Erickson forderte ihn auf, sich die Augen mit dem Schal zu verbinden, wies ihn an, sich langsam zu drehen und mal nach links, mal nach rechts zu gehen. Als er ihm die Binde von den Augen nahm, war er selbstständig über die glatte Stelle gegangen gemäß der Logik der Ablenkung, denn wer ans Fallen denkt, fällt hin.

Witze, wie der von der Tochter des Wanderpredigers, haben unabhängig vom Inhalt durch die spe- zielle Mechanik des Humors, dass sie nämlich für einen kurzen Moment die Rationalität komplett aushebeln, den Effekt der Labilisierung des kognitiven Systems. Das macht sie geeignet, Um-

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strukturierungen zu fördern, etwa von der Opfer- in die Täterrolle – wie einem Fall, in dem die Patientin die bearbeitung schriftlicher Anträge hinausschob, in Erinnerung an die besagte Ge- schichte sich selbst die unausgesprochene Suggestion gab: „Ich mache mich über die Berichte her und nicht diese über mich!“.

In der Rhetorik werden mit Metaphern unterschiedliche Ziele verfolgt. Sie dienen der dekorativen Ausschmückung eines Textes, als Belehrung oder dazu, etwas mit anderen Worten zu wiederholen, ohne langweilig zu werden. Auch dazu, um etwas konkret vorstellbar zu beschreiben oder um durch die Erzählweise in der dritten Person, von der unmittelbaren Identifikation des Zuhörers mit der in der Metapher dargestellten Handlungsweise abzulenken.

Nicht zu vernachlässigen ist die suggestive Wirkung von Bildern. In einer CIA-Studie wurden Bürger nach dem Strafmaß für das Verbrechen befragt, das höher ausfiel, wenn die Metapher

„Verbrechen als wildes Tier“ statt „Verbrechen als Virus“ verwendet wurde. In der Hypnotherapie haben Metaphern eher die Funktion der Distanzierung dadurch, dass das Thema in eine andere Zeit, ins Reich der Tiere oder in die Märchenwelt versetzt wird, und die Funktion der Labilisie- rung des kognitiven Systems (Rätsel, Witze). Sie verfolgen auch den Zweck, den Rapport zu stär- ken, indem der Therapeut ein passendes Bild für den Zustand des Patienten findet. Da sie den Pa- tienten nicht unmittelbar zu etwas Bestimmtem auffordern, sind sie ein Mittel der beiläufigen Suggestion und der Umgehung des Widerstandes. Metaphern bieten auch die Möglichkeit, Ich- stärkung zu suggerieren („unerschütterlich wie ein Berg“), oder der Umdeutung (siehe Nr 27 Friedhofsmauer). Darüber hinaus bietet jedwede neutrale Geschichte, die selbst keine Metapher für irgendetwas sein muss, die Möglichkeit, beiläufig Suggestionen zur Ichstärkung, zur Analgesie und zu anderen Therapiezielen einzustreuen. In der Hauptsache dienen Metaphern in der Hypno- therapie der Anregung von Suchprozessen durch Erweiterung des Kontextes.

Es gibt zwei linguistische Hypothesen zu Metaphern (Kurtz, 1997). Die eine behauptet, Meta- phern dienen der Substitution, d.h., es wird eine Ausdrucksweise für einen Sachverhalt durch eine andere ersetzt. Das entspricht dem, was im Allgemeinen in der Rhetorik bezweckt werden soll.

Die zweite Hypothese ist die einer Interaktion. Damit ist gemeint, dass der Inhalt der Metapher mit dem Inhalt des zu behandelnden Themas eine Art „chemische“ Reaktion eingeht, bei dem et- was Neues, Drittes mit unerwarteten Eigenschaften herauskommt, die weder in der Metapher noch in dem Thema ausgesprochen wurden. Das würde bedeuten, dass Metaphern wie ein Katalysator einen kreativen Transformationsprozess anregen. Bei einem Patienten mit Rückenschmerzen war z.B. der Satz „Sie können Ihren Rücken entlasten“ eigentlich eher physisch gemeint, wurde aber von der Patientin als Metapher dafür aufgenommen, sich gegen ihren Mann durchzusetzen. Die Interaktionshypothese entspricht dem, was in der Hypnotherapie als Suchprozess angestrebt wird:

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eine Selbstregulation, wozu der Therapeut einen Anstoß gibt, dessen Richtung sich aber autonom entwickelt.

Konstruktion von Metaphern

Mehrere Strategien sind zur Konstruktion von Metaphern vorgeschlagen worden. Eine besteht darin, die wichtigsten Elemente eines therapeutischen Themas in Bilder zu übersetzen und dann auf der metaphorischen Ebene eine Transformation stattfinden zu lassen (Homomorphie-Modell).

Damit soll ein mentaler Prozess angeregt werden, der dem Patienten hilft, auf der realen Problem- ebene ebenfalls eine Transformation geschehen zu lassen (Gordon, 1987). Bei einem Migräne- Patienten mit Abgrenzungsproblemen kommen die folgenden Elemente infrage: der Patient (P), die Anforderungen (A), die an ihn herangetragen werden, und die Migräne als dysfunktionaler Selbstschutz (S). In der Turandot-Metapher (Nr 45) gibt es die Prinzessin (P’), die Freier mit ihren Anfragen (A’) und die Mauer mit Geheimtür als Analogie für Selbstschutz (S’). In der Geschichte wird dann ein Transformationsmechanismus eingeführt, der die Blockade auflöst und eine Neu- ordnung ermöglicht, nämlich eine sorgfältige Auswahl des geeigneten Kandidaten aufgrund eines Kriteriums – dort die Liebe, die der Kandidat beweist. Die therapeutische Hypothese ist, dass der Patient auf der Problemebene dadurch zu einer analogen, aber eigenen Lösung angeregt wird.

Ein anderes Konstruktionsprinzip ist das der Schachtelung (Lankton & Lankton, 1989). Dabei werden mehrere Schritte der Annäherung an das Thema aneinandergereiht und ineinander ver- schachtelt. Folgende Schritte sind denkbar: Induktion, Pacing, Konfusion, Ressourcensuche, Lö- sungssuche. Im Falle einer Raucherentwöhnung könnte zur Induktion einer Handlevitation die Metapher eines aufsteigenden Heißluftballons passen, als Pacing die Geschichte von Papillon (Nr 123), dem Gefangenen auf einer Insel, von der es kein Entkommen zu geben scheint. Als Res- source könnte man die Beschreibung eines Dampfkochtopfes (in Nr 123) verwenden, in dem unter hoher Energie Lebensmittel auf gesunde Weise garen. Und für die Lösungssuche käme die Ge- schichte von den Reisaffen (Nr 26) in Frage, in der das Festhalten am Reis weder als dumm noch als hilflos dargestellt wird, sondern als Entscheidung, und das Festhalten am Symptom – dem Fußschmerz bzw. der Zigarette – durch das Festhalten an einer gesunden Überlebensstrategie er- setzt wird – der Massage des gesunden Fußes (siehe Nr 26) bzw. einer anderen Form der Entspan- nung als durchs Rauchen.

Die Induktions-, Pacing- und Ressourcen-Geschichten werden jeweils nur zur Hälfte erzählt und erst nach der Lösungsmetapher nacheinander abgeschlossen oder durch eine zweite Geschichte gleichen Typs ergänzt. Etwa als Gegenstück zur ersten Pacing-Geschichte hier den Witz vom

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Herzinfarkt (Nr 128), der zugleich durch Verwirrung vom vorher Gesagten ablenken soll, und zum Abschluss der Induktion die Landung des Ballons als Reorientierung.

Erickson selbst hat entweder sehr detaillierte Geschichten für den Patienten im Sinne des oben genannten Homomorphie-Modells vorbereitet oder es vorgezogen, mehrere Geschichten aneinan- derzureihen, sodass die Suggestionen durch die Schnittmenge der Geschichten entstehen. Letzteres hat den Vorteil, dass an keiner Stelle eine Suggestion ausgesprochen werden muss, sondern dass sie sich durch die Interaktion der Metaphern untereinander erst im Kopf des Patienten entwickeln.

Ein Beispiel für das Schnittmengenmodell könnte bei einem Prüfungskandidaten die Kombination aus den Geschichten Tristan und Isolde (Nr 121), den zwei Mönchen und dem Märchen von des Teufels goldenen Haaren sein. Tristan und Isolde gelingt es durch Geschicklichkeit, immer wieder zusammenzukommen, und ihre Tricks werden durch ein Gottesgericht exkulpiert. Der eine Mönch berührt zwar die Frau (ein schwieriges Thema, eine Prüfungsaufgabe), aber er lässt sie in Gegen- satz zu seinem Begleiter wieder los, der sie gar nicht an sich genommen hat aber im Geiste ihr weiter anhaftet. Und der dritte Bruder in dem Märchen von Grimm erhält die drei Haare des Teu- fels durch Mut und Altruismus. Was immer der Zuhörer aus diesem Cocktail als innere Haltung mitnimmt, wird in der Art, wie es mit seinem eigenen Thema interagiert, von Fall zu Fall ver- schieden sein.

Anregungen zur therapeutischen Verwendung von Geschichten finden sich außer bei Lankton und Lankton (1989) und Gorden (1987) u.a. bei Mills und Crowley (1996), Peseschkian (1983) und Trenkle (2012). Ausführliche Darstellung zu diesem Thema siehe auch Revenstorf, Freund und Trenkle sowie Freund in Revenstorf und Peter (2015).

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1. Der Adler

Ein junger Adler fiel aus seinem Nest. Ein Bauer fand ihn und nahm ihn mit auf seinen Hühner- hof. Dort wuchs er mit den Hühnern auf.

Eines Tages kam ein Fremder vorbei und sagte: „Der Vogel dort zwischen Deinen Hühnern, ist ein Adler.“ Aber der Bauer lächelte und sagte: „Ich habe ihn aufgezogen wie ein Huhn, deshalb benimmt und fühlt er sich wie ein Huhn.“ Der Fremde setzte den Adler auf seinen Arm und sagte:

„Breite Deine Schwingen aus und flieg, Du bist der König der Lüfte!“ Der Adler jedoch sprang vom Arm, lief auf den Hühnerhof und pickte Körner.

Am nächsten Morgen kletterte der Fremde mit dem Adler auf das Dach und sagte: „Breite Deine Schwingen aus und flieg, Du bist der König der Lüfte!“ Der Adler jedoch rutschte das Dach hin- unter, sprang auf den Boden und lief auf den Hühnerhof und pickte Körner. Der Bauer lächelte und sagte: „Sehen Sie, er benimmt und fühlt sich wie ein Huhn.“

Am dritten Tag stieg der Fremde mit dem Adler auf einen Berg. Auf dem Gipfel angekommen sagte er: „Breite Deine Schwingen aus und flieg, Du bist der König der Lüfte!“ Der Adler schaute ins Tal, sah den Bauernhof und sah die Hühner und zu seiner Verwunderung auch die Körner, so scharf waren seine Augen. Plötzlich begannen seine Flügel zu zittern. Da wiederholte der Fremde:

„Breite Deine Schwingen aus und flieg, Du bist der König der Lüfte!“ Und das Zittern in den Flü- geln des Adlers verstärkte sich und er breitete seine Flügel aus und flog davon.

Er wurde daraufhin nicht mehr gesehen, aber niemand weiß, ob er nicht doch ein Huhn geheiratet hat.

2. Die Steinpalme

Ein Mann verirrte sich in der Wüste. Die Sonne brannte vom Himmel und er war kurz vor dem Verdursten. Endlich erreichte er Wasser und trank davon, aber es war salzig und bekam ihm nicht.

Aus der Wut seiner Verzweiflung nahm er einen Stein, warf ihn auf eine kleine Palme, die dort stand, und wurde ohnmächtig. Der Stein blieb im Palmenherz stecken.

Die Palme überlebte und kam allmählich wieder zu Kräften. Sie wurde größer und kräftiger als zuvor. Sie hatte jedoch eine harte Rinde, wie aus Stein, und war ganz starr und unbeweglich. Viel- leicht war es gerade ihre eigenartige Erscheinung, die die Menschen aus der Umgebung anlockte und zu der Palme zog. Jeden Abend versammelten sie sich unter ihr und erzählten sich die Ereig- nisse des Tages.

Eines abends saß eine Gruppe von Menschen unter der Palme, die sich Geschichten erzählten. Als alle gegangen waren, blieben ein alter Mann und ein Fremder zurück. Der Fremde fragte: „Wieso

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ist die Palme so hart wie Stein?“ Da erzählte der alte Mann ihm die Geschichte von der Steinpal- me. Dem Fremden wurde ganz anders und zum Schluss sagte er: „Der Fremde, der den Stein warf, das bin ich. Was kann ich tun, um das wiedergutzumachen?“ Der alte Mann entgegnete: „Du kannst die Schuld tragen, wie die Palme den Stein trägt, der immer noch in ihrem Herzen steckt oder du kannst sie um Verzeihung bitten“, und der Fremde bat um Verzeihung. Da war ein Ge- räusch zu hören, wie das Knallen eines Sektkorkens, der Stein sprang aus dem Herzen und fiel auf die Erde mit solcher Wucht, dass er im Boden verschwand. Dabei traf er eine Wasserader, so dass Wasser herausströmte und den Landflecken um die Palme in ein fruchtbares, lebendiges Stück Land verwandelte. So entstand eine wunderschöne Oase, zu der die Menschen noch lieber kamen, um sich im Anblick der grünen Wiesen und Büsche auszuruhen und um Schutz zu suchen.

3. Der Traum des Bettlers

Ein bettelarmer Mann, der weit draußen auf dem Lande in einem Dorf lebte, hatte einen Traum. Er träumte, dass er unter einer bestimmten Brücke in der großen Hauptstadt einen Schatz finden wür- de. Er war sich sicher, dass das nicht nur ein Traum war und machte sich auf den Weg, den Schatz zu suchen. Er hatte kein Pferd und keinen Wagen und so ging er Tage und Wochen zu Fuß. End- lich kam er in der großen Hauptstadt an und setzte sich unter die Brücke, die er im Traum gesehen hatte, wo er wartete. Er wartete dort etwa eine Woche.

Jeden Morgen ging ein Passant vorbei und wunderte sich, dass dieser Bettler dort saß und nichts tat, nicht bettelte, nur wartete. Eines Tages fragte er ihn: „Warum sitzt Du hier und tust nichts?“

Und der Bettler antwortete: „Ich hatte einen Traum, dass ich unter dieser Brücke einen Schatz finden würde.“ Da lachte der Mann und sagte: „Wenn man Träumen glauben würde, wäre man schön dumm! Ich hatte auch einen Traum, dass in einem kleinen Dorf weit weg auf dem Land, im Garten einer schäbigen Hütte unter einem Birnbaum ein Schatz vergraben liegt. Aber ich bin doch nicht so dumm, dahin zu gehen.“ Der Bettler hatte aufmerksam zugehört und ihm war klar, dass die Beschreibung auf seine Hütte und auf seinen Birnbaum zutraf. Er machte sich sofort auf den Heimweg. Zuhause grub er an der besagten Stelle unter dem Baum und fand den Schatz. So ein Glück.

4. Löwengeschichte

Ein junger Löwe kam vom Weg ab, verlor sein Rudel und lief allein durch die Steppe. Nach einer Weile merkte er, dass er sich verlaufen hatte. Da wurde er sehr unruhig, lief aber weiter, ohne den

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Rückweg zu finden, so nervös war er. Abends kam er in eine Gegend, in der Bäume standen. Das war ihm völlig unvertraut. Er wollte sich ausruhen, hatte Durst und Hunger. Zum Glück fand er ein Wasserloch zwischen den Bäumen, und da es keinen Wind in dieser geschützten Gegend vol- ler Bäume gab, war die Oberfläche des Wassers spiegelglatt. Er näherte sich dem Wasser, um zu trinken und entdeckte zu seinem Entsetzen ein großes Gesicht, ein Löwengesicht. Er schrak zu- rück und wartete erstmal ab, ob der Löwe vielleicht ging. Nach einer Weile machte er in seiner Erschöpfung und seinem Durst einen zweiten Anlauf, aber das Gesicht im Wasser, der Löwen- kopf, war immer noch da. Er wollte ihn verscheuchen und brüllte, aber der andere Löwe riss eben- falls das Maul auf und starrte ihm furchterregend entgegen. Erschrocken zog sich der junge Löwe zurück.

Als es dunkel war, machte er einen dritten Anlauf und ging vorsichtig zum Wasser. Er war so mü- de und erschöpft, dass er den Kopf nicht mehr halten konnte und bevor er richtig hinschauen konnte, fiel ihm der Kopf ins Wasser und zerstörte das Spiegelbild. Erleichtert stellte der junge Löwe fest, dass der Gegner fort war und trank sich satt. Dann legte er sich entspannt nieder, döste eine Weile und träumte.

Nachts wachte er glücklich und voller Selbstvertrauen auf. Gelassen trottete er los, dachte an die Schmetterlinge, denen er im Traum nachgesprungen war, und an die Gräser, die er gekaut hatte.

Versonnen schaute er in den Mond. Plötzlich kam ihm die Gegend wieder vertrauter vor. Ohne darauf zu achten, war er unwillkürlich zurückgekehrt in die gewohnte Gegend. Bald fand er seine Familie, legte sich beruhigt hin und genoss die behagliche Wärme, die von den Körpern der schla- fenden Familienmitglieder ausging. Wahrscheinlich hatte er am nächsten Morgen viel zu erzählen.

5. Der König und der Hofnarr

Ein König brauchte einen neuen Minister. Um einen geeigneten Bewerber für das wichtige Amt zu finden, beschloss er die Kandidaten vorher eingehend zu prüfen. Er ließ seine Schatzkammer, in der unermessliche Reichtümer verwahrt wurden, mit einer mächtigen Tür und einem komplizier- ten Schloss ausstatten. Derjenige der es schaffen würde die Tür zu öffnen, sollte das Amt bekom- men. Damit würde dieser auch die Schlüssel zur Schatzkammer erhalten und des Königs Reichtü- mer verwalten. Alle klugen, weisen und gelehrten Männer des Landes bewarben sich und machten sich auf den Weg in die Hauptstadt. Es kamen Politiker, Philosophen, Gelehrte und Theologen.

Einige sahen schon von Weitem, wie kompliziert das Schloss war und gaben gleich auf. Andere traten ganz dicht heran und untersuchten den Mechanismus des Schlosses und gaben letztendlich auch auf. Wieder andere versuchten das Schloss mittels intensiver Konzentration und bekannten Zaubersprüchen zu öffnen, jedoch niemand hatte Erfolg.

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Als alle gegangen waren, kam der Hofnarr und fragte, ob er es auch mal versuchen dürfe und der König sagte ja. Der Hofnarr drückte sich einfach mit seiner ganzen Kraft gegen die mächtige Tür und da sie gar nicht verschlossen gewesen war, sprang die Tür plötzlich auf. Da ernannte der Kö- nig den Hofnarren zum Minister und das ganze Land bewunderte den Mut, das Selbstvertrauen und den Optimismus des Hofnarren, für den nun ein ganz neuer Lebensabschnitt begann.

6. Kein Meister fällt vom Himmel

Ein König veranstaltete ein großes Fest. Zur Unterhaltung des Hofstaates und der Gäste ließ er die besten Künstler des Landes kommen. Auch ein berühmter Zauberkünstler gab eine Vorstellung.

Außerdem verfügte der König per Dekret, dass nichts seine gute Laune während des Festes beein- trächtigen dürfe.

Als der Zauberer gerade seine Kunst vorführte, rief der König begeistert: „Welch ein Wunder, dieser Mann verfügt über übernatürliche Kräfte!“ Da gab ihm sein Minister zu bedenken: „Kein Meister fällt vom Himmel. Die Kunst des Zauberers ist eine Folge von Fleiß und seiner Übung.“

Der Widerspruch des Ministers verdarb die Laune des Königs. Erzürnt rief er also aus: „Wie kannst Du behaupten, dass solche Fähigkeiten durch Fleiß und Übung kommen? Es ist wie ich sage: Der Zauberer verfügt über übernatürliche Kräfte. Dir jedenfalls fehlt das Genie, ab in den Kerker mit Dir! Dort kannst Du über meine Worte nachdenken.“ So ließ der König seinen Minis- ter hinter Schloss und Riegel bringen und um dessen Schmach noch zu steigern, ließ der König ein Kalb in die Zelle des Ministers bringen, „damit er seinesgleichen um sich hat.“

Vom ersten Tag seiner Gefangenschaft an, übte der schmächtige Minister das Kalb hochzuheben und trug es über die Treppen des Kerkerturmes. Die Monate vergingen und aus dem Kalb wurde ein ausgewachsener Stier und mit jedem Tag wuchsen die Kräfte des Ministers.

Eines Tages ließ der König seinen Gefangenen vorführen. Der Minister erschien, indem er mit ausgestreckten Armen den Stier vor sich hertrug. Bei diesem Anblick war der König erstaunt.

„Welch Wunder, welch Genie“, rief er aus. Der Minister antwortete: „Kein Meister fällt vom Himmel. Diesen Stier hast Du mir mitgegeben, um mich zu demütigen. Meine Kraft ist eine Folge des Fleißes und der Übungen mit diesem Tier.“ Ob der König daraufhin sein Weltbild überdachte ist nicht bekannt.

7. Das Portrait des Vogels

Ein König besaß einen kostbaren Vogel. Als der Vogel in die Jahre gekommen war, beschloss der König ihn in einem Portrait verewigen zu lassen. Dazu ließ er den besten Maler seines Landes kommen. Der Maler erklärte sich bereit den Auftrag zu übernehmen. Allerdings erbat sich der

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Maler ein Jahr, um das Werk zu vollenden. Da der König auf einem Portrait bestand, das der Indi- vidualität seines Lieblingsvogels gerecht werden sollte, erbat sich der Maler außerdem den Vogel bis zur Vollendung des Bildes in sein Atelier mitzunehmen.

Nach einem halben Jahr, schickte der König einen Gesandten aus, um sich nach dem Fortschritt der Arbeit zu erkundigen. Dieser kehrte jedoch unverrichteter Dinge zurück und berichtete: „Das Bild ist noch nicht vollendet.“ Nach neun Monaten beschloss der König erneut einen Gesandten auszuschicken, um die Arbeit voranzutreiben. Jedoch auch diesmal kehrte der Gesandte unverrich- teter Dinge zurück, mit dem Hinweis: „Erst in drei Monaten wird das Bild vollendet sein.“ Drei Tage bevor die Frist abgelaufen war, zog der König mit seinem Hofstaat los, sich sein Bild zu ho- len, so ungeduldig war er. Der Maler war jedoch unnachgiebig und meinte: „Ein Jahr und keinen Tag weniger brauche ich um das Bild zu vollenden.“ Das missfiel dem König, doch da er das Bild von ganzem Herzen begehrte, schlug er vor dem Atelier des Malers sein Lager auf und wartete.

Am Morgen des Stichtages drängten nun alle ins Atelier, um das Bild zu bestaunen. Dort befanden sich jedoch lediglich der Vogel sowie der Maler vor einem leeren Blatt Papier. Letzterer griff nun nach seinen Pinseln und brachte innerhalb von drei Minuten mit wenigen, aber gezielten Pinsel- strichen, den Vogel zu Papier. Alle waren begeistert von der Perfektion, mit der der Vogel getrof- fen war, lediglich der König wurde wütend und fragte: „Du hast gerade einmal drei Minuten zur Fertigstellung des Bildes gebraucht. Warum hast Du mich ein Jahr warten lassen?“ Der Maler ging wortlos zu einem großen Schrank und öffnete die Türen. Heraus fielen über tausend Skizzen und Studien, die alle den Vogel zum Gegenstand hatten. Da sagte der Maler: „Ein Jahr verbrachte ich damit zu üben, um meinem König ein perfektes Abbild seines Lieblingsvogels zu erstellen.“

8. Die Metamorphose der Raupe

Raupen fressen Blätter. Sie fressen den ganzen Tag lang Blätter. Sie fressen sich von einem Blatt zum anderen. Und manchmal blicken Sie sich um, ob sie schon genug gefressen haben, aber dann sehen Sie nach vorne und es gibt noch so viel zu fressen und sie fressen einfach weiter. Raupen haben schon ganze Wälder leer gefressen und dabei wurden sie dicker und weicher und langsamer.

Erst im Herbst, wenn es kühler wird, suchen sie sich einen Platz im Geäst oder in der Erde oder im Laub, um sich einzuspinnen. Dann werden sie ganz unbeweglich und bekommen außen einen har- ten Panzer, durch den nichts mehr hindurch dringt. So bleiben sie eine ganze Zeit und niemand sieht, dass sich etwas unter der Schale verändert und lebt.

Erst im Frühjahr, wenn die Sonne wieder scheint und die harte Schale sich wärmt, beginnen Risse daran sichtbar zu werden und darunter entfaltet sich die ganze Kraft der Puppe. Sie befreit sich von der Hülle und lässt sie hinter sich und sie beginnt Ihre Flügel aufzupumpen. Sie, die jetzt ein

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Schmetterling ist, ein wunderschöner Schmetterling, beginnt mit den Flügeln zu schlagen und ers- te Flugversuche zu machen. Und dieser Schmetterling genießt die frische Luft und fliegt kurze Strecken von einer Blüte zur anderen und genießt die Düfte der Blüten und die Farben und die Säfte. Ganz unbeschwert und leicht fliegt der Schmetterling von Blüte zu Blüte und weiß, dass er nun genießen kann. Nie wieder braucht er so viel zu fressen, dies hat er nun hinter sich.

9. Hans im Glück

Hans schloss die Tür der Werkstatt das letzte Mal hinter sich, als er seinen Meister verließ, bei dem er sieben Jahre in Ausbildung gelernt hatte und als Lohn erhielt er einen schweren Klumpen Gold, den er nun mit sich trug. Doch schon bald wurde der Klumpen Gold sehr schwer und Hans begann unter der Last zu schwitzen und zu stöhnen. Da begegnete ihm ein Reiter, der gut voran- kam und guter Dinge war. Hans fragte ihn: „Willst Du nicht mit mir tauschen?“ Der Reiter konnte es nicht glauben, aber er ließ sich nichts anmerken, nahm das schwere Gold und gab Hans das Pferd. Hans trottete auf dem Pferd nun eine Weile dahin und da es ihm zu langsam ging und zu schwerfällig war, sagte er hopp und das Pferd tat einen Satz und Hans lag im Graben. Wenn nicht gerade ein Bauer mit einer Kuh vorbeigekommen wäre und das Pferd eingefangen hätte, wäre es davongelaufen. Hans fragte den Bauern: „Wollen wir nicht tauschen?“ Der Bauer konnte es kaum glauben, aber er ließ sich nichts anmerken und tauschte seine Kuh gegen das Pferd. Hans nahm also die Kuh und zog mit ihr weiter. Dann bekam er Durst und legte sich unter die Kuh, um Milch zu trinken, aber die Kuh versetzte ihm eins mit dem Huf, und das tat weh. Da kam ein Metzger mit einer Schubkarre, auf der ein Schwein lag, des Weges, und Hans fragte ihn, ob er mit ihm tau- schen würde. Das tat der Metzger gerne. Hans war zufrieden, denn jetzt hatte er eine Schubkarre mit einem Schwein darauf, woraus er Wurst machen konnte, und er zog weiter. Das war viel leich- ter als mit der Kuh. Aber nach einer Weile wurde ihm das Schwein in der Schubkarre zu schwer, und als ein junger Mann entgegenkam, der eine Gans unter dem Arm trug, bot er ihm das Schwein zum Tausch an. Der junge Mann willigte gerne ein. „Eine Gans gibt einen guten Braten, die Fe- dern ein weiches Kissen und außerdem ist sie viel leichter zu tragen“, dachte Hans, und zog seines Weges. Schon fast zu Hause, sah Hans einen Scherenschleifer bei der Arbeit. Fasziniert sah Hans wie dieser die Messer und Scheren der Menschen schärfte, nebenher ein lustiges Liedchen pfiff, wobei die Münzen in der Tasche des Scherenschleifers klingelten. So fragte Hans, ob der Scheren- schleifer bereit wäre einen Schleifstein gegen die Gans zu tauschen. Der Scherenschleifer ließ sich nicht zweimal bitten, drehte Hans aber einen wertlosen Wackerstein an. Der war nicht leichter als der Klumpen Gold, den Hans schon vorher mit sich herumgeschleppt hatte. So wurde Hans durstig und begab sich an einen Brunnen, um zu trinken. In seiner Unachtsamkeit fiel Hans in diesem

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Moment der Stein in den Brunnen und war weg. Erleichtert atmete Hans auf und freute sich, dass er den restlichen Weg völlig unbeschwert zurücklegen konnte und frei war, von allem was ihn bedrückte. So konnte etwas Neues beginnen.

10. Der Einsiedler aus der Tundra

In der Tundra lebte ein einsamer Mann, der kannte niemanden dort draußen in der Kälte. Er sam- melte viel Holz und grub ein Erdloch, welches er mit Zweigen, Laub und Erde abdeckte. Mit dem restlichen Holz heizte er drinnen in seiner kleinen Hütte ein, aber es reichte ihm nicht und er deck- te noch mehr Laub und noch mehr Zweige und noch mehr Erde auf seine Hütte. So hatte er schließlich einen dicken Wall zum Schutz vor der Kälte. Er schloss die Tür ganz fest und machte es sich drinnen warm und gemütlich. Da klopfte es an der Tür. Draußen hörte er es rufen: „Militär, das Gebiet muss geräumt werden.“ Der Mann aus dem Norden wollte seine Hütte nicht verlassen, aber der Soldat gab ihm einen dicken Mantel und sagte er müsse gehen. So gingen sie viele Tage.

Eines Tages wurde es wärmer, die Sonne strahlte stärker und der Mann aus dem Norden fragte:

„Was ist das? An meinem Rücken läuft Wasser herunter.“ Der Soldat antwortete: „Das ist die Wärme, die kommt von der Sonne.“ Der Mann legte den dicken Mantel ab und sie gingen weiter.

Am Weg standen plötzlich Bäume und es gab Wiesen und Äcker und der Mann fragte: „Was ist das?“ Da antwortete der Soldat: „Das ist der Süden. Hier ist alles fruchtbar, weil es so warm ist.“

Dann kamen sie in ein Dorf und der Mann aus dem Norden fragte: „Was ist das?“ Und der Soldat antwortete: „Hier leben die Menschen zusammen, damit Sie nicht einsam sind.“ Der Mann aus dem Norden fragte: „Können wir nicht hierbleiben?“ „Nein“, sagte der Soldat. „Wir müssen noch weiter.“ Sie kamen in eine Stadt und der Soldat führte ihn in eine Familie und sagte: „Hier wirst Du bleiben.“ Der Mann fragte: „Warum sind die Menschen so nett?“ Der Soldat antwortete: „Weil sie keine Angst haben.“ Dann ging er.

11. Beppo Straßenkehrer

Es gab einen Alten, der hieß Beppo Straßenkehrer. In Wirklichkeit hatte er wohl einen anderen Nachnamen, aber da er von Beruf Straßenkehrer war und alle ihn deshalb so nannten, nannte er sich selbst auch so. Er fuhr jeden Morgen lange vor Tagesanbruch mit seinem alten, quietschenden Fahrrad in die Stadt zu einem großen Gebäude. Dort wartete er in einem Hof zusammen mit sei- nen Kollegen, bis man ihm einen Besen und einen Karren gab und ihm eine bestimmte Straße zu- wies, die er kehren sollte. Beppo liebte diese Stunde vor Tagesanbruch, wenn die Stadt noch schlief. Und er tat seine Arbeit gern und gründlich. Er wusste, es war eine sehr notwendige Arbeit.

Wenn er so die Straßen kehrte, tat er es langsam, aber stetig: Bei jedem Schritt einen Atemzug und

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bei jedem Atemzug einen Besenstrich. Schritt — Atemzug — Besenstrich. Dazwischen blieb er manchmal ein Weilchen stehen und blickte nachdenklich vor sich hin. Und dann ging es weiter — Schritt — Atemzug — Besenstrich.

Während er sich so dahin bewegte, vor sich die schmutzige Straße und hinter sich die saubere, kamen ihm oft große Gedanken. Aber es waren Gedanken ohne Worte, Gedanken, die sich so schwer mitteilen ließen wie ein bestimmter Duft, an den man sich nur gerade eben noch erinnert, oder wie eine Farbe, von der man geträumt hat. Nach der Arbeit, wenn er bei Momo saß, erklärte er ihr seine großen Gedanken. Und da sie auf ihre besondere Art zuhörte, löste sich seine Zunge, und er fand die richtigen Worte. „Siehst du, Momo“, sagte er dann zum Beispiel, „es ist so:

Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man.“ Er blickte eine Weile schweigend vor sich hin, dann fuhr er fort: „Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen.“

Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter: „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten. “Wieder hielt er inne und über- legte, ehe er hinzufügte: „Dann macht es Freude; das ist wichtig, denn dann macht man seine Sa- che gut. Und so soll es sein.“ (Aus: Michael Ende: Momo. K Thienemanns Verlag Stuttgart)

12. Der Baum

Kaum zu glauben, wie aus winzigen Samen, starke und mächtige Bäume werden. Hat ein Keim die für ihn passenden Bedingungen gefunden, kann sein Wachstum nicht mehr aufgehalten wer- den. Am Anfang profitiert das zarte Pflänzchen von dem Schutz, den ihm ältere ausgewachsene Bäume bieten, vor übermäßiger Sonne oder starkem Wind. Sein Stamm ist anfangs flexibel und biegsam, so dass er sich entspannt im Wind wiegen kann und selbst starken Stürmen standhält.

Und Jahr für Jahr bekommt die Rinde eine neue Schicht wodurch sein Stamm stärker und fester wird. Die raue Schale des Baumes verbirgt die Schicht, in der die Nährstoffe nach oben wandern, das würde man nicht vermuten. Seine Krone wächst weiter und weiter in den Himmel und wird vollständiger. Und die Wurzeln dringen tiefer, bis in Schichten, wo sie sich nähren können, auch wenn es trocken ist. Feine Wurzeln durchdringen selbst Felsen und während rings herum alles verdorrt, saugen sie Wasser und Nährstoffe aus der Tiefe der Erde. Und zugleich wird die Krone vollständiger und schöner, auch wenn im Herbst die Blätter abfallen und nicht wieder an derselben

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Stelle neu kommen. So ein Baum wird jedes Jahr älter, unmerklich vielschichtiger und bietet ir- gendwann selbst Schutz etwa jungen Bäumen, die in seinem Windschatten wachsen, aber auch Tieren und Menschen. Und wenn dem Baum ein Ast bricht, durch ein Unwetter, dauert es oft Jah- re bis die Lücke sich schließt. So verändert der Baum sein Gesicht, denn kein Ast gleicht dem an- deren. Dennoch behält ein jeder Baum seinen Charakter. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass große und alte Bäume so voller Selbstvertrauen und Gelassenheit in die Zukunft blicken können.

13. Das Wasser

Wenn die Sonne in den Bergen im Frühjahr wärmer wird, beginnen Eis und Schnee zu schmelzen.

Die Tropfen des Schmelzwassers sammeln sich zu dünnen Rinnsalen und bewegen sich talwärts.

Nach und nach treffen sich immer mehr dieser Rinnsale und bilden einen Bach mit klarem und sauberem Wasser. So ein Bach spült Dinge weg indem er über Steine und Äste dahin sprudelt und kann eine erstaunliche Kraft entwickeln. Sein Rauschen wirkt beruhigend, weshalb oft Menschen seine Nähe suchen um sich an seinen Ufern zu entspannen. Nach und nach wird der Bach breiter und mit abnehmendem Gefälle ruhiger und ansehnlicher. So ein Bach kann in einem Stausee auf- gefangen werden. Ein tiefer stiller See, in dem Fische schwimmen, drum herum Pflanzen wachsen und Vögel nisten. Vorne steht die stabile Mauer, die alles aufhält. Und durch die Mauer, in einem engen Rohr, fließt das Wasser bis ins Tal mit großem Schwung und treibt dort mit viel Kraft eine Turbine an und erzeugt Energie. Danach verlässt das Wasser langsam und träge, als breiter Fluss das Stauwerk und wälzt sich dahin. Abwasser aus den Städten und Gift von den Äckern nimmt er auf und wälzt sich weiter. Jedoch später kommen frische Zuflüsse dazu, die das Wasser reinigen, mehr und mehr, weil sie Bakterien mitbringen und Pflanzen, die den Dreck beseitigen und dafür sorgen, dass der Fluss lebt. Und schließlich strömt der Fluss ins unendliche Meer, wo alle Tropfen Wasser gleich sind und nur der Tropfen weiß, woher er kommt und wie er seinen Weg findet, wei- ter und tiefer.

14. Die Sonne

Die Sonne bleibt immer gleich, auch wenn sie verschieden aussieht. Sie ist morgens groß und rot, mittags klein und gelb. Sie verschwindet hinter den Wolken und wir können ganz sicher sein, sie ist immer da. Und nachts ist sie regelmäßig nicht zu sehen, aber wir wissen ganz sicher, dass sie wiederkehrt. Im Sommer erscheint sie ganz nahe und im Winter weit weg. Sie verändert ihr Licht im Wandel der Jahreszeiten. Und es gibt einen Teil in Ihnen, der wird sich nicht ändern, den ken- nen nur Sie. Der muss sich nicht ändern. Der wird wiederkehren und bleiben. So wie die Sonne

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hinter den Wolken verschwindet und wieder da ist. So wie sie gelb ist am Mittag und rot am Abend und dieselbe ist. Und regelmäßig wiederkommt. Man kann sich auf Sie verlassen.

15. Der Sämann

Ein Sämann ging aufs Feld, um zu säen. Als er säte, fiel ein Teil der Körner auf den Weg, und die Vögel kamen und fraßen sie. Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war, als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte. Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen, und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat. Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach. Wer Ohren hat, der höre.

Da kamen die Jünger zu ihm und sagten: Warum redest du in Gleichnissen? Er antwortete: "Des- halb rede ich in Gleichnissen, weil sie sehen und doch nicht sehen, weil sie hören und doch nicht hören und nichts verstehen." (Matthäus 13)

16. Auf einem Bein

Die Situation eines Kranken gleicht der eines Menschen, der längere Zeit auf nur einem Bein steht. Nach einiger Zeit verkrampfen sich die Muskeln und das belastete Bein beginnt zu schmer- zen. Der Mensch kann kaum mehr das Gleichgewicht halten, seine Haltung verkrampft sich, der Leidensdruck steigt. Verschiedene Helfer bieten ihm Unterstützung an: Der eine massiert das ver- krampfte Bein, ein anderer seine Nackenpartie. Ein Dritter bietet ihm seinen Arm als Stütze, da er sieht, dass der Mensch sein Gleichgewicht zu verlieren droht. Ein weiterer Helfer rät ihm, sich mit den Händen abzustützen, um das Bein zu entlasten. Ein weiser alter Mann empfiehlt ihm, daran zu denken, wie gut er es eigentlich hat, da er wenigstens ein Bein hat, während manche Menschen gar keines mehr haben. Ein anderer weist ihn an, sich vorzustellen, er sei eine Feder, die leicht und immer leichter werde und, je mehr er sich darauf konzentriere, umso geringer werde sein Leiden.

Ein abgeklärter Alter setzt wohlmeinend dazu: "Kommt Zeit, kommt Rat." Schließlich geht ein Zuschauer auf den Leidenden zu und fragt ihn: "Warum stehst du auf einem Bein? Mach doch das andere gerade und stelle dich darauf. Du hast doch ein Zweites." (Peseschkian 1979)

17. Der Regenschirm

Jakob geht zum Rabbi und klagt: "Ich suche meinen Schirm und ich habe die Vermutung, dass einer meiner Verwandten ihn gestohlen hat." Der Rabbi rät ihm folgendes: "Lade alle deine Ver- wandten ein, stelle eine Kerze auf den Tisch und bitte sie zum Gebet. Erzähle dann vom Exodus, vom Sinai und von den Gesetzestafeln mit den 10 Geboten. Wenn du zu dem Gebot kommst "Du

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sollst nicht stehlen", dann schaue deine Verwandten genau an und überprüfe, welcher von ihnen rot wird und den Blick senkt." Nach drei Wochen kommt Jakob wieder zum Rabbi und sagt: "Es hat wunderbar geklappt." Auf Nachfragen des Rabbi berichtet er: " Ich habe alle meine Verwand- ten eingeladen, habe eine Kerze auf den Tisch gestellt und gebetet. Ich erzählte vom Exodus, vom Sinai und den Gesetzestafeln mit den 10 Geboten. Und als ich zu dem Gebot kam "Du sollst nicht ehebrechen" ist mir plötzlich eingefallen, wo ich den Schirm vergessen habe.

18. Elefant im Dunkeln

Stellt man sich vor, dass viele Menschen einen Elefanten im Dunkeln betasten, so kommt, da der Elefant groß ist und jeder nur einen Teil betasten kann, jeder zu einem anderen Ergebnis über die Natur des Elefanten: Einer, der ein Bein erwischt hat, erklärt, dass der Elefant wie eine starke Säule sei; ein zweiter, der die Stoßzähne berührte, beschreibt den Elefanten als einen spitzen Ge- genstand. Ein dritter, der das Ohr ergriff, meint, er sei einem Fächer nicht unähnlich und der vier- te, der über den Rücken des Elefanten strich, behauptet, er sei so flach und gerade wie eine Liege.

19. Schleier

Dass ein Kranker Schwächezeichen aufweist, rührt von Schleiern her, die sich bei ihm zwischen Seele und Leib drängen, denn die Seele selbst bleibt unberührt von jeder körperlichen Störung.

Denke an das Licht der Lampe. Auch wenn ein äußerer Gegenstand ihre Strahlen unterbrechen kann, so scheint das Licht selbst mit gleicher Helligkeit weiter. Ebenso ist jede Krankheit des menschlichen Leibes ein Hindernis für die Seele, so dass sie ihre innere Kraft und Stärke nicht äußern kann (...). Denke an die Sonne, die von Wolken verdunkelt wird. Siehe, wie ihr Glanz scheinbar abgenommen hat, während die Quelle jenes Lichtes doch tatsächlich unverändert blieb."

(Peseschkian 1979)

20. Lange Löffel

Ein Rechtgläubiger kommt zum Propheten Elias und fragt: "Wo ist die Hölle, wo ist der Him- mel?" Er wolle doch seinen Lebensweg danach gestalten. Der Prophet führte ihn durch dunkle Gassen zu einem Palast. Sie betraten einen großen Saal. Dort drängten sich viele Menschen, arme und reiche, in Lumpen gehüllte und mit Edelsteinen geschmückte. In der Mitte des Raumes stand ein großer Topf mit dampfender Suppe, um den sich hohlwangige und tiefäugige Menschen drängten. Sie alle versuchten, aus diesem Topf zu essen, doch es gelang ihnen nicht: Ihre Löffel waren fast so groß wie sie selbst, und so konnten sie sie nicht zum Mund führen. Manche ver- brannten sich Arme und Gesicht oder schütteten in ihrem gierigen Eifer die Suppe ihrem Nach-

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barn über die Schulter. Schimpfend gingen sie aufeinander los und schlugen sich mit denselben Löffeln, mit deren Hilfe sie ihren Hunger hätten stillen können. Elias fasste seinen Begleiter am Arm und sagte: "Das ist die Hölle". Sie gingen durch einen langen Gang und betraten schließlich einen weiteren Saal. Auch hier saßen viele Menschen um einen brodelnden Kessel mit ebensol- chen riesigen Löffeln. Diese Menschen waren aber wohlgenährt. Jeweils zwei Menschen hatten sich zusammengetan. Einer tauchte den Löffel ein und fütterte den anderen. War der eine gesättigt, kam der nächste an die Reihe. Der Prophet sagte zu seinem Begleiter: "Und das ist der Himmel."

21. Neunzehn Kamele

Ein Scheich starb und hinterließ seinen drei Söhnen 19 Kamele mit der Verfügung, dass der Ältes- te die Hälfte, der Zweitälteste ein Viertel und der Jüngste ein Fünftel der Herde erhalte. Aber wie die Söhne es auch durchrechneten, ihnen wollte keine Lösung einfallen. Ein vorbeikommender Nachbar fragte die Brüder: "Weshalb seht ihr so traurig aus, kann ich euch helfen?" Nachdem er das Problem angehört hatte, machte er folgenden Vorschlag: "Das ist doch einfach. Ich stelle mein Kamel zu der Herde, dann sind es 20. Der Älteste bekommt 10, der Zweitälteste 5 und der Jüngste 4. Und meines nehme ich wieder mit."

22. Mullahs Tochter – Tochter des Wanderpredigers

Der Mullah (ein orientalischer Wanderprediger) wollte seine erwachsene Tochter, die zu einer wahren Blume der Schönheit herangereift war, vor den Gefahren und den Hinterhältigkeiten der Welt warnen und nahm sie zur Seite: "Liebe Tochter, denke an das, was ich dir sage. Die Männer wollen alle nur das eine. Sie sind raffiniert und stellen Fallen, wo sie nur können. Erst mag er von deinen Vorzügen schwärmen und dich bewundern. Dann lädt er dich ein, mit ihm auszugehen.

Dann kommt ihr wie zufällig an seinem Haus vorbei, und er sagt dir, dass er nur seinen Mantel holen wolle und bittet dich mit hinein zu kommen. Oben lädt er dich zum Sitzen ein und bietet dir Tee an. Ihr hört gemeinsam Musik und wenn die Stunde gekommen ist, wirft er sich plötzlich auf dich. Damit bist du geschändet, wir sind geschändet, deine Mutter und ich. Unsere Familie ist ge- schändet und unser Ansehen ist hin." Die Tochter nahm sich die Worte des Vaters zu Herzen. Ei- nige Zeit später kam sie stolz und lächelnd auf ihren Vater zu: "Vater, bist du ein Prophet? Woher hast du nur gewusst, wie sich alles abspielt? Es war genauso, wie du es beschrieben hast. Zuerst hat er meine Schönheit bewundert. Dann hat er mich eingeladen. Wie durch Zufall kamen wir an seinem Haus vorbei. Da merkte der Ärmste, dass er seinen Mantel vergessen hatte. Im Haus bot er mir, wie es der Anstand befiehlt, Tee an und verschönte die Zeit mit herrlicher Musik. Nun dachte ich an deine Worte und ich wusste genau, was auf mich zukommt, aber du wirst sehen, ich bin

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würdig deine Tochter zu sein. Als ich den Augenblick nahen fühlte, warf ich mich auf ihn und schändete ihn, seine Eltern, seine Familie, sein Ansehen und seinen guten Ruf!"

23. Drei Türen

Dem Klienten wird dabei in der Trance suggeriert, er befinde sich in seinem eigenen Raum und betrachte die ihm bekannte Wand des Raumes. In dieser Wand seien zwei ihm bekannte Türen.

Nun ginge er durch eine Tür und finde einen Raum vor, in dem alles geordnet und wohlbekannt sei. Es wird ihm angeboten, sich dort aufzuhalten oder mit einem Teil seines Bewusstseins dort zu bleiben, während der andere Teil in den ursprünglichen Raum zurückkehrt. Anschließend wird ihm suggeriert, er könne jetzt durch die zweite Tür gehen, um einen Raum mit anderen, aber eben- falls bekannten Dingen zu betreten, die er ausgiebig betrachten könne. Wiederum wird ihm ange- boten, mit einem Teil seines Bewusstseins dort zu bleiben und mit dem anderen in den ursprüngli- chen Raum zurückzukehren. Hier entdecke er überraschend eine ungewöhnliche dritte Tür, die er zunächst vergeblich versuche zu öffnen. Erst als er den speziellen Mechanismus betätige, öffne sich aber diese merkwürdige Tür, und er könne einen dritten, ihm gänzlich unbekannten Raum betreten, in dem die Dinge völlig ungeordnet seien und in deren Anordnung auch kein Sinn zu sein scheine. Auch hier kann er entscheiden, ob er dort bleiben, oder es seinem Unbewussten über- lassen will, zu verweilen, während sein Bewusstsein wieder in den ursprünglichen Raum zurück- kehrt. Er wird darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Unbewusste in der Lage ist, Dinge in un- vorhergesehener Weise zu erkennen. Anschließend werden dem Klienten eine Reihe von Meta- phern erzählt, die andeuten, wie aus dem Chaos eine Struktur erwachsen kann, wenn man nur die richtige Sichtweise wählt, z. B. die Metapher von einem Maurer, der beim Anblick eines Steinhau- fens vor seinem geistigen Auge daraus ein Haus baut, oder die von einem Stapel Bretter, aus dem ein Schreiner ein Regal macht. (Revenstorf 1987)

24. Büffelkuh

Das beängstigende Tier wird dabei zum Schluss immer lächerlich gemacht.

Die Büffelkuh und das Fischlein.

Es war einmal eine große Büffelkuh, die war mächtig und schwer. Und die stand mit ihren ausge- stellten Hörnern auf der Wiese. Und was tat sie da, den lieben langen Tag fraß sie Gras, nichts anderes, sie fraß Gras und fraß und fraß und fraß. Als sie aber genug gefressen hatte und satt ge- worden war, bekam sie Durst. Über die Wiese aber floss ein Bächlein und in dem Bächlein lebte ein Fischlein, ein kleines! Das war ein lustiges Kerlchen. Das sprang munter und fröhlich über die bemoosten Steine, spielte mit den Wellen und freute sich seines Lebens. Und das Fischlein sieht:

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Da kommt eine Büffelkuh und was macht die! Nein! Sie steckt ihr breites Maul ins Bächlein und säuft und säuft und säuft! 0! Da bekommt das Fischlein richtig Angst und denkt: Wenn die Büf- felkuh mir mein Bächlein leer säuft, wo schwimm ich dann? Was mach ich nur, was soll ich nur tun? Und in seiner ganzen Angst nimmt das Fischlein all seinen Mut zusammen, streckt das Köpf- chen zum Wasser heraus und sagt: „Du, Büffelkuh, bitte, bitte, sauf doch nicht so viel!" Die Büf- felkuh dreht den Kopf zur Seite, schaut nach unten und sagt ... Also was die Büffelkuh nun sagt, sie hätte das bestimmt nicht gesagt, wenn sie gewusst hätte, was jetzt passiert, sie hätte sich’s schwer überlegt. Aber das was jetzt geschieht, das hat die Büffelkuh nicht für möglich gehalten, aber ihr werdet es gleich sehen was kommen wird und das war so: Sie sagt voller Verachtung zu dem Fischlein: „Was willst denn Du, Du kleiner Schnips." Glaubt mir, sie hätte es besser nicht gesagt. Denn jetzt bekommt das Fischlein richtig Wut, eine mächtige Wut und mit einem Satz springt das Fischlein raus aus dem Wasser und verschluckt mit einem Mal die ganze große Büf- felkuh! Da war sie weg. Also, wenn die Büffelkuh gewusst hätte, dass das Fischlein das kann, da hätte die schön das Maul gehalten. Aber so ist das doch nicht mehr als gerecht. Nicht wahr? Rich- tig gerecht. Jetzt hatte sie’s, die Büffelkuh. Warum war sie denn auch so widerlich zu dem Fisch- lein. Und so ist das doch ein gutes Ende? Oder wie soll's weitergehen? Oder wisst Ihr, wie's noch besser gewesen wäre?

25. Glatteis

Ein älterer Mann ging mit seinem Krückstock, den er wegen einer Behinderung brauchte, im Win- ter auf der Straße. Er traf dort auf einen ebenfalls Gehbehinderten, allerdings hatte dieser ein Holzbein. Dieser stand hilflos vor einer Glatteisfläche auf dem Bürgersteig. Der Einbeinige bat den älteren Mann um Hilfe. Der Alte willigte ein und fragte höflich an, ob er ihm dabei die Augen verbinden dürfe. Der Einbeinige dachte: „Der geht selber am Stock und wird wohl schon wissen, wovon er redet. “Also ließ er sich die Augen mit dem Schal verbinden wurde ein paar Mal im Kreis gedreht und dann ein paar Meter in diese und jene Richtung geführt. Als ihm schließlich der Schal wieder abgenommen wurde, stellte der Einbeinige erstaunt fest, dass er übers Glatteis ge- gangen war – ohne auch nur daran zu denken. Auf die Frage nach einer Erklärung antwortete der ältere Mann: „Ihr Körper hat vergessen, ans Hinfallen zu denken.“

26. Reisaffen

Reisaffen sind possierliche, kleine Tiere aus China, die die Menschen immer fangen wollten. Bloß waren die viel listiger und schlauer und waren schon auf den Bäumen, bevor sie gefangen wurden.

Bis ein älterer Chinese einen schlauen Einfall hatte: Er sammelte Kokosnüsse und schnitt ein klei-

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nes Loch hinein. So groß, dass die Hand eines Affen gerade hineinpasste, und er füllte sie mit Reis und legte die Kokosnüsse aus und versteckte sich in der Nähe hinter einem Busch. Und es dauerte nicht lange, bis der erste Affe ankam und seine Hand in die Nuss steckte, um an den Reis zu kommen. Dann merkte er, dass er seine Faust voller Reis nicht mehr aus der Nuss herausbekam.

Dieser listige alte Chinese - so könnte man sagen - war der Untergang der Affen. Oder man könnte sagen, diese Affen waren dumm. In Wirklichkeit wollten die Affen nicht loslassen. Man könnte auch sagen, so haben die Menschen die Macht über die Affen gewonnen. Aber es war ihre Ent- scheidung.

Analog zu der "Geschichte von den Reisaffen" erzählt Peseschkian (1979) eine persische Ge- schichte, in der der Mullah mit der Hand voller Nüsse im Nusskrug stecken bleibt, weil er mög- lichst viele davon seiner Frau bringen wollte, die beabsichtigt ihm eine Mahlzeit mit Nüssen, sein Leibgericht, zuzubereiten. Auch zerren und ziehen, fluchen und stöhnen hilft nichts. Nach vielen vergeblichen Versuchen rufen sie den Nachbarn zu Hilfe, der dem weinerlichen Mullah seine Hil- fe zusagt unter der Voraussetzung, dass er genau das tue, was er ihm sage, worauf der Mullah er- widert: "Mit Handkuss mache ich das, was du mir sagst, wenn du mich nur von diesem Ungeheuer von Krug befreist." Der Nachbar befiehlt ihm, seinen Arm wieder in den Krug hinein zu schieben.

Dem Mullah kommt dies komisch vor, denn warum sollte er den Arm wieder hinein schieben, wenn er ihn doch heraushaben wollte. Dennoch tut er, wie ihm geheißen. Der Nachbar fährt fort:

"Öffne jetzt deine Hand und lasse die Nüsse fallen, die du festhältst." Der Mullah wird wütend, weil er sich um seine Leibspeise gebracht sieht, tut aber trotzdem, was der Nachbar sagt. Dieser befiehlt ihm nun, seine Hand ganz schmal zu machen und herauszuziehen. Der Mullah zieht auf diese Weise zwar die Hand aus dem Krug, ist aber dennoch nicht recht zufrieden: "Meine Hand ist jetzt frei, wo bleiben aber meine Nüsse?" Da nimmt der Nachbar den Krug, kippt ihn um und lässt so viele Nüsse herausrollen, wie der Mullah braucht. Dieser steht mit großen Augen da und fragt schließlich: "Bist du ein Zauberer?"

27. Friedhofsmauer

Mullah Nasrudin wanderte in der Dämmerung und sah plötzlich drei Reiter auf sich zureiten. Das interpretierte er als Bedrohung, und in seiner Angst, die Reiter könnten ihn ausrauben, verschlep- pen oder umbringen, sprang er über eine Mauer, um sich zu verstecken. Hier bemerkte er mit Schrecken, dass er sich auf einem Friedhof befand. Vollends erschreckt erstarrte er und blieb re- gungslos hinter der Mauer liegen. Die Reiter hatten ihn aber von weitem gesehen und sein Verhal- ten bemerkt. Sie ritten heran, stiegen ab und halfen Nasrudin aufzustehen. Anschließend fragten sie ihn: " Was hat Sie in diese missliche Lage gebracht?" Nasrudin war verlegen, weil er merkte,

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dass er sich in den Reitern getäuscht hatte und antwortete: "Sehen Sie, das ist schwieriger, als Sie denken. Sie, Sie sind meinetwegen hier, und ich, ich bin Ihretwegen hier."

28. Mühlstein

Ein Wanderer zog mühselig auf einer scheinbar endlos langen Straße entlang. Er war über und über mit Lasten behangen. Ein schwerer Sandsack hing an seinem Rücken, um seinen Körper war ein dicker Wasserschlauch geschlungen. In der rechten Hand schleppte er einen unförmigen Stein, in der linken einen Geröllbrocken. Um seinen Hals baumelte an einem ausgefransten Strick ein alter Mühlstein. Rostige Ketten, an denen er schwere Gewichte durch den staubigen Sand schleif- te, wanden sich um seine Fußgelenke. Auf dem Kopf balancierte der Mann einen halbfaulen Kür- bis. Ächzend und stöhnend bewegte er sich Schritt für Schritt vorwärts, beklagte sein hartes Schicksal und die Müdigkeit, die ihn quälte. In der glühenden Mittagshitze begegnete ihm ein Bauer. Der fragte ihn: "Oh, müder Wanderer, warum belastest du dich mit diesen Felsbrocken?"

"Zu dumm," antwortete der Wanderer, "aber die hatte ich bisher noch gar nicht bemerkt." Er warf die Brocken weg und fühlte sich viel leichter. Nach einiger Zeit kam ihm wieder ein Bauer entge- gen. Der fragte ihn: "Sag, müder Wanderer, warum plagst du dich mit dem halbfaulen Kürbis auf deinem Kopf und schleppst an Ketten so schwere Eisengewichte hinter dir her?" Der Wanderer antwortete: "Ich bin froh, dass du mich darauf aufmerksam machst; ich habe nicht gewusst, was ich mir damit antue." Er schüttelte die Ketten ab und zerschmetterte den Kürbis. Wieder fühlte er sich leichter. Einige Zeit später traf er abermals einen Bauern, der ihn erstaunt fragte: "Warum trägst du Sand im Rucksack, wo doch dort in der Ferne mehr Sand ist, als du jemals tragen könn- test. Und wie groß ist dein Wasserschlauch - als wolltest du die Wüste Kawir durchwandern.

Dabei fließt doch neben dir ein klarer Fluss." Der Wanderer antwortete: "Dank dir, Bauer. Jetzt erst merke ich, was ich mit mir herumgeschleppt habe." Er riss den Wasserschlauch auf und füllte mit dem Sand aus dem Rucksack ein Schlagloch. Sinnend stand er da und schaute in die unterge- hende Sonne. Die letzten Sonnenstrahlen brachten ihm die Erleuchtung: Er blickte an sich hinun- ter und sah den schweren Mühlstein an seinem Hals baumeln und merkte plötzlich, dass es der Stein war, der ihn noch so gebückt gehen ließ. Er band ihn los und warf ihn, so weit er konnte, in den Fluss hinab. Frei von seinen Lasten wanderte er durch die Abendkühle, eine Herberge zu fin- den. (Peseschkian 1979)

29. Das Geheimnis des langen Bartes

Ein Gelehrter, der wegen seines Wissens und seines herrlich langen, weißen Bartes bekannt war, ging eines Abends durch die Gassen von Shiraz, einer Stadt im mittleren Orient. In Gedanken ver-

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sunken kam er an einer Schar von Wasserträgern vorbei, die sich über ihn lustig machten. Der Keckste unter ihnen trat hervor, verbeugte sich und fragte: "Großer Meister, meine Kameraden und ich haben eine Wette abgeschlossen. Sag uns doch, wo liegt dein Bart, wenn du nachts schläfst? Auf der Bettdecke oder unter ihr?" Der Gelehrte, aus seinen Gedanken aufgeschreckt, antwortete freundlich: "Ich weiß es selbst nicht. Ich werde es aber erforschen. Morgen um die gleiche Zeit erwarte ich dich hier. Ich will es dir dann sagen." Als die Nacht hereingebrochen war und der Gelehrte sich zur Ruhe gelegt hatte, wollte kein Schlummer über ihn kommen. Mit gerun- zelter Stirn dachte er nach, wo denn immer sein Bart gelegen habe. Auf der Decke? Unter ihr? Er wusste keine Antwort. Schließlich legte er seinen Bart auf die Decke und versuchte zu schlafen.

Innere Unruhe ergriff sein Herz: War denn dies wirklich die richtige Lage? Wenn sie es ist, warum war er dann nicht, wie immer, längst eingeschlafen? Also legte er den Bart unter die Decke. Doch auch dies half ihm wenig. Der Schlaf war in seinen Augen genau so weit entfernt wie zuvor. "So kann es auch nicht gewesen sein", kam es dem Gelehrten in den Sinn und er legte ihn wieder auf die Decke. Auf diese Weise kämpfte er die ganze Nacht - den Bart auf der Decke, den Bart unter der Decke -, ohne dass auch nur ein Augenblick Schlaf ihm seine Frage beantwortet hätte. Am nächsten Morgen ging er dem Wasserträger entgegen: "Mein Freund", sagte er, "bisher schlief ich mit der Zierde meines Bartes und immer konnte ich mich des süßesten Schlummers erfreuen.

Seitdem du mich gefragt hast, kann ich nicht mehr schlafen. Eine Antwort auf deine Frage ist mir nicht möglich und mein Bart, die Zierde meiner Weisheit und Zeichen meines erhabenen Alters, ist mir fremd geworden. Ich weiß nicht, wie ich mit ihm wieder vertraut werden kann."

30. Fabriklärm

Während des Studiums kam er, so erzählte (derselbe) Erickson, auf dem Weg zur Universität im- mer an einem bestimmten Fabrikgebäude vorbei. Das Tor stand meist weit offen und er konnte hineinschauen. Die vielen Maschinen machten einen enormen Lärm. Erickson war verwundert, als er feststellte, dass sich die Arbeiter unterhielten, obwohl er selbst bei dem Lärm kein Wort verste- hen konnte – auch wenn er nahe heranging. Das machte ihn neugierig. Eines Tages fragte er den Werksleiter und erhielt die Erlaubnis, in einer sichern Ecke in der Halle zu schlafen. Die Leute belächelten den „komischen Kauz“. Trotz des Lärms schlief er nach einiger Zeit ein und wachte erst nach einigen Stunden wieder auf. Er stand auf und ging zu den Arbeitern an den Maschinen und verstand diesmal jedes einzelne Wort. Seine Ohren hatten gelernt, das Unwichtige auszublen- den. Und was die Ohren können, können auch die Augen und die Haut.

(29)

31. Die Sonne und der Nordwind

Die Sonne und der Nordwind stritten sich einst, wer von ihnen stärker sei. Sie beschlossen, eine Probe ihrer Kraft zu machen. Jeder von ihnen wollte versuchen, einem Wandersmann auf der Straße den Mantel vom Leibe zu ziehen. Der Nordwind begann. Mit aller Kraft stürzte er sich auf den Wanderer und wild und immer wilder zerrte und zog er an ihm. Aber je grimmiger er blies, umso fester hüllte der Mann sich in seinen Mantel, und endlich musste der Nordwind sein vergeb- liches Rasen einstellen. Die Sonne hatte lächelnd zugesehen; nun lächelte sie wärmer und wärmer und nicht lange dauerte es, da öffnete der Wanderer seinen Mantel und zuletzt zog er ihn aus: Die Sonne hatte gesiegt.

32. Die Maus

Ein junges Mädchen hatte eine kleine Maus angelockt und die war ganz zutraulich geworden.

Schließlich konnte sie sie auf die Hand nehmen und dort füttern. Eines Tages nahm sie sie in ihre Schürzentasche und ging hinaus ins Freie, um dort zu spielen. Als plötzlich eine Katze auftauchte, erschrak sie, denn es fiel ihr ein: "Katzen fressen Mäuse." Sie spürte ihr Herz klopfen, bekam Angst und begann wegzulaufen. Sie rannte die Straße hinunter und je mehr sie rannte, umso grö- ßer schien die Katze zu werden. Das Mädchen rannte und rannte, und schließlich war die Katze größer als die Häuser. Das Mädchen war verzweifelt. Da hörte sie plötzlich eine leise Stimme. Sie schaute nach unten und sah die Maus den Kopf aus der Tasche strecken und hörte sie laut schrei- en: "Halt! Stopp! Du musst dich umdrehen. Schau ihr in die Augen und renn ihr entgegen, dann wird sie wieder kleiner." Das Mädchen blieb auf der Stelle stehen, drehte sich um, schaute der Katze in die Augen und ging auf sie zu. Im gleichen Moment schrumpfte die Katze. Sie wurde kleiner und kleiner und hatte schließlich wieder ihre ursprüngliche Größe, schnurrte und strich um die Beine des Mädchens. Jetzt könnte jemand sagen, die Maus hatte gut reden - aus ihrer sicheren Position in der Tasche. Doch das Mädchen hatte das wohl nicht bedacht." (Revenstorf & Zeyer 1994)

33. Der Biber

LeShan (nach Trenkle 1985) fragte zu diesem Zweck seine Klienten gelegentlich, ob sie wüssten, wie man Biber fängt. Dies sei sehr einfach: Der Biber gehe unbeirrbar immer den gleichen Weg vom Bau zum Wasser. Von diesem Weg weiche er niemals ab. Den Biber fange man, indem man einfach eine Falle, deren geöffnete Tür in Richtung des Biber-Baus zeige, auf diesen Weg stelle.

Morgens komme der Biber aus seinem Bau und sehe die Falle. Man könne ihn dann dabei be- obachten, wie er - weinend und schluchzend zwar, aber unbeirrbar - seinen Weg gehe.

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