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Ein Mann hatte drei Söhne: zwei waren klug, einer war ein Dummling. Er rief seine Söhne zu sich und sprach: „Ich bin alt. Vor meinem Tod will ich einem von euch den Hof übergeben. Geht in die Welt hinaus, und wer mir nach einem Jahr das schönste Tuch bringt, dem werde ich den Hof über-geben.“ Da ziehen die Söhne in die Welt. Zuerst gehen sie noch zusammen los, doch im Wald gafft sich der Dummling irgendwo fest und bleibt stehen, er schaut den Vögeln nach. Die Brüder merken gar nicht, dass er zurückgeblieben ist. So geht er allein weiter, geht und geht, und schließ-lich kommt er an eine Höhle. Er kriecht hinein – was schert sich ein Dummling darum, was da lauern könnte -, er kriecht hinein, tiefer und immer tiefer und kommt an eine Tür. Er macht die Tür auf, geht hindurch, schaut sich um – ein schönes Zimmer! In dem Zimmer gibt es noch eine Tür. Er macht sie auf und kommt in ein zweites Zimmer, noch schöner als das erste. In der Mitte steht ein prächtiger Stuhl, und auf dem Stuhl liegt, zusammen gerollt, eine gewaltige Schlange.

Der Dummling erschrickt und will davon laufen. Da bewegt sich die Schlange und spricht:

„Wer ist da gekommen, und wonach sucht er?“ Na, da ist der Dummling noch mehr erschrocken, aber dann hat er der Schlange doch alles erzählt: von seinem Vater und seinen Brüdern, von dem Hof und dem schönen Tuch, das sie in einem Jahr aus der Welt mitbringen sollen.

„Wenn du willst, diene ein Jahr bei mir“ sagt die Schlange. „Einmal am Tag wirst du den Ofen heizen, einmal am Tag wirst du mich waschen. Zu essen bekommst du, was du nur willst. Und nach einem Jahr gebe ich dir ein schönes Tuch.“ „Na“ denkt der Jüngling, „das ist ja gerade das, was ich will, was werde ich da noch woanders hingehen“, und er ist gern bereit, bei der Schlange zu bleiben. Einmal am Tag heizt er den Ofen, einmal am Tag wäscht er die Schlange – und zu essen hat er, was er nur will. So dient er ein ganzes Jahr. Als das Jahr vorüber ist, sagt die Schlan-ge zum Dummling: „Geh in das erste Zimmer, dort hänSchlan-gen an einem Haken an der Tür drei Schlüssel. Nimm den ersten und geh in das Vorratshaus. Dort findest du drei Truhen, die erste schließ auf, darin liegen die schönsten Tücher. Suche dir aus, welches du willst.“

Der Dummling nimmt den Schlüssel, geht zum Vorratshaus, schließt die erste Truhe auf – sie ist voll schöner und schönster Tücher! Er nimmt sich von oben das erste und geht, nachdem er der Schlange „Ade“ gesagt hat, nach Hause. Seine Brüder sind schon lange daheim. Sie hatten sich bei einem Bauern verdingt und von ihrem Lohn jeder ein Seidentuch gekauft. Als sie den Dummling kommen sehen, machen sie sich lustig über ihn: „Mal sehen, was für einen Lumpen er rausholen wird!“ Doch als der Dummling sein Tuch ausbreitet, da erstrahlt die Stube von seiner Schönheit

bis in die Winkel und Ecken hinein. Als die Brüder ihre Tücher vorzeigen, da sehen sie neben dem Tuch des Dummlings wie alte Lappen aus. Nun muss der Hof wohl dem Dummling zufallen, aber der Vater will ihm den Hof nicht geben. Er schickt die Söhne ein zweites Mal in die Welt hinaus – nun sollen sie Ringe nach Hause bringen. Und der mit dem schönsten Ring, der soll den Hof dann bekommen. Wieder gehen die drei in die Welt. Diesmal wollen die beiden Klugen bei dem Dummling bleiben. Kaum aber sind sie im Wald, da läuft er ihnen fort, läuft geradewegs zur Höh-le, kriecht hinein, geht durch das erste Zimmer ins zweite, da liegt die Schlange auf dem Stuhl.

„Wer ist da gekommen, und wonach sucht er?“fragt die Schlange, und der Dummlimg erzählt al-les. „Diene noch ein Jahr bei mir“ sagt die Schlange. „Zweimal am Tag wirst du den Ofen heizen, zweimal am Tag wirst du mich waschen. Zu essen bekommst du, was du nur willst. Und nach ei-nem Jahr gebe ich dir den schönsten Ring.“ Der Dummling ist bereit, zu dienen. Ein Jahr lang tut er, was die Schlange ihm aufgetragen hat. Dann sagt sie: „Vom Haken an der Tür im ersten Zim-mer nimm den zweiten Schlüssel, schließ im Vorratshaus die zweite Truhe auf, die ist voller Rin-ge. Wähle dir einen aus.“ Der Dummling nimmt den Schlüssel, geht ins Vorratshaus, schließt die zweite Truhe auf – er findet sie voll schöner und schönster Ringe, ihr Glanz erleuchtet das ganze Vorratshaus. Er nimmt sich von oben einen Ring heraus und geht, nachdem er der Schlange „Ade“

gesagt hat, nach Hause zurück.

Die Brüder sind schon längst daheim, jeder hat einen Goldring mitgebracht. Sie warten ungedul-dig auf die Rückkehr des Dummlings: Was wird er wohl diesmal mitbringen? Dann kommt der Dummling, holt seinen Ring hervor – da erstrahlt das ganze Haus, so schön ist er, so leuchtet er!

Nun zeigen die Brüder ihre Ringe vor, aber sie sind nicht mit dem des Dummlings zu vergleichen, sein Ring ist der schönste. Jetzt muss der Vater dem Dummling den Hof geben, aber er will immer noch nicht, und fertig. Er schickt die Söhne ein drittes Mal in die Welt hinaus. Eine Braut, befiehlt er, eine Braut sollen sie übers Jahr nach Hause bringen, und der, dessen Braut die schönste ist, der wird den Hof bekommen. Die Klugen gehen hinter dem Dummling her, sie wollen doch sehen, wo er seine Schätze findet. Aber kaum sind sie im Wald, da läuft er ihnen davon und lässt sie mit of-fenem Mund stehen. Er läuft zu seiner Höhle, kriecht hinein, geht ins zweite Zimmer, und wieder fragt die Schlange: „Wer ist da gekommen, und wonach sucht er?“

Und als der Dummling von der Braut erzählt hat, die er bringen soll, sagt die Schlange: „Diene noch einmal ein Jahr bei mir. Dreimal am Tag wirst du den Ofen heizen, dreimal am Tag wirst du mich waschen. Zu essen bekommst du, was du nur willst. Und am Ende des Jahres bekommst du deine Braut.“ Na, der Dummling ist bereit dazu und tut alles, was ihm zugeteilt ist. Am Ende des Jahres sagt die Schlange: „Jetzt heize den Ofen, bis er rot glüht!“ Und der Dummling heizt ein.

„Jetzt wasch mich noch einmal, wasch mich ganz sauber!“ Der Dummling wäscht die Schlange,

wäscht sie mit Sorgfalt. „Und jetzt wirf mich in den glühenden Ofen! Laufe schnell aus dem Zimmer! Sieh dich nicht um!“ Dem Dummling will das Herz vor Schmerz zerspringen. Die Schlange verbrennen! Und wer wird ihm die Braut geben? Aber wenn er nicht gehorcht, wird er sie auch nicht bekommen! Weinend trägt er die Schlange zum Ofen und – wirft sie in die rote Glut. Dann läuft er, so schnell er kann, in das andere Zimmer und sinkt bewusstlos nieder. Als er wieder zu sich kommt, da kniet ein schönes, ein wunderschönes Mädchen neben ihm, beugt sich über ihn und fragt: „Bist du nun erwacht? Ich warte schon lange auf dich. Ich bin deine Braut, die Braut, die ich selbst dir versprochen habe.“ Da springt der Dummling auf, sieht sich um – alles ist neu: Der Palast steht nun oben auf der Erde, Diener laufen umher, und auch er ist verwandelt, er ist zu einem schönen jungen Mann geworden. Da sagt die Königstochter, seine Braut: „Ein böser Zauber lag auf mir, meinem Palast und allen Menschen darin. Nun ist er gebrochen, und alle Schätze und das ganze Königreich sind unser.“ Da lässt der Jüngling Pferde anspannen und fährt mit der Königstochter zu seinem Vater – sie fliegen klingend dahin. Der Vater erschrickt, als er so hohe Herrschaften kommen sieht. „Also, Väterchen, erkennst du mich nicht mehr?“ ruft der Jüngste. „Ich bin’s, dein dummer Sohn! Ich bringe dir meine Braut!“ Da erschrickt der Vater noch mehr, und bittet, der Herr Sohn möge doch nicht zürnen, weil er ihm den Hof nicht übergeben wollte. Der Dummling lacht: „Lieber Vater, ich brauche deinen Hof nicht. Leb’ du in Frieden hier, ich habe ein ganzes Königreich!“ Und dann lud er seine Brüder mit ihren Bräuten ein, mit ihm in sein Reich zu kommen und sich alles anzuschauen. Sie fuhren alle hin, der Jüngste feierte Hoch-zeit mit der Königstochter – es gab ein großes Fest!

Ich bin auch da gewesen und hab’ mitgefeiert, hab’ getanzt, gegessen und getrunken und bin so müde geworden, dass ich zum Schlafen in ein Kanonenrohr gekrochen bin, und als sie einen Freu-denschuss abfeuerten, da haben sie mich geradewegs hierher geschossen, zu euch, damit ich euch das Märchen erzähle!

(Bearbeitung von Linde Knoch nach: Die Prinzessin, die in einen Wurm verwandelt worden war.

aus: Litauische Volksmärchen. hrsg. von Jochen D. Range. Diederichs. Düsseldorf/Köln 1981)

93. Lorbeerkind

Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die bekamen keine Kinder und waren sehr betrübt. Sie baten Gott, er möge ihnen ein Kind schenken, und sei es auch nur ein Lorbeerkern. Gott erhörte ihr Gebet, und der Leib der Frau wurde gesegnet. Als ihre Zeit gekommen war, gebar sie einen Lorbeerkern. Die Frauen, die ihr beistanden, merkten das nicht und trugen ihn mit dem Weißzeug zur Wäsche. Wie sie so wuschen, da fiel der Lorbeerkern auf die Erde, und es wuchs daraus ein goldener Lorbeerbaum, sein Gezweig glänzte wie die Sonne. Von weit und breit kamen

Königs-söhne herbei, die wollten den goldenen Lorbeerbaum sehen. Einer von ihnen schlug sein Zelt dicht an seiner Wurzel auf, und dann ging er mit den anderen zur Jagd. Sein Koch blieb zurück, um die Speisen zu bereiten, und als sie fertig waren, ging auch er davon, um sich ein wenig umzusehen.

Da ruft es im Baume: „Lorbeerbaum, mein schönes Haus, tu dich auf, lass mich hinaus.“ Die Rin-de Rin-des Baumes öffnet sich, und heraus kommt ein wunRin-derschönes Mädchen. Sie sieht sich um, kostet von allen Speisen, nimmt dann eine Hand voll Salz und versalzt sie alle. Dann geht sie zum Baum zurück und spricht: „Lorbeerbaum, mein schönes Heim, tu dich auf, lass mich hinein.“Der Baum öffnet sich, und sie schlüpft hinein. Zu Mittag kommt der Königsohn zurück und will essen.

Er fand aber alle Speisen so versalzen, dass sie ungenießbar waren. Da packt er seinen Koch, der aber jammert und schreit: „Gnade, Herr, Gnade, ich hab es nicht getan!“ Die anderen Königssöhne kommen herbei und bitten für den Koch, da lässt er ab von ihm. Am Tag darauf tut der Koch nicht das kleinste Körnchen Salz an die Speisen, und als er fertig ist, geht er wieder spazieren. Das Lor-beerkind macht es wie das erstemal, ruft aus dem Baum: „Lorbeerbaum, mein schönes Haus tu dich auf, lass mich hinaus!“

Dann kommt sie heraus, versalzt alle Speisen und verschwindet wieder im Baum. Als der Königs-sohn kommt und essen will, da findet er alles noch stärker versalzen als am Vortag. Nun merkt er, dass sein Koch unschuldig ist, und er sagt zu ihm: „Wenn du morgen das Essen gekocht hast, so geh fort. Ich will hier bleiben und sehen, wer uns das antut.“ So machten sie es, und der Königs-sohn versteckte sich hinter dem goldenen Baum. Da hört er eine Stimme, die ruft: „Lorbeerbaum, mein schönes Haus, tu dich auf, lass mich hinaus!“ Da tritt das schöne Mädchen aus dem Baum und isst von allen Speisen. Wie sie aber nach dem Salz greift, da springt der Königssohn hervor, fasst sie und ruft: „Also du bist es, die mir das antut?“ Und er trägt sie in sein Zelt, umarmt und küsst sie. Nach einer Weile tut er so, als wolle er ein wenig spazieren gehen und lässt sie allein, aber er versteckt sich wieder. Da läuft das Mädchen weinend zum Baum und bittet: „Lorbeer-baum, mein schönes Heim, tu dich auf, lass mich hinein!“

Der Baum aber antwortet: „Du bist geküsst, bist umarmt, dein Baum sich nimmermehr deiner er-barmt!“ Und nachdem er so gesprochen hat, vertrocknet er. Als der Königssohn das sieht, trägt er das Mädchen ins Zelt zurück und kost mit ihr bis zum Abend. Dann lässt er ein Lager bereiten aus Zweigen von blühenden Zitronen- und Orangenbäumen. Als aber das Mädchen darauf eingeschla-fen ist, macht er sich heimlich davon und lässt sie allein zurück. Am andern Morgen erwacht das Mädchen und findet den Königssohn nicht. Da macht sie sich auf, um ihn zu suchen. Unterwegs begegnet sie einem Derwisch und spricht zu ihm: „Lieber Vater, wenn ich dir meine goldenen Kleider gebe, gibst du mir dafür die deinen und dein Pferd?“ Dem Derwisch war es recht. Sie tau-schen also ihre Kleider, das Mädchen besteigt das Pferd und holt bald den Königssohn ein. Der

Königssohn sagt: „Vertreib mir die Zeit, Herr, erzähl mir, was du auf deinem Weg gesehen hast.“

Und der falsche Derwisch antwortet:

„Ich sah ein Mädchen, das unter Tränen sprach: Ihr Zweige von Orangen, ihr Blüten von Zitro-nen,was ist mit mir geschehn,dass ich mein Glück verloren?’“ Als der Königssohn das hört, seufzt er. Nachdem sie gutes Stück weitergeritten sind, bittet der Königssohn wieder, der Derwisch möge doch erzählen, was er auf dem Weg gesehen habe. Und wieder antwortet der Derwisch:„Ich sah ein Mädchen; das unter Tränen sprach:

‚Ihr Zweige von Orangen, ihr Blüten von Zitronen, was ist mit mir geschehn,dass ich mein Glück verloren?“ Da seufzt der Königssohn wiederum, und er gewinnt den falschen Derwisch lieb. Er lädt ihn ein, mit ihm nach Hause zu kommen und spricht: „Ich soll bald Hochzeit halten, ich möchte dich dabei haben.“ Also ziehen sie miteinander weiter, und als sie im Schloss ankommen, lässt der Königssohn dem Derwisch ein besonderes Gemach geben. Die für den Königssohn be-stimmte Braut wird zur Hochzeitsfeier herbeigebracht. Das Lorbeerkind aber versteckt sich im Saal, zieht seinen Derwischmantel aus und hüllt sich in goldene Kleider. Da leuchtet es wie die Sonne, und als es hervortritt, geht ein solcher Glanz von ihm aus, dass alle Welt geblendet ist. Da erkennt der Königssohn das Mädchen und spricht: „Das ist meine wahre Braut, und ich will ohne diesen Stern nicht leben.“ Die andere Braut kehrte in das Vaterhaus zurück; der Königssohn und das Lorbeerkind feierten Hochzeit und lebten miteinander in Glück und Freude.

(aus: Griech. Märchen. Hrsg. von H.M. Enzensberger. Greno. Nördlingen 1987, Erzählfassung von Linde Knoch)