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Ist es nicht des Menschen Leid, dass er immer zu kurz kommt und die süßesten Trauben immer diejenigen sind, die am höchsten hängen. Wachsen nicht die süßesten Kirschen in Nachbars Gar-ten, und muss nicht jeder von uns mit ansehen, wie dümmste Bauern, dickste Kartoffeln ernten und das Glück seinen vollen Becher gerade neben uns ausschüttet. Wem hat das Schicksal nicht schon übel mitgespielt, und wer ist nicht schon verzweifelt an der Ungerechtigkeit der Welt. Ge-nau so ergeht es unserem tragischen Helden, von dem diese Geschichte erzählt. Ja unser Held ist ein bedauernswerter Mensch und bietet einen jämmerlichen Anblick. Nicht dass ihm irgendetwas fehlt, er Hunger Leiden müsste, oder von Krankheit gezeichnet gewesen wäre. Nicht dass ihn das Leben übel zugerichtet hat und ihn schlecht behandelt hätte. Nein es geht ihm wie vielen anderen seiner Kreatur mal recht, mal schlecht. Und doch plagt ihn eine tiefe Unzufriedenheit, grämt ihn ein tiefes Leid. Denn gibt es nicht Menschen, die wohlhabender sind als er und in prächtigeren Häusern leben? Gibt es nicht welche, die wohl anzusehen sind und Glück haben bei den Frauen und sind da nicht andere, ausgezeichnet mit Talenten, aufgrund derer sie Bewunderung und gute

Bezahlung erfahren? Ja, er ist wirklich nicht zufrieden mit seinem Schicksal und je mehr er dar-über nachdenkt, desto schlimmer wird es, so als würde jeder Gedanke seine Unzufriedenheit grö-ßer und grögrö-ßer werden lassen. Schließlich kann er an nichts anderes mehr denken als an das unbe-schreibliche Unglück, welches ihm im Leben widerfahren ist. Warum hat gerade er dieses Schick-sal, gerade er dieses Los bekommen. "Oh wie ungerecht ist das Leben" denkt er bei sich, "hätte mein armseliges Los nicht einem anderen zu kommen können. Warum habe ich nicht ein besseres erhalten?" So sitzt er Tag und Nacht und beklagt sein trauriges Los. Er fühlt sich unfähig, irgen-detwas zu tun, vernachlässigt Haus und Hof und schließlich sogar sich selbst. Er geht nur noch selten aus dem Haus. Trifft er auf jemanden, so schaut er griesgrämig, so dass niemand es wagt, ihn anzusprechen. Ja die Leute beginnen ihm auszuweichen, wenn sie ihm begegnen. Schließlich wäscht er sich nicht mehr und verweigert das Essen, so dass er zusehends abmagert. Nachdem er sich in dieser Weise, jammernd und klagend, lange Zeit in seinem Haus eingeschlossen hat und endloses Selbstmitleid seinen Zustand nicht verändern will, wächst sein Groll über das ungerechte Leben, das ihm dieses Leid antut, ins Unermessliche. So fasst er schließlich den Entschluss, zum Gott des Schicksals zu reisen, um sich über das Los, dass er bekommen hat, zu beschweren. Er trifft die notwendigen Reisevorbereitungen und macht sich auf den langen Weg. Nachdem er eine Weile gegangen ist, begegnet er einem Wolf, der ihn im Vorübergehen, fragt: "Sag Wanderer, wo gehst Du hin, wohin führt Dich der Weg auf dem Du wandelst?" "Ich gehe zum Gott des Schick-sals" antwortete der Mann, "denn ich bin mit meinem Los nicht zufrieden und will ihn um ein bes-seres bitten. Denn siehe, das Leben hat mir übel mitgespielt und es ist nicht recht, dass einer wie ich, so schwer an seinem Schicksal trägt" "Zum Gott des Schicksals gehst Du? Das trifft sich gut", antwortet der Wolf. "Dann frage ihn doch auch mal für mich: Warum muss ich den ganzen Tag hungrig durch die Welt ziehen und etwas suchen, was ich fressen kann? Frag, ob ich nicht auch ein besseres Schicksal haben kann, als dieses erbärmliche, das mir und meiner bedauernswerten Gattung zugeteilt worden ist." "Oh wenn es weiter nichts ist, so will ich Deinen Wunsch erfüllen, und den Gott des Schicksals nach Dir und Deinen Leidensgenossen fragen." So spricht der Mann und macht sich weiter auf seinen langen Weg. Wie er weiter geht, kommt er an einem schönen Haus vorbei, und vor dem Haus sitzt ein wunderschönes Mädchen, und wie er vorbeigehen will, so fragt ihn das Mädchen: "Sag, Wanderer, Du scheinst eine weite Reise vor Dir zu haben, wohin führt Dich Dein Weg?" "Ich gehe zum Gott des Schicksals", antwortet der Mann, "dort will ich für mich ein besseres Los erbitten, denn mit meinem bin ich nicht zufrieden. Es ist doch ein Unrecht, dass einer wie ich sich seit Jahren plagt, und das Glück sich seiner nicht erbarmt." "Welch günsti-ge Gelegünsti-genheit" spricht da das Mädchen, "dann frag doch auch für mich: Warum habe ich, obwohl ich jung und hübsch bin, noch keinen Ehemann? Bin ich nicht wohlgeformt und von ansehnlicher

Gestalt? Bin ich etwa unfreundlich, oder habe ich irgendeinen Makel? Nun sitze ich hier und war-te, doch niemand will vorbei kommen und mich heiraten. Frag auch für mich, ob ich nicht auch ein anderes Los bekommen kann, denn ich bin des Wartens müde und möchte, dass das Glück mich endlich findet." "Wenn es die Zeit mir erlaubt, werde ich es tun", spricht da der Mann, "ja ich werde den Gott des Schicksals fragen, warum Du noch keinen Ehemann gefunden hast."

Spricht’s und beeilt sich weiterzugehen auf seinem langen Weg. Nachdem er eine Weile seines Weges gegangen ist, erblickt er einen großen, mächtigen Baum, der an einem schönen See steht.

Und wie er an dem Baum vorbeigeht, fragt ihn dieser: "Wohin des Weges, Wanderer, wohin führt Dich Deine Reise?" Und der Mann antwortet: "Ich gehe zum Gott des Schicksals, denn mit mei-nem Los bin ich nicht zufrieden, und so will ich um ein Neues bitten. Und ist es nicht schmerzlich andere im Licht zu sehen, während man selbst im Schatten steht?" "Wie gut gesprochen. Welch vortrefflicher Einfall" sagt da der Baum, "denn auch ich mag den Schatten nur, wenn ich ihn sel-ber werfe. Frage auch einmal für mich, ob mir nicht auch ein besseres Schicksal zugeteilt werden kann. Ich stehe hier im Licht und direkt an einem See, und ich habe Wasser im Überfluss. Aber wenn ich mir meine Krone betrachte, so finde ich immer wieder einige trockene Blätter, die mich zutiefst betrüben. Bitte doch auch für mich, um ein besseres Schicksal, denn wie soll ich glücklich werden in dieser Unvollkommenheit." "Deinem Wunsch will ich entsprechen und den Gott des Schicksals fragen, warum Dein Glück durch diese trockenen Blätter getrübt ist." antwortet der Mann, "ich werde ihn fragen, ob Du ein neues Los bekommen kannst, welches Dir die Vollkom-menheit beschert, die Du Dir wünschst." Spricht's und setzt seine Reise fort, und nach langer Wanderung erreicht er schließlich das prächtige Schloss des Gottes des Schicksals, das mit hohen vergoldeten Zinnen und Türmen auf einem mächtigen Berg in der Abendsonne glänzt. Voller Ehr-furcht steigt er den Berg hinauf, durchschreitet ein mächtiges Tor und gelangt über eine große Marmortreppe in das prachtvolle Schloss. Er schreitet durch hell erleuchtete Gänge und Hallen und endlich tritt er mit geneigtem Haupte vor den gläsernen purpurfarbenen Thron des Gottes des Schicksals. Und wie er vor dem Gott des Schicksals steht, beginnt er zu jammern. "Oh Gott des Schicksals der Du dem Menschen sein Los erteilst, oh Gott des Schicksals, warum habe ich das Pech gehabt, gerade dieses Los zu bekommen, wo es doch unendlich viele Schicksale gibt? Wa-rum nur hat es von allen Menschen ausgerechnet mich getroffen. Denn siehe, andere Menschen sind geboren in Reichtum und Überfluss, mir aber ist von meines Vaters Erbe nur vergleichbar wenig zu Teil geworden. Auch ist der Becher der Schönheit an mir vorübergegangen, und soll ich mich tagaus tagein plagen, wo anderen die Talente und alle Glückseligkeiten vom Himmel fallen.

Sag mir, ist es Recht, dass das Leben mich mit allen Anstrengungen straft und alle Mühen für mich bereit hat, während andere durch Müßiggang und Nichtstun reich zu werden scheinen. Ist es

nicht eine bodenlose Ungerechtigkeit, die bis zum Himmel schreit, die mir da widerfahren ist?"

Und wie er gar nicht mehr aufhören will, zu jammern und zu klagen, spricht der Gott des Schick-sals: "So höre, eigentlich ist es so, dass jeder sein eigenes besonderes Schicksal hat und sehen muss, was er daraus macht und wie er aus ihm Vorteil zieht. In dieser Weise hast auch Du dein Los bekommen, und es ist nun an Dir, Deine Möglichkeiten zu nutzen und Deinen Weg zu finden.

Und wenn ich mir Dein Los betrachte, so scheint es mir, dass es doch etliche Menschen gibt, die gerne mit Dir tauschen würden und sich wünschten an Deiner Stelle zu sein. Denn bist Du nicht gesund, wohl auf und Deiner Sinne mächtig. Hast Du nicht Arme und Hände, um das Leben zu meisten, und Beine und Füße, die Dich durch Dein Leben tragen. Du aber schaust voll Neid in deines Nachbars Garten und lässt den eigenen vertrocknen. Ja mir scheint Dein Los bei weitem nicht das schlechteste der Möglichen. Da ich aber sehe, wie unzufrieden Du mit dem bist, was Du erhalten hast, so soll Deine Reise nicht umsonst gewesen sein. Ich will also Deinem Wunsch ent-sprechen und Dir ein neues Los gewähren: Du sollst Dein Glück finden, wenn Du nach Hause gehst." Dies vernimmt der Mann mit Freude und bedankt sich bei dem Gott des Schicksals, fragt noch kurz für den Baum, das Mädchen und den Wolf und macht sich so schnell es geht auf den Heimweg. Nach einer Weile kommt er wieder an dem Baum vorbei, und dieser fragt ihn: "Warst Du beim Gott des Schicksals, und was hat er gesagt? Warum habe ich trockene Blätter, obwohl ich im Lichte und direkt neben einem See stehe und genug Wasser da ist? Was hindert mich an der Vollkommenheit meiner Krone und wie kann sich mein Schicksal wenden?" "Ja, ich habe den Gott des Schicksals gefragt", antwortet der Mann, "Der Gott des Schicksals hat gesagt: Verant-wortlich für Deine welken Blätter ist der große Goldschatz, der auf dem Grund des Sees liegt, ge-nau dort, wo die Quelle, den See mit frischem Wasser speißt. So kann die Quelle nicht fließen.

Deshalb ist das Wasser im See faul und dies ist der Grund für Deine Unvollkommenheit. Da spricht der Baum: "Dann tauche Du doch für mich hinab und hole das Gold, so dass die Wasser der Quelle wieder fließen können, und meine Wurzeln die Frische bekommen, die ihnen schon so lange fehlt.“ "Ach, wie gerne würde ich Dir diesen Gefallen tun", spricht da der Mann, "aber ich kann ja nicht, denn der Gott des Schicksals hat gesagt, dass ich mein Glück finden werde, wenn ich nach Hause gehe. Und wie gern ich Dir auch helfen würde, Dein Schicksal zu wenden, so muss ich doch nach Hause und kann nicht länger bei Dir verweilen. Du musst also auf jemand anderen warten, der bereit ist, das Gold aus dem See zu holen." Spricht's und verabschiedet sich von dem Baum und begibt sich so schnell es geht auf seinen Weg nach Hause. Und so begegnet er wieder dem Mädchen, das vor dem schönen Haus sitzt, ihn freudig begrüßt und fragt: "Erzähle mir, was hat er gesagt, der Gott des Schicksals, warum habe ich noch keinen Ehemann gefunden, obwohl ich jung und hübsch bin? Ist es etwa nicht recht, dass ich jemanden finde, der mich zur

Frau nehmen möchte?" Da antwortet der Mann: "Der Gott des Schicksals hat gesagt: Du musst halt die Augen auf machen und schauen, wann jemand vorbeikommt, der Dir gefällt und der Dich heiraten mag." Da spricht das Mädchen: "Na, dann nehme ich doch Dich! Du gefällst mir und Du bist auch nicht verheiratet, und so will ich Dich kennen lernen und sehen, ob Du der bist, den ich heiraten mag. Verweile also ein wenig, so dass wir zu einander finden!" "Ach," spricht da der Mann, "wie gerne würde ich bei Dir bleiben, denn auch Du findest mein Gefallen. Aber ich kann ja nicht, denn der Gott des Schicksals hat gesagt, dass ich mein Glück finden werde, wenn ich nach Hause gehe. Und so gern ich auch bei Dir verweilen möchte, so muss ich mich doch beeilen nach Hause zu kommen, um nicht das Glück zu verpassen, das auf mich wartet." So hastet er wei-ter und wie er sich eilt und weiwei-ter läuft, trifft er den Wolf. Und auch der Wolf fragt "Warst Du beim Gott des Schicksals, und was hat er gesagt? Warum muss ich hungrig und mit leerem Magen durch die Gegend streifen, ständig auf der Suche nach etwas, was ich fressen kann?" Da antwortet der Mann: "Der Gott des Schicksals hat gesagt: Es ist das Los der Wölfe ständig auf der Suche nach etwas Essbarem zu sein. Und es ist Dein Schicksal, dass Dir der Magen knurrt. Da ist es wichtig, die gute Gelegenheit zu nutzen, wenn man mal etwas findet, was man fressen kann. Der Gott des Schicksal hat gesagt: Du musst halt warten, bis ein Dummer kommt, den Du verspeisen kannst." Da spricht der Wolf: "Na, dann nehme ich doch Dich, denn einen Dümmeren finde ich mein Lebtag nicht mehr."