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Archiv "200 Jahre Digitalisglykoside: Ein Therapieprinzip, das alle Rekorde schlägt" (26.02.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

EDITORIAL

200 Jahre Digitalisglykoside:

Ein Therapieprinzip,

das alle Rekorde schlägt

Igor zweihundert Jahren wurde William Witherings Erfahrungsbericht über Digi- talis „An Account of Foxglo- ve" in Birmingham erstmals veröffentlicht. Seitdem wur- den nicht nur die Inhaltsstof- fe von Digitalis identifiziert, rein dargestellt, ihrer Phar- makodynamik und Pharma- kokinetik nach charakteri- siert, sondern auch wichtige Beiträge zum Verständnis des Wirkungsmechanismus geleistet. Das Buch ist übri- gens auch heute noch le- senswert, und dies nicht nur für den historisch interes- sierten Mediziner.

Wenn hier ausführlich über den Wirkungsmechanismus der kardiotonen Steroide be- richtet wird, dann mag der eine oder andere vom Alltag der praktischen Medizin all- zu sehr geplagte Kollege versucht sein, über die Theo- rie rasch hinwegzublättern.

Vorsicht: sie bietet wichtige Voraussetzungen für den sinnvollen Einsatz dieser Arzneimittel, allemal dann, wenn man die modernen Entwicklungen der differen- zierten Therapie von Herzin- suffizienzen im Auge hat.

Man darf getrost auch fest- stellen, daß neuere Arznei- stoffe, wie beispielsweise die Kalziumantagonisten, ihrer Wirkung nach nicht hätten charakterisiert werden kön- nen, wenn unsere Kenntnis- se in der Physiologie und Biochemie des Ablaufs der

Muskelzuckung aus der Digi- talisforschung nicht so um- fangreich gewesen wären.

Es ist auch lohnend, das Di- gitalis-Problem einmal von der historischen Seite her zu überdenken. Was hat sich wirklich in den seit der Erst- veröffentlichung von William Withering liegenden 200 Jah- ren auf diesem Gebiet ge- tan? Diese Frage ist um so berechtigter, als in diesen Jahren die Generation den ärztlichen Beruf aufgeben wird, die noch die Therapie mit Folie digitalis, also mit Digitalis-Blättern, erlernt hat.

In den USA übrigens, noch während des zweiten Welt- kriegs und weit in die 50er Jahre hinein, ein durchaus probates Verfahren!

Schon unter diesem Ge- sichtswinkel ist als ein mar- kanter Orientierungspunkt die Entwicklung der Analytik festzuhalten. Sie hat zur Identifikation und darüber- hinaus zur Reindarstellung der Herzglykoside geführt, die uns heute unabhängig von chemischen Rassen der Pflanzen, jahreszeitlichen Glykosidschwankungen und Beiprodukten macht, die ur- sprünglich für einen Großteil der Magen-Darm-Trakt-Un- verträglichkeiten bei der Gly- kosidtherapie verantwortlich waren. Diese Entwicklung ist übrigens noch nicht einmal viel älter als 30 Jahre! Thera- peutischer Fortschritt? Der

Pharmakologe und Toxikolo- ge bejaht das vorbehaltlos.

Noch in den 60er Jahren die- ses Jahrhunderts waren die prozentualen Anteile derjeni- gen Patienten, die während der Therapie mit Digitalis-In- haltsstoffen unerwünschte Wirkungen zeigten, etwa ge- rade so groß wie diejenigen, die William Withering zwi- schen 1783 uld 1784 in sei- ner Klientel hatte, als er Routine im Umgang mit sei- nen Pflanzenaufbereitungen hatte: rund 15 Prozent. Diese Zahl ist erst in den letzten Jahren, zumindest in unse- ren Kliniken, deutlich kleiner geworden. Dazu hat nicht nur die gesteigerte Qualität der Präparate, sondern auch die vertiefte Kenntnis der Pharmakokinetik der Glykosi- de wesentlich beigetragen.

An dieser Stelle gilt es aller- dings, den älteren Ärzten Re- verenz zu erweisen: Mit den Definitionen der Sättigungs- und der Erhaltungsdosis ist lange vor Einführung des Be- griffes der Pharmakokinetik die Grundlage für eine ratio- nale Therapie mit Digitalis geschaffen worden, die bei einem Arzneimittel, dessen therapeutische Breite zwi- schen 2 und 3 veranschlagt wird (!), nur aufgrund der Kontrolle der Wirkungen ei- ne beachtliche Sicherheit im Umgang erzielt.

D

er Gefährlichkeit von Gly- kosiden haben sich, we- nigstens zeitweilig und in un- serem Sprachraum, einige Ärzte durch Unterdosierung entledigt. Dabei sind so ku- riose Praktiken wie die ein- oder zweimal wöchentliche Strophanthin-Injektion oder auch die orale Strophanthin- Therapie mit einer dubiösen Wissenschaftlichkeit ver- brämt worden. Die Historiker

542 (54) Heft 9 vom 26. Februar 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

NOTIZ

werden zu klären haben, ob die Gefahren bei der Glyko- sid-Therapie nicht durch die Einführung der Strophan- thus-Glykoside hierzulande vergrößert wurden. Eine au- ßerordentlich schwierige Fra- ge, die sicherlich ex post aufgrund der Krankenge- schichten nicht mehr zu klä- ren sein dürfte. Immerhin wird der Sekunden-Herztod präferentiell diesen wasser- löslichen Glykosiden mit ge- ringer Bindungsfähigkeit an Plasmaproteine angelastet.

Es ist übrigens eine offene Frage, ob verschiedene Herzglykoside nicht präfe- rentiell bestimmte Strukturen des Herzens als Wirkort be- vorzugen. Die Tatsache, daß zur Frequenzminderung bei Vorhoftachykardien eben Di- gitoxin und nicht Strophan- thus-Glykoside angewendet wurden, wird heute eher mit diesen pharmakokinetischen Eigenschaften der beiden Glykosid-Typen interpretiert.

Die pharmakokinetischen Ei- genschaften der verschiede- nen Glykoside sind nicht un- wichtig. Die präferentielle Elimination von Digoxin über die Nieren und die von Digi- toxin durch Verstoffwechse- lung in der Leber bieten dem Arzt dann Alternativen, wenn der eine der beiden Wege durch Einschränkun- gen der Leistungsfähigkeit der Organe verlegt ist.

Die Anwendung von Digitalis- glykosiden erfolgt zuneh- mend differenziert. Differen- ziert, das heißt im Hinblick auf die Ursachen, die der Herzinsuffizienz zugrunde liegen. Stoffe, die sich auf die „Vorlast" und/oder die

„Nachlast" des Herzens aus- wirken, treten zunehmend in Konkurrenz mit den kardioto-

nen Steroiden und ihrer po- sitiv-inotropen Wirkung, das heißt der gesteigerten Kraft- entwicklung des kontraktilen Apparates der Herzmuskel- zelle.

Die Erfahrung der Zukunft wird lehren, inwieweit diese Entwicklung sinnvollerweise in die ärztliche Praxis Ein- gang finden wird. Es bedarf dazu der zuverlässigen Ab- schätzung der Wirkungen und Risiken der verschiede- nen Therapieprinzipien, die heute noch nicht vollständig überschaubar sind.

eo

kommt es, daß wir mit einem Therapieprinzip, das schon 200 Jahre alt ist, immer etwas Neues erleben können. Wir dürfen auch si- cher sein, daß in weiteren 20, 50 oder 100 Jahren über den Wirkungsmechanismus der Herzglykoside diskutiert wird. In dem Maße nämlich, in dem sich unsere Kenntnis- se über Physiologie und Bio- chemie des Herzens erwei- tern, wird sich auch die In- terpretation der Wirkung der kardiotonen Steroide verän- dern. Daran könnte sich nur dann etwas ändern, wenn wir ein ganz neues therapeuti- sches Prinzip in die Hand bekämen, das sich bei der Behandlung der Herzinsuffi- zienz als wirksam und se- gensreich herausstellt: In den letzten 200 Jahren war aber kein derartiges Prinzip besser als die Digitalisglyko- side.

Professor Dr. med.

Wolfgang Forth Walther Straub-Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Nußbaumstraße 26

8000 München 2

Merkblatt für Augenärzte zur Verhütung von

LAV/HTLV-III-Infektionen

Von der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrank- heiten e. V. (DVV) in München er- hielten wir das folgende Merkblatt für Augenärzte:

C) LAV/HTLV III ist der Erreger von AIDS; doch führen nicht alle LAV/HTLV-III-Infektionen zum voll ausgebildeten Krankheitsbild AIDS. Viele Träger des Virus ha- ben keinerlei Symptome.

© Bei möglichem Kontakt mit Blut oder Tränenflüssigkeit soll- ten Handschuhe getragen wer- den.

® LAV/HTLV III wird durch Desin- fektionsmittel mit nachgewiese- ner Viruswirksamkeit (siehe Des- infektionsmittelliste des Bundes- gesundheitsamtes oder gleich- wertige Präparate) oder Alkohol (30 bis 70 Prozent) inaktiviert. To- nometer- und Ultraschallköpfe, Diaphanoskope, Kontaktgläser und andere Instrumente, die nicht sterilisiert werden können, sollten mit entsprechenden Mitteln zwi- schen dem Gebrauch von einem Patienten zum nächsten jedesmal desinfiziert werden.

® Anpaß-Sätze von Kontaktlin- sen: Die im allgemeinen benutz- ten Reinigungsverfahren (Wa- schen mit Pflegemittel, zehnminü- tiges Einlegen in dreiprozentige 1-1 20 2-Lösung, zwei Stunden neu- tralisieren) sind ausreichend des- infizierend, und eine Übertragung von LAV/HTLV III ist bei Einhal- tung der Empfehlung der Herstel- ler nicht zu befürchten, solange die Linsen zwischen jeder Benut- zung entsprechend behandelt werden.

Für die DVV: Professor Dr. med.

Friedrich Deinhardt

Max-von-Pettenkofer-lnstitut für Hygiene und

medizinische Mikrobiologie Pettenkoferstraße 9a 8000 München 2

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 9 vom 26. Februar 1986 (55) 543

Referenzen

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