ERGEBNISSE ZUM BAUMWACHSTUM AUFGRUND VON JAHRRINGANALYSEN AN BOHRKERNEN AUS DER SANASILVA-WALDSCHADENINVENTUR 1984
von O.U.Bräker, Eidgenössische Forschungsanstalt WSL
1 . Auswerteziele
Mit der Waldschadenerhebung SANASILVA 1984 wurden Klumpen- Stichproben im 4x4 km Raster des öffentlichen und erschlosse- nen Waldes der Schweiz (48% der Waldfläche) beurteilt
(Schmid-Haas, 1985). Gleichzeitig sammelten die Aufnahmegrup- pen pro Stichprobe an einem Referenzbaum einen Bohrkern,
sofern dieser Baum ein Nadelholz war. An diesen Bohrkernen wurden die Jahrringbreiten mit dem Messgerät ANIOL vermessen.
Die Jahrringanalyse dieser Bohrkerne umfasst die folgenden Auswerteziele:
- Welchen Zusammenhang zeigen Zuwachs und Nadelverlust?
- Welches sind die zeitlichen Aenderungen des Baumzuwachses in den letzten 100 Jahren?
- Unterscheiden sich die Zuwachsmuster je nach Nadelverlust- Stufe?
- Welches sind die möglichen Ursachen für diese Unterschiede?
2. Zur Repräsentativität der Ergebnisse
Mit der vorliegenden Probenwahl ist ein sehr heterogenes Datenmaterial bezüglich Altersklassen, Standortsgüten, sozia- ler Stellung und Nadelverluste am Einzelbaum zusammengetragen worden. Für die Interpretation der Zuwachsverhältnisse ist diese Heterogenität hinderlich: sie bedingt entweder eine starke Stratifizierung des Datenmaterials oder entsprechende, schematische Umrechnungen aufgrund von Modellvorstellungen.
Im Zusammenhang mit der Alterseinfluss und teilweise mit dem Witterungseinfluss wurden solche Umrechnungen (zu Indizes) vorgenommen. Die Heterogenität der heutigen sozialen Stellung wurde durch eine Stratifizierung berücksichtigt, der Daten- umfang leider entsprechend verkleinert.
Tabelle
1: Anteile der sozialen Stellung
1+2am Gesamtmaterial Schweiz.
Holzart soziale Stellung Anzahl Kerne
---
Fichte
1 442 46.42 231 24.2
673 70.6%
Tanne
1 139 42.42 115 35.1
254 77. 5%
---
Die hier dargelegten Ergebnisse der zeitlichen Zuwachs- Entwicklung basieren auf altersbereinigten Jahrringdaten
(Indizes) der herrschenden und mitherrschenden Bäume (soz.
Stellung 1+2) und Altersklassen über 40-jährig. Sie sind stratifiziert nach Nadelverlust-(Schad)-Stufen für die gesamte Schweiz und in den Substraten der Grossregionen Mittelland, Jura, Voralpen und Alpen.
Dieses vorgehen erlaubte bei den eher schwach repräsentierten
Nadelverlust-Stufen über 30
%für die gesamte Schweiz noch genügend grosse Probenumfänge zu erreichen um mittlere Zeit- reihen zu berechnen, während in den Grossregionen die Umfänge bereits
eineuntere Grenze für
einesinnvolle Interpretation darstellen (siehe Tabelle 2).
Tabelle 2:
Probenanzahl nach Nadelverlust-Stufen und Gr-0ssregion.
---
Holzart Nadelverlust- Anteil Anzahl Kerne
nur soz. St.1+2 Stufe
~ 0CH-Total Alpen Voralpen Mittel 1. Jura
---
Fichte 0 - 10
~ 064.5 416 104 71 103 111
15 - 25
~ 027.3 176 58 22 41 40
30 - 60
~ 07.9 51 25 7 7 10
grösser 60
~ 00.3 (2)
---
100.0 643 187 100 151 161
Tanne 0 - 10
~ 060.7 153 12 29 36 74
15 - 25
~ 030.2 76 9 17 13 34
30 - 60
~ 08.7 22 1 4 5 12
grösser 60
~ 00.4 (1)
---
100.0 251 22 50 54 120
---
3. Ergebnisse inbezuq zur Vitalität
3.1 Nadelverlust und Zuwachs der Probebäume
- Welchen Zusammenhang zeigen Zuwachs und Nadelverlust?
Sowohl die Nadelmenge, Teil der Produktionsmittel des Baumes als auch der Durchmesser-Zuwachs, Teil der Holzproduktion spiegeln die Vitalitätsverhältnisse des Baumes. Unter Vitali- tät ist hier die kurz- bis mittelfristige Reaktionsfähigkeit der Bäume auf einschränkende und fördernde äussere Wachstums- Bedingungen zu verstehen. Die Erholungsfähigkeit bei ver- besserten Bedingungen nach natürlichem (witterungsbedingtem) und anthropogenem (u.a. durch forstliche Eingriffe bewirktem) Stress lässt sich dabei besonders geeignet an den Jahrring- kurven bis 1983 ablesen. Für den Kronenzustand lagen leider zum Zeitpunkt der Bohrkernentnahme keine mehrjährigen
Beobachtungen, sondern nur die Taxierung von 1984 vor.
Mit den Beziehungen zwischen Zuwachs und Nadelverlust lässt sich daher die Aussagegüte der beiden erhobenen Vitatitäts- merkmale allenfalls geeignet kontrollieren. Die Nadelverluste der Bohrkern-Bäume entsprechen denjenigen der Inventur 1984.
Deutlich ausgeprägt ist der Zusammenhang zwischen Nadelver- lust und Baumalter (Korrelationskoeff. Fichte= 0.273 ***, Tanne= 0.309
***).
Statistisch signifikant für das Gesamtmaterial Schweiz sind auch die negativen Korrelationen zwischen Nadelverlust 1984 in 5%-Stufen und dem Jahrringzuwachs 1983; die Darstellungen Figur 1 belegen jedoch die grosse biologische Variabilität der Einzelbäume (Bestimmtheitsmass Fichte= 9%, Tanne= 10%) und regen zu einer eher vorsichtigen Interpretation des
Zusammenhanges an.
3.2 Der Zuwachsverlauf allgemein
- Welches sind die zeitlichen Aenderungen des Baumzuwachses in den letzten 100 Jahren?
Einen ersten gesamtschweizerischen Ueberblick für die Zuwachsentwicklung der Fichte und der Tanne nach Nadel- verlust-Stufen wurde im Sanasilva-Waldschadenbericht 1987 dargestellt (BFL/EAFV, 1987).
Die Zuwachskurven für das schweizerische Gesamtmaterial
Fichte und Tanne sind bis 1983 in Fig. 2/3 unten ("CH-Total") dargestellt. Wichtig im Zusammenhang mit der Waldschaden- problematik ist, dass weder für Fichte noch für Tanne ein Zusammenbruch der Wuchsleistung in neuester Zeit abgelesen werden kann. Die Fichte zeigt nach 1950 mehrheitlich über- durchschnittliche Zuwachswerte. Nur die Tannenkurve dokumen- tiert eine mittelfristige Zuwachsschwäche in den 70-er
Jahren. Die anschliessende Erholung ist aber bereits ange- zeigt. Offenbar werden Vitalitätseinbussen durch Mehrzuwachs an anderen Individuen kompensiert.
- Wie zeichnet sich der jährliche Witterungsverlauf ab?
Die regionalen Zuwachsentwicklungen in Figuren 2 und 3 zeigen den Einfluss der Witterung deutlich auf, belegen aber auch die regionale Differenzierung. So sind beispielsweise markan- te Zuwachseinbrüche bedingt durch Sommer-Trockenheit des
laufenden und/oder Vorjahres bei beiden Holzarten im Gesamt- mittel Schweiz deutlich, z.B. die Jahre 1922 (1921), 1948/49
(1947), 1962/63, 1976.
Der Zuwachseinbruch im Jahr 1922 ist für Fichte vor allem im Jura, für Tanne in allen höheren Lagen ausgeprägt. Bei
Fichten in Alpen und Voralpen wird 1947 zum Minimumjahr.
Fichten im Mittelland und im Jura, sowie alle Tannen reagier- ten erst im Folgejahr 1948. Fichten der Voralpen zeigen den Zuwachsrückgang 1962 im Unterschied zu den andern Regionen
nur schwach an; die Zuwachsleistung der Tannen im Jura dagegen geht 1962 sehr deutlich zurück, während die andern Regionen erst 1963 dieser Entwicklung abgeschwächt folgen.
Das Minimumjahr 1976 ist in allen Regionen und Arten deutlich sichtbar, allerdings unterscheiden sich die Entwicklungen ab 1969/1971: der Jura zeigt einen steilen, das Mittelland und die Voralpen einen mässigen, und die Alpen einen schwach ausgeprägten, mehrjährigen Zuwachs-Rückgang mit kleinerem Minimum 1974.
Bei der Tanne bewirkte zudem das Winterfrostjahr 1956 gesamt- schweizerisch einen sehr ausgeprägten Zuwachs-Einbruch. Die Fichten reagierten darauf nicht oder eher gegensätzlich.
3.3 Zuwachsverlauf in den Schadstufen
Unterscheiden sich die Zuwachsmuster je nach Nadelverlust- (Schad-)Stufe?
Zu welchem Zeitpunkt sind diese Unterschiede eingetreten?
Nach dem markanten Einbruch um 1976 weisen beide Arten in allen Regionen seit 1980 eine (für die Nadelverluste 0-10%
deutliche) Verbesserung des Zuwachses auf.
Nach 1962 beobachten wir für die Fichte in den Alpen und Voralpen einen zunehmenden Rückgang der Jahrringbreiten,
jedoch nur für die Stufe 30-60% Nadelverlust. Im Jura sind gleichwertige Unterschiede schon für die Stufen ab 15% ausge- wiesen. Die Kurven für das Mittelland verhalten sich ganz anders: nach Nadelverlust-Stufen reduzierte Zuwachsleistungen zeigen sich in den Perioden 1929-1946 und 1966-1977.
Anschliessend sind die weiteren Unterschiede unbedeutend.
Die Fichtenkurven der Alpen und Voralpen zeigen allgemein weniger starke Ausschläge als die andern beiden Regionen.
Für die Stufe 15-25% Nadelverlust zeigt die Tanne der Alpen nur einen vorübergehenden Zuwachsrückgang in der Periode 1965-1978. In den Voralpen bleibt dieser Zuwachsunterschied ab 1956 bis heute erhalten. Die Kurven des Mittellandes
zeigen teilweise asynchronen Verlauf mit wechselnden Unter- schieden der Nadelverluststufen in Perioden Mitte der 60-er oder 70-er Jahre mit jeweils anschliessenden Erholungen. Für 15-25% Nadelverlust verbleibt im Mittelland wie im Jura einen Zuwachseinbruch ab 1976.
Die Kurvendarstellungen belegen, dass mit der Kronenansprache durchaus Kollektive angesprochen werden, welche im Mittel ähnliche Zuwachsentwicklungen bereits über Jahrzehnte zurück erlebten. Die zeitliche Einordnung der Zuwachseinschränkungen scheint mit witterungsbedingten, einschneidenden Jahren ver- knüpft zu sein.
4. Folgerungen
- Welches sind die möglichen Ursachen für diese Unterschiede?
Im Unterschied zu den gesamtschweizerischen Resultaten er- geben sich bei der regionalen Differenzierung neue Aspekte der Interpretation: Je nach Region und Nadelverluststufen sind diese Zuwachsunterschiede nach zeitlicher Lage und
Stärke verschieden ausgeprägt. Es gibt Regionen, welche heute keine wesentlichen Zuwachsunterschiede ausweisen. Für eine grossräumige Immissionsschädigung als Ursache der "neu- artigen" Schäden fehlt somit eine Bestätigung mit den Zuwachsdaten. Für die Zuwachsunterschiede können durchaus auch mittelfristige Differenzierungeffekte der Einzelbäume im Bestandesgefüge aufgrund natürlicher Ursachen verantwortlich sein. So sind Vitalitätsunterschiede oder Aenderung der
Konkurrenzverhältnisse ausgelöst durch Witterungsextreme oder forstliche Eingriffe naheliegende Erklärungsmodelle. Mittel- fristig eintretende Erholungen sind damit verständlich. Neben hemmenden Einflüssen können auch düngende Wirkungen von
Immissionen durchaus in Betracht gezogen werden.
Einen kausalen Beweis der Schädigung durch Luftverschmutzung ist mit jahrringanalytischen Methoden allein heute nicht möglich. Der Indizien-Nachweis anthropogener Belastungen mit
Zuwachsmessungen ist schwierig. Einesteils sind deren Effekte mit gleichsinnigen, natürlichen Entwicklungen überlagert und
somit verdeckt; andererseits werden gerade in bewirtschaf- teten Wäldern wichtige Belege durch die Nutzung weniger vitaler Bäume entfernt, die Kollektive laufend einseitig verfälscht. Flächenrelevante Daten aus Inventuren ermangeln bisher die nötige zeitliche oder räumliche Auflösung um mit
jahrringanalytischen Daten verknüpft zu werden. Auch
Nutzungsdaten auf Betriebsebe sind zu ungenau, um aus perio- dischen Zuwachsdaten Belastungseffekte ableiten zu können.
5. Ausblick
Die Zuwachsentwicklungen müssen gezielt weiter verfolgt und im Hinblick auf folgenden Hypothesen überpüft werden:
- Einfluss durch Witterung und Klimaentwicklung. Für Witte- rungs-/ Klimamodelle sind heute genügend Daten greifbar.
Die seit 1900 leicht steigende Temperaturentwicklung (evtl.
im Zusammenhang mit C02-Zunahme/ Treibhauseffekt) entspricht allgemein einem eher fördernden Einfluss.
- Einfluss durch Bewirtschaftung. Die heutigen forstlichen Konzepte basieren auf frühzeitiger Förderung ausgewählter Baum-Individuen. Sie schonen die natürlichen Resourcen
(Wald-/Weide-Ausscheidungen, Ablösung von Streu- und anderen Nebennutzungen) und lassen soweit möglich den natürlichen Stoffkreislauf unbeeinflusst. Obwohl damit weitgehend ein düngeähnlicher Effekt erziehlt wird, fehlen entsprechende Angaben zu diesen Einflüssen ganz.
- Einfluss durch Immissionen. Auch in diesem Bereich fehlen langfristige Datenangaben weitgehend. Je nach Komponente und Konzentration sind sowohl mit düngenden als auch ver- giftenden Wirkungen auf Teile des Oekosystems Wald zu rechnen. Als wesentliche Komponente könnte der Stickstoff- eintrag heute in grossen Gebieten durchaus noch als
fördernde Komponente wirken.
Die forstliche Praxis kann zur Waldschadenforschung bei- tragen, indem sie in ausgewählten Gebieten oder Beständen neben gesicherten Daten der periodische Zuwachsbestimmungen auch Vitalitätsmerkmale an den genutzten Bäumen erhebt. Die Waldernährungsbedingungen sind mitzubeobachten und evtl. im Hinblick auf Unter- oder Ueberdüngung zu untersuchen.
Für die Vitalitäts-Beurteilung im Hinblick auf die forstliche Planung müssen mehrere Merkmale einbezogen werden. Mittel- fristig sind durchaus Erholungen einzuplanen.
6. Literatur
Schmid-Haas,P., 1985, Der Gesundheitszustand des Schweizer Waldes 1984, Schweiz.
z.
Forstwes. 136/4, 251-273.BFL/EAFV, Sanasilva-Waldschadenbericht 1987, Birmensdorf, Nov. 1987,
s.
21-24.Fichte l!adl>lverlust I Jillffi~ite
1984 1983
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<X 100) htrrin,tnite 1983 •
Abb. 1:
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1984 1983
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(X 100) Jalrr~ite 1983 •
Zusammenhang von Jahrringbreiten 1983 und Nadelverlust 1984
für Fichte (links, n
=672) und Tanne (rechts, n
=236),
Gesamtmaterial Schweiz, soziale Stellung 1+2.
Ja h rri ngbre i ten i ndex in Promille
1500.0 Alpen
1000.0
500.0
1500.0 Voralpen
1000.0 •.
500.0
1500.0 Mittelland
1000.0
500.0
1500.0 Jura
1000.0
500.0
1500.0 CH-Total
500.0
1910 1925
0- 10% Nadelverlust ---· 15-25% Nadelverlust - - - -30-60% Nadelverlust
Abb. 2:
Fichte
1945 1965 1985
Zeitdiagramme (1910-1983) der mittleren relativen Jahrring- breiten (alterungsbereinigte Indizes} von Fichten in den verschiedenen Nadelverluststufen für die Grossregionen Alpen, Voralpen, Mittelland und Jura. Bezugshorizont und
Eichperiode bildet die Periode 1901-1930
=100%. Proben-
umfang siehe Tabelle 2.
Jahrringbreitenindex in Promille
1500.0
1000.0
500.0
1500.0 Voralpen
1000.0
500.0
1500.0
1000.0
500.0
1500.0 Jura
1000.0
500.0
1500.0 CH-Total
500.0
1910 1925
0-10% Nadelverlust
···---- 15-25% Nadelverlust - - - - 30-60% Nadelverlust
Abb. 3:
Tanne
,. ·• ..• /··/···
...
··-...·
... :/1945 1965 1985