ür medizinische und zahnärzt- liche Behandlungen gilt in Frankreich eine 30-prozentige Selbstbeteiligung der Versicherten.
Außerdem übernehmen die Kassen nur 30 bis 60 Prozent der Kosten für Arzneimittel. Im Krankenhaus zahlen die Patienten eine Tagesgebühr von 20 DM. Die Kosten für Brillen, Ohr- und Zahnprothesen gehen häufig ganz zulasten der Patienten. Daher verfügen mehr als 80 Prozent der Franzosen über eine „Mutuelle“, eine Privatversicherung, die die Preis- differenz zwischen den aus eigener Tasche bezahlten und den von der Krankenversicherung rückerstatteten Beträgen deckt. Da sich in der Regel die sozial schwächsten Patienten diese Zusatzversicherungen nicht leisten können, die zwischen 600 DM und 1 500 DM im Jahr kosten, müssen vie- le medizinische Behandlungen ver- schieben oder darauf verzichten. 1999 stellte ein offizieller Bericht fest, dass jeder zehnte Franzose bereits minde- stens einmal auf eine (zahn-)medizini- sche Behandlung verzichten musste.
Sozialministerin Martine Aubry hat den rund sechs Millionen Betrof- fenen und deren Angehörigen nun fi- nanzielle Erleichterungen verschafft.
Sie können sich jetzt nach dem Sach- leistungsprinzip (in Frankreich gilt das Kostenerstattungssystem) ohne Selbstbehalt medizinisch und zahn- medizinisch versorgen lassen. Andere Leistungen, wie Brillen oder Zahner- satz, erhalten diese Patienten zu stark ermäßigten Preisen. Darüber hinaus sollen 700 000 Menschen, die bisher nicht krankenversichert waren, eine Versichertenkarte erhalten, mit der sie Anspruch auf alle medizinischen Leistungen haben. Etwa 500 000 die-
ser Patienten fielen bislang unter die
„freie medizinische Hilfe“, bei der ih- nen die Regionalverwaltungen einige Grundleistungen erstatteten. Diejeni- gen, die nicht in den Genuss dieser
„Hilfe“ kamen, wurden von huma- nitären Organisationen oder Sozial- einrichtungen kostenfrei behandelt.
Die neue Regelung soll jedoch nicht nur die sozial Schwachen entla-
sten, sondern auch die Arbeit der Ärzte erleichtern. Deren Leistungen wurden häufig gar nicht oder erst nach komplizierten Verfahren durch Sozial- einrichtungen vergütet, wenn sie Pati- enten behandelt hatten, die nicht krankenversichert waren. Die Ein- führung der „Couverture Maladie Universelle“ (allgemeine Kranken- versicherung), vom Sozialministerium als großer sozialer Fortschritt be- zeichnet, wird jährlich rund 2,7 Milli- arden DM kosten; sie soll zu gleichen Teilen vom Staat, von den Regionen und den größten Versicherungen fi- nanziert werden.
In den nächsten Wochen plant die Regierung weitere Reformen, die die
Leistungserbringer direkt betreffen.
Die Pauschalhonorare für technische Leistungen sollen sinken, wenn die Zahl der erbrachten Leistungen eine jährlich festgelegte Grenze über- schreitet. 1999 wurden bereits einige Labor- und Röntgenleistungen abge- wertet. Zudem prüft die Regierung die Kosten-Nutzen-Relation einiger Hun- dert Arzneimittel. Beurteilen Exper- ten sie als „zu teuer“, werden sie aus der Erstattungsliste der Krankenversi- cherung gestrichen. Daneben wird die Verordnung von Generika gefördert.
Seit Oktober letzten Jahres sind die Apotheker berechtigt, rund 70 häufig verordnete Originalpräparate durch Generika zu ersetzen.
Darüber hinaus ist geplant, die Ärzte alle fünf Jahre einer Wirtschaft- lichkeitsprüfung zu unterziehen. Sie müssen belegen, dass sie nach dem ak- tuellen Stand der Wissenschaft dia- gnostizieren und therapieren und ihre Leistungen wirtschaftlich erbringen.
Erfüllen sie diese Kriterien nicht, droht ihnen der Entzug der Kassenzu- lassung. Gegen diese so genannte Re- zertifizierung protestieren Ärzteorga- nisationen seit Sommer 1999, mehr als 10 000 Ärzte nahmen Ende Oktober an einer Demonstration in Paris teil.
Genugtuung hingegen herrscht bei den Ärzten über ein Urteil des französischen Verfassungsgerichts, das Regresse bei Überschreitung der Ho- norarbudgets für verfassungswidrig erklärt hat. Diese Regresse hatte 1996 die damalige Regierung unter Pre- mierminister Alain Juppé eingeführt.
Die Maßnahme war ebenfalls auf hef- tigen Widerstand der Ärzte gestoßen, die gestreikt und demonstriert hatten.
Nach dem Regierungswechsel froren die Sozialisten Ende 1997 die umstrit- tene Regelung bis auf weiteres ein.
Jetzt ist sie endgültig vom Tisch, ob- wohl die Regierung neue Sparpoten- ziale erschließen will, um die Ausga- benentwicklung zu bremsen.
Der Rückgang der Arbeitslosig- keit seit 1999 sowie die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage werden aber auch die finanzielle Situation der Krankenversicherung verbessern, die mit höheren Einnahmen rechnen kann.
Die meisten Ärzteorganisationen blicken daher trotz fortgesetzter Spar- politik wieder optimistischer in die Zu- kunft. Denis Durand de Bousingen A-308 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 6, 11. Februar 2000
T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND
Frankreich
Versicherungsschutz für die Ärmsten
Seit Januar sind Patienten von Zuzahlungen befreit, wenn sie allein weniger als 1 040 DM oder mit zwei Kindern weniger als 2 200 DM monatlich verdienen.
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Sozialministerin Aubry: Erleichterungen für die Armen
Foto: AP