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Archiv "Honduras: Putsch bedroht die Ärmsten" (09.10.2009)

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A 2010 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 41

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9. Oktober 2009 Schließlich ist auch zu überle-

gen, wie sich der Sozialstaat des Grundgesetzes zu dem Umstand verhalten kann, dass jede Form der Rationierung von GKV-Leistungen unausweichlich zu einer Zwei - klassenmedizin führt, da in einer freiheitlichen Ordnung und in ei- nem Europa der offenen Grenzen nicht verhindert werden kann, dass aus dem GKV-Katalog ausge- schlossene Leistungen privat versi- chert oder zugekauft werden. Dies kann dem Versuch, Kostenbegren- zungen auch auf der Leistungsseite vorzunehmen, letztlich nicht entge- genstehen; es ist aber angesichts der sozialen Differenzierungsfeindlich- keit der medizinischen Versorgung nicht unproblematisch. Vielleicht müsste ein Kontrollverfahren derart entwickelt werden, dass medizini- sche Leistungen, die durchweg oder doch ganz überwiegend privat zugekauft werden, wieder in die GKV zurückgeholt würden und dann allen Versicherten zur Verfü- gung stünden (18). Dies gäbe den Bürgern mehr Entscheidungsfrei- heit und ihren tatsächlichen Präfe- renzen mehr Gewicht, verhinderte aber eine soziale Spaltung der Ver- sorgung.

Das Grundgesetz enthält also keine präzisen Anweisungen für Allokations- und Verteilungsent- scheidungen im Gesundheitswesen;

vieles wird das Gemeinwesen im politischen Prozess diskutieren und klären müssen. Umso größere Be- deutung kommt somit den verfas- sungsrechtlichen Anforderungen an die Entscheidungsverfahren und -organe zu. Auch insoweit kann das Grundgesetz aber keine punktge- nauen Vorgaben, sondern nur einen Rahmen bieten, in dem die Politik sich bewegen kann und muss.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2009; 106(41): A 2007–10

Kontakt:

Prof. Dr. Gerhard Dannecker

E-Mail: Dannecker@jurs.uni-heidelberg.de Prof. Dr. Stefan Huster

E-Mail: stefan.huster@ruhr-uni-bochum.de Prof. Dr. Christian Katzenmeier

E-Mail: christian.katzenmeier@uni-koeln.de

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit4109

T H E M E N D E R Z E I T

HONDURAS

Putsch bedroht die Ärmsten

Ende Juni kam es zum Staatsstreich in Honduras.

Die unklare politische Lage seither gefährdet die ohnehin labile soziale Versorgung.

A

ls am 28. Juni dieses Jahres die Nachrichten aus Honduras über die Bildschirme flimmerten, wurden vor allem in Lateinamerika bei einigen Zuschauern unangeneh- me Erinnerungen wach. Soldaten hatten die Residenz des gewählten Präsidenten Manuel Zelaya ge- stürmt. Der geschasste Staatschef wurde nach Costa Rica deportiert.

Es war der erste Staatsstreich in La- teinamerika seit Jahrzehnten.

Gut drei Monate später eskaliert die Lage in Honduras zusehends.

Seit Zelaya am 21. September in ei- ner Nacht-und-Nebel-Aktion in das mittelamerikanische Land zurück- kehrte, reagieren die Machthaber mit brachialer Gewalt: Nach tage- langen Massendemonstrationen der Demokratiebewegung verkündeten sie Ende September einen 45 Tage währenden Ausnahmezustand. Die Regierungen Lateinamerikas und alle relevanten internationalen Or- ganisationen haben den Umsturz und diese Eskalation mehrfach verurteilt, Menschenrechtsorgani- sationen wie Amnesty International bestätigen politische Morde durch Polizei und Armee. Doch das De- facto-Regime unter Führung des ehemaligen Parlamentspräsidenten Roberto Micheletti beharrt auf sei- ner Macht. Die Regimevertreter werfen dem liberalen Politiker Ze-

laya Verfassungsbruch vor. In einer Volksbefragung, die durch den Putsch verhindert wurde, sollten sich die Honduraner zur möglichen Einberufung einer verfassungge- benden Versammlung äußern. Das Vorhaben wurde von sozialen Orga- nisationen und Gewerkschaften un- terstützt. Sie hofften darauf, im Grundgesetz mehr Rechte und eine größere politische Beteiligung fest- legen zu können.

Medikamente werden knapp Die Initiative war auch Ausdruck einer politischen Umorientierung Zelayas: In den dreieinhalb Jahren seiner Präsidentschaft – die Ende November regulär enden sollte – hatte er sich zunehmend an den linksgerichteten Staaten der Region orientiert. Er plädierte für eine stär- kere Rolle des Staates und eine Ein- bindung des Landes in alternative Handelsstrukturen. Beobachter se- hen darin den eigentlichen Grund des Putsches.

Honduras ist eines der ärmsten Länder des Kontinents. Nach Anga- ben des Human-Development-In- dex der Vereinten Nationen leben 53 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Die Lebens - erwartung liegt bei 67 Jahren (Deutschland: 79,1 Jahre). Vertreter sozialer Organisationen befürchten Konfrontation in

der Hauptstadt:

Eine Demonstrantin diskutiert mit Polizisten.

Fotos: Harald Neuber

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Deutsches Ärzteblatt

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9. Oktober 2009 A 2011 nun, dass die unklaren politischen

Verhältnisse nach dem Putsch ver- heerende Auswirkungen auf das oh- nehin schwache Gesundheitswesen haben. „Uns erreichen schon jetzt Berichte über Medikamentenknapp- heit in den Krankenhäusern“, sagt Rafael Alegría, einer der führen- den Köpfe des Protestbündnisses, das sich nach dem Putsch gegrün- det hat.

Das Thema beschäftigt auch die Außenpolitiker in den USA und der Europäischen Union (EU). Nach- dem die diplomatischen Bemühun- gen für eine Rückkehr zur verfas- sungsmäßigen Ordnung gescheitert sind, werden in Washington und Brüssel nun Sanktionen gegen die Putschisten diskutiert. „Man muss aber darauf achten, dass dadurch nicht die Armen getroffen werden“, mahnt Zelayas Staatssekretär für In- dustrie und Handel, Fredis Carreto, im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. Der Politiker hält sich, wie auch andere Minister der ge- stürzten Regierung, nach wie vor in Honduras auf, um den Widerstand gegen die Putschisten zu organisie- ren. Eine der Maßnahmen, die Car- reto vorschlägt, ist die Streichung von Handelserleichterungen für Honduras. So würden die Wirt- schaftskreise getroffen, die den Putsch unterstützt haben, erklärt er.

Der Großunternehmer Jorge Ca- nahuati Larach etwa gehört nicht nur zu den zehn reichsten Männern des Landes. Er kontrolliert auch die bei- den größten Tageszeitungen, „El He- raldo“ und „La Prensa“. Beide Blätter nehmen entschieden Position für die Putschisten ein. „Und Canahuati Larach kontrolliert den Handel mit Medikamenten“, berichtet Xiomara Castro de Zelaya, die Ehefrau des Staatschefs. Als ihr Mann das Präsi- dentenamt übernommen habe, habe er eine Reform dieses Bereichs an- gekündigt. Nach dem Beitritt zum Staatenbund ALBA, der „Bolivari- schen Allianz für Amerika“, verhan- delte Zelaya zudem mit Kuba über Generikalieferungen. In dem Kari- bikstaat werden unter anderem anti- retrovirale Medikamente produziert.

Durch den Ankauf dieser preisgüns- tigen Mittel wäre der Gesundheits- etat erheblich entlastet worden.

Auch der langjährige Chefredak- teur der französischen Wochenzei- tung „Le Monde diplomatique“ und Lateinamerika-Kenner Ignacio Ra- monet sieht in dieser Regierungspo- litik einen der Gründe für den Staats- streich. Das mittelamerikanische Land importiere alle seine Arznei- mittel, und davon profitierten vor allem die großen Unternehmen.

Kein Geld für Ärzte aus Kuba

„Auf dem letzten Gipfeltreffen der ALBA-Präsidenten am 24. Juni hat- te Zelaya eine ,Überprüfung der Doktrin des geistigen Eigentums‘

angekündigt, was ohne Zweifel auch die bisher geltende Unantast- barkeit der Medikamentenpatente betroffen hätte“, so Ramonet.

Die politische Polarisierung be- droht die Gesundheitsversorgung auch an anderer Stelle. Rund 300

kubanische Ärzte sind derzeit in Honduras eingesetzt, um in ver- nachlässigten Regionen die Ge- sundheitsversorgung aufrechtzuer- halten. Die „Ärztebrigaden“ waren nach dem verheerenden Hurrikan

„Mitch“ 1998 in das mittelamerika- nische Land entsandt worden. Die Putschregierung will nun aus politi- schen Gründen ihre Ausreise erwir- ken. Doch das Thema ist heikel: Als die letzte konservative Regierung vor Zelayas Amtsantritt Ende 2005 die kubanischen Mediziner auswei- sen wollte, gab es landesweit Pro- teste ärmerer Bürger. Die Ärzte würden schließlich in Landesteilen Dienst tun, „in die honduranische Mediziner sich zu gehen weigern“, bestätigte die Nachrichtenagentur

Agence France -Presse damals. Einen offenen Konflikt wollen die neuen Machthaber deswegen vermeiden.

Sie haben nach dem Umsturz kur- zerhand die Zahlungen an die Ärzte aus dem Karibikstaat eingestellt.

Seitdem sammeln soziale Organisa- tionen und die lokale Bevölkerung, um die Mitglieder der kubanischen Hilfsmission zu unterstützen.

„Wie in anderen Staaten der Regi- on ist auch in Honduras der soziale Stand vieler Mediziner ein Pro- blem“, sagt Aníbal Cáceres. Er ist in der „Widerstandfront“ aktiv und ko- ordiniert das multistaatliche Hilfs- programm „Misión Milagro“, in dessen Rahmen Kataraktpatienten kostenfrei in Kuba operiert werden.

Maßgeblich finanziert wird die Ini- tiative von Venezuela. In Honduras, meint Cáceres, werde der Arztberuf in erster Linie als Garantie für sozia-

len Aufstieg gesehen. Hinzu komme, dass das Colégio Médico – ver- gleichbar der Bundesärztekammer – fest in der Hand der Liberalen und Nationalen sei. Alternative Meinun- gen würden unterbunden. Dennoch geht Cáceres davon aus, dass 40 Pro- zent der Ärzte gegen den Putsch sind. „Einige haben sich auch an den Protesten der vergangenen Wochen beteiligt“, berichtet er.

Die Perspektive des Konflikts in Honduras ist unklar. Nach einer anfänglich verhaltenen Ablehnung des Staatsstreichs scheinen die USA und die EU nun eine entschie- denere Position gegen die Machtha- ber in der Hauptstadt Tegucigalpa

einzunehmen. ■

Harald Neuber

Die Widerstandsfront:

Polizisten schirmen das Gebäude der Staatsanwaltschaft ab.

T H E M E N D E R Z E I T

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