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Archiv "„Sie müssen sich mehr bewegen ...“ Ein nicht unbedenklicher Ratschlag" (29.06.1978)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 26 vom 29. Juni 1978

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

„Sie müssen sich mehr bewegen ..."

Ein nicht unbedenklicher Ratschlag

Kritisches vom XVI. Internationalen Fortbildungskongreß der Bundesärztekammer in Montecatini Terme

Bei der sportmedizinischen Fortbildung (siehe nebenstehenden Bericht aus Montecatini Terme) kommen auch die praktischen Übungen nicht zu kurz. Er- gebnis: allein bei diesem Seminar zehn Sportabzeichen des Deutschen Sport- bundes. Eines davon (in Gold) für den Geschäftsführer in der Bundesärzte- kammer Wolfgang Brune, dem hier der Seminarleiter, Dr. Erich Kattler (links), gratuliert Foto: Goiorani

„Sie müssen sich mehr bewegen" — wie oft wird dieser Rat in der Sprechstunde erteilt. Daß er gele- gentlich zu unbefangen gegeben wird, war beim XVI. Internationalen Fortbildungskongreß der Bundes- ärztekammer in Montecatini Terme auszumachen, wo man, dem Bei- spiel Grado folgend, erstmals ein sportmedizinisches Seminar in das Angebot einflocht.

Das der eigenen Bewegung vorbe- haltene praktische Nebenprogramm des Seminars litt unter Anlauf- schwierigkeiten und schlechtem Wetter; als Erfolg konnten jedoch zehn Sportabzeichen gemeldet wer- den, davon eines für Ärztekammer- Geschäftsführer Wolfgang Brune, der als Leiter des Kongreßbüros der Bundesärztekammer für die techni- sche Gestaltung der Kongresse ver- dienstvoll die Verantwortung trägt (Foto).

Das Seminar lief unter dem Titel:

„Sport und Erkrankung in der zwei- ten Lebenshälfte", ein Thema ebenso aktuell wie populär: Wenn man nicht aufpaßt, werden Bürger- meister und Vereinsvorsitzende bald nicht mehr begreifen, daß Ärzte die Zuständigkeit dafür in Anspruch nehmen. Müssen! Das bewies Mon- tecatini.

Hier sollen nicht die bekannten Stu- dien der Sporthochschule Köln, der

Universitäten Freiburg und Erlangen referiert werden, deren Resultate natürlich besprochen wurden. Von Bedeutung für die in Montecatini Terme angesprochenen Jahrgänge sind zudem die Erfahrungen und Untersuchungen in Rehabilitations- zentren, insbesondere aus solchen, die sich unter gezieltem Einsatz von Sport um die Frührehabilitation von Herzinfarkten bemühen.

Vielleicht liegt es mit daran, daß die Förderung des Sports älterer Men- schen überwiegend unter dem Aspekt der Erhaltung und Verbesse- rung der Leistungsfähigkeit des nachlassenden kardiopulmonalen Systems gesehen wird — der Lockruf lautet: Bei gezieltem Training kann die Leistungsfähigkeit eines Sech- zigjährigen die eines vierzigjährigen Untrainierten erreichen ..

Warnung

vor unüberlegten Aktivitäten Oberfeldarzt Dr. Erich Kattler, Tutt- lingen, der das Sportärztliche Semi- nar leitete, begründete die aus- schließliche Beschränkung des Al- terssports auf Koordinierungs- und Ausdauerübungen. Ihm schwebte fünfmal wöchentlich ein über drei Monate gehendes Aufbautraining und dann zweimal wöchentliches Erhaltungstraining vor, wobei eine dauerhafte Konditionsverbesserung

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Tabelle zur Sport- und Bewegungstherapie (Prof. Dr. Moll)

Sportart Leistung

km/h Watt

Gehen 4,2 25

Spaziergang 5,4 40

7,0 80

Bei Steigung im hügeligen Gelände

10 Prozent 2,5 50

16 Prozent 2,5 100

Gelandelauf 6,9 90-110

Langstrecke

ab 1000 m 9,0 180-210

Ski-Wandern 6 km 130

7 km 150

9 km 175

Schwimmen 18-20 m/min (1,2 km) 40- 50 27-30 m/min (1,8 km) 80-100 35-50 m/min (3,0 km) 150-175

Radfahren 9,0 25— 30

15,0 60— 30

21,0 150-180

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Sport im Alter

erst mit störungsfreier ergometri- scher Arbeitsleistung ab 75 Watt er- reicht wird.

Professor Dr. Albrecht Moll, Rüs- selsheim, der das kardiologische Seminar in Montecatini geleitet hat, wünschte einen langsamen Aufbau von 25 auf 75 Watt und später täg- lich 10 bis 12 Minuten Leistungstrai- ning.

Für beide kamen die gleichen Dauerübungen in Betracht: Laufen, Gehen, Schwimmen, Radfahren, Skiwandern. Dies entspricht der

„herrschenden Auffassung". Die beigefügte Tabelle von Professor Moll gibt eine Leistungsübersicht für die verschiedenen Bewegungen.

Kattler wie Moll, aber auch Frau Dr.

Lucie Jahncke, Hohenstauffen, die auch im praktischen Teil die Bewe- gungs- und Atemtherapie übernom- men hatte, warnen eindringlich vor einem Training oder auch nur Sport- versuchen ohne vorherige sportärzt-

liche Untersuchung, vor unüberleg- ten Aktivitäten und falschem Ehrgeiz.

Wer die Bilder der akribischen Vor- untersuchungen bei Hollmann in Köln und das Atemsystem in Hohen- stauffen gesehen, die Erläuterungen von Moll zur Vorführung eines Ergo- meterprüfstandes (dem „Mercedes"

unter den vorhandenen) und die skeptische Beurteilung der Tätigkeit einer ohne präzise Angaben des überweisenden Arztes überforder- ten Krankengymnastin im Ohr be- hielt, fragt sich, was da alles noch auf den praktizierenden Arzt zukom- men mag.

In diese Praxis stiegen dann die bei- den Österreicher, Professor Dr. An- ton Neumayr, Wien, mit dem The- ma „Stoffwechselkrankheiten und Sport" und Prim. Dr. Hans Tilscher, Wien, mit dem Thema „Degenerati- ve Wirbelsäulenerkrankungen und Sport" ein. Von ihnen wurde zum

Fall geredet, und die Zuhörer waren ihnen dankbar. Sie beide - Leiter des Stoffwechsel- und des Wirbel- säulenseminars in Montecatini - sprachen als sportausübende Ärzte aus ihren Facherfahrungen zum Sportgeschehen.

Hier muß etwas angemerkt werden.

Der Montecatini-Kongreß ist für die Bundesärztekammer eher ein Zu- schußunternehmen. Man hatte des- halb, aus der Not eine Tugend ma- chend, zu diesem Sportseminar die andern Seminarleiter gebeten, das Referat aus ihrem jeweiligen Fach- gebiet zu übernehmen. Da der ganze Kongreß unter dem Generalthema

„Rehabilitation und Langzeitthera- pie" stand, erfaßte das Sportthema weitgehend denselben Patienten- kreis. So kamen eindringlichere Er- fahrungen zum Zuge, als beim Brei- tenspektrum des Sportarztes zu ver- langen ist. Als Ergebnis machte sich ein Defizit in der Koordination der Erkenntnisse bemerkbar, das für den vor Ort in Anspruch genomme- nen Arzt von Bedeutung sein könnte.

Viel zu beachten:

Negativa und Positiva

Kattler hatte warnend auf die Be- wegungseinschränkungen des älte- ren Menschen hingewiesen und sich wie Moll gegen Trimmpfade für die- se ausgesprochen.

Der Orthopäde warnte konkret vor Dehn- und Streckübungen, vor dem Aufschlag beim Tennis, der starken Rotation beim Schläger- schwung zwischen fröhlicher Golf- platzwanderung. Brustschwimmen hält er für Gift, nicht nur wegen des Streckstoßes, sondern vor allem we- gen des Dauerspasmus der Nacken- muskeln, weil der Nichtsportler meist nicht den Mund ins Wasser stecken mag; in diesem Falle sprach Primarius Tilscher nicht nur von echten Beschwerden, vielmehr so- gar von eventueller Lebensgefahr.

Natürlich ist er gegen kaltes Wasser;

grundsätzlich hat bei ihm jede Übung mit Aufwärmen zu beginnen.>

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Spektrum der Woche Aufsätze · Notizen Sport im Alter

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Radfahren ist nur gestattet, wenn der Lenker hoch steht und der Sattel so, daß das Bein durchgestreckt werden kann. Das bei Kreislaufspe- zialisten gern gesehene Luftradeln ist verboten, ebenso der Nacken- stand und Yogaverdrehungen eh schon.

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Vom Rudern wird abgeraten we- gen des Streckens aus der Tief- beuge.

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Falls noch in der Jugend im Zen- tralnervensystem gespeicherte Ge- schicklichkeit vorhanden ist, hat er nichts gegen einfache Geräteübun- gen; bei entsprechender Speiche- rung früherer Skierfahrung rät er deswegen dringend vom Umtrainie- ren auf Wedeln ab; enges Wedeln sei sowieso mit der stärksten Über- lastung der Lendenwirbel verbun- den. Im übrigen rät er zu Kurzski und macht auf das Trainieren des Schul- tergürtels für den Langtlauf auf- merksam.

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Spiele akzeptiert er nur, wenn kein Körperkontakt entsteht, und Volleyball ist ihm wegen des Sprungs aus einer Extremstellung für den älteren Menschen zu gefähr- lich.

..,.. Am gesundesten erachtet er den Waldlauf auf weichen Sohlen, aller- dings wegen der Kniebelastung möglichst nicht bergab. Wenn man schon nicht abwärtsfahren könne, solle man sich treiben lassen.

..,.. Reiten schließlich könne bei kor- rekter Haltung orthopädisch nur empfohlen werden, wobei dann der Internist darauf hinzuweisen hätte, daß - wie Professor Halhuber, Hö- henried, nachgewiesen hat - der Blutdruck beim Galopp extreme Werte erreicht. (Weshalb es Leute, die dies wußten, nicht verwundert hat, als ein reitender Arzt in Davos mit Herzinfarkt vom Pferde fiel.)

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Ähnliche Steigerungen -auf 250 bis 300 - gibt es beim Tauchbad nach der Sauna und beim Springen ins Schwimmbecken, was damit wieder ein Hinweis auf Vorsicht beim Schwimmen wäre.

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Tilschers Faustregel: Alles, was Schmerz macht, bleiben lassen!

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Und im übrigen keinen Gelegen- heitssport, keine Volksläufe, kein Sportabzeichen ohne Vortraining!

Professor Dr. Anton Neumayr sah Gefahren für Niere, Leber und Ma- gen fast nur bei Hoch leistungssport- lern. Vor allem gefährdet sei die Nie- re; dazu erinnerte er an den tragi- schen Gewaltmarsch eines engli- schen Regiments 1914 in Arabien, nach dem 462 Soldaten an akutem Nierenversagen starben. ln Gefahr seien Marathonläufer in subtropi- schem Hitzestau.

..,.. Bei jedem Ausdauersport bleibt die Außentemperatur zu beachten.

So dürfe in Österreich kein Volkslauf bei einer Temperatur über 25 Grad vonstatten gehen. (Frage, was wären 25 in München und was in Bonn?) Die Erschöpfung der Glykogenvor- räte nach langdauernder Leistung ließen bei Leistungssportlern zwar die Bilirubinwerte und die Transami- nasen steigen, brächten aber keinen Dauerschaden, da austrainierte Dauersportler eine deutlich vergrö- ßerte Leber und auch Milz hätten, also eine Anpassung erfolge. Die Frage stelle sich bei nicht gesunder Leber.

..,.. Im uralten Streit über das Verhal- ten nach der Hepatitis entschied sich Neumayr für Mobilisieren und leichten Sport, sobald die Transami- nasen zur Norm zurückgekehrt sind .

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Katastrophale Wirkungen be- fürchtet er allerdings durch sportli- che Betätigung im Initialstadium der Hepatitis, wenn noch kein Ikterus besteht.

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Bei Ausdauerbelastung durch Langlauf, Rudern, Skilaufen in psy- chischem StreB kann es nach Neu- mayr zu einem StreBulkus und Blut- erbrechen hinterher kommen.

Schwierig abzuschätzen sei die Ver- bindung von Diabetes und Sport.

Leichte (Vorinsulin-)Formen würden bei Anpassung an die Koronarreser- ve durch Sport gebessert, bei

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schweren azetatischen Formen sei Sport wegen der Gefahr der Ketose absolut kontraindiziert.

Häufigste Gefahr sei die Hypoglyk- ämie, sie sollte vorher abgeschätzt werden, was aber im Einzelfall (Ten- nis, Langlauf) sehr schwer sein kön- ne. lnsulinierte Diabetiker müßten Diät und körperliche Tätigkeit genau aufeinander abstimmen und beide

"Verordnungen" genau einhalten.

Dies könne für sie besser sein als jedes Medikament.

Bei Gicht sieht Neumayr keine posi- tive Korrelation; sie sei bei Dauerlei- stung wegen des Anstiegs der Harn- säure sogar negativ. Für den Abbau von Übergewicht bringe der Sport nicht viel: 2% Kilometer in 16 Minu- ten kosteten 202 Kalorien, in acht Minuten 225 Kalorien.

Mit allem Vorbehalt wird man sagen können, daß Dauerleistungen, wie sie von Kardiologen bevorzugt wer- den, für Stoffwechselkranke proble- matisch werden können.

Die Entwicklung

aufmerksam beobachten

Faßt man das Ergebnis des Semi- nars zusammen, so dürfte gelten: Sport durch ältere Menschen kann nur segensreich sein, wenn in sehr viel differenzierterer Weise, als dies bis heute geschieht, durch Vorun- tersuchungen Schäden ausge- schlossen werden und die speziell günstigste Art herausgefiltert wird.

Die Hausärzte, die in erster Linie die- ses Breitenproblem individuell an- gehen müssen, brauchen Hilfestel- lung, auch für die Bewertung der hierzu anfallenden Untersuchungen. Sportärzte, mit denen Zusammenar- beit gut und nützlich sein sollte, können das Problem allein nicht lö- sen. Sportärztliche Beratungsstellen wie in Berlin und demnächst viel- leicht in Nordrhein-Westfalen be- dürfen aller Aufmerksamkeit. Auf kommunaler Ebene sollte verhindert werden, daß gutgemeinte Unkennt- nis Schaden stiftet.

Dr. Magda Menzerath

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