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Archiv "Datenschutz in der Psychiatrie: Patientenschutz gefährdet" (01.09.2014)

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A 1466 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 35–36

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1. September 2014

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er mündige Bürger vertraut darauf, dass er ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat. Dazu gehört eine volle Aufklä- rung über die Weitergabe von Sozi- aldaten nach § 4 a des Bundesda- tenschutzgesetzes (BDSG). Diese erfordert die Schriftform und ist

„nur wirksam, wenn sie auf der frei- en Entscheidung des Betroffenen beruht“. Nach § 3 BDSG bedarf es dar über hinaus einer ausdrückli- chen Einwilligung, soweit besonde- re Arten personenbezogener Daten (§ 3 Abs. 9) erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, zu denen

„Angaben über die rassische und ethnische Herkunft, politische Mei- nungen, religiöse oder philoso - phische Überzeugungen, Gewerk- schaftszugehörigkeit, Gesundheit oder Sexualleben“ zählen. In kei- nem Fall, könnte man daraus schlussfolgern, würden also beson- ders sensible oder schambesetzte Daten ohne eine Zustimmung des Patienten an seine Krankenkasse geraten, etwa Daten, die mit dem Sexualleben zu tun haben, mit ei- nem Selbstmordgedanken oder mit

der Tatsache, dass ein Patient nach Alkoholgenuss gewalttätig wird.

Weit gefehlt. Im Gegenteil, sie müssen es sogar. Die Datenüber- mittlung gestattet derzeit theore- tisch jedem bei den Krankenversi- cherungen beschäftigten Sachbear- beiter – im Jahr 2009 waren das 137 513 Personen (1) –, Kombina- tionen von Diagnosen und Leistun- gen und damit Fallverläufe nachzu-

vollziehen. Dies lässt sich an drei Beispielen illustrieren (Kasten).

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit und bereits beginnend mit dem Jahr 1998 wurde in Spezial- gesetzen eine eigene Befugnisnorm etabliert. 2008 stellte das Bundes- sozialgericht klar (2), dass „nach der Rechtsprechung des Bundesver- fassungsgerichts (BVerfG) (. . .) das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht schranken- los gewährleistet (ist). Vielmehr

muss der Einzelne solche Beschrän- kungen seines Rechts hinnehmen, die durch überwiegende Allgemein- interessen gerechtfertigt sind; diese Beschränkungen bedürfen jedoch einer verfassungsmäßigen gesetz - lichen Grundlage“. Hinsichtlich der Sozialgesetzgebung verweist das Bundessozialgericht darauf, dass durch die bereichsspezifischen Re- gelungen innerhalb der Sozialge- setzbücher die allgemeineren Rege- lungen des Bundesdatenschutzgeset- zes ihre Gültigkeit verlören.

So führt das BSG im oben ge- nannten Urteil aus, dass der Gesetz- geber sich verpflichtet gesehen ha- be, „Grundlagen für die Verarbei- tung personenbezogener Daten im Zusammenhang mit Leistungsab- rechnungen im System der gesetz - lichen Krankenversicherung zu schaffen“. In § 284 ff. SGB V sollte dem Recht der Versicherten auf in- formationelle Selbstbestimmung im Rahmen der krankenversicherungs- rechtlichen Datenverwendung und -verarbeitung Rechnung getragen werden, da es sich – hier wird im Urteil auf die damaligen Debatten im Bundestag verwiesen (3) – bei der Verarbeitung personengezoge- ner und großteils schweigepflichts- geschützter Gesundheitsdaten um besonders sensible Daten handele.

Weiter interpretiert das BSG-Urteil den Willen des Gesetzgebers fol- gendermaßen: „Die Erfassung, Ver- wendung und Übermittlung von Leistungs- und Gesundheitsdaten werde ausschließlich für die im Ge-

setz bezeichneten Zwecke zugelas- sen und im Umfang auf das für den jeweiligen Zweck unerlässliche Mi- nimum beschränkt“ (Hervorhebung durch die Verfasserin) (4).

In § 301 (1) SGB V ist eine Ver- pflichtung der Krankenhäuser gere- gelt – diese ist somit nicht zustim- mungspflichtig durch die Patienten –, unter anderem an die Kranken- kassen in Verbindung mit den nicht anonymisierten Patientendaten fol- gende Angaben zu übermitteln:

DATENSCHUTZ IN DER PSYCHIATRIE

Patientenschutz gefährdet

Eine immer detailliertere Kodierung der Leistungen in der Psychiatrie birgt Risiken für die besonders vulnerable Patientengruppe.

Den Patienten dürfte nicht bekannt sein, dass gerade aus den besonders sensiblen Leistungskodes für psychische Erkrankungen deutlich mehr ablesbar ist als aus denen des DRG-Systems.

Foto: Fotolia, Sergey Nivens

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Deutsches Ärzteblatt

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„den Tag, die Uhrzeit und den Grund der Aufnahme sowie die Ein- weisungsdiagnose, die Aufnahme- diagnose, bei einer Änderung der Aufnahmediagnose die nachfolgen- den Diagnosen (. . .), Datum und Art der im jeweiligen Krankenhaus durchgeführten Operationen und sonstigen Prozeduren (. . .)“. Bei- spiele für Verzeichnisse der „Opera- tionen und Prozeduren“ bei psy- chischen Erkrankungen siehe (5).

Diese harmlos klingenden For- mulierungen sollen nachvollziehbar das Leistungsgeschehen und die Ab- rechnungswege zwischen Kranken- häusern und Krankenkassen regulie- ren. Auch für psychiatrische und psychosomatische Krankenhäuser und Abteilungen gilt die Pflicht zur Übermittlung dieser Daten bereits, denn § 301 (2) SGB V legt die Gül-

tigkeit auch für die Krankenhäuser nach § 17 d Krankenhausfinanzie- rungsgesetz fest. Obwohl die Proze- duren für die Leistungsabrechnung derzeit nur für die sogenannten Op- tionshäuser relevant sein könnten, werden sie bereits übermittelt, wie aus den regelmäßig zwischen der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband der ge- setzlichen Krankenversicherung ver- einbarten Schlüsselfortschreibun- gen zur Vereinbarung nach § 301 Abs. 3 SGB V hervorgeht (letzter Entwurf vom 1. April 2014). Die derzeit von allen Kliniken erhobe- nen und übermittelten OPS-Daten sind nicht abrechnungsrelevant und dienen ausschließlich der Entwick- lung des PEPP-(Pauschalierende Entgelte Psychiatrie und Psychoso- matik-)Systems.

Die Formulierungen im § 301 SGB V wurden verabschiedet und fortgeschrieben, bevor die außer - gewöhnlich hohe Differenzierung des Psych-OPS-Leistungskatalogs (siehe Stichwort „Operationen und Proze- duren“) entwickelt und vom DIMDI – Deutsches Institut für Medizini- sche Dokumentation und Kommuni- kation veröffentlicht wurde, so dass sich bisher kein Datenschützer dafür interessiert zu haben scheint. Spe- zielle Datenschutzvorkehrungen für Patienten mit psychischen Erkran- kungen sind nicht getroffen worden.

Ob unter den Informationen aus den Beispiel-Datenfiles nun eine Informationsübermittlung zu ver- stehen ist, die sich „im Umfang auf das für den jeweiligen Zweck uner- lässliche Minimum beschränkt“, er- scheint mehr als fraglich. Ärzte- schaft, Fachvertreter und Ärzte- kammern wären sehr wohl beraten, in der weiteren Entwicklung der OPS für die Psychiatrie und Psy- chosomatik weniger „kleinteilig“

vorzugehen und mehr Komplex- leistungen zu entwickeln.

Das Mitteilen psychiatrischer Dia - gnosen und Nebendiagnosen an sich ist bedenklich genug. Es erscheint im Sinne des Patientenschutzes der- zeit vor allem bedenklich, dass weit vor der Relevanz dieser Kodes für die Vergütung von Krankenhaus- leistungen all solche Informationen in aller Breite übermittelt werden.

Schon bei der Erprobung, also im Hinblick darauf, ob Kodes über- haupt eine Relevanz für das neue Abrechnungssystem haben, müs- sen sämtliche psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken in Deutschland jahrelang diese Daten jeder Abrechnung der Behandlung eines Patienten beifügen.

Den Patienten und ebenso den Patientenverbänden dürfte nicht be- kannt sein, dass gerade aus den be- sonders sensiblen Leistungskodes für psychische Erkrankungen deut- lich mehr ablesbar ist als aus denen

des DRG-Systems.

Prof. Dr. med. Renate Schepker Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg 1. Datenfile: Name – Vorname –

Ge burtsdatum – männlich – Adres- se. Aufnahme als Notfall wegen einer Alkoholvergiftung (F10.0).

Schnittverletzungen durch Fremd- einwirkung (X99). Schädlicher Ge- brauch von Cannabinoiden (F12.1).

Eine Woche lang behandelt. Intensiv- behandlungspflichtig in der ersten Woche mit mehr als fünf Merkmalen und Intensivbehandlung mit mehr als zehn bis zwölf Therapieeinheiten in der Woche durch Ärzte (9–616.

15), mit Intensivbehandlung mit mehr als 30 bis 32 Therapieeinhei- ten in der Woche durch Pflegeperso- nal (9–616.22g).

Aus den DIMDI-Kodes ist abzulei- ten, dass der Musterpatient, wenn er mehr als fünf Merkmale erfüllt hat, wahrscheinlich besonders gesichert werden musste, gewalttätig war und an Realitätsverkennung litt, zumindest zeitweise am Tropf hing. Alternativ war er suizidgefährdet. Da keine Alkohol- entzugsdiagnose kodiert ist, entfällt wohl das Merkmal einer Alkoholent- zugsbehandlung.

2. Datenfile: Name – Vorname – Ge- burtsdatum – männlich – Adresse – reguläre Aufnahme in eine Abteilung der Psychosomatik/Psychotherapie.

Diagnose Transsexualität (F 64.0).

Mittelhohe aber ansteigende Anzahl an Therapieeinheiten durch Ärzte (9–630.2) auf der Station, überwie- gend durch Psychologen (9–630.5).

Mit Pflegepersonal hat der Patient wohl nicht geredet, denn Kodes aus dem Bereich 9–633 finden sich wäh- rend der Behandlungszeit nur spora- disch. Allerdings hatte er zwischen- durch eine Krise, wurde drei Tage lang mehr als 1,5 bis 3 Stunden täglich durch Pflegepersonal behandelt (9–641.11), interessanterweise direkt nach seinem Geburtstag.

3. Datenfile: Name – Vorname – Ge- burtsdatum – weiblich – Adresse. Be- handlung in der Psychiatrie, Aufnahme als Notfall.

Diagnose Borderline-Persönlich- keitsstörung vom impulsiven Typ (F60.30). Selbstverletzendes Verhalten durch Beibringen offener Wunden am Handgelenk (S 61.7, X78) als absicht- liche Selbstbeschädigung (F84.9), ir- gendwann im Verlauf auch Opfer einer Gewalttat (Y 09.9), häufiger im Verlauf absichtliche Selbstbeschädigungen durch Vergiftungen (X61). Eine Woche lang in dem 100 Tage dauernden sta- tionären Aufenthalt auch eine Behand- lung im Eltern-Kind-Setting (9–643.0).

WAS DIE KODES VERRATEN . . .

@

Literatur im Internet www.aerzteblatt.de/3514 oder über QR-Code

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LITERATURVERZEICHNIS HEFT 35–36/2014, ZU:

DATENSCHUTZ IN DER PSYCHIATRIE

Patientenschutz gefährdet

Eine immer detailliertere Kodierung der Leistungen in der Psychiatrie birgt Risiken für die besonders vulnerable Patientengruppe.

LITERATUR

1. Bundesministerium für Gesundheit: Gesetz- liche Krankenversicherung. Personal- und Verwaltungskosten 2007 (Ergebnisse der GKV-Statistiken KG1/2007 und KJ1/2007).

Bericht vom 28. Januar 2009. Eigendruck, Berlin.

2. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2008 – B 6 KA 37/07 R.

3. BT-Drucksache 11/3480, S. 29 zu „Trans- parenz“.

4. BT-Drucksache 11/3480, S. 67 zu §§292 bis 312 SGB.

5. In 2014 gültige OPS psychiatrischer Be- handlungen für Erwachsene sowie für Kin- der und Jugendliche: www.dimdi.de/static/

de/klassi/ops/kodesuche/onlinefassungen/

opshtml2014/block-9–60...9–64.htm;

www.dimdi.de/static/de/klassi/ops/kodesu che/onlinefassungen/opshtml2014/block- 9–65...9–69.htm

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