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Seehufer/BGA
Mäßige Wahrheitsliebe
I
m sogenannten Skandal um HIV-verseuchtes Blut rea- giert Bundesgesundheitsmi- nister Horst Seehofer zuweilen empfindlich. Zur Hauptversamm- lung des Marburger Bundes mochte er nicht kommen, weil dessen Vorsitzender, Dr. med.Frank Ulrich Montgomery, ihn wegen seiner Aktionen kritisiert hatte. Ähnlich erging es jetzt dem Bundesgesundheitsamt (BGA):
Seehofer hatte zwar zugesagt, zur Personalversammlung zu erschei- nen. Doch unter einer Bedingung:
Der frühere Präsident der Behör- de, Prof. Dr. med. Georges Fül- graff (SPD), sollte wieder ausgela- den werden. Als dies nicht ge- schah, blieb Seehofer in Bonn.
Verständlich, daß sich auch ein Minister gern vor unangeneh- men Aufgaben drückt. Fülgraff hat immerhin Vorschläge zur
Neuordnung der Behörde ge- macht, die manchen sinnvoller er- scheinen als das, was das Gesund- heitsministerium in Bonn bislang erarbeitet hat. Vielleicht hätte man Seehofer im BGA ja auch auf seine Personalentscheidungen in diesem Skandal angesprochen und gefragt, warum denn ein Mit- arbeiter mit viel Getöse entlassen wurde, jetzt aber nur still und heimlich rehabilitiert wurde.
Mit dem oft zitierten ministe- riellen Wunsch, „die Wahrheit ans Licht zu bringen", ist es nicht in Einklang zu bringen, daß Prof.
Gottfried Kreutz wieder im Amt ist, ohne daß man die Presse infor- mierte. Kreutz war bis Oktober Leiter der BGA-Abteilung „Arz- neimittelverkehr". Er wurde sus- pendiert, weil er angeblich auf In- formationen über die HIV-Ver- seuchung einer Charge des Arz-
neimittels PPSB nicht angemessen reagiert hatte. Inzwischen ist er in den Dienst zurückgekehrt, und zwar als Leiter der Abteilung „Ex- perimentelle und klinische Phar- makologie". Glaubt man der
„FAZ", so mußte Staatssekretär Baldur Wagner um Verständnis für die Amtsenthebung bitten:
Man habe Schaden vom BGA ab- wenden wollen.
Wer selbst empfindlich ge- genüber Vorwürfen ist, sollte dies auch anderen zugestehen. Eine öffentliche Erklärung hätte man vom Ministerium erwarten kön- nen — ausgenommen, Seehofer steht nicht hinter der Rehabilitie- rung und beläßt Beamte halbher- zig im Amt. Falls ihre Versäum- nisse tatsächlich schwerwiegend sind, wäre es aber konsequent, al- le rechtlichen Möglichkeiten ge- gen sie auszuschöpfen. th
Ruhestand Mohl verläßt das Studio
V
fiele Ärzte haben mehr oder weniger regelmäßig das Gesundheitsmagazin„Praxis" gesehen, das seit dreißig Jahren Dr. med. h. c. Hans Mohl im ZDF moderiert hat — jemand hat nachgezählt: Es waren 376 Sendungen. Nicht, daß diese Ärz- te von Hans Mohl etwas lernen wollten; sie wollten vielmehr für Fragen gewappnet sein, die sie am nächsten Tag von ihren Patienten zu erwarten hatten. Nun aber geht die „Ära Mohl" des Medizinjour- nalismus zu Ende: Ruhestand.
„Praxis" war das erste Ge- sundheitsmagazin eines deutschen Fernsehsenders überhaupt, und Hans Mohl und seine Mitarbeiter haben damit Maßstäbe gesetzt, an denen die vielen später entstande- nen Magazine sich messen lassen müssen. Seriöse und verständliche Information über Gesundheit und
Krankheit, Werbung für gesunde Lebensführung, für Vorsorge, für richtige Ernährung — dies war nicht nur Programm, sondern ent- sprach auch dem Lebensstil, den Hans Mohl selbst pflegt: Wer ein- mal mit ihm gegessen hat, kennt diesen Stil. Und weiß auch seinen Umgang mit den Menschen zu schätzen: Der wohl bekannteste und höchstdekorierte Fernsehmo- derator unseres Landes, ein Zwei- Meter-Hüne, spielte sich nicht in den Vordergrund, sondern sorgte dafür, im Studio immer so plaziert zu werden, daß er niemanden überragt.
Die anfängliche Skepsis vieler Ärzte gegenüber einer populären Gesundheitssendung wich bald, was unter anderem in der 1980 verliehenen Ehrendoktorwürde der Friedrich-Alexander-Universi- tät Erlangen-Nürnberg zum Aus-
druck kam. Vorher schon hatte er
— übrigens als erster Journalist — das Ehrenzeichen der deutschen Ärzteschaft erhalten; auch von den Zahnärzten erhielt er deren Ehrenzeichen.
Nicht vergessen werden sollte eine vielleicht noch bedeutendere Leistung von Hans Mohl: Er hat 1964 die „Aktion Sorgenkind" be- gründet, sie geleitet und Milliar- denbeträge an Spenden mobili- siert. Zehn Jahre später zeigte mir in Schweden ein Angestellter ei- ner lokalen Gesundheitsbehörde stolz, welche Leistungen für Be- hinderte dort der Staat erbringe, und fragte, ob denn der deutsche Staat so etwas auch tue. Das un- gläubige Erstaunen des Schweden über meine Antwort, das ginge bei uns mit privater Initiative, zum Beispiel der eines Hans Mohl, ist mir unvergeßlich. bt Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 50, 17. Dezember 1993 (1) A1-3337