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Archiv "Pflegeversicherung: Eine Goldgrube" (21.04.1995)

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POLITIK

Anschlag am Schwarzen Brett ei- nes Seniorenheimes: „Betreue Pflege- bedürftige, besondere Erfahrung bei Harninkontinenz. Bitte melden bei Schwester . . .".

Was so harmlos und hilfsbereit aussieht, könnte sich als „Goldgrube"

entpuppen. Finden sich nur ein Dut- zend Heimbewohner, die dreimal täg- lich Hilfe beim Toilettengang und zu- sätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versor- gung (zum Beispiel Einkaufen) benötigen, kann die Schwester mo- natlich 21 600 DM verdienen. Die neue gesetzliche Pflegeversicherung macht's möglich. Wem bei der Kör- perpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten und zu- sätzlich mehrfach in der Woche im Haushalt geholfen werden muß, ist Schwerpflegebedürftiger und hat An- spruch auf Pflegeeinsätze im Wert von 1800 DM monatlich. Für die Pfle- gekraft sind dies 20 DM brutto je Hil- festellung. Bei einem nur erheblich Pflegebedürftigen — mindestens ein- mal täglich Hilfe bei zwei Verrichtun- gen — verringern sich die Pflegeeinsät- ze auf 750 DM im Monat. Der Pflege- bedürftige beantragt sie bei seiner Pflegekasse. Diese erbringt die Pfle- geleistungen durch geeignete Fach- kräfte. Ob dazu außer Kranken- und Altenpflegern auch Heil-, Sozial- pädagogen, Sozialarbeiter und Schwesternhelferinnen gehören, ist ungeklärt. An Bedarf ist bei rund 1,5 Millionen Pflegebedürftigen, von de- nen über zwei Drittel in Privathaus- halten leben, kein Mangel.

Während sich die öffentliche Dis- kussion noch mit der Streichung von Feiertagen beschäftigt, beginnt hinter den Kulissen der Kampf um die be- sten „Startplätze". In den Stellenan- zeigen häufen sich die Angebote für qualifiziertes Pflegepersonal. Die Zahl der Pflegedienste hat sich in eini- gen Städten verdreifacht. Altehrwür- dige Marktführer, wie das Deutsche Rote Kreuz und die Arbeiterwohl-

KOMMENTAR

fahrt, denken über „lean manage- ment" nach und gliedern ihre Pflege- dienste in private Gesellschaften aus.

Billig sein, heißt die Devise im Kampf um die Marktanteile.

Clevere Betreiber von kombi- nierten Wohn- und Pflegeheimen überlegen, wie sie neben der von der Pflegekasse erst ab 1. Juli 1996 zu ver- gütenden stationären Pflege schon jetzt (ab 1. April 1995) an der häusli- chen Pflege partizipieren können.

Warum sollten ihre Pflegekräfte nicht die pflegebedürftigen Senioren im Wohnheim betreuen, aufgrund von Versorgungsverträgen mit den Pflege- kassen abrechnen und dafür entspre- chende Gehaltseinbußen hinnehmen bzw. die Vergütung an den Heimbe- treiber weiterleiten? Dadurch könn- ten enorme Kosten auf die Pflegekas- sen abgewälzt werden.

Tummelplatz

für die Bürokratie Der „Pflegekuchen" ist mit bun- desweit jährlich rund 30 Milliarden DM riesig. Über seine Verteilung wacht eine Bürokratie, wie sie nur in deutschen Amtsstuben erdacht wer- den konnte. Von den 112 Paragra- phen des Sozialgesetzbuches XI, in dem die Pflegeversicherung geregelt ist, widmen sich mehr als die Hälfte der Organisation, Finanzierung, Ver- gütung und Statistik, wobei die für die Praxis so wichtige Gebührenordnung für ambulante Pflegeleistungen aus dem Hause Blüm noch fehlt.

Organisation ist alles. So errich- tet jede gesetzliche Krankenkasse ei- ne Pflegekasse. Die Pflegekassen werden in jedem Bundesland geson- dert zu Landesverbänden zusammen- gefaßt. Diese sollen mit den Vereini- gungen der Träger der Pflegeeinrich- tungen Rahmenverträge über die pflegerische Versorgung abschließen.

Zusätzliche Vertragsparteien sind die Sozialhilfeträger. Die Medizinischen Dienste -der Krankenversicherung

(MDK) sind zu beteiligen. Das „Wie"

ist nicht gesetzlich geregelt. Bleibt zu hoffen, daß die vielen Köche den Brei rechtzeitig zusammengerührt bekom- men. Denn ab 1. April 1995 werden die Leistungen erbracht und — hof- fentlich — abgerechnet.

Sollte keine Einigung zustande kommen, müssen Schiedsstellen aktiv werden. Da sich die Landesverbände der Pflegekassen und Pflegeeinrich- tungen über die drei unabhängigen Mitglieder der Schiedsstelle, deren Stimmen wahrscheinlich den Aus- schlag geben werden, einigen müssen, wird zusätzliche Zeit verstreichen.

Wer den Schiedsspruch nicht akzep- tieren will, kann dagegen klagen. Wei- tere drei Jahre dürften bis zum end- gültigen Richterspruch des Bundesso- zialgerichts ins Land gehen. Viele Pflegebedürftige werden das Ergeb- nis nicht mehr erleben. Um so interes- sierter sind die pflegenden Verwand- ten und potentiellen Erben. Sie haben den Schlüssel zum Geldschrank der Pflegekassen in den Händen. Je pfle- gebedürftiger der Betroffene ist, de- sto höher ist das Pflegegeld. Es reicht von 400 DM in der ersten Stufe über 800 DM in der zweiten bis 1300 DM monatlich in der dritten Stufe.

Auch für den Laien wird immer klarer, daß der Start-Beitragssatz von einem Prozent nie und nimmer die Kosten decken wird. Das Kostenrisi- ko trifft aber nicht die Pflegekassen.

Sie sind gesetzlich verpflichtet, „lei- stungsgerechte" Preise zu vereinba- ren. Auf das Pflegefallrisiko, die Men- genkomponente, haben sie keinen Einfluß.

Wenn die Pflegekassen von der Welle der Pflegefälle überrollt wer- den, ist der Grundsatz der Beitrags- satzstabilität nicht mehr zu halten.

Die Pflegekassen selbst sind rechtlich geschützt. Vereinbarungen mit den Pflegeeinrichtungen über die Höhe der Vergütungen, die dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität widerspre- chen, sind per Gesetz unwirksam.

Die Zeche zahlt der versicherte Bürger. Entweder muß er den Mehr- betrag der in Anpruch genommenen Pflegeeinrichtung vergüten, oder die Beiträge zur Pflegekasse werden er- höht.

Dr. jur. Michael Neumann, Lübeck

Pflegeversicherung

Eine Goldgrube

A-1146 (24) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 16, 21. April 1995

Referenzen

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