POLITIK LEITARTIKEL
Kassen-Konkurrenz
Wettbewerb eröffnet Chancen auch für die Arzte
Der Wettbewerb der Krankenkassen wird die Strukturen des Gesundheitswesens möglicherweise nachhaltiger verändern als alle bisherigen Kostendämpfungsgesetze. Um ihre Ver- sicherten zu halten und neue hinzuzugewinnen, werden die Kassen verstärkt auf flexible Vertragsgestaltungen und imagefördernde Präventionsangebote setzen. Allen voran die
Allgemeinen Ortskrankenkassen. Die bisherige „Basiskas- se" will dem Wahlrecht der Versicherten mit offensiven Stra- tegien begegnen. Der bayerische AOK-Landesverband hat in dieser Hinsicht bereits ziemlich konkrete Vorstellungen.
Mit wenigen Worten: Eine erneuerte Partnerschaft mit den Ärzten, vorzugsweise jedoch unter veränderten Vorzeichen.
D
r. Rainer Will, der bayerische AOK-Vorsitzende auf Arbeit- geberseite, hat für die finanzi- elle Dauermisere der gesetzli- chen Krankenversicherung eine recht einfache Erklärung. Den Kranken- kassen sei bislang die Rolle einer pas- siven, lediglich „vollziehenden Finan- zierungsverwaltung" zugewiesen — und das könne ja nun wirklich nichts werden. Im Umkehrschluß bedeutet das wohl: Wer die Musik bezahlt, der bestimmt auch, was gespielt wird.Tatsächlich drängen die Kassen mit Macht auf die „Steuerbrücke" des Gesundheitswesens. Das scheinbar übergeordnete Ziel Wettbewerb kommt ihnen dabei gerade recht. Al- lerdings: Mit dem bisherigen Leitge- danken einer einheitlichen und ge- meinsamen Vertragsgestaltung läßt sich ein Wettbewerb um Versicherte nur schwer bestreiten. Der Geschäfts- führer des AOK-Landesverbandes Bayern, Herbert Schmaus, sagt daher:
„Die sozial- und gesundheitspoliti- sche Ausrichtung der AOK braucht nicht mehr systemübergreifend zu sein; sie kann und muß sich verstärkt auf die AOK-eigenen Vorstellungen und Strategien konzentrieren."
Für Schmaus liegt es auf der Hand, daß bei der Wahlfreiheit der Versicherten jede Kasse ihre Ver- tragspolitik gezielt auf ihre jeweilige Versichertenstruktur ausrichten muß
— und das könne jeweils nur in Eigen- regie geschehen. Konkret: „Die AOK Bayern wird künftig eine von den an- deren Kassenarten losgelöste eigen-
ständige Vertragspartnerschaft zur Kassenärztlichen Vereinigung Bay- erns anstreben, also in separate Ver- tragsverhandlungen eintreten." Da- bei schließt die bayerische AOK die Vereinbarung von unterschiedlichen Vergütungsstrukturen und Vergü- tungshöhen keineswegs aus — alles in allem mehr Flexibilität für beide Ver- tragsparteien.
Krankenkassen unter Zugzwang
Was Herbert Schmaus für die AOK Bayern ankündigt, dürfte zwangsläufig auch für die anderen Kassenarten innerhalb und außerhalb des Freistaates gelten. Das heißt: Die Kassenärztlichen Vereinigungen ge- winnen in dieser neuen Form der Ver- tragsgestaltung neues Gewicht, denn für ein eigenständiges Leistungsprofil der verschiedenen Kassen bedarf es der Mitwirkung der Ärzte. Und die Kassen sehen sich hier im Zugzwang.
So gesehen eröffnet der Wettbe- werb auf Kassenseite auch neue Per- spektiven für die Ärzteschaft — im am- bulanten Bereich zunächst sicher mehr als in der stationären Versor- gung. Freilich werden die Kassen ver- suchen, mit ihren Pfunden zu wu- chern und verstärkt Einfluß zu neh- men. Dazu Schmaus: „Fragen zu den Möglichkeiten der Aus- und Weiter- bildung bei den Ärzten drängen sich da ebenso auf wie zur Struktur und Organisation der Praxen." Auch die
eigentliche ärztliche Arbeit ist Ge- genstand des strategischen Kalküls der AOK. Stichwort Qualitätssiche- rung. Fritz Schösser, der alternieren- de AOK-Vorsitzende auf Arbeitneh- merseite, sagt offen heraus: „Wir wol- len Qualitätsstandards festlegen und dann nur noch mit den Ärzten und Krankenhäusern Verträge schließen, die diese Standards halten."
Eher ein Fernziel der bayeri- schen AOK ist in diesem Zusammen- hang die Festlegung eines gemeinsa- mem Budgets für die ambulante und stationäre Versorgung. Nur so, meint Schmaus, könnten eine wirkliche Ver- netzung und kostengünstige Koope- ration beider Sektoren erreicht wer- den. Inwieweit hier der Wettbewerb und der vertragliche Spielraum der Krankenkassen greifen können, wird maßgeblich von der Ausgestaltung der dritten Reformstufe im Gesund- heitswesen abhängen, die gegenwär- tig von Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer vorbereitet wird.
Bis dahin bleibt den Krankenkas- sen noch ein wenig Zeit, über „kreati- ve Vertragsgestaltungen" nachzuden- ken, um für den Wettbewerb gerüstet zu sein. Die „Schlacht" selbst, das Buhlen um attraktive Verträge und die Gunst der vielen Millionen Versi- cherten, beginnt aber spätestens An- fang nächsten Jahres. Und wenn am Ende, so hieß es bei der bayerischen AOK, unrentable Artgenossen (etwa die Hamburger AOK) auf der Strecke blieben, sei dies auch nicht weiter schlimm Josef Maus Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 11, 17. März 1995 (15) A-733