Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 18|
6. Mai 2011 A 1001 RAUCHEN IM WANDEL DER ZEITDie Oberschicht hat sich abgewandt
Nicht erst seit der Diskussion um ein Rauchverbot ist Rauchen gesellschaftlich immer weniger akzeptiert. Der Wandel fand schon lange vor der Verbotsdiskussion statt.
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erzeit denken Bundestagsab- geordnete Medienberichten zufolge erneut über eine fraktions- übergreifende Gesetzesinitiative für ein bundesweit einheitliches Rauch- verbot nach. In der Bevölkerung be- wegt sich die Zustimmung zu einem Rauchverbot seit Jahren auf einem recht stabilen, tendenziell leicht stei- genden Niveau von über 50 Prozent.Zustimmung für Rauchverbot
Zuletzt ergab eine bevölkerungsre- präsentative, deutschlandweite Um- frage des Instituts für Demoskopie Allensbach in Zusammenhang mit der Einführung des strikten Rauch- verbots in Restaurants und Gaststät- ten in Bayern eine Zustimmung von 52 Prozent für die bundesweite Ein- führung eines generellen Rauchver- bots analog zu der in Bayern durch- gesetzten Regelung. 39 Prozent der Befragten sprachen sich gegen ein derart striktes Verbot aus. Die Zu- stimmung ist erwartungsgemäß am größten unter den Nichtrauchern:Zwei Drittel der Nichtraucher wün- schen sich rauchfreie Restaurants.
Selbst unter den Rauchern ist es knapp jeder Fünfte, der sich für ein generelles Rauchverbot in Restau- rants ausspricht.
Dieses Stimmungsbild ist das Er- gebnis eines über Jahrzehnte hin- weg stattgefundenen Wandels, wenn es um das Rauchverhalten und par - allel dazu auch die Sichtweise auf Raucher geht. Die Abkehr vom Rau- chen fand dabei lange vor offiziellen Gesundheitskampagnen und breiten gesellschaftlichen Verbotsdiskussio- nen statt. Seit Beginn der Bundesre- publik ist der Anteil der Raucher in der Bevölkerung von knapp über der Hälfte auf zuletzt 29 Prozent zu- rückgegangen. Betrachtet man das Rauchverhalten getrennt nach Ge- schlechtern erkennt man, dass es in allererster Linie die Männer sind,
die mit ihrem veränderten Rauch- verhalten zu diesem Rückgang bei- getragen haben: Rauchten 1950 noch fast neun von zehn Männern, sank dieser Anteil in den 60er, 70er und 80er Jahren auf circa 40 Prozent in den 90er Jahren und ist in den letz- ten zehn Jahren weiter rückläufig auf derzeit 33 Prozent. Im Vergleich dazu hat sich bei den Frauen rela- tiv wenig verändert: Bis Mitte der 70er Jahre stieg der Raucheranteil – im gesellschaftlich sich öffnenden Klima ein Zeichen der Emanzipati- on – unter den Frauen von 21 auf 29 Prozent und ist seitdem nur leicht auf zuletzt 24 Prozent zurückgegan- gen. In den letzten 30 Jahren, seit 1980, waren es vor allem die Män- ner über 60 Jahre und – besonders erfreulich – die 14- bis 19-Jährigen, bei denen der Raucheranteil über- durchschnittlich zurückgegangen ist.
Parallel zum Rückgang des An- teils der Raucher in der Bevölke- rung hat sich auch die Einstellung gegenüber Rauchern geändert. Die- ser Wandel fand allerdings ebenfalls eher in den 70ern und 80ern als in den letzten Jahren statt: Hatten 1975
erst 29 Prozent der Westdeutschen den Eindruck, dass Raucher manch- mal etwas schief angesehen werden, waren es 1986 mehr als die Hälfte.
Seitdem verharrt dieser Wert auch im wiedervereinigten Deutschland weitgehend auf diesem Niveau. Un- ter den Rauchern selbst sind es der- zeit sogar etwa zwei Drittel, die sich schief angesehen fühlen.
Sympathischerer Nichtraucher
Auch andere Untersuchungen des Instituts für Demoskopie aus den 50er bis 80er Jahren belegen, dass sich in dieser Zeit das Bild, das die Bevölkerung von Rauchern hat, deutlich wandelte. Wurden Mitte der 50er Jahre Raucher und Nicht- raucher noch als gleich sympathisch und tüchtig wahrgenommen, war 1970 der Nichtraucher bereits sym- pathischer, und Ende der 80er Jahre wurde er schließlich nicht nur als sympathischer, sondern auch als be- ruflich erfolgreicher eingestuft als der Raucher.Heute rauchen nach wie vor eher Männer, Personen zwischen 20 und 50 Jahren sowie Personen aus Haus- halten mit geringem Haushaltsein- kommen und Bildungshintergrund (Grafik). Rauchen ist damit zuneh- mend zu einem schichtgebundenen Phänomen geworden. Vor allem die Oberschicht und in etwas geringerem Maß die Mittelschicht haben sich vom Rauchen abgewendet. Mitte der 60er Jahre war das Zigarettenrau- chen in der Ober- und Mittelschicht mit mehr als 40 Prozent noch recht weit verbreitet, heute sind es in der Oberschicht gerade noch 19 Prozent, in der Mittelschicht 29 Prozent. Dem- gegenüber ist das Zigarettenrauchen in den unteren sozialen Schichten heute mit rund einem Drittel so ver- breitet wie Mitte der 70er Jahre. ■ Dr. rer. pol. Oliver Bruttel Institut für Demoskopie Allensbach GRAFIK
Veränderung des Raucheranteils nach sozialer Schicht Es rauchen Zigaretten . . . (in Prozent)
Basis: Bundesrepublik Deutschland. Bevölkerung ab 14 Jahre;
bis 1985 Westdeutschland, ab 1995 Gesamtdeutschland Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen: Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalysen (AWA)
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1965 1985 1995 2005 2010
Sozioöko- nomischer Status:
■ niedrig
■ mittel
■ hoch