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Bericht und Meinung ZITATE
Universität — Was ist
daraus
geworden .. .
Wenn Politiker angesichts der von ihnen gewollten und daher mitverschuldeten gera- dezu astronomischen Zahl von Studenten, deren verantwor- tungsbewußte sachgerechte Ausbildung heute sehr er- schwert ist, Konzentration auf die Lehre — vorübergehend so- gar auf Kosten der Universitäts- Forschung' fordern (Walter Scheel: ,Reden und Interviews' [2], 1. Juli 1975 bis 30. Juni 1976, S. 193), dann müssen sie das Urteil hinnehmen: Wer sol- ches fordert, scheint gar nicht zu verstehen, warum Universi- täten überhaupt forschen' (Kurt Reumann, FAZ Nr. 120, 4. 6.
1976, S. 12). Denn die Durch- führung dieser Forderung ist m.
E. gleichbedeutend mit einer langwährenden und letztlich tödlichen Strangulation der deutschen Forschungs-, Lehr- und Lern-Universität, die trotz Nazi-, Kriegs- und Nachkriegs- misere aufgeholt hatte und be- reits in vielen Fächern wieder international anerkannt war.
Jetzt sind wir wirklich in einen ,Bildungsnotstand' geworfen, den man uns vor Jahren — da- mals eine Fiktion nur — an die Wand gemalt hat.
In politischen Ideologien befan- gen sind bestimmte Universitä- ten überdies auf dem besten Wege zur ‚Tendenzuniversität'.
Sie sehen nicht die Gefahren von Kooperationsverträgen mit den Gewerkschaften oder wol- len nicht verstehen, daß ,die Le- bensbedingungen unabhängi- ger wissenschaftlicher Hoch- schulen' dabei ‚verkannt' wer- den (Bernhard Rüthers, FAZ Nr.
239, 23. 10. 1976, S. 13).
Als über die Zeiten bewährtes Unterrichtsprinzip diente Ihnen der überzeugende Leitsatz des Demokrit: ,Viel denken, nicht viel wissen, ist zu pflegen.' Nur eine solche Unterrichtsmaxime garantiert, daß nicht gelernt wird ,für die Schule, sondern für das Leben'. Sie, lieber Herr Professor, haben daher in Ihren begeisternden und geschickt das eigene Denken anregenden Vorlesungen zunächst jene Denkvorgänge herausgearbei- tet, aus denen sich die wissens- notwendigen Fakten ergeben.
So wurden Tatsachen verständ- lich und einprägsam.
Ihre Hauptvorlesungen — ich erinnere mich mit heller Freude und mit großem Gewinn auch für meine eigenen Kollegs, au- ßerdem besonders an die in Form und Niveau glanzvollen von L. Aschoff und S. J. Thann- hauser — gehören heute nicht mehr zum Pflichtensoll der Stu- denten. An ihre Stelle ist die ,Paukschule` getreten (Otto P.
Hornstein, Rheinischer Merkur Nr. 41, S. 32, 1976). Da Unter- richt und neue Prüfungsmetho- de in Umkehrung des Postula- tes des Demokrit zu ,viel wissen und nicht viel denken' verleiten, werden unsere derzeitigen Stu- denten, so steht zu befürchten, in Leben und Beruf leicht be- einfluß- und steuerbar, also letztlich bequeme und gläubige Untertanen, wie Funktionäre sein.
Das Lehrbuch als Studienhilfe wird oft im ersten Eifer von noch wenig erfahrenen Neulin- gen gekauft, um bald das Bü- cherbrett zu zieren. Gelernt, besser gepaukt, wird nach Fra- gensammlungen, die die Postu- late eines Lernzielkatalogs er- füllen sollen. Auch durch dieses Narkotikum werden interessier- te und begabte junge Men- schen dem Prinzip des ,Nürn- berger Trichters' ausgeliefert.
Mit Überlegungen zur Qualität eines derart ‚instruierten' Ärzte- standes der Zukunft brauchen wir uns nicht aufzuhalten und das außerdem nicht, weil für die Zulassung zum Studium menschliche Qualitäten über- haupt nicht mitbestimmend sind. Allein die computerresi- stente Punktzahl ist das ,Sesam öffne dich' zur Überwindung des Numerus clausus. ,Der Nu- merus clausus begünstigt das Strebertum. Wenn die Deut- schen erst einmal erlebt haben, daß eine ganze Generation von
‚Einser-Schülern' Ärzte gewor- den sind, werden sie sich scheuen, zum Arzt zu gehen.' (Peter Glotz, Rheinischer Mer- kur vom 28. 11. 1975, S. 8, und Stuttgarter Zeitung vom 15. 11.
1975, S. 3.)
Die kranke Universität von heute freilich heilen zu wollen, ist eine herkulische Aufgabe.
Wir alle müssen daher mit hei- ßem Herzen und klugem Ver- stand daran mitarbeiten und für diese unerläßlich notwendige erstrangige nationale Aufgabe eintreten. Der ,wissenschaft- liche Elfenbeinturm' darf dabei nicht unser Dauerdomizil sein (Giselher Schmidt, Rheinischer Merkur Nr. 36, 1976, S. 18). Es gibt keine Alternative zu dem kategorischen Imperativ eines unserer größten zeitgenössi- schen Pädiater Robert Debrö:
,Combattre? Certes! Se rösi- gner? Non.' (Robert Debrö: Ce que je crois. Bernard Grasset, Paris 1976, S. 219.) . ."
Auszüge aus einem Gedenkarti- kel von Prof. Dr. Josef Ströder (Würzburg) zur hundertsten Wiederkehr des Geburtstags Carl Temmermann Noegge- raths, des 1952 verstorbenen langjährigen pädiatrischen Or- dinarius der Universität Frei- burg i. Br., in „Der Kinderarzt", Heft 4/77.
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 37 vom 15. September 1977 2207