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Archiv "Sexuelle Übergriffe in der Psychotherapie: Den Opfern eine Stimme geben" (18.08.2006)

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ine der gravierendsten Folgen sexu- ell grenzverletzenden Verhaltens in Psychotherapien ist der Verlust der Sprache bei den Opfern. Sprache und Kommunikationsfähigkeit sind aber die wichtigsten Kompetenzen, um in einer Demokratie Zugang zum Recht zu er- halten. Die Sprachhemmung und der da- zugehörige soziale Rückzug missbrauch- ter Patientinnen entstehen systematisch als Folge des Traumas und der Schamre- aktion des Opfers. Darüber hinaus wer- den das Identitätsgefühl und das Gefühl, von der Umwelt respektiert zu sein, tief erschüttert. Die Patientinnen verstum- men deshalb auf lange Zeit. Mit dieser Problematik befasste sich das Symposi- um „Ethik in der Psychotherapie“ des Berufsverbandes der Vertragspsycho- therapeuten e.V. (BVVP) Bayern, das Mitte Mai in München stattfand.

Scham und Schuldgefühle

Der Sprachverlust der Opfer erklärt sich folgendermaßen: Zum einen be- wirkt die traumabedingte Überschwem- mung des Gehirns mit dem Stresshor- mon Cortisol eine zeitweise Funktions- störung des motorischen Sprachzen- trums (Broca-Areal) und behindert die Bildung von sicher erinnerbaren Ge- dächtnisspuren im Hippocampus. Die Betroffenen verlieren das Vertrauen in ihre Wahrnehmung und das Vertrauen in ihre Gefühle. Zum anderen bedingen Scham und Schuldgefühle eine ausge- prägte Hemmung, das Geschehene mit- zuteilen. Ungläubigkeit und Zweifel der zuerst Angesprochenen erledigen den Rest bei einer an sich schon sehr fragilen Sprechfähigkeit der Opfer.

Deshalb „sprechen“ die Opfer in aller Regel indirekt über eine signifikante Zunahme ihrer somatischen und psy- chischen Symptomatik.

Die sprechhemmende Wirkung sexu- eller Übergriffe in der Psychotherapie und das Tabu, das das Thema in der eigenen Berufsgruppe umgibt, schützt die Täter. Das Zusammenwirken von Traumaforschern, Ärzten, Rechtswis- senschaftlern, Philosophen und Psycho- therapeuten ermöglicht es inzwischen, den Tätern besser auf die Spur zu kom- men und die Strukturen der Berufs- überwachung weiterzuentwickeln.

Rund zehn Prozent aller im Gesund- heitswesen Tätigen werden während ih- res Berufslebens zu Tätern (Tschan, 2005). Das heißt, nicht nur in der Psy- chotherapie, sondern auch in anderen Bereichen der Medizin, zum Beispiel bei Frauenärzten oder Allgemeinärzten (vier Prozent bis sechs Prozent), der psychiatrischen Krankenpflege (zehn bis 17 Prozent) und in der Seelsorge (bis zu 37 Prozent) gibt es das Phänomen des sexuellen Missbrauchs professio- neller Beziehungen in erstaunlich ho- hem Ausmaß. Die Quote an Wiederho- lungstaten liegt bei 80 Prozent. In aller Regel sind Männer die Täter bei den Wiederholungstaten.

In der Psychotherapie wiegt der Ver- trauensbruch deshalb so schwer, weil bei den Patientinnen so gut wie alle sonst üblichen Schutzmechanismen zu- sammengebrochen sind. Das struktu- relle Machtgefälle hebt die Person des Therapeuten häufig in den Rang von Elternfiguren. Die Abhängigkeit der Patienten und die Verantwortlichkeit des Therapeuten erfordern eine ent- sprechend hohe Sorgfaltspflicht.

Wird sie verletzt, sind der Schaden der Patientinnen und ihre Verwirrung be- sonders groß. Die Wahrscheinlichkeit aber, dass eine Patientin darüber spricht, ist dagegen besonders gering. Die Psy- chotherapie entfaltet dadurch ähnlich wie der Bereich der Seelsorge unge- wollt günstige Bedingungen für grenz-

überschreitendes Verhalten. Der hohe Anteil von Wiederholungstätern zeigt, dass das Phänomen weniger auf Empa- thiefehler als auf gezieltes Handeln der Täter zurückzuführen ist.

Die üblicherweise vorgehaltene Kommstruktur des Rechtsystems und besonders der Berufsaufsicht von Ärz- ten und Psychotherapeuten macht es den Opfern schwer. Zu viele Sprachbar- rieren und Angst vor Zurückweisung stellen für die meisten Patientinnen ein unüberwindliches Hindernis dar. Des- halb sind überdurchschnittlich viele der bekannt gewordenen Fälle im Umfeld der Ausbildung, Lehrtherapie und Su- pervision von angehenden Psychothera- peutinnen angesiedelt. Hier gleicht ver- mutlich die Therapieausbildung die Sprachhemmung strukturell aus. Ver- schiedene Forscher gehen deshalb da- von aus, dass schätzungsweise nur zehn Prozent aller Fälle zur Anzeige im Rechtssystem und bei den Berufsauf- sichten gelangen.

Niederschwellige Angebote

Wegen der hohen Dunkelziffer müssen neue Wege in den Verfahren und Struk- turen der Berufsaufsichten entwickelt werden. Es reicht nicht aus, so die übereinstimmende Schlussfolgerung der Referenten des Symposiums in Mün- chen, dass sich die Berufskammern der Ärzte und Psychotherapeuten auf in- aktives Warten beschränken.

Der Stand der Forschung macht deut- lich, dass nur ein kleiner Teil der Betrof- fenen die bisher bestehenden Wege nut- zen kann. Nur die Fälle zu verfolgen, die zur Anzeige gebracht werden, wird dem Phänomen nicht gerecht. Es ist notwen- dig, niederschwellige Angebote, wie zum Beispiel Ombudsstellen oder Opferan- wälte, verankert im System der Berufs- T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 33⏐⏐18. August 2006 AA2157

Sexuelle Übergriffe in der Psychotherapie

Den Opfern eine Stimme geben

Die Möglichkeiten für die missbrauchten Patientinnen, Hilfe zu bekommen

und eine notwendige Folgetherapie anzuschließen, sind unzureichend.

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aufsicht, vorzuhalten. Eine Anbindung an die Ärzte- und Psychotherapeuten- kammern wurde aber von den anwesen- den Richtern und Rechtsanwälten des BVVP-Symposiums als kritisch einge- stuft, weil die Kammern immer auch ihre Mitglieder vertreten müssen und ein Interessenkonflikt programmiert er- scheint.

Auch eine aktive Aufklärung der Pati- enten, wohin sie sich bei Problemen mit ihrem Psychotherapeuten wenden kön- nen, ist dringend zu empfehlen. Die potenziellen Tätertherapeuten dürfen nicht mehr das Gefühl haben, in einem tabugeschützten Dunkelfeld ungescho- ren zu bleiben und obendrein auf den Schutz der berufsständischen Organisa- tion hoffen zu können.

Folgebehandlungen scheitern oft an Zweijahresfrist

Schließlich muss auch die Zusammenar- beit der Institutionen der Berufsaufsicht und des Sozialrechtes, also zwischen Kammern und Kassenärztlichen Verei- nigungen, verbessert werden. Es kann nicht sein, dass die Tätertherapeuten das Honorar für unsachgemäß erbrachte Psychotherapien behalten können und vielleicht damit möglicherweise ihren Anwalt bezahlen. Es liegt im Interesse der Patienten, dass dieses Geld zurück- geführt wird, um den Betroffenen eine rasche Anschlusstherapie zu ermögli- chen. Bisher scheitern die Folgebehand- lungen jedoch oftmals an der in den Psychotherapierichtlinien festgelegten Zweijahresfrist und an den Schwierig- keiten des Gutachterverfahrens. Norma- lerweise muss nach dem Abschluss einer Psychotherapie eine Zeit von zwei Jah- ren verstreichen, damit für dieselbe Pati- entin bei gleicher Diagnose und Erkran- kung eine neue Richtlinienpsychothera- pie beantragt werden kann. Die Patien- tinnen müssten also auf die Folgebe- handlung warten, weil die Therapie, in der der Missbrauch stattfand, formal als abgeschlossen und abgerechnet gilt.

Dass die Therapie nicht „lege artis“

durchgeführt wurde und keinen Erfolg brachte, erfahren die Krankenkassen nicht.

Dr. med. Veronika Hillebrand, Benedikt Waldherr, Dipl.-Psych.

T H E M E N D E R Z E I T

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A2158 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 33⏐⏐18. August 2006

Demokratische Republik Kongo

Weit entfernt von der Normalität

Noch immer sind 1,6 Millionen Kongolesen auf der Flucht vor kriegerischen Auseinandersetzungen. Doch auch Hunger und die mangelnde medizinische Versorgung machen den Menschen zu schaffen.

Vertriebenenlager bei Dubie

M

asangue Mwamba ist so er- schöpft, dass er die Feldklinik von Ärzte ohne Grenzen nur noch mit fremder Hilfe erreichen kann.

Um seinen Brustkorb hat er sich einen Lumpenstrick gebunden – in der Hoff- nung, dadurch den chronischen Husten zu unterdrücken, der ihn seit Monaten quält. Außerdem klagt er über Kraftlo- sigkeit, Nachtschweiß und Gewichts- verlust. Hagere 39 Kilo bringt er noch auf die Waage. Das Symptombild ent- spricht dem einer offenen, anstecken- den Tuberkulose.

Masangue hat sie mitgebracht von der Flucht, zu der er mit seiner Frau und seinen acht Kindern wegen Kämpfen zwischen Militär und Rebellen gezwun- gen wurde. Mit 18 000 weiteren Vertrie- benen fanden sie schließlich Sicherheit

in einem der Lager, die Ende letzten Jahres rund um den Ort Dubie in der Provinz Katanga im Südosten der De- mokratischen Republik Kongo (D. R.

Kongo) aus dem Boden schossen – und die Einwohnerzahl dieses von der Außenwelt weitgehend isolierten stau- bigen Dorfes in wenigen Wochen plötz- lich verdreifachten.

Dubie ist kein Einzelfall: Die D.R.

Kongo hat etwa die Größe Westeuropas und besteht zum überwiegenden Teil aus unbewohnter Steppe und Dschungel. In ihr leben weit verstreut rund 60 Millio- nen Menschen verschiedener ethnischer Zugehörigkeit – und sie kommen nicht zur Ruhe. Rund 40 000 Kongolesen wer- den jeden Monat aus ihrem Heimatort vertrieben. Insgesamt sind derzeit 1,6 Millionen Kongolesen auf der Flucht.

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