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Archiv "Hereditäre motorisch- sensible Neuropathien: Konsequenz molekulargenetischer Befunde für Diagnostik und Therapie" (09.05.1997)

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D

ie hereditären motorisch-sen- siblen Neuropathien (HMSN) stellen mit einer Prävalenz von 20 bis 40/100 000 Einwoh- ner (17, 67) eine der häufigsten here- ditären neurologischen Erkrankun- gen des Menschen dar. 1886 beschrie- ben Charcot und Marie sowie Tooth (15, 71) erstmals ein Syndrom der

„peronäalen Muskelatrophie“, das gekennzeichnet war durch langsam progrediente, distal symmetrische, schlaffe Paresen bei nur geringen sen- siblen Ausfällen. Déjérine und Sottas (19) berichteten 1893 über eine auto- somal rezessiv vererbte, „hyper- trophische, progressive Neuritis“, bei der bereits im frühen Kindesalter eine deutliche Verdickung der peripheren Nerven vorlag. Die in der neurologi- schen Literatur am weitesten verbrei- tete Klassifikation nach Dyck und Lambert (Tabelle 1) unterscheidet heute unter Berücksichtigung neu- rophysiologischer und morphologi- scher Befunde verschiedene Formen der „hereditären motorisch-sensiblen Neuropathie“ (HMSN) (21, 55).

Die hereditären motorisch-sensiblen Neuropathien Typ 1

Klinisch besteht bei Patienten mit hereditären motorisch-sensiblen Neuropathien Typ 1 (HMSN 1) eine langsam progrediente, vorwiegend motorische, demyelinisierende Poly- neuropathie mit distal symmetrischen Paresen (Textkasten). Die atrophisie- renden Paresen beginnen an der Fuß- und Unterschenkelmuskulatur, so daß sich häufig die typischen „Stor- chenbeine“ entwickeln. Später kön- nen auch Lähmungen der oberen Ex- tremitäten auftreten. Die Muskel- eigenreflexe der unteren Extremitä- ten fehlen meist bereits vor Manife- station der Paresen. Die ebenfalls di- stal lokalisierten Sensibilitätsstörun-

gen sind gegenüber den motorischen Defiziten deutlich geringer ausge- prägt, schmerzhafte Dysästhesien kommen vor (20). Daneben werden häufiger vasomotorische Störungen, Kältegefühle der Beine oder livide Marmorierungen der Haut beobach- tet. Verschiedene weitere mögliche Zusatzsymptome (33) sind im Text- kasten aufgeführt.

Wesentliche Grundlage zur Un- terscheidung der demyelinisierenden Formen – HMSN 1 und 3 – von der axonalen HMSN 2 ist die Nervenleit- geschwindigkeit (NLG) (10), die bei der HMSN 1 im N. medianus moto- risch auf unter 38 m/s verlangsamt sein sollte (68). Die Verzögerung der NLG ist in motorischen und sensiblen Nerven gleichmäßig über allen Ner- vensegmenten zu messen und bereits vor der klinischen Manifestation nachweisbar (21, 46).

Morphologisch finden sich Ver- änderungen im Sinne einer chroni- schen De- und Remyelinisierung (52, 66). Nahezu alle Patienten erkranken bis zur Mitte der dritten Dekade (8).

Der Verlauf ist meist langsam und gutartig (20); zwar werden etwa 20 Prozent der Patienten durch die Er- krankung im Alltag deutlich behin-

dert, aber nur wenige benötigen einen Rollstuhl (31).

Inzwischen konnten in moleku- largenetischen Untersuchungen ver- schiedene pathogene Mutationen nachgewiesen werden, die erstmals eine direkte Diagnostik erlauben und Möglichkeiten zur Untersuchung des Krankheitsmechanismus eröffnen.

Nachdem zunächst eine Koppelung zwischen einer autosomal dominan- ten HMSN 1 und dem Chromosom 1 (HMSN 1B) nachgewiesen wurde, sind als Ursache inzwischen Punkt- mutationen im dort lokalisierten Gen des Myelinproteins P0 (Tabelle 2) be- kannt (9, 35, 54, 59).

Bei anderen Patienten wurde ei- ne Koppelung zum Chromosom 17 festgestellt (61). Dieser HMSN 1A liegt meist eine Duplikation von 1,5 Megabasenpaaren (mbp) auf dem kurzen Arm des Chromosom 17 (17p11.2) zugrunde, die den Genort für das Myelinprotein PMP22 umfaßt (62). PMP22 kommt neben dem peri- pheren Myelin während der Embryo- nalentwicklung, aber auch in anderen Geweben vor (2); hier führt der De- fekt jedoch zu keinen merklichen Störungen. Die Krankheit wird auto- somal dominant vererbt. Sie kann aber auch als Folge einer Duplikation durch ungleiches „crossing-over“ in der männlichen Meiose spontan ent- stehen und dann als Neumutation auf- treten (62).

Die Überexpression des PMP22- Gens, das aufgrund der Duplikation eines der beiden Allele in drei Kopien vorliegt, scheint den Phänotyp der HMSN 1A hervorzurufen (13). Pati- enten, bei denen die Duplikation in homozygoter Form vorliegt, das ent- sprechende DNA-Segment also vier- fach vorhanden ist, weisen eine deut- lich ausgeprägtere Symptomatik mit schwereren Defiziten und früherem Erkrankungsalter auf (45, 47). Bei klinisch gesicherter HMSN 1 war in einer europäischen multizentrischen A-1275

M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 19, 9. Mai 1997 (51)

Hereditäre motorisch- sensible Neuropathien

Konsequenz molekulargenetischer Befunde für Diagnostik und Therapie

Holger Grehl

1

Bernd Rautenstrauß

2

1Neurologische Universitätsklinik Erlangen (Direktor: Prof. Dr. med. Bernhard Neun- dörfer)

2Institut für Humangenetik (Direktor: Prof.

Dr. med. Rudolf A. Pfeiffer) der Universität Erlangen-Nürnberg

Bei den etwa 30 000 Patienten in

Deutschland, die von hereditären

motorisch-sensiblen Neuropathien

(HMSN) betroffen sind, wurden in-

zwischen mehrere ursächliche Mu-

tationen bekannt. Dadurch ist erst-

mals eine direkte und gesicherte Dia-

gnose dieser Erkrankungen möglich.

(2)

Untersuchung die Duplikation auf Chromosom 17 bei bis zu 70 Prozent der Patienten vorhanden (54), bei un- seren Patienten bei etwa 50 Prozent.

Die klinischen, neurophysiologischen und morphologischen Befunde bei diesen HMSN-1A-Patienten unter- scheiden sich nicht von denen der ge- samten HMSN-1-Gruppe (38, 56).

Auch in der genetisch homogenen Gruppe der HMSN 1A mit Duplikati- on bleibt die klinische und neurophy- siologische Heterogenität bestehen:

normale Muskeleigenreflexe, Pyrami- denbahnzeichen, Wadenhypertrophie

oder ein leichter Haltetremor wurden beobachtet, vereinzelt beträgt die mo- torische NLG im N. medianus auch mehr als 38 m/s (18, 34). Ein neuro- physiologisch normaler Träger der Duplikation ist dagegen bisher nicht bekannt geworden. Der Gendefekt ist deshalb vollständig penetrant.

Wesentlich seltener liegt einer HMSN 1A auch eine Punktmutation im PMP22-Gen zugrunde (53, 72).

Die klinischen und morphologischen Veränderungen können dabei deutli- cher ausgeprägt sein als im Fall der Duplikation (26, 28, 72). Zuweilen

nimmt die Symptomatik in der Gene- rationsfolge an Schwere zu (51). Auch bei der X-chromosomal vererbten HMSN X1 konnten inzwischen ver- schiedene Mutationen nachgewiesen werden, die den Genort des Gap- junction-Proteins Connexin32 (Cx32) betreffen (7, 25, 59). Klinisch ent- spricht die Symptomatik derjenigen der HMSN 1. Weibliche Familienmit- glieder sind meist betroffen, wenn auch in der Regel weniger deutlich als männliche (10, 24). Die NLG kann nahezu normal sein und so die Dia- gnose einer HMSN 2 nahelegen (30, 70). Koppelungen der HMSN 1 zu verschiedenen weiteren Genorten sind in Tabelle 2 beschrieben (36, 60).

Die hereditären motorisch-sensiblen Neuropathien Typ 2

Der Typ 2 der HMSN ist klinisch dem Typ 1 ähnlich. Das durchschnitt- liche Erkrankungsalter ist aber etwas höher als bei der HMSN 1, der Ver- lauf noch langsamer. Auch bei der HMSN 2 können verschiedene Zu- satzsymptome vorkommen (23). Die Unterscheidung zwischen den HMSN Typ 1 und 2 erfolgt neurophysiolo- gisch und morphologisch: die NLG ist bei HMSN 2 normal oder nur diskret verzögert (12, 21, 22, 68, 69), morpho- logisch finden sich Zeichen einer axo- nalen Neuropathie (4, 66). Der Erb- gang ist meist autosomal dominant, seltener rezessiv. Die HMSN 2 ist nicht an die von der HMSN 1 her be- kannten Genloci gekoppelt (43), ver- einzelt wurde ein Zusammenhang mit Genorten auf den Chromosomen 1 und 8 beschrieben (Tabelle 2).

Die hereditären motorisch-sensiblen Neuropathien Typ 3

Die HMSN 3 entspricht der von Déjérine und Sottas beschriebenen

„hypertrophischen Neuritis“ und ist gekennzeichnet durch eine demyeli- nisierende Neuropathie, die sich be- reits in der ersten Lebensdekade ma- nifestiert. Die motorische Entwick- lung ist oft verzögert (21). Neben di- stal betonten Paresen mit generali- A-1276

M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT

(52) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 19, 9. Mai 1997 Tabelle 1

Einteilung der hereditären motorisch-sensiblen Neuropathien (HMSN) nach Dyck und Lambert (21,22)

Typ Synonyme Manifestations- Symptomatik alter (Jahre)

HMSN 1 hypertrophische 10–30 demyelinisierende Polyneuro- Form der peronä- pathie, langsam progrediente alen Muskelatro- distale Paresen, meist autoso- phie Charcot-Marie- mal dominant

Tooth

HMSN 2 neuronale Form 20–40 axonale Neuropathie, der peronäalen klinisch weitgehend wie Muskelatrophie HMSN 1, meist autosomal Charcot-Marie- dominant, seltener rezessiv Tooth

HMSN 3 hypertrophische <15 demyelinisierende Neuropa- Neuritis, Déjérine- thie, progrediente Paresen, Sottas-Syndrom deutliche Sensibilitätsstö-

rungen, auch trophische Störungen, meist autosomal rezessiv

HMSN 4 M. Refsum 5–40 Polyneuropathie mit Ataxie;

Störung im Abbau verzweigt- kettiger Fettsäuren, Phythan- säure im Serum erhöht HMSN 5 Hereditäre >15 axonale Polyneuropathie,

spastische atrophische Paresen mit

Paraplegie Spastik wechselnden Schwere-

grades; meist autosomal domi- nant, seltener rezessiv HMSN 6 HMSN mit Optikus- wechselnd meist axonale Neuropathie;

atrophie atrophische Paresen mit Opti-

kusatrophie;

wechselnder Erbgang HMSN 7 HMSN mit unklar Neuropathie mit Retinitis

Retinitis- pigmentosa, seltener Ataxie

pigmentosa und sensoneuraler Hörstörung;

wechselnder Erbgang

(3)

siertem Reflexverlust (58) sind ausge- prägte Sensibilitätsstörungen kenn- zeichnend, schmerzhafte Mißempfin- dungen sind häufig. Pupillenstörun- gen, Skelettveränderungen und ein erhöhtes Liquoreiweiß sind typisch, rezidivierende Verläufe wurden be- schrieben. Der Verlauf der HMSN 3 ist oft rasch progredient, sowohl die Schwere der neurologischen Sympto- matik als auch das Ausmaß der Ske- lettveränderungen führen häufiger zu einer Invalidisierung mit Gehunfähig- keit. Die motorischen Nervenleitge- schwindigkeiten sind auf unter 10 m/s verlangsamt (6, 27). Die Abgrenzung gegenüber entzündlichen Neuropa- thien kann schwierig sein (37, 40).

Morphologisch betrifft die Demyeli- nisierung nahezu alle myelinisierten Nervenfasern. Ihre Dichte ist deutlich reduziert: Zwiebelschalenformatio- nen und endoneurale Kollagenabla- gerungen sind für die ausgeprägte Nervenverdickung verantwortlich (48, 66, 74). Familienuntersuchungen sprachen für einen autosomal rezessi- ven Erbgang. Molekulargenetisch fand sich bisher aber vorwiegend eine

Heterozygotie für Punktmutationen im PMP22- und P0-Gen (Tabelle 2) (32, 64). Da diese heterozygoten Mu- tationen zur Erkrankung führen, muß ein dominanter Erbgang angenom- men werden, so daß die Grenze zur HMSN 1 zunehmend verwischt.

Hereditäre Neuropathie mit Neigung zu

Druckläsionen

Die „hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Druckläsionen“ (here- ditary neuropathy with liability to pressure palsies, HNPP) ist durch ei- ne erhöhte Empfindlichkeit der peri- pheren Nerven gegenüber minimalen mechanischen Traumata gekenn- zeichnet. Klinisch sind rezidivierende Drucklähmungen peripherer Nerven typisch (29, 75). Nach der akut aufge- tretenen Läsion bilden sich die senso- motorischen Ausfälle meist innerhalb von Tagen bis Wochen vollständig zurück, besonders nach wiederholten Traumata können aber auch Rest- symptome persistieren. Schmerzhafte

Sensationen werden nur selten beob- achtet. Die Nervenleitgeschwindig- keit ist in den betroffenen Nerven fo- kal verzögert mit Leitungsblockierun- gen. Darüber hinaus kann die NLG aber distal betont auch diffus vermin- dert sein (3). Morphologisch finden sich neben segmentalen De- und Remyelinisationszeichen typische tomakulöse („würstchenförmige“) Myelinverdickungen. Molekularge- netisch konnte bei bis zu 85 Prozent der Patienten mit HNPP eine Dele- tion desselben Chromosomenab- schnitts nachgewiesen werden, der bei HMSN 1A dupliziert ist (Tabelle 2) (14, 50). HNPP-Patienten sind für die betreffende chromosomale Region damit hemizygot. HMSN 1A und HNPP sind die ersten Erkrankungen beim Menschen, die sich durch Dupli- kation und Deletion zueinander rezi- prok verhalten (67).

Diagnostik und therapeutische Möglichkeiten

Die dargestellten molekularge- netischen Erkenntnisse können vor- wiegend in der Diagnostik eingesetzt werden. Bei der Erstdiagnostik einer HMSN erfolgt entsprechend der kli- nischen und neurophysiologischen Diagnostik zunächst die Zuordnung zu einem Subtyp. Neben der Famili- enanamnese ist hier die NLG der ent- scheidende Parameter. Dabei sind die erwähnten Grenzwerte entscheidend, aber bei der HMSN 1 auch die gleich- mäßige Verzögerung der NLG über alle Nervenabschnitte. Eine segmen- tal sehr unterschiedliche NLG oder sogar eine Leitungsblockierung läßt dagegen eher an eine HNPP oder auch eine chronisch entzündliche Neuropathie (CIDP) denken (16).

Bei Verdacht auf eine HMSN 1 oder HNPP sollte die molekulargeneti- sche Suche nach der 17p11.2 Dupli- kation/Deletion angeschlossen wer- den, noch vor invasiven Untersuchun- gen wie der Nervenbiopsie. Der Nachweis der Duplikation/Deletion kann mittels Southern Blot an extra- hierter DNA (44, 54, 63, 76) oder durch Fluoreszenz-in-situ-Hybridi- sierung (FISH) an Zellkernen erfol- gen (1, 77) (Abbildung 1). Die FISH- A-1277

M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 19, 9. Mai 1997 (53) Tabelle 2

Genetische Einteilung der HMSN

HMSN-Gruppe Erbgang Genlokus Mutation Kandidaten- Gen HMSN 1A AD 17p11.2-12 Duplikation / PM PMP22

HMSN 1B AD 1q22-23 PM P0

HMSN 1C AD unbekannt

HMSN 1 (CMT 4A) AR 8q unbekannt unbekannt

HMSN 1 (CMT 4B) AR 11q23 unbekannt unbekannt

HMSN X XD/XR? Xq13.1 PM Cx32

HMSN X2 XR Xp22.2 unbekannt unbekannt

HMSN X3 XR Xq26 unbekannt unbekannt

HMSN 2A AD 1p35-p36 unbekannt unbekannt

HMSN 2B AD unbekannt

HMSN 2C AR unbekannt

HMSN 2D AD 7p14 unbekannt unbekannt

HMSN 3 AD 1q22-23 PM P0

HMSN 3 AD 17p11.2-12 PM / homozygote PMP22

Duplikation

HMSN 3 AR unbekannt

HNPP AD 17p11.2-12 Deletion PMP22

HNPP AD unbekannt

AD: autosomal dominanter Erbgang, AR: autosomal rezessiv; X: x-chromosomal; PM:

Punktmutation

(4)

Diagnostik erfordert etwa 10 ml hepa- rinisiertes Vollblut, die Southern-Blot Untersuchung 10 ml EDTA-Blut. Die FISH-Analyse ist auch an archivier- tem Biopsiematerial möglich (41).

Beide Techniken erlauben den Nach- weis der HMSN 1A und der HNPP, aber nicht die Analyse von Punktmu- tationen. Die Suche nach diesen Mu- tationen ist wesentlich aufwendiger, da sie in drei Genen (PMP22, P0 und Cx32) erfolgen muß.

Bevor diese Untersuchungen durchgeführt werden, sollten unbe- dingt umfangreiche und aussagekräfti- ge klinische, neurophysiologische und familienanamnestische Angaben vor- liegen. So kann beispielsweise in Fami- lien, in denen eine Übertragung der Krankheit vom Vater auf männliche Nachkommen bekannt ist, ein X-chro- mosomaler Erbgang ausgeschlossen werden und auf eine Sequenzierung des Cx32-Genortes verzichtet werden.

Aufgrund der wesentlich längeren Dauer der Punktmutationsanalyse muß im Einzelfall entschieden werden, ob zum Ausschluß einer entzündlichen Neuropathie zunächst eine Nerven- biopsie durchgeführt werden sollte. In Familien, in denen die Mutation be- kannt ist, kann eine Untersuchung noch asymptomatischer Angehöriger auch im Rahmen einer Pränataldia- gnostik durchgeführt werden. Da eine kausale Therapie dieser Erkrankun- gen nicht möglich ist, eine Beeinflus- sung des Verlaufs in diesem Stadium nur begrenzt erfolgen kann und eine medizinische Indikation zur Schwan- gerschaftsunterbrechung kaum be- steht, kann über die Notwendigkeit dieser Untersuchungen aber gestritten werden (39). In jedem Fall sollte eine solche prädiktive Diagnostik entspre- chend den Richtlinien nur im Rahmen einer eingehenden genetischen Bera- tung erfolgen.

Eine genetische Diagnostik bei HMSN 2 ist derzeit noch nicht erfolg- versprechend, außer bei den wenigen Patienten mit grenzwertig verlangsam- ter NLG (30), bei denen die Mutati- onssuche im Connexin32-Gen sinnvoll sein kann. Neben der Bedeutung der genannten Mutationen für die Diagno- stik ermöglicht die Analyse der durch sie bedingten Erkrankungen Rück- schlüsse auf Funktion und Aufbau des peripheren Myelins. Sollte die zum

Teil sehr unterschiedliche Schwere des klinischen Bildes – bei ähnlichen Mu- tationen – durch zusätzliche Regulati- onsstörungen bedingt sein, könnte sich auch erstmals ein Ansatz zur kausalen Therapie ergeben. Eine solche kausale Therapie der HMSN ist bisher aber nicht möglich. Regelmäßige aktive Physiotherapie ist die wesentliche symptomatische Therapieform, um Muskelkraft und Beweglichkeit mög- lichst lange zu erhalten. Eine zusätzli- che Schädigung durch Muskeltraining muß nicht befürchtet werden (42). Pas- sive Techniken können unterstützend angewendet werden und in plegischen Extremitätenabschnitten Kontraktu- ren vorbeugen. Zusätzliche Schädi- gungen der peripheren Nerven durch mechanische, toxische oder nutritive Einwirkungen müssen vermieden wer- den. Dies gilt besonders, aber nicht nur, für die HNPP. Orthopädische Korrekturen von vorhandenen Fehl- stellungen sollen die Funktion verbes- sern und der Ausbildung weiterer De- formitäten vorbeugen (57). Gegebe-

nenfalls muß frühzeitig eine Versor- gung mit Hilfsmitteln erfolgen.

In memoriam Prof. Dr. Claus Meier (Bern, Walenstadt)

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-1275–1278 [Heft 19]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser Dr. med. Holger Grehl

Neurologische Universitätsklinik Schwabachanlage 6

91054 Erlangen

A-1278

M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT

(54) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 19, 9. Mai 1997

Diagnostische Kriterien der HMSN 1 (modifiziert nach De Visser, 1993) HMSN 1

« langsam progrediente, symmetrische atrophische Paresen, bevorzugt distal an den unteren Extremitäten

¬ deutlich reduzierte motorische NLG (N. medianus <38 m/s), fehlende oder deutlich verkleinerte sensible Nervenaktionspotentiale (SNAP) an den unteren Extremitäten

oder

demyelinisierende Neuropathie in der Biopsie eines sensiblen Nerven

­ Ausschluß einer symptomatischen Neuropathie, insbesondere, wenn keine positive Familienanamnese vorliegt.

mögliche Zusatzsymptome:

1 Sensibilitätsstörungen distal symmetrisch 1 Skoliose

1 tastbar verdickte Nervenstämme 1 Tremor

1 leichte (sensible) Ataxie

Unsere Arbeitsgruppe „Hereditäre Neuropathien“ wird unterstützt von der DFG, der Herbert-Quandt- Stiftung der Varta AG, der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke (DGM) und dem Nationalfonds der Wissenschaften (NFWO), Belgien.

Abbildung 1a: Abschnitt von Chromosom 17 bei einer Normalperson. Grün markiert sind repetitive DNA-Sequen- zen (CMT1A-REP) beiderseits des bei HMSN 1A duplizierten Bereiches, rot markiert wurde der Genort des PMP22.

Abbildung 1b: Abschnitt des Chromosom 17 bei HMSN 1A. Durch die Duplikation bedingt, finden sich vier repeti- tive Elemente (von denen zwei an der Verbindungsstelle zu einem Signal verschmelzen) sowie zwei PMP22-Gene.

Darstellung nach der DNA-release-Technik (modifizierte Fibre-FISH-Technik), Sonden: Cos 132G8, Digoxigenin- markiert; Cos74S4 und 112C10, Biotin-markiert. Anfertigung der Abbildungen: C. Fuchs

1a 1b

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