Zur Fortbildung Aktuelle Medizin EDITORIAL
ABWEHREFFEKTE UND KLINISCH- DIAGNOSTISCHE BEDEUTUNG
DES C-REAKTIVEN PROTEINS
Gerhard Uhlenbruck und Jörg Sölter
In der Immunologie unterscheiden wir spezifische und unspezifische Abwehrmechanismen. Letztere kann man in humorale und zellulä- re (Makrophagen, Natürliche Kil- lerzellen, Polymorphkernige Leu- kozyten) Elemente aufgliedern. Ihr Vorteil ist, daß sie schnell zur Ver- fügung stehen, weshalb man zum Beispiel bei den humoralen Ab- wehrmolekülen auch von „Akute- Phase-Proteinen" spricht. Zu ihnen gehört vor allem das vor über 50 Jahren entdeckte C-reaktive Pro-
tein CRP, welches seinen Namen davon herleitet, daß es mit dem C-Polysaccharid von Pneumokok- ken in Gegenwart von Ca"-Ionen reagiert. Insgesamt kann man die
„Akute-Phase-Proteine" in 3 Gruppen einteilen:
• Coeruloplasmin und die C3-Komponente des Komplement- systems, deren Konzentrationen um die Hälfte ansteigen.
• Eine Erhöhung um das 2- bis 3fache zeigt sich beim a1-sauren Glykoprotein, a1-anti-Trypsin, a1-Antichymotrypsin, dem Hapto- globin und dem Fibrinogen.
Einen Konzentrationsanstieg bis um das 1000fache weisen das C-reaktive Protein (CRP) und das Serum Amyloid A Protein auf, wo- bei das CRP als klassisches Akute- Phase-Protein gilt.
Interessant ist nun die Struktur des CRP: Es besteht im Gegensatz zu den Antikörpern aus 5 zyklisch an- geordneten Untereinheiten zu je 187 Aminosäuren, die über nicht- kovalente Bindungen zusammen- gehalten werden. Das Molekular- gewicht pro Untereinheit beträgt 21 500 Dalton.
Eine ähnliche pentagonale Struktur findet sich im 9,5Sa1-Glykoprotein (= Serum Amyloid P Komponen- te, die auch in Amyloid-Ablage- rungen vorkommen), das auch in der Aminosäuresequenz weitge- hende Ähnlichkeit mit dem CRP aufweist.
Inzwischen hat sich sogar herausge- stellt, daß es eine ganze Familie von solchen Molekülen gibt, die man jetzt allgemein als „ Pentraxi ne" bezeichnet. Hierhin gehört bei- spielsweise auch das „Hamster Fe- male Protein" oder das Limulin aus der Haemolymphe des Pfeil- schwanzkrebses, welches verblüf- fende Ähnlichkeit mit dem CRP aufweist und vor 400 Millionen Jah- ren bereits entstanden sein dürfte.
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s handelt sich mithin nicht nur um einen sehr alten biologischen Mechanismus, sondern auch um ei- nen primitiven, „unspezifischen"Abwehreffekt, obwohl die einzel- nen Pentraxine auch zusätzlich un- terschiedliche biologische Aufga- ben erfüllen können. Grundlage für diese unspezifischen Abwehr- reaktionen sind einige Bindungs- eigenschaften der Pentraxine vom
CRP-Typ, die wegen ihrer klini- schen Relevanz hier kurz aufge- führt seien:
• Die Bindung an Phosphoryl- cholin: Diese Gruppe stellt auch den Rezeptor am C-Polysaccharid der Pneumokokken dar. Da Phos- phorylcholingruppen aber in glei- cher Weise nicht nur bei verschie- denen anderen Bakterien und Mikroorganismen, sondern auch bei einigen Lipiden vorkommen, wird die Bedeutung des CRP als
„clearing-off"-Mechanismus bei Infektionen und akuten Traumen evident.
• Eine Reaktion mit Galaktanen (das sind Galaktose-haltige Poly- saccharide, wie sie insbesondere in Schnecken vorkommen) und mit Galaktose-haltigen bakteriellen Polysacchariden und anderen Ga- laktose-Glykokonjugaten wie Gly- koproteinen und Glykolipiden. Da- mit erhält das CRP den Charakter eines Lektins, das heißt eines Zuk- ker-bindenden Moleküls. Derarti- ge Lektine kommen nicht nur bei Bakterien, Viren und anderen Mi- kroorganismen (Mykoplasmen, Aktinomyzes) vor, um sich damit an Glykokonjugate der Zellober- fläche anzuheften, wie es zum Bei- spiel bei den pyelonephritogenen Bakterien der Fall ist, sondern sie finden sich auch auf menschlichen Zellen (Leber, Makrophagen), wo sie in umgekehrter Weise zur Eli- mination von Glykokonjugat-tra- genden Bakterien beitragen. Auf diese Weise kann man sich sogar die Organotropie bestimmter In- fektionen erklären: Bacteria non agunt, nisi fixata. Im CRP haben wir somit ein lösliches, im Serum schwimmendes Lektin, welches so- zusagen „anti-septisch" wirkt. An- dererseits „neutralisieren" die se-
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zernierten Glykoproteine des Re- spirations- und Magen-Darm-Trak- tes pathogene Bakterien, indem sie mit den bakteriellen Lektinen rea- gieren. Ähnliches bewirkt das • Tamm-Horsfall Uromucoid im Be- reich der ableitenden Harnwege gegenüber pyelonephritogenen Bakterien. Gerade diese lektinolo- gischen Aspekte unspezifischer Abwehr haben zu einer Erweite- rung des Resistenzbegriffs geführt, vor allem da auch genetische Fak- toren (Blutgruppen) eine Rolle spielen.
CRP und CRP-Analoge zeigen weitere recht „unspezifische" Reak- tionen, nämlich eine Reaktion so- wohl mit Polykationen (Histone, Protamine) als auch mit Polyanio- nen (Nukleinsäuren). Man kann al- so annehmen, daß CRP auch bei der Eliminierung solcher Substan- zen eine wichtige Rolle spielt. Dar- über hinaus reagiert CRP noch mit einigen Cuproproteinen. Auch der- artige Substanzen sind in Form der Azurine bei Bakterien bekannt.
Weiterhin lassen zusätzliche Eigen- schaften des CRP, nämlich Kom- plement zu aktivieren und als Op- sonin zu fungieren, vermuten, daß es nicht nur an der Erkennung und Bindung, sondern auch aktiv an der Eliminierung von fremdem Mate- rial beteiligt ist, und so die für den Organismus gefährliche Zeitspanne von antigenem Stimulus bis zum Beginn der spezifischen Immunant- wort überbrücken hilft.
In den letzten Jahren hat sich her- ausgestellt, daß den „unspezifi- schen" Reaktionen der akuten Phase, insbesondere des CRP, im molekularbiologischen Bereich In- teraktionen mit recht spezifischen Gruppen zugrunde liegen; selbst die Polykationen- und Polyanionen-
Reaktivität ist keineswegs nur elektrostatisch zu betrachten, wäh- rend die Lektin-Eigenschaft einen hohen Grad an Spezifität gegen- über ß-glykosidisch gebundener terminaler Galaktose aufweist.
I Inter diesen neuen Gesichts- punkten müssen nun auch die klinischen Aspekte des CRP noch einmal überdacht werden.
Für den Kliniker sind CRP-Bestim- mungen bei folgenden Fragestel- lungen von differentialdiagnosti- scher Bedeutung:
O Allgemeiner Screening-Test auf akut-entzündliche Vorgänge, nicht nur bei scheinbar Gesunden, son- dern auch in der Sportmedizin, wo intensive Ausdauerbelastung zu ei- nem Anstieg von „Akute-Phase- Proteinen" führen kann.
Q Beurteilung des Krankheitsbil- des bei entzündlichen Erkrankun- gen, vor allem des rheumatischen Formenkreises: Rheumatoide Ar- thritis, juvenile chronische Arthri- tis, Morbus Bechterew, Reitersche Erkrankung, Psoriasis arthropathi- ca, Polymyalgia rheumatica, Wege- nersche Granulomatose, Polyarte- riitis nodosa, BeNet-Syndrom, Morbus Crohn, Rheumatisches Fieber und Familiäres mediterra- nes Fieber.
O Diagnose und Beurteilung be- ziehungsweise Behandlungsergeb- nisse bei: Neonataler Septikämie, Meningitis durch Meningokokken (Bestimmung im Liquor!), inter- mittierende Infektionen bei Leuk- ämien und beim Lupus erythema- todes, postoperative Infektionen, Harnwegsinfektionen mit Nieren- beteiligung, Verlaufskontrolle bei Antibiotika-Behandlung.
O Differentialdiagnose entzündli- cher Erkrankungen: Systemischer Lupus erythematodes gegenüber Rheumatoider Arthritis, Morbus Crohn gegenüber Colitis ulcerosa, Bakterien- gegenüber Virus- erkrankungen.
O Weitere diagnostische Möglich- keiten: Beurteilen des Myokard- infarktes (Vergleich mit CPK), vor- zeitiger Blasensprung (Chorio- amnionitis), Appendizitis.
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iese Palette demonstriert, daß Udas CRP bei verschiedenen Er- krankungen aufgrund seiner mul- tiplen Bindungseigenschaften eine wesentliche Rolle im Rahmen unspezifischer Abwehrmechanis- men spielt und daß seine quantitati- ve Bestimmung wieder an diagno- stischem Wert gewonnen hat. Das gilt besonders in Form von Follow- up-Untersuchungen bei infektiösen (postoperativen) Erkrankungen, bei der Rheumatoiden Arthritis, beim Myokardinfarkt, bei Traumen und bei Malignomen.Literatur
Kushner, I., Gewurz, H., Benson, M. D.: C- reactive protein and the acute-phase response, J.
Lab. Clin. Med. 97 (1981) 739 — Pepys, M. B.: C- reactive protein fifty years on, Lancet I (1981) 653
— Uhlenbruck, G., et al.: Neue Reaktions- mechanismen des C-reaktiven Proteins (CRP) und verwandter Proteine, J. Clin. Chem. Clin. Bio- chem. 19 (1981) 1201
Anschrift der Verfasser:
Professor Dr. med.
Gerhard Uhlenbruck Diplombiologe Jörg Sölter Medizinische
Universitätsklinik Köln Joseph-Stelzmann-Straße 9 5000 Köln 41
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