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Archiv "Die Bedeutung von Lektinen für den Adhäsionsmechanismus von Bakterien" (04.02.1983)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 5 vom 4. Februar 1983

Die Bedeutung von Lektinen für den Adhäsionsmechanismus von Bakterien

Gerhard Uhlenbruck, Rudolf Gross, Olaf M. Koch und Chun-Kyung Lee

Aus der Abteilung für Experimentelle Innere Medizin (Leiter: Professor Dr. med. Gerhard Uhlenbruck) der Universität zu Köln

und der Medizinischen Universitätsklinik Köln (Direktor: Professor Dr. med. Rudolf Gross)

Ein bislang noch nicht hin- reichend gewürdigter Patho- genitätsfaktor von Bakterien ist die Gegenwart von Lekti- nen an deren Zelloberflä- chen. Diese Eiweißkörper, die man auf einer ganzen Anzahl von Bakterien gefun- den hat, sind in der Lage, sich mit hoher Affinität an Kohlenhydratrezeptoren des Wirtsgewebes, zum Beispiel an die kohlenhydratreichen Oberflächen der Urothelien oder des Bronchialtraktes, zu binden. Lektine ermögli- chen die intrazelluläre Auf- nahme von metabolisierba- ren Mono- und Oligosaccha- riden als Energieträger, und sie bedingen in einem ent- scheidenden Maße die Orga- notropie der Infektion, wie sie bei vielen Infektionser- krankungen zu finden ist.

Trotz Entdeckung der „Bak- teriohämagglutinine" vor genau 80 Jahren sind erst jüngst hochgereinigte Lekti- ne beschrieben worden. Daß Bakterien rote Blutkörper- chen agglutinieren können, ist seit 30 Jahren bekannt.

Definition der Lektine

Lektine (L) sind Zucker-(Z-)bin- dende Makromoleküle von Prot- ein- oder Glykoproteincharakter, welche mit bestimmten Kohlenhy- dratstrukturen in spezifischer Wei- se nach Art einer Antigen-Antikör- per-Reaktion reagieren, obwohl keinerlei Verwandtschaft zu den Immunglobulinen besteht:

L + Z LZ

bzw. L + 4 Z ± LZ 4 (Formel 1) Sie kommen bei Viren, Bakterio- phagen und anderen Mikroorga- nismen vor, aber auch bei Pflan- zen (inklusive Schwämmen und Algen), Avertebraten und bei Ver- tebraten, und zwar sowohl in lösli- cher Form als auch in Form fest integrierter Membranbestandteile (Formel 1).

Lektine binden (sich an) alle Gly- kokonjugate, welche den für sie spezifischen Zuckeranteil tragen, ob das nun Kohlenhydratstruktu- ren zellulärer Partikel ((Z)) sind (Agglutination, Formel 2) oder lös- liche Glykoproteine, Glykolipide oder Polysaccharide (=Z=), was zur Präzipitation führt (Formel 3):

L + 2 (Z)-, (Z)-L-(Z) (Formel 2) L + 2

(Formel 3) Wenn Lektine aber selbst inte- grierte Membranbestandteile sind ((L)), so kann durch Zugabe von (Z) eine Art Mischzellagglutination entstehen oder eine Rosettenbil- dung entsprechend Formel 4:

2 (L) + 2 (Z) ----> (L)-(Z)-(L)-(Z) (Formel 4) Benutzt man aber in diesem Sy- stem =Z=, dann entsteht eine Re- zeptor-Agglutination gemäß For- mel 5:

2 (L) + (L)=Z=(L)

(Formel 5) Alle diese Vorgänge sind durch die spezifischen Zucker hemmbar.

Ist dies nicht der Fall, dann han- delt es sich meist um mehrere Lek- tine (L 1 , L2, L3) und mehrere Re- zeptoren (Z 1 , Z2, Z3, usw.).

Gerade im Rahmen der Lektinfor- schung, die sich mit der Struktur

Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.

Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 5 vom 4. Februar 1983 27

(2)

Bakterienname Inhibitor Enterobakterien

Escherichia coli

Salmonella typhi

Salmonella typhi murium Citrobacter freundii Citrobacter diversus Klebsiella pneumoniae Serratia marcescens Proteus morganii

Laktose, Mannose, Galaktose, Glu- kose (a-Glykosid.), Maltose, Melibio- se, N-Acetyl-Galaktosaminyl-E3-(1-4)- Galaktose

Mannose

Mannose, Galaktose Mannose

Mannose Mannose Mannose Mannose Pseudomonas

Pseudomonas aeruginosa Mannose, Galaktose,

Aeromonas hydrophilia Fukose, Mannose, Galaktose Streptococcus

Streptococcus pyogenes Galaktose Streptococcus mutans Galaktose Streptococcus sanguis Laktose Actinomyces

Actinomyces viscosus Laktose, Galaktose Actinomyces naeslundii Laktose

Verschiedene

Staphylococcus aureus (Toxin)

Corynebacterium diphtheriae (Toxin)

Vibrio cholerae (Toxin)

Neisseria gonorrhoeae Chlamydia psittaci Streptomyces Sp

Fusobacterium nucleatum Myxococcus xanthus

Mycobacterium smegmatis

N-Acetyl-Glukosamin, N-Acetyl-Galaktosamin Mannose,

N-Acetyl-D-G I u kosam i n Galaktose, Laktose,

N-Acetyl-Galaktosamin, Ganglioside (GIV1 1)

D-Galaktose

N-Acetyl-D-G I u kosam i n

L-Fukose, L-Rhamnose, D-Galak- tose

N-Acetyl-Neuraminyl-(2--,3)-ß-D-Ga- laktopyranosyl-(1—.3)-N-Acetyl-Ga- laktosaminyl-Protein

Glukose (a-Glykosid.) Tabelle 1: Lektine bei verschiedenen Bakterien

ur Fortbildung , Aktuelle Medizin Bakterielle Lektine

und Wirkungsweise sowie mit der Funktion und Bedeutung der Lek- tine beschäftigt, ist zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Be- griff des „Rezeptors" und dessen Klärung notwendig.

Lektin-„Rezeptoren"

Die Kohlenhydratgruppen, oft nicht-reduzierend terminal gebun- dene Mono- bzw. Disaccharide, aber auch Kohlenhydrate inner-

halb einer Zuckerkette, mit denen die Lektine reagieren, werden als Lektin-Rezeptoren bezeichnet.

Dieser Rezeptorbegriff geht auf Burnet zurück, der ihn zuerst beim Influenzaviruslektin anwandte, ei- nem Hämagglutinin, welches mit terminaler N-Acyl-Neuraminsäure reagierte, die wiederum durch ein

„Receptor-destroying-enzyme"

abgespalten werden konnte (Neu- ramin idase).

Ähnlich haben auch die bakteriel- len Lektine meist ihren Rezeptor an der Oberfläche der Wirtszell- membran. Sie können jedoch durch lösliche Glykokonjugate, z. B. Glykoproteine mit denselben Rezeptoren, neutralisiert bzw. die Bakterien können abgefangen werden, ganz analog der Hämag- glutinations-Hemmwirkung von sezernierten Glykoproteinen ge- genüber Influenzaviren (2, 3)*).

Daneben gibt es den Rezeptorbe- griff, wie er im Zusammenhang mit seiner Seitenkettentheorie von

Paul Ehrlich geprägt wurde.

Diese Vorstellung läßt sich auf die membranintegrierten Lektine an- wenden, das heißt auf Lektine, wie sie beim Menschen in der Leber, Niere, Lunge und im gesamten re- tikuloendothelialen System vor- kommen.

Sie dienen hauptsächlich der Eli- mination „fremder" Zellen oder Glykokonjugate, auch bakteriellen Ursprungs.

Leberlektine auf Hepatozyten (4) und auf Kupfferschen Sternzellen binden gealterte Erythrozyten und Plasmaproteine und entfernen sie aus der Zirkulation.

Lektine im retikulohistiozytären System, auf der Plasmamembran von Makrophagen und als lösliche Proteine im Informationsaus- tausch zwischen Leukozytenpo- pulationen (z. B. der „migration inhibition factor") sind wichtige Faktoren für die Phagozytose (5) und unspezifische Immunabwehr.

(3)

Chemotaxis für Bakteriophagen-

Kohlenhydrate Rezeptoren

(Salmonellen, E.coli) (E.coli)

Kohlenhydrat- Aufnahme (Carrier 1 Systeme) (E.coli)

Symbiose und Plaquebildung

• (orale Actinomyceten und Streptokokken)

Adhäsion an Glyko- Toxinwirkung

konjugate (Wirtszelle) (Vibrio cholerae)

Darstellung 1: Verschiedene Wirkungsweisen bakterieller Lektine

Zur Fortbildüng Aktuelle Medizin Bakterielle Lektine

Bakterielle Lektine

und ihre praktische Bedeutung Trotz Entdeckung der „Bakterio- hämagglutinine" vor genau 80 Jahren sind erst in jüngster Zeit hochgereinigte Lektine bei einer ganzen Anzahl von Bakterien be- schrieben worden: Eine Auswahl ist in Tabelle 1 wiedergegeben.

Der Tabelle sind die Spezifitäten zu entnehmen, die in den meisten Fällen in einem Hämagglutina- tionstest bestimmbar sind.

Es war nämlich schon seit den fünfziger Jahren bekannt, daß Bakterien rote Blutkörperchen ag- glutinieren können, und zwar mit Hilfe sogenannter Fimbriae oder Pili, wie sie heute auch genannt werden. Diese Pili bzw. Fimbrien sind dicht besetzt mit bakteriellen Lektinen, welche die Agglutina- tion oder Adhäsion vermitteln und die deshalb auch als Adhäsine be- zeichnet werden (Darstellung 1).

Es ist daher nicht verwunderlich, daß man heute sogar blutgruppen- spezifische Adhäsine kennt, die für die Epidemiologie Bedeutung haben können. In noch unveröf- fentlichten Versuchen haben wir festgestellt, daß sich die Diagno- stik von Bakterien mit Adhäsinen und die Feststellung ihrer Spezifi- tät durch zusätzliche Hämaggluti- nationsteste beträchtlich erwei- tern lassen:

1. durch Benutzung Neuraminida- se-behandelter Erythrozyten, 2. durch eine Proteasebehand- lung von Erythrozyten, wodurch zusätzliche Rezeptoren freigelegt werden und auch die Ladung ver- mindert wird, und

3. durch die Erweiterung des Ag- glutinationsspektrums durch Ver- wendung von normalen und En- zym-behandelten tierischen Ery- th rozyten.

In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß viele Bakterien, welche eine Neuraminidase ha- ben, diese sozusagen als ein „re-

ceptor-enhancing enzyme" für ihr Lektin bzw. Adhäsin einsetzen können, indem weitere Rezepto- ren freigesetzt werden, so daß der Infektionsradius erheblich vergrö- ßert wird. Das gleiche gilt für bak- terielle Proteasen, welche Adhä- sinrezeptoren (z. B. Glykolipide) auf der Zellmembran freilegen können.

Außerdem bedingt die Spezifität bakterieller Lektine eine gewisse Organophilie der infektiösen Mi- kroorganismen. Umgekehrt kann aber auch eine Schädigung oder Veränderung der Zellmembran im Verlauf anderer (viraler) Infektio- nen Rezeptoren für Adhäsine zer- stören oder neu entstehen lassen, ein Vorgang, der ebenfalls auf Tu- morzellmembranen durch eine Al- teration des Rezeptorenmosaiks stattfinden kann.

Diese Zusammenhänge haben demnach nicht nur für „Super-In- fektionen" eine Bedeutung, son- dern könnten sogar dazu führen, daß man Tumorzellen durch Bak- terien, die mit spezifischen Anti- tumorlektinen ausgestattet sind, durch eine Infektion erfolgreich angreifen kann.

Für die bakteriellen Lektine lassen sich eine Reihe von verschiedenen biologischen Funktionen postulie- ren (Darstellung 1). Lektine sind

bei Escherichia coli und auch bei Salmonella typhi murium (6) die chemotaktischen Rezeptoren für Kohlenhydrate, die für das Bakte- rium wichtige Energieträger sind;

sie haben aber auch eine Carrier- Funktion, denn sie ermöglichen die intrazelluläre Aufnahme von Zuckern. Es werden nicht nur Mo- nosaccharide wie Glukose oder Galaktose internalisiert, sondern auch längerkettige Kohlenhydrate, Disaccharide wie Melibiose, Mal- tose oder Oligosaccharide aus a- glykosidisch gebundener Gluko- se. Diese Mechanismen sind am besten für Escherichia coli unter- sucht, wobei hier das Lektin, das die Metabolisierung von Malto- dextranen erlaubt, dem Bakterium auch zum Verhängnis Werden kann, da es ebenfalls den lytisch wirkenden Lambda-Phagen in die Zelle einschleust (7).

Lektine

als pathogenetische Faktoren Die Bedeutung der Lektine als pathogenetisch wichtige Faktoren wurde bisher unterschätzt. Es ist wahrscheinlich, daß bei Fehlen von Lektinen eine Anheftung von Bakterien an das Wirtsgewebe sehr erschwert ist, wobei die Ad- häsion zumeist die Voraussetzung für eine Infektion ist. Ferner konn- te gezeigt werden, daß Chlamydia Ausgabe A DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 5 vom 4. Februar 1983 29

(4)

Abbildung la: Reaktion des fluoreszenzmarkierten Lektins aus Pseudomonas aerugi- nosa mit einem Gewebeschnitt der Rattenlunge

Abbildung 1 b: Reaktion des fluoreszenzmarkierten Lektins aus Pseudomonas aerugi- nosa mit dem Tubulusapparat der Rattenniere

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Bakterielle Lektine

psittaci, der Erreger von atypi- schen Pneumonien beim Men- schen, mit seinem Lektin mit ei- nem N-acetyl-D-Glukosamin-halti- gen Rezeptor auf dem Fibrobla- sten reagiert. Blockiert man den Fibroblastenrezeptor mit einem pflanzlichen Lektin, so kann die Chlamydie sich nicht mehr anhef- ten oder aber es können bereits adhärierte Bakterien wieder durch Zugabe von N-acetyl-D-Glukos- amin aus der Bindung mit der Zel- le verdrängt werden.

Aus den Urothelien des Nieren- beckens und der Harnleiter wurde ein Galaktose-haltiges Glykopro- tein isoliert, das den eigentlichen

Rezeptor für die Reaktion von Escherichia coli mit dem Gewebe darstellt (8). Die Oligosaccharid- ketten erwiesen sich als immuno- gene Bestandteile des Blutgrup- pensystems P. P1-Individuen, die in ihren Urothelien den Disaccha- ridrezeptor 07D-Galaktopyranosyl- (1-4)(3-D-Galaktopyranose haben, scheinen dabei wesentlich emp-

fänglicher für eine Infektion mit Escherichia coli zu sein als Indivi- duen des Systems p, das diesen Rezeptor nicht aufweist. Auch bei P1 -Urothelien gelang es in vitro, die Anheftung des Bakteriums durch Zugabe des synthetisierten Disaccharids der genannten Struktur zu unterdrücken.

Ebenso wie Escherichia coli, das für die meisten Pyelonephritiden der Erreger ist, verfügt Pseudomo- nas aeruginosa über ein Mannose- (9) und Galaktose-spezifisches Lektin. Aus unseren eigenen Un- tersuchungen sieht man in den Abbildungen la und 1 b die Reak- tion des galaktophilen Lektins aus Pseudomonas aeruginosa mit ei- nem Gewebeschnitt aus Ratten- lunge bzw. Rattenniere. Die Bin- dung des gereinigten bakteriellen Lektins an das Gewebe läßt sich durch Zugabe von Galaktoselö- sungen vollständig inhibieren.

Schematisch sind diese Verhält- nisse in Darstellung 2 verdeutlicht:

In A dienen Lektine der Wirtszellen zur Anheftung, in C solche der Bakterien, während in B ein Mischtyp der Bindung vorliegen kann. Der Vorgang kann durch

„inkomplette" Lektine oder Zuk- ker () gehemmt werden, wäh- rend die Bakterien selbst durch analoge Lektine (E) bzw. lösliche Glykokonjugate (F) agglutiniert werden können, wie das schon in den Formeln (2) und (5) zum Aus- druck gebracht worden ist. Bei Fehlen oder (enzymatischer) Zer- störung des Rezeptors (D) kann keine Infektion eintreten.

Neue Impulse

in der Kariesforschung

Obwohl viele Einzelfaktoren in der Pathogenese der Kariesentste- hung noch unklar sind oder nicht in eine einzelne Kausalkette einge- ordnet werden können, ist die kohlenhydratreiche Nahrung als Hauptursache der Zahnkaries weitgehend akzeptiert. Bekannter- maßen spielen dabei nicht nur Mo- nosaccharide wie Glukose (Tra

(5)

Y

B

F

< = reaktiver Bereich des Lektins = Kohlenhydrat-Rezeptor

Darstellung 2: Verschiedene Adhäsionsmechanismen von Bakterien durch Lektine und Möglichkeiten ihrer Hemmbarkeit

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Bakterielle Lektine

benzucker) oder Disaccharide wie Saccharose (Raffineriezucker, z. B. in Bonbons), sondern auch höherkettige Kohlenhydrate eine Rolle. Ebenso als allgemein ak- zeptiert gilt, daß die Zahnplaque- bildung eine wichtige Vorstufe der Erkrankung ist. Man hat herausge- funden, daß die Lektine der bakte- riellen Plaqueflora Belagbildung wahrscheinlich einleiten. Kurz- oder längerkettige Kohlenhydrate sind dabei Kofaktoren, über die brückenartig eine Aggregation mehrerer Lektin-tragender Bakte- rien stattfindet (10).

Es ist interessant, daß Streptococ- cus sanguis, der in Dentalplaques zu finden ist, ohne Gegenwart von Saccharose nur sehr beschränkt die Fähigkeit besitzt, sich an glatte Oberflächen (Glas, Zähne) anzu- heften. Daß bei diesem Phänomen Lektine involviert sind, darf mit großer Wahrscheinlichkeit ange- nommen werden (11). Kohlenhy- dratreicher Nahrung dürfte somit eine dreifache Bedeutung bei der Entstehung der Zahnfäule zukom- men: als metabolische Vorstufen der Säurebildung durch die Mund- flora, als Faktoren für die Koag- gregation von Bakterien in der Mischbesiedlung der Zahnplaques und bei der Adhäsion pathogener Bakterien an physiologisch glatte Oberflächen (Zahnschmelz). Auch die „Muzine" des Speichels bzw.

seine Glykoproteine spielen eine entscheidende Rolle bei der Bin- dung von Bakterien über deren Bakterienlektine.

Toxische Lektine

In manchen Fällen sind bakterielle Lektine mit deren Toxinen iden- tisch. Bekannte Beispiele sind das durch Bakteriophagen vermittelte Diphtherietoxin und das Enteroto- xin aus Vibrio cholerae (12).

Die intrazelluläre Aufnahme des Diphtherietoxins wird über einen N-acetyl-D-Glukosamin-haltigen Rezeptor vermittelt. Die für die Bindung an das Kohlenhydrat der Wirtszelle zuständige Lektinkom- ponente liegt dabei auf dem Frag-

ment B des Toxins, wogegen Frag- ment A nach Einschleusung in die Zelle durch Aufnahme von ADP- Ribose in die Peptidyltransferase II die lebensnotwendige Proteinsyn- these blockiert. Das ungiftige Lek- tin Con A, das mit demselben Zuk- ker wie das Diphtherietoxin rea- giert, ist in der Lage, die Euka- ryontenzelle durch Absättigung des Rezeptors vor der Aufnahme des Toxins zu bewahren (13).

Das Toxin der Choleravibrionen ist ein komplettes, agglutinierendes Lektin, das spezifisch mit dem Kohlenhydratanteil des Ganglio- sids GM1 in der Darmschleimhaut reagiert (12). Auch beim Cholera- toxin ist das Prinzip verwirklicht, daß die für die Bindung notwendi- ge Lektinkomponente nicht mit dem für die Toxizität zuständigen Proteinabschnitt identisch ist. Die beiden funktionellen Zentren lie- gen auf unterschiedlichen Poly- peptidketten. Nach der Reaktion mit den Gangliosiden der Mukosa wird die Adenylatcyclase aktiviert, so daß eine aktive Sekretion von Wasser und Elektrolyten ins Darm- lumen bewirkt wird. Die Bindung des Choleratoxins an die Schleim-

haut ist durch das GM1 vollständig und durch Galaktose zumindest größtenteils inhibierbar.

Ob sich hieraus therapeutische Konsequenzen in der Form erge- ben werden, daß die kombinierte Verabreichung von Antibiotika zu- sammen mit orthograden Darm- spülungen mit Galaktose-haltigen Elektrolytlösungen zu einer Disso- ziation des Toxins vom Rezeptor und zu einer Abtötung der Vibrio- nen führt, bleibt zumindest einen klinischen Versuch wert, ebenso wie die Gabe von Erdnüssen, wel- che auch ein Lektin enthalten, das mit GM1 reagiert und den Rezep- tor blockieren kann.

Prospektive

klinische Konsequenzen

Die Bedeutung von Lektinen bei der Pathogenese bakterieller In- fektionen stellt einen heute noch nicht in vollem Umfang zu über- schauenden Faktor dar. Es ist be- merkenswert, daß den Lektinen bei der Infektion eine Anzahl sehr verschiedenartiger Funktionen zu- kommt (14). Diese reichen von Chemotaxis-Proteinen, zu finden Ausgabe A DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 5 vom 4. Februar 1983 31

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Zur Foitbildung Aktuelle Medizin Bakterielle Lektine

bei Salmonella und Escherichia coli, von Carrier-Proteinen für metabolisierbare Kohlenhydrate (wie bei E. coli) über Anheftungs- vermittler (orale Aktinomyceten und Streptokokken bei der Karies- entstehung) bis hin zu den hoch- potenten bakteriellen Toxinen vom Typ des Cholera- und des Diphtherietoxins.

Obwohl ohne diese Lektine in vie- len Fällen eine Infektion gar nicht möglich sein dürfte, da das Bakte- rium sich weder anheften noch ei- nen Metabolismus aufbauen kann, und obwohl ferner, wie bei Vibrio cholerae und Corynebacterium diphtheriae, ohne die Lektin-To- xin-Wirkung der Pathogenitätsfak- tor entfällt, ist es bislang noch nicht gelungen, durch eine geziel- te pharmakologische Störung die- ser Mechanismen eine antiinfek- tiöse Therapie zu betreiben. Es bleibt aber zu hoffen, daß - künftig eine neue Gruppe antibiotisch wir- kender Pharmaka gefunden wird, welche entweder die Bildung oder das Funktionieren der für die In- fektion notwendigen Lektine un- terbindet.

Außerdem spielen bakterielle Lek- tine bei dem Pilus-induzierten Genaustausch zwischen Bakterien eine entscheidende Rolle.

In diesem Zusammenhang ist er- wähnenswert, daß man auch in umgekehrter Weise mit pflanzli- chen, tierischen, aber auch mit bakteriellen Lektinen die verschie- denen Zuckerstrukturen von Bak- terienoberflächen „abtasten"

kann, was nicht nur zu einer zu- sätzlichen Klassifizierung dieser Mikroorganismen führt, sondern die Möglichkeit eröffnet, mit Hilfe der Lektin-Affinitätschromatogra- phie einzelne Bestandteile der Bak- terienzellmembran zu isolieren.

Literatur beim Sonderdruck Anschrift für die Verfasser:

Professor Dr. med.

Gerhard Uhlenbruck

Medizinische Universitätsklinik Kerpener Straße 15

5000 Köln 41

FÜR SIE GELESEN

Erhöhtes Leukämierisiko nach Behandlung

des Ovarialkarzinoms mit alkylierenden Substanzen

Bei der Beurteilung der leukämo- genen Potenz alkylierender Zyto- statika ist die Langzeitbeobach- tung von Patienten mit Ovarialkar- zinomen von besonderer Bedeu- tung, da hier keine intrinsische Prädisposition zur akuten Leuk- ämie vorliegt. Greene und Mitar- beiter haben Daten von fünf nord- amerikanischen Studien zur Be- handlung des Ovarialkarzinoms zusammengetragen. Von 1399 Frauen waren 998 in ,verschiede- nen Stadien des Ovarialkarzinoms mit alkylierenden Substanzen behandelt worden. Von diesen er- krankten 12 an einer akuten nicht- lymphatischen Leukämie (ANLL) bei einer statistisch erwarteten An- zahl von 0,11. Die an ANLL er- krankten Patienten waren über ei- nen längeren Zeitraum mit größe- ren Dosen Melphalan (10) bzw.

Chlorambucil (2) behandelt wor- den. Die Dauer vom Behandlungs- beginn bis zum Auftreten der ANLL betrug 27 bis 83 Monate. In 10 Fällen ging eine präleukämi- sche Phase voraus. Alleinige oder in Kombination mit der Chemothe- rapie durchgeführte Radiothera- pie beeinflußte das Leukämierisi- ko nicht erkennbar. Nach Ansicht der Autoren sollte dieses Ergebnis den Einsatz der genannten Sub- stanzen bei der Behandlung des Ovarialkarzinoms nicht verhin- dern, da ein eventueller, keines- wegs sicherer, später Tod an Leukämie einem sicheren frühen Tod am Ovarialkarzinom vorzuzie- hen sei. Es sollten jedoch Konse- quenzen gezogen werden bei der Konzeption von adjuvanten Thera- piestudien, bei denen ein größerer Anteil Langzeitüberleber zu erwar- ten ist. Hrm

Greene, M. H., et al.: Acute Nonlymphocytic Leukemia after Therapy with Alkylating Agents for Ovarian Cancer: A Study of Five Ran- domized Clinical Trials, N. Engl. J. Med. 307 (1982) 1416-1421, Environmental Epidemiolo- gy Branch, National Cancer Institute, Landow 4C-18, Bethesda, MD 20205

Intrauterinpessar führt unter Umständen zu einer Steigerung der Spontanaborthäufigkeit

Sind bei der Diagnose „Schwan- gerschaft" die Fäden eines In- trauterinpessars (IUP) im Zervikal- kanal sichtbar, so ist der IUP zu entfernen. Dafür gibt es zwei Gründe:

1. Die Spontanaborthäufigkeit steigt von 20 Prozent auf 55 Pro- zent, wenn das IUP belassen wird, und

2. besteht ein erhöhtes Infektions- und Sepsisrisiko.

Sind die Fäden nicht mehr sicht- bar, so kann der IUP belassen wer- den; wegen des hohen Risikos für Mutter und Kind ist die Patientin jedoch genau aufzuklären. Besser ist auch hier die Entfernung unter hysteroskopischer Kontrolle. Da- bei kann beurteilt werden, ob die Gravidität erhalten werden kann oder nicht. Fieberhafte Verläufe oder Komplikationen wurden nicht beobachtet. In vielen Fällen ist die Schwangerschaft zu erhal- ten. Eine sorgfältige Überwa- chung im Sinne einer Risikogravi- dität ist jedoch erforderlich. See

Schweppe, K. W.; Wagner, H.; Beller, F. K.: Zur Diagnostik und Therapie okkulter Intrauterin- pessare bei eingetretener Schwangerschaft, Gebh. u. Frauenheilk. 42 (1982) 829-832, Univ.-Frauenklinik Münster, Domagkstr. 11, 4000 Münster

Ergänzende Mitteilung

Aktuelle Fragen der Hygiene

Bei der Veröffentlichung des Edi- torials „Aktuelle Fragen der Hygie- ne", Heft 48/1982, Ausgaben A, B und C, Seite 38 ff., ist der Name des Zweitautors nicht genannt worden. Autoren der Arbeit sind

Professor Dr. med. Hans-Werner Schlipköter und Professor Dr.

med. Ludwig Grün, beide Institut für Hygiene der Universität Düssel- dorf, Gurlittstraße 53. DÄ

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Aufgrund der bereits erwähnten Kohlenhydrat-Bindungsspezifi- tät gewinnen die Lektine in markierter Form (FITC- oder Peroxidase-konjugiert) auch zunehmende Bedeutung für

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