Bericht und Meinung Psychiatrie und „Ideologie"
Existierenmüssens in einem schi- zophrenen Wahn, die Qual des Verlustes der Ich-Identität in schi- zophrenen Beeinflussungserleb- nissen, das Trommelfeuer be- schimpfender Stimmen bei schi- zophrenen Halluzinationen und die vernichtende Gott- und Welt- verlassenheit in der endogenen Depression sind Erschütterungen der menschlichen Existenz, die den Arzt gebieterisch zum Han- deln veranlassen müssen.
Soll der Psychiater künftig keine neuroleptischen und thymolepti- schen Psychopharmaka mehr an- wenden dürfen, nachdem der
„Spiegel" ex cathedra festgestellt hat, daß „Pillen in der Psychiatrie sanften Mord" bedeuten? Es muß befürchtet werden, daß psychisch Kranke und ihre Angehörigen durch den "Spiegel - -Artikel in höchst gefährlicher Weise verun- sichert worden sind.
Die in dem Artikel aufgerührten antipsychiatrischen Affekte wer- den, so muß erwartet werden, die psychiatrische Hilfe weiter er- schweren. Wie die Verfasser mit dieser Verantwortung leben wol- len, ist nicht ersichtlich; es besteht überreichlicher Anlaß zu der trost- losen Vermutung, daß sie diese Verantwortung nicht einmal gese- hen haben.
Der Psychiater weiß um die Er- kenntnis- und Praxismängel sei- nes Faches, er bemüht sich, wie andere Ärzte auch, um Verbesse- rungen. Denunziationen nach Art des „Mord-Artikels" im „Spiegel"
sind dabei nicht hilfreich.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Kurt Heinrich Direktor
der Psychiatrischen Klinik der Universität Düsseldorf Mitglied des
Bundesärztekammer- Ausschusses
Psychiatrie, Psychotherapie, Psychohygiene
Bergische Landstraße 2 4000 Düsseldorf 12
NACHRICHTEN
Ersatzkassen:
Inanspruchnahme von Früherkennungs-
Untersuchungen sank
Nach der zunächst stetig gestiege- nen Inanspruchnahme der gesetz- lichen Früherkennungsmaßnah- men durch die Ersatzkassen-Ver- sicherten während der Jahre bis 1977 verzeichneten die sieben An- gestellten-Ersatzkassen 1978 erst- mals einen leichten Rückgang.
Nach den jetzt vorliegenden Zah- len lag die Quote der anspruchs- berechtigten Frauen, die von den Vorsorgemöglichkeiten Gebrauch machten, bei 50,8 Prozent; ein Jahr zuvor waren es noch 52,2 Prozent gewesen. Von den an- spruchsberechtigten Männern gingen im Berichtsjahr 26,6 Pro- zent zur Krankheitsfrüherken- nungsuntersuchung (gegenüber 27,8 Prozent im Jahr 1977). Bei den Arbeiter-Ersatzkassen betru- gen die entsprechenden Quoten:
Frauen 59,6 Prozent (1977: 61,4 Prozent), Männer 24 Prozent (24,8 Prozent).
Wie der Verband der Angestellten- Krankenkassen und Arbeiter-Er- satzkassen, Siegburg, mitteilte, liegen die Inanspruchnahmequo- ten dennoch deutlich über dem Durchschnitt der gesamten ge- setzlichen Krankenversicherung.
Hier wurde für die Frauen eine Quote von 35 Prozent (35,7 Pro- zent) und für Männer von 17,3 Pro- zent (18 Prozent) ermittelt. EB
Der Alkoholkonsum durch Frauen und Jugendliche nimmt zu
Etwa 1,5 Millionen Bundesbürger (ab 14 Jahren), das sind drei Pro- zent der Gesamtbevölkerung, trin- ken mehr Alkohol, als sie physisch und psychisch verkraften können.
Alkoholkrank sind 330 000 Men- schen in der Bundesrepublik. Das ergab eine Untersuchung, die im Auftrag der Hersteller alkoholi- scher Getränke von Wissenschaft-
lern im „Arbeitskreis Alkohol"
durchgeführt wurde.
Insbesondere der Alkoholmiß- brauch bei Jugendlichen gibt An- laß zur Sorge. Von 2,6 Millionen heranwachsenden Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jah- ren trinken 216 000 zuviel Alkohol.
7 Prozent der 18- bis 21 jährigen, das sind 250 000 junge Menschen.
betreiben Alkoholmißbrauch. Von Jugendalkoholismus könne man, so meinen die Verantwortlichen der Untersuchung, dennoch nicht sprechen, da damit „eine gan- ze Generation negativ etikettiert würde".
Frauen trinken zwar immer noch weniger Alkohol als Männer, ihr Anteil am gesamten Alkoholkon- sum ist jedoch gestiegen. Bereits 11 Prozent aller „Starktrinker"
und 9 Prozent der Alkoholkranken sind Frauen. Den zunehmenden Alkoholmißbrauch bei Frauen führt der „Arbeitskreis Alkohol - auf die steigende „Rollenverunsi- cherung" der Frau zurück. 33 Pro- zent der Hausfrauen, die über- durchschnittlich viel Alkohol kon- sumieren, sind unzufrieden mit ih- rer Situation. „Chronische subde- pressive Verstimmungen, die sich im Gefühl der Sinnlosigkeit der ei- genen sozialen Funktion und Si- tuation manifestieren", begünsti- gen laut Untersuchung die Hin- wendung zum dauernden Alkohol- konsum bei Frauen. Dennoch sei Frauenalkoholismus, erklären die verantwortlidhen Wissenschaftler im „Arbeitskreis Alkohol", auch hier wiederum noch kein gesell- schaftlich relevantes Problem.
Die Schuld für den Alkoholismus geben 65 Prozent der vom „Ar- beitskreis Alkohol" befragten Bundesbürger der Umgebung des Trinkers. Die Willensschwäche des einzelnen betrachten 92 Pro- zent der Befragten als Ursache für den Alkoholismus. Daß ein Abbau der Werbung für alkoholische Ge- tränke den Alkoholmißbrauch stoppen könnte, glaubt die Mehr- zahl der Befragten (72 Prozent) nicht. Hä
1014 Heft 16 vom 17. April 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT