V A R I A
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 28–29½½½½16. Juli 2001 AA1903
David Hockney
Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz
Die bisher umfassendste Ausstellung des malerischen Werks David Hockneys ist zurzeit in Bonn zu sehen.
A bigger Grand Canyon, 1998 Feuilleton
D
avid Hockney sagte zu Beginn seiner Karriere 1962: „Ich male, was mir gefällt, wann es mir gefällt und wo es mir gefällt“. Dieser wohl meistzitierte Satz könn- te den inzwischen 63-jährigen Künstler als Prototyp einer Spaßgesellschaft erscheinen lassen. In der Tat wurde ihm in seiner 40-jährigen Karriere oft der Vorwurf der Ober- flächlichkeit gemacht. Zuge- geben, seine Themen sind nicht unbedingt tiefsinnig: Er malte in den 60er-Jahren, nachdem er vom kühlen nordenglischen Bradford ins warme Kalifornien umgesie- delt war, das, was er dort sah und lieben lernte: junge Män- ner im Schwimmbecken unter blauem Himmel, Beverly- Hills-Hausfrauen vor Haus- und Gartenidylle oder Rasen- sprenger – banaler Alltag.Dabei machte er seine Ho- mosexualität ebenso gelassen zum Bildthema wie Mitte der 90er-Jahre seine beiden Dackel Stanley und Boodgie, denen er eine Werkgruppe widmete.
Die Kunst- und Ausstel- lungshalle der Bundesrepu- blik Deutschland widmet Da- vid Hockney derzeit eine große Ausstellung: mit knapp hundert Bildern die bislang umfassendste zum maleri- schen Werk des Engländers.
„Exciting times are ahead – eine Retrospektive“, so der Titel. Ein Rückblick, der nach vorn schaut, erklärt Kay Hey- mer, Kurator der Ausstel- lung, der vor fünf Jahren mit den Vorbereitungen begann.
Er ist stolz darauf, fast dop- pelt so viele Werke präsentie- ren zu können wie das Centre Pompidou in Paris, mit dem die Retrospektive ursprüng- lich zusammen geplant war.
Nach Organisationsdifferen- zen zeigten die Pariser 1999 eine eigene Hockney-Aus- stellung. Das fotografische Werk des Engländers war 1997 in Köln zu sehen und das zeichnerische Werk 1995 in Hamburg.
Der Titel „Exciting times are ahead“ stamme aus ei- nem seiner Essays, sagt Hockney bei der Pressekon-
ferenz zur Ausstellung. In dem Essay vertritt er die The- se, dass „uns die alten Mei- ster viel näher sind, weil wir sehen, wie die Bilder ge- macht worden sind“. Auch er bemühe sich, Nähe zwischen seinen Bildern und dem Be- trachter herzustellen. Das Thema Distanz und Nähe zieht sich durch Hockneys Werk. Nähe erreicht er durch die lebensfrohen Farben und die traditionellen Genres sei- ner Bilder. Obwohl Hockney selbst seine Farben nicht mit Freude verbindet: „Sie sind einfach da“. Während die
„coole“ Stimmung der 60er- Jahre-Bilder den Betrachter auf Distanz hält, schafft der intime Einblick wiederum Nähe.
Perspektive und Raum- empfinden sind für Hockney ebenfalls zentrale Themen.
Seine Forschungen dazu legte er in Aufsätzen nieder. Im Herbst veröffentlicht er ein Buch über die Hilfsmittel, mit denen die Künstler der ver- gangenen 600 Jahre versuch- ten, ihre Umgebung zu erfas- sen.
„Wir können den Raum an sich nicht erfassen – er ist un- endlich –, aber wir können in dem riesigen Loch des Grand Canyons eine Ahnung von ihm bekommen“, sagte Hockney 1984. Die Abgrün-
de des Canyons nimmt der Künstler zum Experimentie- ren mit Raum und Perspekti- ve: Als überdimensionale Fo- tocollage oder – wie in Bonn zu sehen – als drei mal sieben Meter großes Megaportrait des Grand Canyons, zusam- mengesetzt aus 60 Leinwän- den. Der Betrachter muss diesem Bild Raum geben, um die ganze Perspektive erken- nen zu können. Wer jedoch nah herantritt, erkennt, dass jede der kleinen Leinwände ihrem eigenen Fluchtpunkt folgt. Petra Bühring Two boys in a pool, Hollywood, 1965,
oben links: Dog Painting #21, 1995Fo- tos: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepu- blik Deutschland
Die Ausstellung ist bis zum 23. Sep- tember zu sehen in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepu- blik Deutschland, Friedrich-Ebert- Allee 4, 53113 Bonn, Internet:
www.bundeskunsthalle.de Weitere Informationen zu David Hockney enthalten seine autobio- grafischen Schriften. Die Lektüre sei- ner bisher zwei Bände umfassenden Autobiografie („Hockney by Hock- ney – the early years“) ist sehr emp- fehlenswert. Hervorragend bebildert vermittelt sie viele Facetten von Le- ben und Werk dieses großen zeit- genössischen Malers. Die Bücher enthalten darüber hinaus auch wichtige Hinweise und Anregungen zur aktuellen Kunstdiskussion. Sie verdeutlichen ebenso wie die Aus- stellung das Bekenntnis Hockneys zur figurativen Malerei. EW