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Archiv "Signalwandlung und Informationsverarbeitung" (28.08.1995)

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MEDIZIN

S

ignale und Informationen durchdringen die belebte und die unbelebte Welt. Diese The- men waren zentraler Punkt auf der Jahresversammlung der Deut- schen Akademie der Naturforscher Leopoldina im April 1995 in Halle an der Saale unter der Leitung des Aka- demie- und Tagungspräsidenten Prof.

Dr. rer. nat. habil. Benno Parthier, Halle. Ein verstandenes Signal wird zur Information und diese oft zur Re- aktion. Information, Reaktion und Rückmeldung werden zur Kommuni- kation. Das menschliche Gehirn ver- arbeitet und bewertet Informationen, das heißt Sinneseindrücke, die von außen und innen kommen Angebo- rene Strukturen werden durch die frühkindliche Umwelt überlebensge- recht zugeschneidert. Viele gehen wieder verloren. Nicht vorhandenes wird postgenetisch und postportal auch durch die beste Erziehung nicht neu geschaffen Ein allgemeines Ver- arbeitungszentrum, wie früher ange- nommen, gibt es nicht. Neuronale En- sembles schließen sich flexibel ad hoc zusammen, um zu reagieren und zu agieren. Das geschieht um so leichter, je häufiger sie in Anspruch genom- men werden. Signalgabe und -verar- beitung können vom lokalen in den zeitlichen Bereich, das heißt in die vierte Dimension (sequentiell, paral- lel), ausweichen (Prof. Dr. med. Wolf Singer, Frankfurt). Neuronen beste- hen aus Zellkörper, Dendriten und Axon. Entgegen bisheriger Auffas- sung sind die Dendriten, wie die Axo- ne, auch Sender und nicht nur Anten- nen. Das konnte durch die Wande- rungsrichtung von Fluoreszenzfarb- stoffen und Aktionspotentialen nach- gewiesen werden (Prof. Dr. med. Bert Sakmann, Heidelberg).

Proteine und Rezeptoren

Über Neuropeptide (beispiels- weise substance P, Somatostatin, CGRP) könnten intraktable Schmer- zen besser als bisher beeinflußt wer- den, da sie in der Nozirezeption eine Rolle spielen (Bertalan Csillik, Szeged Ungarn). Das enge Verflochtensein von Nervenapparat und Endokrinium ist dem Kliniker geläufig. Membranre- zeptoren übertragen Signale von der

KONGRESSBERICHT

Außenseite der Zelle in das Innere.

Kontraktilität, Sekretion und Zelltei- lung werden so beeinflußt. Endokrin regulatorische Peptide interagieren mit unterschiedlichen Peptidrezepto- ren. Ihr Effekt wird sichtbar, wenn die rezeptorbesetzte Zellmembran getrof- fen ist (Prof. Dr. med. Wolf-Georg Forssmann, Hannover). Die Haut ist Grenze gegen die Umwelt, als Sinnes- organ auch Vermittler äußerer Signale, so beispielsweise an das Immunsy- stem. Allergische Hautreaktionen gehören zum medizinischen Alltag ebenso wie die Kenntnis davon, daß zu intensive UV-Lichteinstrahlung nicht nur Hautkrebs verursachen, sondern auch die Immunabwehr des Körpers schwächen kann. Die in der Epidermis lokalisierten Langerhansschen Zellen präsentieren, ähnlich den Makropha- gen, in die Haut eingedrungene Anti- gene den T-Lymphozyten in immuno- gener Form. Ihre Schädigung, bei- spielsweise durch UV-Licht, schwächt das Immunsystem (Prof. Dr. med. Ge- org Stingl, Wien). Die Physik des Se- hens beginnt mit wechselwirkendem Licht auf molekularem Niveau. Von hier aus entwickelt sich die biologische Intelligenz über höhere Organisa- tionsebenen, wie neuronale Netz- werke, schließlich zum Verhalten. Vi- suelle Eindrücke werden vor dem Hin- tergrund angeborener oder erworbe- ner neuronaler Matrizen erkannt, er- gänzt und gedeutet. Das Sehen hilft beim Erlernen koordinierter Bewe- gungen (Dr. rer. nat. Klaus J. Schulten, TU München). Wüstenameisen finden nach einer vom Wege her chaotisch an- mutenden Beutesuche aus 200 Metern geradewegs in ihr Nest zurück. Das Rätsel des „Wie" ist gelöst (Rüdiger Wehner). Ameisen benützen das Spek- trallicht des Himmels als E-Vektoren, das ihnen in Kombination mit einer angeborenen neuralen Matritze als Kompaß dient. Außerdem sehen die Insekten den Himmel farbig. Während sich der Mensch die Buntheit der Welt nur aus den Farben Rot, Grün und Blau zusammenfügt, vermögen Insek-

ten zehn und mehr unterschiedliche Wellenlängen und damit Farbnuancen wahrzunehmen. Auch Pflanzen haben im Laufe der Evolution spezifische si- gnalübertragende Photorezeptorsyste- me entwickelt. Licht liefert ihnen als ihr wichtigster Umweltfaktor genaue Informationen über seine eigene Qua- lität und Quantität. Hierzu verfügen Pflanzen über Chromophore. Lichtin- duziert sind bei den Pflanzen nicht nur die Chromophorenbildung selbst, son- dern auch Wachstumsintensität, Aus- richtung (der Sonne zugewandt) und Prozesse auf Genebene. An der Si- gnalübertragung sind die kürzlich mit dem Nobelpreis (Prof. Dr. rer. nat.

Ekerhard Schäfer, Freiburg) belohnten G-Proteine beteiligt (E. Schäfer). Na- hezu alle Lebensvorgänge vom Stoff- wechsel bis zur Vererbung können als materielle Informations- und Kommu- nikationsprozesse aufgefaßt werden, deren Wurzeln bis auf die Ebene der biologischen Makromoleküle zurück- reichen (Prof. Dr. Dr. phil. Bernd-Olaf Küppers, Jena).

Signalübertragung auf molekularer Ebene

Für biologische Signale auf mole- kularer Ebene ist die Differenzierung von Molekülen gleicher Konstitution, aber unterschiedlicher intramoleku- larer Organisation wichtig. Ohne daß man kovalente Bindungen löst, kann man durch Torsionskräfte oder durch Inversion ein Molekül räumlich ver- drehen. Eine wichtige Rolle bei die- sen Konformationsisomeren spielt Prolin. Da die Umwandlungsge- schwindigkeiten gering sind, lassen sie sich mit Hilfe von NMR als Signal- elemente für Enzymaktivitäten ver- wenden (Prof. Dr. rer. nat. Gunter S.

Fischer, Halle). Von der Einzelmo- lekülspektroskopie gelangt man zum molekularen Computer. Ein Molekül und seine nicht kovalent gebundene Lösungsmittelschale (= Supermo- lekül) haben die Fähigkeit zur Licht-

Signalwandlung und

Informationsverarbeitung

A-2262 (54) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 34/35, 28. August 1995 (0)

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MEDIZIN

absorption. Die zufällig unterschiedli- chen physikalischen Eigenschaften der Supermoleküle bewirken eine Spreizung der Absorptionsfrequen- zen. In hoher Verdünnung, eingebet- tet in ein Trägermaterial, werden die Gastmoleküle zu Linsen, mit deren Hilfe man durch Lichteinstrahlung in die Trägersubstanz Löcher brennen kann. Aufgrund ihrer rekonstruierba- ren Entstehungsgeschichte lassen sich aus dem „hole-burning-material"

Frequenz, Polarisation, Richtung, In- tensität und in Verbindung mit der Holographie sogar die Phase des ver- ursachenden Lichtes wieder heraus- holen. Die supermolekulare Photo- chemie friert gewissermaßen alle Ei- genschaften des benützten Lichtes ein. Dieses Phänomen kann zur Infor- mationsspeicherung verwendet wer- den. Mit spektroskopischen und holo- graphischen Verfahren lassen sich auch logische Verknüpfungen zwi- schen den im Material gespeicherten Informationen ausführen (Dipl. ing.

chem. Urs. P Wild, Zürich). Eine an- dere Generation von Computern könnte auf dem Boden der Quanten- physik entstehen. Im Augenblick ar- beiten die Computer mathematisch mit Hilfe zweier unterschiedlicher Zustände, zum Beispiel 0 und 1 (= 1 bit). Auch Lichtquanten können sich als sogenannte qubits in zwei ortogo- nalen Zuständen befinden. Qubits können, da (im Hilbertraum) räum- lich vektoriell schaltbar, aber auch viele andere Zustände annehmen, dementsprechend mehr Informatio- nen tragen und verarbeiten. Ein Quanten-Computer wäre daher im- stande, sehr große Rechenoperatio- nen sehr schnell zu bewältigen (Prof Dr. rer. nat. Arthur).

Auch der Weltraum ist ein un- entwegter Lieferant von Signalen. Ei- ne der interessantesten Erkenntnisse ist, daß in vielen Galaxien — nicht in unserer — ungeheure Energien produ- zierende aktive Kerne vorhanden sind. Als einziges Modell für eine sol- che zentrale Energieerzeugungsma- schine hat das des massenreichen schwarzen Loches aller Kritik stand- gehalten. Schwarze Löcher sind un- vorstellbar dichte Massenkonzentra- tionen von relativ geringem Durch- messer. In ihrem Zentrum, innerhalb des sogenannten Schwarzschildradi-

KONGRESSBERICHT

us, verschlingen sie alles, selbst das Licht. In der Peripherie geben sie Energie an die umgebende Galaxie ab (Prof Dr. rer. nat. Peter G. Mezger, Bonn). Es wird diskutiert, ob die nicht sichtbare dunkle Materie unseres Universums aus vielen schwarzen Löchern besteht. Die kleineren kön- nen sich vielleicht wieder auflösen.

Bildgebende Verfahren als Informationsmedium

Die in der Medizin übliche To- mographie (CT, MRT, PET) eignet sich zum Betrachten des gesamten Körpers einschließlich seines Inne- ren. Diese Methoden, vor allem im Sinne von PET, sind auch in der Fest- körperphysik anwendbar. Dort geht es um die Dichteverteilung im Orts- raum sowie die Dichteverteilung der Elektronen im Orts- und Impulsraum (Prof Dr. rer. nat. Martin Peter, Genf).

Bei der seismischen Tomographie ge- lingt es, Bodenbewegungen über ei- nen sehr großen Frequenz- und Am- plitudenbereich unverzerrt aufzu- zeichnen. Das entspricht in etwa einer medizinischen Motilitätsmessung.

Die Wellenbewegung in der Erde sagt aber auch etwas über die Beschaffen- heit des durchlaufenen Materials aus (PD. Dr. rer. nat. Eduard H. Kissling, Nurensdorf, Schweiz). Der rechner- gestützten Telekommunikation (Tele- matik) in Forschung, Lehre und Ge- sellschaft gehört die Zukunft. Satelli- tentechnik, Rechentechnik und Infor- mation gewinnen an Boden. Die Fol- gen sind Erreichbarkeit an jedem Ort der Erde mit Mobilfunk, die glasfa- sergestützte Kommunikation mit der gemeinsamen Übermittlung von Sprache, Text und Bewegtbild sowie Computernetze mit vielen Millionen Teilnehmern. Das Erkennen der indi- viduellen Stimme, ähnlich dem Fin- gerabdruck, wird beispielsweise bei einer Bank die Unterschrift ergänzen oder ersetzen (G. Krüger). Fuzzy-Lo- gic (FL) schließlich befaßt sich mit dem Problem, Sprache und Mathe- matik einander näherzubringen. Fuz- zy heißt fusselig. FL kann mit un- scharfer Logik übersetzt werden (Prof Dr. rer. pol. Hans Jürgen Zim- mermann, Aachen). Die Grundidee ist es, daß eine Aufgabe mit höchster

Präzision nicht immer gelöst werden kann und auch nicht immer gelöst werden muß. FL bedeutet ein Sichab- finden mit dem Approximativen. Un- scharfe Formulierungen der Um- gangssprache wie „ziemlich jung",

„sehr alt", möchte man in Zahlenwer- te einfangen. Parallelen zu Chaosfor- schung und fraktaler Dimension wer- den sichtbar, nämlich das Bestreben, linguistische Beschreibung und Zahl zueinanderzubringen. Ärztliche Lo- gik ist weitgehend FL. So gibt es bei der klinischen Diagnostik von Ober- bauchschmerzen bezüglich des Aus- gangsorgans und hinsichtlich der Fra- ge, organisch oder funktionell er- krankt, Symptome, die scharfe Gren- zen nicht besitzen. Man verwendet Kardinalsymptome, um welche sich schwächere Indikatoren scharen. FL- Technik wird beim Fotografieren, beim ruckfreien Anfahren und Ab- bremsen von Zügen verwendet. FL ist ein Schritt von der schablonenhaften Ja/Nein-Entscheidung zu einem le- bensnäheren Mehr oder Weniger. FL wird auch wirksam, wenn wir aus flüchtig gesehenen Teilstücken vor dem geistigen Auge ein Ganzes se- hen, ein Kunstgriff, den sich übrigens auch die Impressionisten zunutze machten.

Signal, Information und Kom- munikation machen das Leben aus.

Sie spielen auch in der Medizin eine zentrale Rolle bei Diagnostik und Therapie. Sie werden zum Inbegriff der Fähigkeit des Arztes, zu erkennen und im positiven Sinne einzugreifen.

Prof. Dr. med. Dres. h. c.

Ludwig Demling

ehem. Direktor der Medizinischen Klinik, Mitglied der Akademie der Universität Erlangen-Nürnberg 96132 Schlüsselfeld

Berichtigung

Das Editorial „150 Jahre Magna Charta der Psychiatrie" in Heft 24/1995 enthält einen Fehler. Bei der Zitierung von Griesinger im dritten Absatz wurde die Wortreihenfolge falsch wiedergegeben. Richtig muß es heißen: „Geisteskrankheiten sind Ge- hirnkrankheiten". R. Tölle, Münster Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 34/35, 28. August 1995 (55) A-2263

Referenzen

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