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Archiv "Das Sozialprodukt schrumpft: Solidarpakt als Geheimwaffe" (11.01.1993)

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Das Sozialprodukt schrumpft

--1

Solidarpakt als Geheimwaffe

S

eit Frühjahr 1992 wächst das Sozialprodukt nicht mehr. Die wirtschaftliche Stagnation droht nun aber in eine Rezession ein- zumünden. Verschärft wird die Lage noch dadurch, daß die Wirtschafts- und Finanzpolitik ihre Aufgaben nicht mehr angemessen zu bewälti- gen vermag. So jedenfalls analysiert der Sachverständigenrat zur Begut- achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung die wirtschaftliche La- ge. Die Ärzte haben sich damit 1993 nicht nur auf das Gesundheits-Struk- turgesetz, sondern auch auf ganz all- gemein härtere wirtschaftliche Zei- ten einzustellen. Die Talsohle der Konjunktur ist noch nicht in Sicht.

Weltweite Flaute

Die Wirtschaftswissenschaftler erwarten eine Konjunkturwende al- lenfalls in der zweiten Jahreshälfte, und zwar auch nur dann, wenn sich die Lage an den Weltmärkten stabili- siert. Das setzt voraus, daß die ame- rikanische Konjunktur nach einer langen Zeit der Stagnation wieder anzieht. Die Aussichten dafür sind nicht schlecht. Die weltwirtschaftli- che Flaute hat Deutschland mit ei- ner Verzögerung von fast zwei Jah- ren erreicht. Der Nachfragestoß aus Ostdeutschland nach der Vereini- gung hat eine Zeitlang die Illusion genährt, daß wir uns von der interna- tionalen Konjunktur abkoppeln könnten. Nun sind wir darauf ange- wiesen, daß andere die Lokomotiv- Funktion für die Weltkonjunktur übernehmen.

Auch die Sachverständigen set- zen darauf, daß sich die labile Wirt- schaftslage durch eine Belebung des Exports wieder stabilisieren wird.

Die Aufwertung der D-Mark, durch die sich die Ausfuhr verteuert und die Einfuhr verbilligt, und die nach- lassende Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen wegen ho- her Löhne und Steuern lassen die Hoffnung gering erscheinen, daß sich der Export rasch belebt und daß sich das Konjunkturbild aufhellt. Für Deutschland geht es daher zunächst nur darum zu verhindern, daß die Wirtschaft im Westen in eine sich selbst verstärkende Rezession gerät,

die auch die ersten Ansätze für einen Aufschwung Ost zunichte machen würde.

Bundeskanzler Kohl bemüht sich daher intensiv um einen Solidar- pakt. Bund, Länder und Gemeinden sollen sich verpflichten, ihre Haus- halte durch Sparen zu konsolidieren, um zusätzliche Mittel für die neuen Länder zu mobilisieren. Kohl will vermeiden, daß die Neuverschul- dung wieder fühlbar erhöht werden muß oder daß es notwendig wird, die für 1995 angekündigten Steuererhö- hungen auf das Wahljahr 1994 oder gar auf 1993 vorzuziehen. Von den Gewerkschaften wird erwartet, daß sie eine produktivitätsorientierte und damit auf Wachstum gerichtete restriktive Lohnpolitik zulassen. Die Unternehmen sollen mehr als bisher in Ostdeutschland investieren. Die Diskussion über den Solidarpakt wird jedoch durch die Diskussion über die sogenannte „Gerechtig- keitslücke" belastet, die zum Vor- wand für die Forderung genommen wird, die Solidarabgabe, die Ende 1992 ausgelaufen ist, gegen jede öko- nomische Vernunft wieder einzufüh- ren. Eine Steuerpolitik, die noch stärker vom Umverteilungsdenken bestimmt würde, müßte Investitions- und Risikobereitschaft weiter schwä- chen und das konjunkturelle Klima verschlechtern. Gelänge aber der So- lidarpakt nicht, so wären erhebliche Wachstums- und Wohlstandsverluste für alle die Folge.

Jede Prognose ist derzeit mit ho- hen Risiken verbunden. Aber eine Reihe von Fakten geben zu Sorge Anlaß. Zwar lag das Brutto-Inlands- produkt (BIP) im dritten Vierteljahr 1992 noch um etwa 1 Prozent über dem Vergleichswert des Vorjahres;

im zweiten und dritten Quartal ist das BIP gegenüber dem jeweils vor- hergehenden Quartal jedoch um 0,5

Prozent gesunken. Auch Arbeitslo- sigkeit und Kurzarbeit sind wieder gestiegen; im November lag die Ar- beitslosenzahl bei fast drei Millio- nen; davon entfallen auf West- deutschland 1,88 Millionen und auf Ostdeutschland 1,09 Millionen. Im Westen liegt damit die Arbeitslosen- quote bei 6,1 Prozent und in Ost- deutschland bei 13,4 Prozent. Tat- sächlich ist die Arbeitslosenzahl im Osten noch höher, denn die Maß- nahmen der Arbeitsmarktpolitik ver- schönen die tatsächliche Lage. Seit März 1992 gehen die Bestellungen bei der Industrie zurück, im Oktober sogar um 5 Prozent gegenüber dem Vormonat.

Die Minuszahlen ergeben sich sowohl bei den Aufträgen aus dem Ausland als auch bei jenen aus dem Inland. Besonders fällt ins Gewicht, daß die Aufträge für Investitionsgü- ter erheblich zurückgegangen sind.

Die Kapazitäten der Unternehmen sind derzeit nur zu kaum mehr als 80 Prozent ausgelastet. Die Unterneh- men rationalisieren, verringern ihr Personal, aber sie bauen kaum noch Kapazitäten aus. Das beeinträchtigt auch die Investitionen in Ost- deutschland. Sogar große Unterneh- men geben ihre Investitionspläne in den neuen Bundesländern auf oder strecken sie.

Das „Teilen" hilft nicht Damit bestätigt sich die Ein- schätzung, daß nicht das so oft be- schworene Teilen den Menschen in Ostdeutschland hilft. Deren Chan- cen, den Einkommensabstand zu verringern, hängen davon ab, daß rentable Arbeitsplätze geschaffen und wettbewerbsfähige Produkte entwickelt werden. Je besser die Konjunktur in Westdeutschland A1-18 (18) Dt. Ärztebl. 90, Heft 1/2, 11. Januar 1993

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—Investitionen — 0,5 2 23,5 12

—Bauten 3,5 1

—Einfuhr 4,5 1,5

Bruttolohn- und Gehalts-

summe 5,5 2,5 80 Prozent von West

Die Prognose des Sachverständigenrates (in Prozent gegenüber dem Vorjahr)

Deutschland West

1992 1993

Ost 1992 1993 Bruttosozialprodukt

—privater Verbrauch

—Staatsverbrauch

1,5 0 7 7

1 0 3,5 4,5

3

—Ausfuhr 3 2

Unternehmereinkommen Verbraucherpreise Arbeitslose in Mio.

2 1,5

4 3,5 11 9

1,8 2,1 1,2 1,3

Tabelle: Der Sachverständigenrat prognostiziert also in realen Werten, bezogen auf das ganze Jahr, keine Zunahme des westdeutschen Sozialprodukts. Im Klartext heißt dies: Es

gibt 1993 nichts zu verteilen.

läuft und die Unternehmen einen Anreiz erhalten, zusätzliche Kapazi- täten in Ostdeutschland aufzubauen, um so besser geht es den Menschen in den neuen Ländern.

Verwirrende Finanzpolitik Diese Fakten werden verdrängt, wenn es darum geht, für die neuen Länder zusätzliche Mittel zu mobili- sieren. Die finanzpolitische Diskussi- on belastet immer stärker das politi- sche und das konjunkturelle Klima.

Dabei werden die verschiedenen Probleme miteinander vermengt.

Der Bund will 1993 seine Ausgaben um 2,5 Prozent auf 436 Milliarden Mark erhöhen. Darin ist ein Betrag von etwa 95 Milliarden Mark für die neuen Länder enthalten. Die tat- sächlichen Transfers von West nach Ost dürften annähernd doppelt so hoch sein, wenn man alles zusam- menrechnet. Das stellt eine gewalti- ge Belastung dar. Dennoch reicht die

Finanzausstattung der neuen Länder nicht aus, weder 1993, noch 1994. Je schlechter die Konjunktur läuft, um so höher werden die Forderungen.

Jetzt soll zusätzlich die Treu- handanstalt mit der Aufgabe der In- dustriepolitik belastet werden. Der Schuldenstand wird also noch wach- sen. Spätestens 1994 muß Klarheit darüber geschaffen werden, wer die Zinslast für die Schulden des Kredit- abwicklungsfonds und der Treuhand von dann sicherlich mehr als 400 Milliarden Mark übernehmen soll.

Am Ende wird wohl der Bund ins Obligo kommen. Kohl sieht dies;

deshalb spricht er von Steuererhö-

hungen. Auch müssen von 1995 an die neuen Länder in den Finanzaus- gleich einbezogen werden. Der Aus- gleich ist nicht allein auf der Ebene der Länder herbeizuführen. Auch hier werden auf den Bund zusätzli- che Milliarden-Lasten zukommen.

Mit rund 50 Milliarden Mark werden die Altschulden der Wohnungswirt- schaft beziffert; sie müssen finan-

ziert werden. Auch hier wird sich der Bund engagieren müssen.

Die Bundesanstalt für Arbeit ist um knapp 7 Milliarden Mark entla- stet worden, damit der Bund 1993 keine Zuschüsse zu leisten braucht.

Der Beitragssatz zur Arbeitslosen- versicherung ist um 0,2 Prozent auf 6,5 Prozent angehoben worden. Da- mit dies weder auf die Lohnneben- kosten noch auf die nettolohnbezo- gene Rentenanpassung im Wahljahr 1994 durchschlägt, ist der Beitrag zur Rentenversicherung um 0,2 Punkte auf 17,5 Prozent gesenkt worden.

Die Versicherten werden daran kei- ne Freude haben, denn schon 1994 muß dieser Beitrag entsprechend stärker auf mehr als 18,5 Prozent er- höht werden. Noch immer ist nicht klar, was aus der Pflegeversicherung wird. Sie soll 1996 mit einem Bei- tragssatz von 1,7 Prozent eingeführt werden. Über den angestrebten Aus- gleich wird weiter gestritten. Die Sa- nierung der Bahn wird immer dring- licher; sie wird nur über eine kräftige Mineralölsteuer zu finanzieren sein.

Und sicher ist auch, daß die EG mehr Geld braucht als ihr heute zur Verfügung steht.

Stunde der Wahrheit

Noch immer werden ständig neue Ausgaben zu Lasten künftiger Haushalte beschlossen. Über die notwendigen Einsparungen will man dann im Frühjahr reden. Auch Lei- stungsgesetze sollen dann gekürzt werden. Doch niemand sagt, welche.

Vorsorglich hat Bundesarbeitsmini- ster Blüm schon davor gewarnt, die Renten anzutasten. Tatsächlich hat es im Kreis der Finanzpolitiker Überlegungen gegeben, die nächste Rentenanpassung für ein halbes Jahr zu verschieben. Es wird höchste Zeit, daß die Politik Klarheit schafft.

Sonst wird überall Attentismus und Unsicherheit über die wirtschaftli- chen und finanzpolitischen Rahmen- daten wachsen. Die Rezession wäre dann programmiert. Kohl hat auf dem CDU-Parteitag von der „Stunde der Wahrheit" gesprochen. Tatsäch- lich wird sie erst im Frühjahr schla- gen, zunächst für die Koalition, dann aber auch für die SPD. wst Dt. Ärztebl. 90, Heft 1/2, 11. Januar 1993 (19) A1-19

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