Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 50⏐⏐12. Dezember 2008 A2725
S T A T U S
E
rbringt eine Angestellte nicht die Leistungen, die aufgrund ihrer Qualifikationen zu erwarten wären, suchen Praxisinhaber in der Regel überall nach Gründen dafür – nur nicht bei sich selbst. Doch oft genug ist es gerade der Arzt, der sei- ne Mitarbeiterin in die Demotivati- onsfalle treibt. Dies geschieht in den seltensten Fällen bewusst. Meistens lässt sich der Arzt zu unzutreffenden Beurteilungen durch die „Vorur- teilsfalle“ hinreißen.Ein Beispiel: Ein Internist beur- teilt zwei Medizinische Fachange- stellte, die sich nahezu identisch verhalten, höchst unterschiedlich:
cBeide Mitarbeiterinnen melden sich freiwillig, um schwierige Auf- gaben zu übernehmen.
Bei der einen Arzthelferin wertet der Arzt dieses Verhalten als Zei- chen für ein verantwortungsbewuss- tes Engagement. Ihrer Kollegin un- terstellt er hingegen, sie wolle sich in den Vordergrund spielen.
cBeide Mitarbeiterinnen fragen intensiv nach, wenn sie eine Anwei- sung nicht richtig verstanden haben.
„Sie will etwas Neues lernen und an sich arbeiten“, so die Ansicht des Praxisinhabers bei der einen Helferin.
„Sie ist unsicher und scheut die Über- nahme von Verantwortung“ – das ist seine Meinung bei der anderen.
Warum der Chef derart urteilt, ist zunächst zweitrangig. Es scheint, als ob er die eine Angestellte als gute und leistungsfähige, die zweite hingegen als „schwache Mitarbeite- rin“ oder „Minderleisterin“ einstuft.
Dieses einmal gefasste Urteil be- stimmt die Wahrnehmung jeder Handlung der Kolleginnen. So ent- steht ein unheilvoller Kreislauf:
Beide Angestellten können machen, was sie wollen: Ihre Handlungen
dienen dem Arzt lediglich als Be- stätigung seiner Meinung.
Im schlimmsten Fall legt die vor- geblich schwache Mitarbeiterin Re- aktionsweisen an den Tag, die den Chef bestätigen: Sie büßt durch das ständige negative Feedback an Selbstbewusstsein ein und sieht kei- nen Grund mehr sich anzustrengen.
Der Arzt kontrolliert sie immer mehr, ertappt sie bei Fehlern und übersieht Erfolge.
Hinzu kommt: Der Arzt „ermun- tert“ die Mitarbeiterin unbewusst, leistungsminderndes Verhalten zu wiederholen, indem er ihr nur noch Routineaufgaben überträgt oder ihr genaue Ziele vorgibt und den Ent- scheidungsspielraum beschneidet.
Die Mitarbeiterin leistet „Dienst nach Vorschrift“ und entwickelt im-
mer weniger Initiative. Der Kreis- lauf von niedriger Erwartung und Demotivation sowie nachlassender Leistung führt schließlich zur inne- ren oder tatsächlichen Kündigung.
„Gefangen im Vorurteil“, lässt sich das Problem der Motivations- bremse „Chef“ zusammenfassen.
Wie kann der Arzt die Bremse lö- sen? Hat er erst einmal eingesehen, dass der Grund für die Leistungs- schwäche einer Mitarbeiterin auch mit seiner Etikettierung als „Min- derleisterin“ zu tun haben könnte, ist der erste Schritt zur Überprüfung der fragwürdigen Kategorisierung getan. Der Arzt sollte sich fragen, ob und inwiefern er dazu beiträgt, wenn eine Mitarbeiterin nicht die Leistungen erbringt, zu denen sie ei- gentlich in der Lage sein müsste.1 PRAXISFÜHRUNG
Motivationsbremse „Chef“
– gefangen im Vorurteil
Der Arzt sollte sich fragen, ob und inwiefern er dazu beiträgt, wenn eine Mitarbeiterin nicht die Leistungen erbringt, zu denen sie eigentlich in der Lage sein müsste.
Gleiches Verhal- ten – unterschiedli- che Beurteilung.
Subjektive Ein- schätzungen durch den Arzt können zu Minderleistungen führen.
Foto: Superbild [m]
A2726 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 50⏐⏐12. Dezember 2008
S T A T U S
„Warum habe ich diese Mitarbei- terin eingestellt, was hat mich da- mals zu dieser Entscheidung bewo- gen?“ Es ist schwierig, sich diese Frage im hektischen Praxisalltag zu stellen. Sie kann der nächste Schritt sein, der aus der Vorurteilsfalle herausführt – lenkt sie doch die Aufmerksamkeit weg von den Schwächen und hin zu den Stärken,
die den Arzt ja irgendwann einmal bewogen haben müssen, die Mitar- beiterin einzustellen.
Dr. med. Martin Herkenhoff, Kinderarzt mit Praxis im bayeri- schen Germering, empfiehlt, den Reflexionsprozess schriftlich vor- zunehmen. Dazu fertigt ein Arzt ei- ne Liste an, in der er die Stärken und Schwächen der Mitarbeiterin notiert – und die Gründe, die ihn veranlasst haben, eine Handlung oder Aktivität als Schwäche zu bezeichnen. Dies rückt zum einen die Stärken in den Vordergrund und zum anderen re- flektiert er dadurch die Situationen,
die ihn veranlasst haben, das Urteil
„Minderleisterin“ zu fällen.
Zuweilen stellen sich diese Akti- vitäten im ruhigen Rückblick in ei- nem anderen Licht dar. Der Arzt be- merkt, dass er eine Leistung wegen Äußerlichkeiten und Verhaltenswei- sen der Mitarbeiterin, die nicht in sein eigenes Weltbild passen, nied- rig eingeordnet hat. Er sollte prüfen,
ob es etwas Bestimmtes an der Mit- arbeiterin (eine Äußerlichkeit, ein bestimmtes Verhalten) gibt, das bei ihm negative Gefühle auslöst und so seine Wahrnehmung und Beurtei- lungsfähigkeit einschränkt. Nach und nach ersetzt der Arzt dann seine subjektive Einschätzung durch ob- jektive Kriterien. Dazu gehört, neu- trale Beurteilungsmaßstäbe anzule- gen. Oder er nimmt die Mitarbeiter- beurteilung nicht allein vor, sondern sucht Rat und Unterstützung, etwa bei einem Kollegen.
Selbstverständlich kann sich her- ausstellen, dass die Angestellte tat-
sächlich keine guten Arbeitsergeb- nisse erzielt. Zuweilen aber erkennt der Chef so, dass diese Minderleis- tungen Gründe haben, die er abstel- len kann. Und manchmal konstatiert er: „Ich selbst bin der Hauptgrund oder der Auslöser für die schlechten Leistungen.“
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, in das persönliche Gespräch mit der vermeintlichen Problemmitarbeite- rin einzusteigen. Solange der Arzt nicht analysiert hat, ob er in der Vor- urteilsfalle steckt, ist dies sinnlos.
Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich Mitarbeiterin und Chef aufgrund ihrer verzerrten Wahrnehmung nur jeweils negative Motive unterstellen.
Denn auch die Mitarbeiterin ist mittlerweile Gefangene eines verin- nerlichten Erklärungsmusters: „Der Chef hat etwas gegen mich und legt mir ja doch alles zum Nachteil aus.“
Der Arzt habe die Möglichkeit, be- tont Kinderarzt Herkenhoff, den Teu- felskreis zu durchbrechen, indem er den konstruktiven Dialog mit der Fra- ge eröffnet: „Trägt mein Verhalten dazu bei, dass Sie und ich mit Ihren Leistungen nicht zufrieden sind?“ n Patric P. Kutscher E-Mail: kontakt@diktig.de
RECHTSREPORT
Ein Krankenhaus hat keinen Anspruch darauf, dass die Krankenkassen mit ihm einen Versor- gungsvertrag abschließen, wenn es den Schwerpunkt auf Außenseitermethoden legt, die nicht in die Leistungspflicht der gesetzli- chen Krankenversicherung fallen. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden.
Es hatte über die Klage einer Krankenhaus GmbH in Liquidation zu urteilen, genauer: ei- ner Fachklinik für onkologische Akutbehand- lungen. Deren Klinikkonzept beruhte auf um- fassender Diagnostik und einem ganzheitli- chen Behandlungsansatz mit sowohl konven- tionellen als auch komplementär-onkologi- schen Therapieverfahren. Einbezogen wurden unter anderen sämtliche Verfahren der klassi- schen Naturheilkunde, biologische Krebsthe- rapien, Misteltherapien, Hyperthermieverfah- ren, die Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie nach von Ardenne und psychoonkologische Verfah- ren.
Den Antrag, einen Versorgungsauftrag nach § 109 SGB V abzuschließen, hatte die beklagte Krankenkasse abgelehnt. Grundlage dafür war die Stellungnahme ihres Medizini- schen Dienstes. Die Kasse war der Ansicht, die Klinik gewährleiste keine leistungsfähige Krankenhausbehandlung. Die Wirksamkeit der komplementär-onkologischen Therapieverfah- ren sei nach klinikwissenschaftlichen Kriterien nicht belegt. Das Krankenhaus sei zudem für eine bedarfsgerechte Krankenhausbehand- lung der Versicherten nicht erforderlich.
Das BSG befürwortete zunächst die Klage- fähigkeit der GmbH in Liquidation, da auch diese noch juristische Person und somit be- teiligtenfähig ist. Allerdings darf ein Versor- gungsvertrag auch nach Ansicht des BSG nicht abgeschlossen werden, wenn ein Kran- kenhaus keine Gewähr für eine leistungsfähi- ge und wirtschaftliche Krankenhausbehand- lung bietet oder für eine bedarfsgerechte
Krankenhausbehandlung der Versicherten gar nicht erforderlich ist.
Eine bereits überschuldete GmbH, bei der die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen mangels Masse abgelehnt wur- de, könne die erforderliche Gewähr für einen Krankenhausbetrieb nicht bieten. Auch habe die Klinik nicht über eine dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse ent- sprechende personelle, räumliche und medizi- nisch-apparative Ausstattung verfügt.
Nach Auffassung des Bundessozialgerichts gibt es darüber hinaus keine Bedenken, Beur- teilungen des Gemeinsamen Bundesaus- schusses aus dem Bereich der vertragsärztli- chen Versorgung im Rahmen des § 135 Ab- satz 1 SGB V auch für die Bewertung von Un- tersuchungs- und Behandlungsmethoden im Bereich der stationären Behandlung heranzu- ziehen, wenn diese Beurteilungen gebiets- übergreifende Aussagen beinhalten. (Bundes- sozialgericht, Urteil vom 28. Februar 2008, Az.: B 1 KR 5/08 R) RA Barbara Berner
Außenseiter-Krankenhaus: Kein Anspruch auf Versorgungsvertrag