A 2300 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 46|
19. November 2010 In ein Krankenhaus geht normaler-weise nur, wer krank ist – und das erst recht, wenn man weltberühmt und, als Friedensnobelpreisträger, weithin geehrt wird. Bei Henry Du- nant war das anders: Auf Vermitt- lung eines Arztes, Hermann Altherr, einem der wenigen Menschen, de- nen der von Verfolgungswahn Ge- plagte noch vertraute, zog Dunant in das Eckzimmer des Spitals von Hei- den im Appenzellerland. Dass er dort – später bezog er auch das Nachbar- zimmer in sein Domizil ein – bei- nahe zwei Jahrzehnte lang wohnte, gehört zu den weniger bekannten Fa- cetten im Leben eines Mannes, der zu Recht als einer der ganz großen Wohltäter der Menschheit gilt.
„Der Wohltäter“ ist auch der fol- gerichtige Titel einer neuen Biogra- fie Dunants aus der Feder der Jour- nalistin Elke Endraß, die zu seinem 100. Todestag am 30. Oktober er- schienen ist. In dem kompakten Buch wird der Leser zu den Statio- HENRY DUNANT
Erstaunliches Leben
nen eines erstaunlichen Lebens ge- führt, vom großbürgerlichen Eltern- haus in Genf über die Höfe der eu- ropäischen Monarchien, an denen Dunant auf der Höhe seines Ruh- mes Lobpreisungen und Schmei- cheleien widerfahren, die dem nicht uneitlen Mann guttun, bis hin zu
Elke Endraß: Der Wohltäter.
Warum Henry Dunant das Rote Kreuz gründete.
Wichern, Berlin 2010, 119 Seiten. 9,95 Euro
Roswitha Reinbothe (Hrsg.): Tongji-Uni- versität in Shanghai.
Dokumente zur Grün- dungsgeschichte. Har- rassowitz, Wiesbaden 2009, 527 Seiten, gebunden, 78 Euro
Elk Ed ß D W hltät
Jahren der Obdachlosigkeit und des sozialen Abstiegs vor dem friedli- chen Schlusskapitel in Heiden. Vor allem aber begleitet man Dunant zum Schlüsselerlebnis seines Le- bens: der Schlacht bei Solferino am 24. Juni 1859, bei der er Zeuge des Leidens der Zehntausenden von Verletzten wird. Er krempelt die Är- mel hoch und hilft, Not und Leiden zu lindern – ein Ziel, das sein geisti- ges Kind, das 1864 gegründete Ro- te Kreuz, in allen Weltteilen über die Epochen hinweg verfolgen wird. Hilfe, das spürt Dunant, muss unparteiisch, muss neutral sein, darf keine Unterschiede zwischen den Patienten kennen, welche Uniform sie auch tragen, welches Glaubens und welcher Ideologie sie auch sein mögen. Am Abend jener Schlacht motiviert er die zahlreichen Helfer in dem kleinen Ort Castiglione nahe der Wahlstatt, jedem Verletzten zu helfen, ob Italiener oder Österrei- cher oder Franzose. Und so klingt durch den Ort an diesem Tag des Schreckens dank Dunant auch ein Ruf der Hoffnung, der dort heute ein Denkmal ziert: „Tutti fratelli!“
Wir sind alle Brüder. Ronald D. Gerste
Die Verbindung deutscher und chine- sischer Ärzte und In- genieure hat unter anderem ihren Ur- sprung in der 1907 gegründeten Deut- schen Medizinschule für Chinesen in Shanghai. Diese ent- stand aus dem von dem deutschen Arzt Dr. Erich Paulun von 1900 bis 1902 errichteten Tongji- Hospital für chinesische Patienten, das für den Unterricht an der Schule genutzt werden konnte. Wegen der ärztlichen Kompetenz, der Hilfsbe- reitschaft der unentgeltlich arbei- tenden deutschen Ärzte und der
großen Anerkennung durch chinesi- sche Persönlichkeiten fanden die Medizinschule und die ihr 1912 an- geschlossene Ingenieurschule gro- ßen Zuspruch bei jungen Chinesen.
An der Gründung beider Schulen hatten neben anderen der ehemalige Generalkonsul Dr. Knappe und Prof. Althoff vom Kultusministeri- um in Berlin wesentlichen Anteil.
Nach dem Abbruch der diploma- tischen Beziehungen Chinas mit Deutschland erfolgten 1917 die Schließung der in der französischen Konzession gelegenen Schule und ihr Umzug nach Wusong. Nunmehr unter chinesischer Leitung, aber weiterhin auch mit deutschen Lehr- kräften, wurde sie als staatliche Tongji-Universität anerkannt, aus
der auch das Tongji Medical Col- lege Wuhan hervorging.
Die Dokumentation ist für alle an der deutschen Kulturpolitik in China Interessierten ein großer Ge- winn. In der ausführlichen Einlei- tung werden die 210 enthaltenen Dokumente der Gründungsge- schichte erörtert. Ein umfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Personenregister und 60 Abbil- dungen aus den Entstehungspha- sen der Tongji-Universität sind hilfreich und interessant. Aus den Dokumenten wird deutlich, wie bei gegenseitiger Achtung der je- weiligen Kultur mit Idealismus und Verantwortungsgefühl Vor- bildliches geschaffen werden kann. Der Dank für die Dokumen- tation gebührt der Herausgeberin.
Dem Buch ist eine weite Verbrei- tung über den Kreis der Ärzte, In- genieure und Universitäten hinaus zu wünschen. Paul Gerhardt
DEUTSCH-CHINESISCHE BEZIEHUNGEN