• Keine Ergebnisse gefunden

Vorwort : [zu Die deutsch-polnischen Beziehungen]

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Vorwort : [zu Die deutsch-polnischen Beziehungen]"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

7

Gerhart von Graevenitz

Vorwort

Vor genau einem Monat, am 18. Oktober 2002, erhielt Wladyslaw Bartos- zewski den internationalen "Bruckepreis" der Europastadt GÖrlitz. In seiner Laudatio, die am Tag darauf in der FAZ (19.10.2002, S. 36) veröffentlicht wurde, sagte Arno Lustiger: "Ein Held unserer Zeit: Der polnische Patriot und Katholik Wladyslaw Bartoszewski, der zwei Diktaturen Widerstand leistete, ist leidensohaftlicher Fürsprecher für ein erweitertes Europa. " Lustiger bezeichnet ihn als "eine lebendige Brucke zwischen Ost und West, zwischen Polen, Deutschland, Österreich und Israel, zwischen Christen und Juden.11

GörIitz ist eine Bruckenstadt wie etwa auch Frankfurt an der Oder - auch Konstanz ist eine Bruckenstadt, am entgegengesetzten Ende Deutschlands. Die Unterschiede, auch die historischen Unterschiede, der Bruckenschläge in Gör- litz und Konstanz sind natürlich mit Händen zu greifen. Aber auch an unserer scheinbar so friedlichen Grenze gibt es sehr schmerzhafte Erinnerungen. Die Lion Stiftung und der Förderkreis für Zusammenarbeit zwischen den Univer- sitäten Konstanz und Tel Aviv sind dieser Grenzvergangenheit verpflichtet.

Die Universität Konstanz ist nicht nur ein Ort der Bruckenschläge an der In- nen- und an der Außengrenze der EU, sie versucht gerade auch den Brucken- schlag zur komplementären europäischen Grenze, für die die Stadt GörIitz steht. Unter den zahlreichen Universitätspartnerschaften mitmittel~ und osteu- ropäischen Hochschulen möchte ich an dieser Stelle die Partnerschaft mit der Universität Warschau hervorheben, die bereits seit 1983 besteht und mit fast 20-jähriger Dauer eine der ältesten Verbindungen darstellt. Inzwischen reicht die Kette derartiger Partnerschaften von Estland bis Rumänien, und dank der Stipendien der Herbert-Quandt-Stiftung können wir jedes Jahr eine Vielzahl mittel- und osteuropäischer Studierender in Konstanz begrußen, von denen die rumänischen Studenten die größte Gruppe ausmachen.

Was ich damit sagen möchte: Es gibt in Konstanz eine ausgeprägte Sensibi- lität für die Notwendigkeit und die großen Chancen des europäischen Brucken- schlagens, und es ist für die Universität Konstanz daher eine besondere Ehre, einen der prominentesten europäischen Bruckenbauer zu Besuch zu haben.

Herr Professor Bartoszewski ist einen weiten Weg durch Europa gegangen.

Er mußte gleich zwei Diktaturen Widerstand leisten. 1939, im Jahr seines Ab- iturs, erlebte er den Überfall der Deutschen auf Polen. Er war zunächst Sani- tätshelfer beim Roten Kreuz und wurde bereits am 19. September 1939 bei ei- Zuerst ersch. in: Die deutsch-polnischen Beziehungen / Wladyslaw Bartoszewski.

[Konstanzer Schriften zur Sozialwissenschaft ; 61]. Hartung-Gorre, 2002, S. 7-9

Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URL: http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/2008/4592/

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-opus-45920

(2)

8

ner Razzia der SS gegen polnische Intellektuelle festgenommen, ins KZ Au- schwitz gebracht und Anfang 1941 wegen schwerer Krankheit entlassen.

Im Oktober 1941 begann er sein Studium an der geheimen Warschauer Uni- versität, seit Frühsommer 1942 war er in der katholischen Widerstandsgruppe

"Front der Wiedergeburt Polens" engagiert und nahm an einer Hilfsaktion für verfolgte Juden teil. Seit August 1942 arbeitete er in der Heimatarmee der pol- nischen Exilregierung in London und später in Krakau. Seit Herbst 1942 war er auch Redaktionssekretär der katholischen Widerstandszeitung 'Prawda', seit Dezember 1942 im Hilfsrat für Juden. Er gründete eine Zeitung für die katho- lische Jugend und betreute sie als Chefredakteur bis 1944. 1941-1944 war er auch stellvertretender Leiter im Judenreferat der Londoner Exilregierung, und von August bis Oktober 1944 aktiv am Warschauer Aufstand beteiligt.

Nach dem Krieg arbeitete er als Journalist, sowohl in der Untersuchungs- kommission für NS-Verbrechen in Polen als auch als Redakteur großer Zei- tungen. Er geriet bald ins Visier der Kommunisten: die Jahre 1946-48 und 1949-54 verbrachte er in stalinistischen Gefängnissen; erst 1955 wurde er re- habilitiert.

In der Folge blieb er seinen zahlreichen Interessen und Begabungen als Pu- blizist und Wissenschaftler, aber auch als aktiver Politiker treu:

So lehrte er von 1973-1985 politische Zeitgeschichte an der Katholischen Universität Lublin und nahm in dieser Zeit auch eine Reihe von Gastprofessu- ren wahr, beispielsweise in München, Augsburg und Eichstätt. Dem Publizi- sten Bartoszewski verdanken wir 40 Bücher und über 1000 Artikel.

Als Mitglied der Katholischen Universität Lublin war es nicht erstaunlich, ) daß er Mitglied der 'Solidarnosc' wurde, was ihm unter dem Kriegsrecht 1981 eine erneute Inhaftierung für vier Monate eintrug. Insgesamt hat Herr Bartos- zewski damit acht Jahre seines Lebens in Lagern und Gefängnissen verbringen müssen.

Nach der Wende hat er eine Vielzahl wichtiger politischer Ämter übernom- men: so war er von 1990 bis 1995 polnischer Botschafter in Wien, und 1995 sowie in den Jahren 2000-2001 amtierte er als Außenminister der Republik Polen.

Es war für die Versöhnung zwischen Polen und Deutschland ein großer Au- genblick, als Herr Bartoszewski als polnischer Außenminister sowie europäi- scher Gebildeter und Politiker die Rede zum 50. Jahrestag des Endes des 2.

Weltkriegs bei einer gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat hielt.

Wladyslaw Bartoszewski hat zahlreiche Ehrungen erfahren, darunter eine gan- ze Reihe von Ehrendoktoraten. Ich möchte nur einige wenige hervorheben,

(3)

9

deren Konstellation für sich selbst spricht. Es sind Ehrungen für einen Brük- kenbauer der Versöhnung:

1991 Ehrenbürgerschaft des Staates Israel. Herr Bartoszewski war unter den ersten, die den Titel "Righteous Among the Nations of the World" in Jerusalem verliehen bekamen;

1986 Friedenspreis des deutschen Buchhandels;

1996 Heine-Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf;

1997 Verleihung des großen Verdienstkreuzes mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland als erstem polnischem Staatsbürger.

Um zum Anfang zurückzukehren, der Verleihung des internationalen Brücke- preises für den Brückenbauer Europas: die Brückenstadt Görlitz hat Herrn Bartoszewski geehrt. Hier ist es umgekehrt: die Brückenstadt Konstanz und ihre Universität werden durch den Besuch dieses herausragenden Brückenbau- ers in außerordentlicher Weise geehrt.

Konstanz, 18. November 2002 Prof. Dr. Gerhart v. Graevenitz Rektor der Universität

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Seit 2007 vergleicht das FiBL in Bolivien, Indien und Kenia den konventionellen und biologischen Anbau.. Gefördert wird in diesen Versuchen auch die partizipative

Der neue Studiengang des Instituts Sekundarstufe I der PHBern ermöglicht Personen, die bereits über einen Bachelorabschluss einer Universität oder Fachhochschule in

Die Studierenden sind während 20 bis 22 Wochen voll in einer Schule im Einsatz und erleben nebst dem Unterricht auch den Notengebungs- prozess und die Elternarbeit.. Ziel der

Gerald Gaß bestätigt die Einschätzung der Politik, dass ansonsten bei einem weiteren ungebremsten Wachstum die Krankenhäuser und deren Mitarbeiter

Gerald Gaß bestätigt die Einschätzung der Politik, dass ansonsten bei einem weiteren ungebremsten Wachstum die Krankenhäuser und deren Mitarbeiter die Versorgung

Schmerzen durch Nerven- schädigung Gesunde Nerven- zellen sind von einer schützen- den Myelinschicht ummantelt – ähnlich wie bei einem Kabel, das zum Schutz der Leitungen von

Aber die Arbeit unter den Bedingungen der Pandemie ist auch eine große Chance: Wir haben neue Aufgabenfelder für die Apotheken er- schlossen?. Und es hat sich gezeigt, dass

Wenn Tarifbindung besteht, ist auch der tarifliche, erhöhte Urlaubsanspruch sowie die tarifliche Sonderzahlung, also das Weihnachtsgeld, im Minijob gegeben (allerdings muss