gewählt werden, die für das Studium am geeignetsten sind, d. h. die in kürzester Zeit das meiste Wissen vermitteln kön- nen. Hier richtungweisend zu wirken, hat auch die neueste Studienreform versäumt. Es wäre viel wirkungsvoller, der Anatomie innerhalb der Lehrveran- staltungen die Bedeutung zurückzuge- ben, die ihr innerhalb des ärztlichen Handelns zusteht, d. h. die klinisch-to- pographische Anatomie wieder im kli- nischen Teil des Studiums zu lehren und im Staatsexamen zu prüfen.
Der Bezug der Anatomie zur Lehre äußert sich übrigens auch beispielswei- se in der Tatsache, dass Studenten sich gerne als Koassistenten im Präparier- kurs oder für Demonstrationen zur Ver- fügung stellen, soweit es ihr Stunden- plan zulässt.
Eine wesentliche Maßnahme, die die personelle Situation in der Anatomie verbessern würde, ist die längst überfäl- lige Einführung des „Facharztes Ana- tomie“ und sind nicht „Habilitations- änderungen“ oder „Juniorprofessuren“.
Ich bin überzeugt, dass der personale Notstand in der Anatomie der Vergan- genheit angehört, wenn die von Prof. Fi- scher und Prof. Papst angegebenen Lö- sungswege in modifizierter Form durch- geführt werden.
Dr. E. Kaiser, Pettenkoferstraße 11, 80336 München
Schlusswort
Das in verschiedener Form (Briefen, Anrufen, Gesprächen) geäußerte Inter- esse an unserem Beitrag im Deutschen Ärzteblatt und die beiden ausführli- chen und inhaltlich kontroversen Le- serbriefe zeigen uns nicht nur die Ak- tualität des Themas, sondern auch, in welch schwieriger Lage sich die Anato- mie derzeit befindet. Die beiden Zu- schriften kennzeichnen stellvertretend für viele weitere Reaktionen auf unse- ren Beitrag wichtige Facetten des Nach- wuchsproblems. Während Herr Kollege Frotscher die Lehre als etwas mehr Ne- bensächliches beschreibt, betont Herr Dr. Kaiser die ärztlichen Aspekte der Anatomie und wünscht sich sogar Pati- entenkontakte. Diese beiden zugespitz- ten Standpunkte lösen unserer Mei- nung nach die Nachwuchsproblema- tik in unserem Fach nicht. Der Anlass
für unseren Beitrag war eine Umfrage bei allen Anatomischen Instituten in Deutschland und die eindeutigen Er- gebnisse und nicht die Situation in un- seren eigenen Instituten. Verschiedene Passagen in dem detaillierten Brief von Herrn Kollegen Frotscher zu aktuellen Forschungsmethoden und Fragestellun- gen in der Anatomie unterstreichen un- sere Ausführungen zur Bedeutung ei- ner „national und international wettbe- werbsfähigen Forschung“ und unsere Hinweise auf interdisziplinäre For- schung.Wir hatten ausgeführt, dass „die Zukunft des Faches Anatomie durch die wissenschaftliche Qualifikation des akademischen Nachwuchses gesichert“
werden muss. „Attraktive“ Forschung mit interessanten wissenschaftlichen Fragestellungen und Methoden sind je- doch kein Allheilmittel. Das lässt sich allein schon dadurch nachweisen, dass die Anatomischen Institute, die angeb- lich kein Nachwuchsproblem haben, vielfach ganz andere Standortvorteile als attraktive Forschung bieten. Be- werbern sind bei ihrer Berufs- und Standortwahl häufig andere Prioritäten (attraktive Wohnorte, Lebensqualität, Lebenshaltungskosten, Vertragsdauer, mittel- und langfristige berufliche Per- spektive von Stelle und Fach, persönli- che Beziehungen zu Professoren) wich- tiger als das Forschungsgebiet und die internationale Reputation der Arbeits- gruppe. Dies ist zwar unter dem Aspekt der Hochleistungsforschung bedauer- lich, spiegelt aber die reale Bewer- bungssituation und Arbeitswelt wider.
Unsere Lösungsvorschläge waren in kurz- und langfristig unterteilt. Eini- ge Vorschläge zur Minderung der Nachwuchsproblematik (Teilzeitarbeit, Emeriti, Ärzte aus Osteuropa) dienten der kurzfristigen Absicherung der Leh- re und sollen dadurch helfen, Zukunfts- chancen für den Nachwuchs mit mehr Zeit für Forschung zu schaffen. Wir tei- len die Meinung von Herrn Kollegen Frotscher über den Stellenwert der Lehre nicht. Wir sind der Meinung, dass sie nicht nur die zweite Säule unseres Berufes, sondern gleichzeitig auch ein wesentliches Element der Nachwuchs- problematik ist, gerade dann, wenn die Lehre bei der Leistungsbewertung der akademischen Mitarbeiter innerhalb der Institute und innerhalb der Fakultä-
ten nicht fair verteilt und berücksichtigt wird. Es ging uns nicht darum, der Lehre in der Anatomie einen „noch höheren Stellenwert“ einzuräumen, wie Herr Kollege Frotscher schreibt, sondern der Lehre in Ergänzung zur Forschungseva- luation endlich die höhere Wertschät- zung in der Leistungsbewertung und Mittelverteilung in den Fakultäten zu geben, die ihr zusteht. Es war nicht Ziel unseres Beitrags, wie Herr Kollege Kai- ser schreibt, auf die Einschätzung der großen klinischen Relevanz, besonders der makroskopischen Anatomie, durch Medizinstudierende und praktizierende Ärzte hinzuweisen, weil dazu bereits früher repräsentative Daten zurzeit des Staatsexamens und durch Ärzte zurzeit der Facharztprüfung publiziert worden sind. Auf den Hinweis auf eine „Ein- führung des Facharztes Anatomie“
durch Herrn Dr. Kaiser möchten wir er- läutern, dass es in zahlreichen Weiterbil- dungsordnungen von Landesärztekam- mern diesen Facharzt seit Jahren gibt.
Die Anatomische Gesellschaft hat für Nicht-Mediziner den „Fachanatomen“
geschaffen, vergleichbar zum „Fach- pharmakologen“. Die Forderung von Herrn Kollegen Frotscher, dass die Uni- versitäten über Verlängerung oder Kün- digung von Mitarbeitern entscheiden und so aktive Nachwuchspolitik betrei- ben sollten, ist uneingeschränkt zu un- terstützen. Nur: Sie geht an den Vorga- ben des Arbeits- und Tarifrechtes vorbei und ist derzeit kein realistischer Ansatz zur Lösung des Nachwuchsproblems.
Schließlich: Die von uns dargestellte Si- tuation in der Anatomie ist nicht nur ty- pisch für Deutschland. Nach einer Mel- dung in Science Ende Februar 2003 ha- ben über 80 % der anatomischen De- partments in den USA „great or mod- erate“ Probleme, qualifizierten akade- mischen Nachwuchs zu finden. Und die- ser Mitteilung zufolge bedienen sich die US-Fakultäten genau einiger der Vor- schläge, die wir in unserem Artikel für Deutschland angeregt haben.
Literatur bei den Verfassern
Prof. Dr. Dr. Bernd Fischer, Institut für Anatomie und Zellbiologie der Martin-Luther-Universität Halle-Witten- berg, Halle/Saale
Prof. Dr. Reinhard Pabst,Abteilung II: Funktionelle und Angewandte Anatomie, Zentrum Anatomie der Me- dizinischen Hochschule Hannover
T H E M E N D E R Z E I T
A
A2212 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 34–3525. August 2003