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Es gibt eine ganze Reihe von Handverletzungen, die vom Hausarzt fachgerecht versorgt werden können und bei denen die Überweisung an einen Handchir - urgen überflüssig ist. Die häufigsten Fälle werden in diesem Beitrag vorgestellt.

BETTINA JUON PERSONENI UND ESTHER VÖGELIN

Handverletzungen können sehr gut in der hausärztlichen Praxis behandelt werden, wenn die unten jeweils aufgeführ- ten «Red flag»-Situationen beachtet und der Patient bei feh- lenden Möglichkeiten der Versorgung entsprechend weiter- gewiesen wird.

Fingerendgliedverletzungen

Das Fingerendglied hat einige anatomische Besonderheiten, die in Abbildung 1dargestellt sind. Es empfiehlt sich, die Wundreinigung unter Fingerleitungsanästhesie (Abbildung 2) und bei Fingerblutleere (z.B. mittels Stauen mit dem kleinen Finger eines sterilen Handschuhs; Abbildung 3) durchzufüh- ren. Die Fingerleitungsanästhesie kann entweder in der klas- sischen Oberst-Leitungsanästhesie oder aber nur durch eine Injektion palmar in die Beugesehnenscheide proximal des A1-Ringbandes erfolgen.

Nagelluxation

Bei luxierten Nägeln muss zwingend radiologisch eine Nagel- kranzfraktur ausgeschlossen werden. Falls eine dislozierte Fraktur im Endgliedbereich vorliegt, lohnt sich die Spickung mit einem oder zwei feinen Kirschner-Drähten (KD 0,8 oder 1 mm).

Häufig ist auch das Nagelbett verletzt und muss korrekt adaptiert werden. Dies soll mit Lupenvergrösserung, Finger- blutleere und Fingerleitungsanästhesie mit einem resorbier- baren Faden der Stärke 6-0 erfolgen. Der eigene Nagel oder ein Kunstnagel aus dem Warenhaus sterilisiert oder aus einer 10er-Spritze geschnitten wird appliziert, korrekt reponiert und mit einem nicht resorbierbaren Faden der Stärke 4-0 fixiert (Abbildung 4).

Red flags:Nagelluxation verpasste Reposition, ungenü- gende Nagelbettnaht → Nagelwachstumsstörung und aus- bleibende Knochenheilung, wenn die Nagelplatte nicht über die Frakturzone wachsen kann.

Rissquetschwunde (RQW)

Falls die Wunde tiefer ist als die Epidermis, sollten auch dis- tal des Interphalangealgelenks (DIPG) Nervenäste revidiert werden. Es ist sinnvoll, diese Nervenäste mit Lupenvergrös- serung zu readaptieren, vor allem auch zur Neuromprophy- laxe. Die Prüfung der Sensomotorik ist zwar hilfreich in der Diagnostik, aber partielle Verletzungen können häufig über- sehen werden, wenn die Wunde nicht formell revidiert wird.

Im Zweifelsfall soll die Wunde adaptiert und der Patient zum Spezialisten weitergeschickt werden.

Red flags: Vermutete Nervenläsionen auch distal des DIPG (wenn an exponierter Seite des Fingers) →Nervennaht emp- fehlenswert!

FORTBILDUNG

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ARS MEDICI 12 2013

In mano veritas

Behandlung alltäglicher offener Handverletzungen in der Praxis

Abbildung 1: Anatomie des Fingerendglieds; 1: Nagelplatte, 2: Nagel- matrix, 3: Endphalanx, 4: Eponychium, 5: Paronychium, 6: Hypony- chium, 7: Fingerkuppe

Abbildung 2: intrathekale Fingerleitungsanästhesie

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Fingerkuppendefekt

Bei Fingerkuppendefekten muss zwischen oberflächlichen und tiefen Defekten unterschieden werden. Tiefe, gross - flächige Fingerkuppendefekte mit grossem Pulpasubstanz - defekt müssen mit einer lokalen Lappenplastik gedeckt werden, vor allem wenn Knochen, Sehnen oder Nerven exponiert sind.

Kleinere Defekte, auch mit freiliegendem Knochen distal im Nagelkranzbereich (vor allem bei transversalen Kuppen - defekten), können heute konservativ mit Okklusivverbänden zur Ausheilung gebracht werden. Die feuchte Kammer kann

mittels Opsite-Folie oder einer Kalziumalginatgaze mit Folie erzeugt werden. Wichtig ist, die Umgebungshaut vor zu star- ker Mazeration zu schützen (mit Varihesive®, Comfeel®oder CavilonTM). Sie wird zwar trotzdem mazerieren, aber das ge- sammelte Sekret läuft nicht heraus, respektive die Okklusion bleibt dicht (Abbildung 5).

Das Ziel der Behandlung ist eine gute Polsterung. Speziell wenn die Endphalanxknochenspitze und das Hyponychialgewebe fehlen, ist das Nagelbett häufig relativ zu lang. Wenn dann ungenügend Pulpagewebe nach der Heilung vorhanden ist, kommt es zu unschönen Rabenschnabelnageldeformitäten.

Bei fehlendem Hyponychialgewebe muss deshalb das Nagelbett gekürzt werden. Bei palmarbetonten schrägen Kuppenweichteil- und Knochendefekten mit fehlendem Hyponychialgewebe empfiehlt sich der Gewebe aufbau mit einer Lappenplastik.

Red flags: Palmare Kuppendefekte mit exponiertem Kno- chen und Hyponychialgewebe →Lappenplastik nötig; Fin- gerkuppendefekt mit vorgeschalteter Nervenverletzung → operative Versorgung erforderlich.

Bisswunden

Zum Ausschluss von Gelenk- oder Knochenverletzungen durch Zähne ist ein Röntgenbild unerlässlich, ausser bei ganz oberflächlichen Bissverletzungen. Trotz Antibiotikagabe (Augmentin®) und Ruhigstellung sollte die Bissstelle grosszü- gig chirurgisch debridiert werden, wenn nach 24 bis 48 Stun- den keine wesentliche Besserung eintritt.

In Gelenk- oder Sehnenscheidennähe sollte sofort chirurgisch revidiert, gespült und eine Drainage eingelegt werden, und man sollte das Material immer bakteriologisch untersuchen lassen (Keimspektrum: Anaerobier: Pasteurella multocida, Streptokokken, Staphylokokken und Anaerobier: Fuso - bacterium).

FORTBILDUNG

ARS MEDICI 12 2013

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Abbildung 3: Abbinden des Fingers mit dem Fingerling eines Handschuhs

Abbildung 5: konservative Behandlung mit semi-okklusivem Verband Abbildung 4: Fingernagelluxation und Nagelbettverletzung; 1: nicht reponierte Nagelplatte, 2: Nagelbettverletzung nach Entfernung der Nagelplatte und Fraktur, 3: Frakturfixation mit Kirschnerdraht, Nagel- bettnaht mit 6-0 Vicryl rapid, 4: korrekte Nagelplattenreposition und Refixation der Nagelplatte.

Tag 0 1 Woche 2 Wochen 3 Wochen 4 Wochen

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Antibiose für fünf Tage, auch ohne Bakteriennachweis (wenn vorbehandelt). Häufig besteht die Rötung und Schwellung auch ohne bakteriellen Nachweis durch die Toxine des Spei- chels und lässt sich deshalb nur durch lokale Spülung und Dé- bridement beheben. Sobald die Symptome (Schwellung und Rötung) konservativ bessern respektive unmittelbar post- operativ noch mit liegender Drainage, wird mit Bewegungs- therapie begonnen. Dazwischen soll der Finger/die Hand noch hochgelagert und ruhiggestellt werden.

Bei konservativem Behandlungsversuch soll der Patient nach 24 Stunden Rückmeldung geben respektive über die Möglich- keit einer progredienten Verschlechterung informiert werden.

Auch noch so kleine Biss wunden können eine starke lokale Entzündung bewirken (Abbildung 6).

Red flags: Rasch progrediente Entzündung, hämorrhagische Blasen →sofortige Entlastung nötig. Ausbleibende Besserung der Symptome nach 24 bis 48 Stunden trotz Antibiose →Chir- urgie zur Reinigung der Wunde von Toxinen wichtig.

Fremdkörper

Organische Fremdkörper sollen wenn immer möglich ent- fernt werden (Holz/Dorn), während Metallsplitter ohne funktionelle Einbussen belassen werden können. Fremd - körper können sehr gut sonografisch oder durch Röntgen (Bildwandler) lokalisiert werden. Tiefer liegende oder in Nachbarschaft von Nerven, Gelenken oder Sehnen befindli- che Fremdkörper werden in Blutsperre chirurgisch entfernt.

Oberflächliche, kompakte oder auch kleine Fremdkörper können unter Lokalanästhesie extrahiert werden. Es emp- fiehlt sich eine Finger- oder Oberarmblutsperre. Bei chroni- schen Paronychien muss auch an einen subungualen Fremd- körper gedacht werden (Abbildung 7).

Red flags: Fremdkörper suchen, wenn Patient immer wieder über schmerzhafte Entzündungen klagt →Röntgen, Ultraschall.

Infekte im Nagelbereich

Entzündungen im Bereich der Nagelfalte (Paronychie) wer- den von lokalen Abszedierungen (Panaritium) unterschieden.

Bei chronischen Verläufen muss immer an eine Pilzinfektion gedacht werden. Bei chronischen Panaritien empfiehlt sich die komplette oder teilweise Entfernung der Nagelplatte inklusive eines Röntgenbilds, auch wenn konservativ mit Bädern (z.B. Prontosan®, verdünntes Octenisept®) vorgegan- gen wird. Farblose Desinfektionsmittel haben den Vorteil der besseren Beurteilung der Rötung im Verlauf.

Operativ soll senkrecht zur Nagelfalte eingegangen werden (siehe Abbildung 8), damit lässt sich von überall her der In- fekt auch mit doppeltem Zugang seitlich der Nagelplatten- und oder Nagelbettextraktion beherrschen, ohne dass die Eponychialfalte beschädigt wird. Bei fehlender Beschwerde- besserung nach einer Inzision empfehlen wir die Zuweisung zum Spezialisten.

Red flags: Chronische nicht heilende Paronychien →FK su- chen, Abklärung mit Röntgen und Ultraschall, frühzeitig ganze Nagelplatte entfernen und auf Pilzinfektionen testen, Tumor mit Biopsie ausschliessen.

Verbrennungen

Verbrennungen an den Fingern können initial in der Praxis versorgt werden, wenn sie nur lokalisiert und klein sind.

Wenn nicht schon am Unfallort gekühlt worden ist, soll dies noch für 20 Minuten nachgeholt werden. Es ist sinnvoll, die Brandwunde zu fotografieren, um den weiteren Verlauf bes- ser beurteilen zu können.

FORTBILDUNG

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ARS MEDICI 12 2013

Abbildung 7: chronischer subungualer Infekt mit Fistel und Schwellung des Endglieds nach Fremdkörper und bereits vorhandener Osteolyse (rote Pfeile)

Abbildung 6: Katzenbiss mit Entzündung

Abbildung 8: Die Inzision bei chronischer Paronychie muss senkrecht zur Eponychial- oder Paronychialfalte erfolgen.

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Rötungen und Blasenbildungen (Verbrennungen oder Ver- brühungen ersten und zweiten Grades) werden am besten mit Bactigras®verbunden. Der Patient sollte die Finger sofort mobilisieren. Genügend Analgesie ist wichtig. Ein täglicher Verbandswechsel ist wegen des Austrocknens empfehlens- wert. Grössere Blasen dürfen abgetragen werden, damit das Verbinden und Mobilisieren einfacher gelingt.

Bei Teerverbrennungen lässt sich der Teer nach der Kühlung sehr einfach mit Butter oder Olivenöl entfernen; dies kann ohne Narkose erfolgen und anschliessend wie oben verbun- den werden.

Bei grösseren Flächen und über Gelenken empfiehlt sich im Verlauf der ersten 10 Tage eine Hauttransplantation.

Red flags: Ausbleibende Mobilisierung nach 2 bis 4 Tagen → Ursache abklären (Schmerz oder fehlende Haut über Gelen-

ken?) →chirurgische Therapie. ❖

Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. med. Esther Vögelin

Handchirurgie und Chirurgie der peripheren Nerven Universität Bern, Inselspital

Freiburgstrasse 10 3010 Bern

E-Mail: esther.voegelin@insel.ch

Interessenkonflikte: keine deklariert

Weiterführende Literatur:

1. Schnabl SMK, Polykandriotis E, Dragu A, Kneser U, Horch RE: Verletzungen des Fingernagels und des Nagelbetts. CHAZ 2008; 9(4): 174–183.

2. Chiu DT: Transthecal digital block: flex or tendon sheath used for anesthetic infusion.

J Hand Surg Am 1990; 15(3): 471–477.

3. Damert HG, Altmann S: Treatment of fingertip amputation with semi occlusive dres- sing. Unfallchirurg 2012; 115(9): 798–801.

4. Vogt M: Diagnostik und Therapie von Bissverletzungen durch Hunde, Katzen und Menschen. Dtsch Med Wochenschr 2003; 128: 1059–1063.

5. Subotic U, Staubli G: Die akute Wundversorgung. Erstbeurteilung, Anästhesie, Wundreinigung und Wundverschluss. Pädiatrie 2012; 3: 7–12.

6. Ritz N: Bisswunden – was ist zu beachten? Pädiatrie 2012; 3: 13–14.

7. Bradley M: Image-guided soft-tissue foreign body extraction – success and pitfalls.

ClinRadiol 2012; 67(6): 531–534.

8. Künzli W, Wedler V: Wegweiser Verbrennungen. Beurteilung und Behandlung von Verbrennungen bei Erwachsenen. IBSA Institut Biochimique SA, CH-6915 Pambio-

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Referenzen

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