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Archiv "Neurowissenschaften: Zur Lage der Hirnforschung" (18.03.2005)

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asante technische Fortschritte bei den bildgebenden Verfahren haben in den letzten Jahren faszinierende Einblicke in die Steuerungsmechanis- men des Gehirns und der neuronalen Netze vermittelt. Diese Entwicklung weckt in der Bevölkerung gleichermaßen Hoffnungen und Ängste: Dem Wunsch nach Heilung psychischer und neurologi- scher Erkrankungen steht die Befürch- tung entgegen, die Neurowissenschaftler könnten schon bald in der Lage sein, die intimsten Gedanken eines Menschen aufzudecken, sein Verhalten vorherzusa- gen oder sogar zu manipulieren.

Um dieser Skepsis, die sich im Grenz- bereich zwischen Medizin, Physik, Recht, Kultur, Ethik und Religion bewegt, zu begegnen, haben elf deutsche Spitzen- wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen in neunmonatiger Arbeit ein Manifest zur Lage und Zukunft der Hirnforschung erstellt und publiziert (Gehirn und Geist 2004; 6: 30 ff. sowie www.gehirn-und-geist.de/manifest). Bei einer Pressekonferenz der Berlin-Bran- denburgischen Akademie der Wissen- schaften erklärte Prof. Dr. med. Hen- ning Scheich, Direktor am Leibniz-In- stitut für Neurobiologie (Magdeburg), das Manifest verfolge ein medizinisches Motiv und habe den Willen zur Ausein- andersetzung mit den divergierenden Ansichten überwiegend von Geisteswis- senschaftlern.

Als ein Beispiel für die ethische De- batte über die Nutzung neurowissen- schaftlicher Erkenntnisse nannte er die Entwicklung des Cochleaimplantats.

Dieser Neurostimulator kommt zur An- wendung, wenn das Innenohr durch Krankheit oder Unfall zerstört wurde, der Hörnerv aber zumindest teilweise funktionstüchtig geblieben ist. Nach Angabe von Scheich gibt es angesichts dieser technischen Entwicklung in der

Öffentlichkeit eine massive Oppositi- on, die beklagt, dass die „Kultur der Gehörlosen“ unbeachtet bliebe.

Elektroden zum Kupieren von Par- kinsonstörungen oder Prothesen bei Querschnittlähmung stoßen auf ähnli- che Widerstände. Aus seiner Sicht un- terschlägt die ethische Debatte aber die Hoffnungen der Patienten. Das Mani- fest zur Hirnforschung solle als An- gebot eines vorurteilsfreien Dialogs zwischen Neurowissenschaftlern sowie Geistes- und Sozialwissenschaftlern, Pädagogen und wissenschaftlichen Psy- chologen verstanden werden.

Die Bundestagsabgeordnete Ulrike Flach (FDP), Vorsitzende des Ausschus- ses für Bildung, Forschung und Tech- nologiefolgenabschätzung, betonte, die Hirnforschung werde wie die Genom- und Stammzellforschung eine Schlüssel- stellung im neuen Jahrhundert haben und von der Politik ebenso beachtet und kontrovers diskutiert werden. Falsch sei es jedoch, die Hirnforschung, die noch ein hohes Maß an Grundlagenforschung benötigt, bereits in den Feuilletons und der Politik mit Vorurteilen und diffusen Ängsten zu befrachten.

Die junge Hirnforschung mit ihrem hohen Innovationspotenzial solle nicht vorzeitig durch Grenzen und Regularien so eingeengt werden, dass sie sich nicht mehr frei bewegen kann; Deutschland laufe Gefahr, ins Hintertreffen zu gera- ten. Es sei an der Zeit, aus den Fehlern, die durch die vorzeitige ethische, rechtli- che und forschungspolitische Diskussion zur Gen- und Stammzellforschung ge- macht wurden, zu lernen und nicht zu wiederholen. „Japan und die USA haben uns längst überholt und Milliarden zur Hirnforschung in ihre Wissenschaftsetats eingestellt. Um mitzuagieren, benötige die Bundesrepublik weitaus höhere Gel- der als 34 Millionen Euro für das Kompe- tenznetzwerk Hirnforschung.“

International Anschluss halten

Prof. Dr. med. Randolf Menzel (Freie Universität Berlin) erklärte, eine gesell- schaftliche Aufgabe der Neurowissen- schaften sei es auch, eine Projektion in die Zukunft zu geben. Im Bereich der molekularen Neurowissenschaften sei die Bundesrepublik, die zwei Nobel- preisträger hervorgebracht hatte, bislang gut aufgestellt. Mängel sah er in dem Wissen über Schaltkreise bei Mensch und Tier, die Logik, Erkenntnis und Emotionen hervorbringen. Hier müsse Deutschland erhöhte (auch finanzielle) Anstrengungen erbringen, um interna- tional den Anschluss halten zu können.

Die Kontroversen im Feuilleton um die therapeutische Hirnforschung seien Ausdruck dafür, dass die Neurowissen- schaften plötzlich Fragen und Proble- me ansprechen, die traditionell bisher den Geisteswissenschaftlern überlassen waren. Dr. phil. Barbara Nickolaus M E D I Z I N R E P O R T

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A728 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1118. März 2005

Neurowissenschaften

Zur Lage der Hirnforschung

Mit einem Grundsatzpapier wollen elf Neurowissenschaftler ihren Beitrag zur ethischen Debatte um die Möglichkeiten und Grenzen der Hirnforschung im 21. Jahrhundert leisten.

Zweifellos wissen wir also heute sehr viel mehr über das Gehirn als noch vor zehn Jahren. Völlig unbe- kannt ist aber, was abläuft, wenn hundert Millionen oder gar einige Milliarden Nervenzellen miteinander

„reden“. . . Nach welchen Regeln das Gehirn arbei- tet; wie es die Welt so abbildet, dass unmittelbare Wahrnehmung und frühere Erfahrung miteinander verschmelzen; wie das innere Tun als „seine“ Tätig- keit erlebt wird und wie es zukünftige Aktionen plant, all dies verstehen wir nach wie vor nicht ein- mal in Ansätzen. Mehr noch: Es ist überhaupt nicht klar, wie man dies mit den heutigen Mitteln erfor- schen könnte.

Was wir in zehn Jahren über den genaueren Zusammenhang von Gehirn und Geist wissen werden, hängt vor allem von der Entwicklung neuer Untersuchungsmethoden ab. Das „Wo“ im Gehirn, über das uns heute die funktionelle Kern- spintomographie Auskunft gibt, sagt uns noch nicht, „wie“ kognitive Leistungen durch neuro- nale Mechanismen zu beschreiben sind.

Wie entstehen Bewusstsein und Ich-Erleben, wie werden rationales und emotionales Handeln miteinander verknüpft, was hat es mit der Vor- stellung des „freien Willens“ auf sich? Die großen Fragen der Neurowissenschaften zu stellen ist heute schon erlaubt – dass sie sich bereits in den nächsten zehn Jahren beantworten lassen, ist al- lerdings eher unrealistisch.

Auszüge aus dem Manifest zur Hirnforschung im 21. Jahrhundert

Referenzen

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