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Archiv "Diskussionsbeitrag zu „Evidence Based Medicine“: Unentbehrlich, aber kritisch werten" (27.06.1997)

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D

em Artikel von Prof. Dr.

Frank P. Meyer ist in seiner Grundaussage zur Bedeutung der Evidence Based Medicine voll zuzustimmen. Einige Wertungen zu den CSE-Hemmern und speziell zu der mit Pravastatin durchgeführten West of Scotland-Studie (WOS) be- dürfen jedoch einer kritischen Stel- lungnahme. Zur Erinnerung: Ziel von WOS war es, den Nutzen der Primär- prävention mit dem Cholesterinsyn- these-Hemmer Pravastatin zu bele- gen. „Das Ergebnis der Studie war ei- ne beeindruckend hohe Risikoreduk- tion von 21,9 Prozent. Die Letalitäts- differenz zwischen Verum- und Plaze- bogruppe betrug aber nur 0,9 Pro- zent“, so Meyer in seinem Beitrag.

Der Autor „kritisiert“ eine nur geringe Senkung der Gesamtmorta- lität von „nur 0,9 Prozent“ in bezug auf das absolute Risiko in fünf Jahren (relatives Risiko im Vergleich zu Pla- zebo: minus 22 Prozent, p = 0,051).

Dazu ist zu sagen, daß die Gesamt- mortalität nicht der primäre End- punkt der Studie war. Deshalb ist ge- rade dieses überraschend positive Er- gebnis von der medizinischen Fach- welt – unseres Erachtens absolut zu Recht – als „Durchbruch“ in der Fra- ge der Therapienotwendigkeit im Be- reich der sogenannten Primär- Prävention zu betrachten.

Anmerkung: sogenannte Primär- Prävention deshalb, weil beispielswei- se die einschlägigen Empfehlungen der Europäischen Atherosklerose- Gesellschaft (EAS) oder der deut- schen Arzneimittelkommission diese im allgemeinen Sprachgebrauch häu- fig anzutreffende, eher „künstliche“

Differenzierung in Primär- und Se- kundär-Prävention nicht benutzen, sondern eine Klassifizierung nach Maßgabe des individuellen Risiko- profils – hoch, mäßig, erhöht, niedrig – vornehmen. Das bedeutet ferner, daß Primär-Prävention in erster Linie den Erhalt der Gesundheit, also die Senkung der KHK-Morbidität, im Auge hat; im Beispiel der WOS-Stu- die also die Verhinderung des Auftre- tens von Erstereignissen, speziell Myokardinfarkten. Hier mit Zahlen wie „nur 0,9prozentige Senkung der Gesamtmortalität“ zu argumentieren ist absolut nicht gerechtfertigt, da für ein Viertel bis ein Drittel der Patien-

ten der Infarkt das erste klinische Symptom einer Atherosklerose ist.

Da die Bedeutung der Primär- Prävention – wie erwähnt – in der Ver- hinderung des manifesten Ausbre- chens der Krankheit liegt, ist auch die Beispielrechnung von Meyer mit „ver- geblich“ mit Pravastatin behandelten Menschen wissenschaftlich nicht zuläs- sig. Sie unterschlägt nämlich, daß viele dieser vermeintlich „vergeblich“ Be- handelten signifikant weniger Angina- pectoris-Anfälle, weniger Infarkte, we- niger PTCAs und weniger Bypässe durchzustehen hatten, was letztlich auch weniger kostenintensive Inter- ventionen und Krankenhausaufenthal- te zur Folge hatte.

Und genau diese zuvor genann- ten Ereignisse – exakt: die Kombinati- on aus KHK-Tod und nicht tödlichem Infarkt – (und nicht die Gesamtmor- talität) waren in dieser großangeleg- ten Primär-Präventions-Studie die vorab im Studienprotokoll definier- ten primären Endpunkte der WOS- Studie (J Clin Epidemiol. Vol 45, Nr.

8, 1992). Erst aufbauend auf diesem

korrekten Verständnis des Studien- zieles ist dann eine sogenannte Ko- sten/Nutzen- oder Kosten/Effekti- vitäts-Betrachtung statthaft.

Diese Art von Analysen, die bei- spielsweise in den Vereinigten Staaten längst „Standard“ sind, beziehen neben der Kostenkomponente grund- sätzlich immer auch eine Nutzen- komponente in die Betrachtung mit ein. Das heißt, konkret bezogen auf die WOS-Studie: nicht nur die Anzahl von vermiedenen Todesfällen, son- dern insbesondere auch die vermiede- nen nicht tödlichen Infarkte, PTCAs, Schlaganfälle etc. Dabei gehen dann auch selbstverständlich die dadurch gesparten Ausgaben für das Gesund- heitswesen (zum Beispiel Rehabilita- tionskosten nach Schlaganfall) eben- so in die Kostenkomponente mit ein und nicht nur die Kosten der medika- mentösen Therapie.

In ähnlicher Weise äußerte sich auch kürzlich der Studienleiter der WOS-Studie, J. Shepherd (Glasgow), zu solch methodologisch falschem Vorgehen: „If economic analyses are to provide guidance on population health strategies they should consider all relevant costs and consequences associated with medical interven- tions“ (BMJ, Vol 313, Nov 2, 1996).

Darüber hinaus bietet die WOS- Studie erstmals die Möglichkeit zu de- finieren, welche Risikopatienten den größten Nutzen von der Pravastatin- Therapie haben, denn die – unseres Erachtens sehr realitätsnahe – Ein- schätzung der Studienleiter geht kei- neswegs davon aus, alle Patienten, welche die Einschlußkriterien von WOS erfüllen, medikamentös zu be- handeln, obwohl dies allein aus medi- zinisch-ethischen Gesichtspunkten unter Umständen gerechtfertigt wäre.

Sie machen vielmehr den aus den Daten der WOS-Studie abgeleiteten Vorschlag, alle Patienten mit einem (absoluten) Risiko von zehn Prozent oder mehr, innerhalb der nächsten A-1783

P O L I T I K MEDIZINREPORT

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 26, 27. Juni 1997 (23)

Diskussionsbeitrag zu „Evidence Based Medicine“

Unentbehrlich,

aber kritisch werten

Relevante Kriterien für die Beurteilung ei-

ner Arzneimitteltherapie sind ihr Einfluß auf

Mortalität, Morbidität und Lebensqualität

der Patienten. Da diese Fragen meist erst

nach der Zulassung von Arzneimitteln ge-

klärt werden können, kommt der „ange-

wandten klinischen Studienmedizin“ (Evi-

dence Based Medicine) eine besondere Be-

deutung zu. Prozentuale Angaben zur er-

zielten „Risikoreduktion“, die sowohl in

wissenschaftlichen Journalen als auch in Fir-

menprospekten dominieren, können sich in

einigen Fällen jedoch als Falschmünzerei

entpuppen. Diese Behauptung des Pharma-

kologen Prof. Dr. Frank P. Meyer (DÄ Heft

4/1997) forderte einen pharmazeutischen

Hersteller zu einem Kommentar heraus.

(2)

fünf Jahre ein Koronarereignis zu er- leiden, mit Pravastatin zu behandeln (Lancet, Vol 348, No 9038, 1996).

Dieser Vorschlag spiegelt im übri- gen auch die aktuellen Empfehlungen der Europäischen Gesellschaften für Atherosklerose, Hypertonie und Kar- diologie wider (Eur Heart Journal and Atherosclerosis, Oct 1994). Entschei- dend im Sinne der Evidence Based Medicine ist unseres Erachtens, die nachweislich profitierenden Patienten zu behandeln, und zwar konsequent und langfristig. Die Diskussion um die gesundheitsökonomische Bewertung der zugrundeliegenden Studien sollte dabei allerdings genauso exakt vorge- nommen werden wie die Durch- führung der Studien selbst.

Dr. Arnold Lösler

Bristol-Myers Squibb GmbH Volkartstraße 83

80636 München

Schlußwort:

In meinem Beitrag hatte ich nicht die Absicht, bekannte Präparate zu evaluieren. Meine Intention war, den sich leider immer mehr einbürgern- den Begriff der sogenannten Risi- koreduktion zu beschreiben und als Pseudoinformation zu charakterisie- ren. Das hat die Firma Bristol-Myers Sqibb völlig ignoriert. Aus diesem Grund war es auch notwendig, eine

Bezugsgröße zu finden, die in vielen Studien benutzt wird und die deshalb für eine handliche Übersichtstabelle anwendbar war – und das war eben die Mortalität. Nicht mehr und nicht weniger war beabsichtigt.

In der untenstehenden Tabelle wurden einige Daten aus der Ori- ginalarbeit zur WOS-Studie (3) über- nommen. Die Auswahl richtete sich nach einem „Arzneimitteltherapie- express“, der im Auftrag von Bristol- Myers Squibb erstellt wurde (1), wo- bei ich dann wohl davon ausgehen kann, daß die „erwünschten Schwer- punkte“ wiedergegeben wurden. Die von der Firma kritisierte Angabe der Gesamtmortalität spielt hier plötzlich eine gerechtfertigt große Rolle!

In der Arbeit von Heinzl (1) wur- den aus der Originalstudie nur die mittleren Werte der „Risikoredukti- on“ ohne Konfidenzintervalle ange- geben. Das verfälscht die Wahrheit er- heblich! Schon bei dem Ereignis

„koronarer Herztod“ wird deutlich, daß es sich keineswegs ausschließlich nur um eine Risikoreduktion von 28 Prozent handelt, da die Minuswerte einer Risikoreduktion natürlich einer Risikoerhöhung entsprechen.

Die von mir berechneten „realen Reduktionen“ dürften die Situation deshalb weitaus realistischer wider- spiegeln, sind aber natürlich weniger publikations- und kaum noch werbe- wirksam. Bei Heinzl steht weiter:

„Der klinische Nutzen einer Senkung

erhöhter LDL-Konzentrationen ist nun auch für Patienten ohne koronare Herzkrankheit eindeutig nachgewie- sen, und zwar unabhängig vom Alter der Betroffenen.“ In diesem Satz stecken zwei Probleme: Die WOS- Studie wurde ausschließlich an Män- nern durchgeführt. Wenn von „Pati- enten“ gesprochen wird, werden Frauen üblicherweise impliziert.

Aber: Die an Männern gewonnenen Resultate lassen sich keinesfalls auto- matisch auf Frauen extrapolieren (4).

„Unabhängig vom Alter der Be- troffenen“ hat mit der Wahrheit schon nichts mehr zu tun, da nur Männer zwischen 45 und 64 Jahren einge- schlossen wurden. Auch hier sind Ex- trapolationen keineswegs zulässig:

„Elderly people in their late 70s and beyond generally should not be screened or treated for high blood cholesterol.“ (Editorial: JAMA 1994;

272: 1372–1373.) Die Aussage dieses Editorials stützt sich auf Untersu- chungen von Krumholz (2).

Damit ich richtig verstanden wer- de: Auch jede noch so kleine reale Re- duktion eines Ereignisses ist ein the- rapeutischer Fortschritt, für den ein- zelnen Patienten und seine Familie sind es immer 100 Prozent. Aber aus 0,5 Prozent Reduktion des koronaren Herztodes eine Risikoreduktion von 28 Prozent zu berechnen und dem Le- ser anzubieten mit dem Wissen, daß bei einigen Patienten die Therapie auch mit einer Risikoerhöhung ein- hergehen kann, ist einfach nicht fair.

Literatur

1. Heinzl S: Pravastatin erfolgreich in der Primärprävention der koronaren Herz- krankheit. Arzneimitteltherapie express 1996; 20: 1–4.

2. Krumholz HM, Seemann TE, Merrill SS et al.: Lack of association between cholesterol and coronary heart disease mortality and morbidity and all-cause mortality in persons older than 70 years. JAMA 1994; 272:

1335–1340.

3. Shepherd J, Cobbe SM, Ford I et al., for the West of Scotland Coronary Prevention Stu- dy Group: Prevention of coronary heart disease with pravastatin in men with hypercholesterolemia. N Engl J Med 1995;

333: 1301–1307.

4. Walsh IME, Grady D: Treatment of hyper- lipidemia in women. JAMA 1995; 274:

1152–1158.

MR Prof. Dr. med. Frank P. Meyer Institut für Klinische Pharmakologie Otto-von-Guericke-Universität Leipziger Straße 44

39120 Magdeburg A-1786

P O L I T I K MEDIZINREPORT

(26) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 26, 27. Juni 1997 Tabelle

West of Scotland Coronary Prevention Study Group (WOS)*

6 595 schottische Männer; 45–64 Jahre; LDL-Cholesterol 272 623 mg/dl;

Medikation: Pravastatin (40 mg abends) versus Plazebo

Ereignisse Plazebo Pravastatin Risiko- Reale

(N = 3 293) (N = 3 302) reduktion Reduktion**

n % n % % (95% CI) %

Nichttödlicher Herzinfarkt plus

koronarer Herztod 248 7,9 174 5,5 31 (17 bis 43) 2,2

Koronarer Herztod 52 1,7 38 1,2 28 (–10 bis 52) 0,5

Kardiovaskulärer Tod 73 2,3 50 1,6 32 (3 bis 53) 0,7

Gesamtmortalität 135 4,1 106 3,2 22 (0 bis 40) 0,9

* Auszug – ** In der Originalarbeit und in der Sekundärliteratur nicht explizit aufgeführt CI = Konfidenzintervall

Referenzen

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