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Archiv "„Künstliches Fieber“ in der Krebstherapie" (22.01.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT ÜBERSICHTSAUFSATZ

„Künstliches Fieber"

in der Krebstherapie

Jochen Lange, Klaus Eisler, Kurt Zänker und Jörg Rüdiger Siewert

Aus der Chirurgischen Klinik und Poliklinik

(Direktor: Professor Dr. med. Jörg Rüdiger Siewert) und dem Institut für Anästhesiologie

(Direktor: Professor Dr. med. Ernst Kolb) und dem Institut für Experimentelle Chirurgie (Direktor: Professor Dr. med. Günter Blümel) Technische Universität München

H

yperthermie bedeutet die Erhöhung der Körperkern- temperatur über den phy- siologischen Wert von 37 °C. Bis 40 °C sprechen wir von einer mo- deraten, danach von einer extre- men Hyperthermie. Bereits vor Hunderten von Jahren wurde Hit- ze zur Behandlung der verschie- densten Krankheitsbilder ange- wandt. Hypokrates schrieb:

„Krankheiten, die nicht durch Me- dikamente heilbar sind, werden durch das Messer geheilt, diese, die durch das Messer nicht geheilt werden können, werden durch das Feuer geheilt und diese, die durch das Feuer nicht geheilt wer- den können, müssen als unheilbar angesehen werden" (12)*).

Der erste belegte Bericht über ei- ne tumorzerstörende Wirkung der Hyperthermie stammt von Busch (4). Er berichtete 1866, daß ein hi- stologisch gesichertes Sarkom im Gesicht nach zweimaliger Erysi- pelinfektion, die mit starkem Fie- ber einherging, verschwand. Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhun- derts finden sich zahlreiche Be- richte über Tumorremissionen nach fieberhaften Infekten (2, 6, 18). Einer der engagiertesten Ver- treter der Fiebertherapie in der Onkologie war Coley. Er behan- delte um die Jahrhundertwende Krebspatienten mit einer Suspen- sion von attenuierten Streptokok-

ken und berichtete von Überle- benszeiten zwischen ein und sie- ben Jahren bei inoperablen Sar- komen und Karzinomen (7).

Tumorzellen gegen Hitze selektiv sensibel

Durch die rasante Entwicklung der Strahlentherapie, Chirurgie und später der Chemotherapie wurde die Hyperthermie in der Onkologie zunächst in den Hinter- grund gedrängt. Die jetzige Ära der Hyperthermie geht auf die Be- obachtung zurück, daß Tumorzel- len im Gegensatz zu gesundem Gewebe gegen Hitze selektiv sen- sibel sind (8, 20, 22).

Ferner konnte man nachweisen, daß der Effekt der Hyperthermie ein Produkt aus Temperatur und Zeit ist. Weitere Untersuchungen (15) bestätigten 1971, daß sich die Überlebenszeit von Kaninchen mit VX-II-Tumoren durch eine dreimalige Hyperthermie von et- wa 42 °C von zehn Wochen auf 18 Monate verlängerte.

Unstrittig ist derzeit, daß die Hy- perthermie Tumorzellen schädi- gen kann, Unklar ist jedoch, auf welchen Mechanismen diese Wir- kung beruht. 1967 konnte in In-vi- tro-Versuchen (5) nachgewiesen werden, daß die Aminosäure- und

Der derzeitige Stand der Entwick- lung erlaubt eine Erhöhung der Kerntemperatur des Menschen über das physiologische Maß hin- aus. Temperaturen bis 42,5 °C werden ohne gravierende Neben- wirkungen toleriert. Aus In-vitro- Versuchen an gezüchteten Tu- morzellen und aus Fallberichten zu fieberhaften Infekten und dabei auftretenden Tumorremis- sionen kann man schließen, daß Tumorzellen unphysiologische Temperaturen weniger gut tolerie- ren als die nicht entarteten Zellen.

Proteinsynthese bei Novikow-He- patom-Zellen bei 42 °C irreversi- bel geschädigt werden, während gesunde Rattenleberzellen kei- nerlei Schädigungen aufweisen.

Nach Meinung einiger Autoren (9) kommt es unter der Hyperthermie zu einer gesteigerten Antwort des Immunsystems. So würden die zerstörten Tumorzellen als Anti- gen und somit immunstimulie- rend wirken. Auch könnte die zweifellos zu beobachtende Rückbildung der Tumoren aus der Zerstörung des Blutgefäßsystems im Tumor und somit aus den Ischämiefolgen resultieren.

Kombination

mit anderen Therapieformen Die Kombination der Hyperther- mie mit der Chemotherapie verän- dert nicht nur die Zellmembranen der Tumoren durch Hitze, son- dern fördert auch die Aufnahme von Zytostatika in die Zelle (10).

Diesen potenzierenden Effekt fand man auch für Adriamycin, Bleomycin, Cisplatin und andere Zytostatika (11).

Bei metastasierenden Melano- men kann die Kombination von

*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.

186 (54) Heft 4 vom 22. Januar 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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Abbildung: Operationssaal mit Patienten bei der Ganzkörperhyperthermie, bei der den Patienten mit metastasierenden malignen Tumoren die nötige Wärmeenergie mit Hilfe eines extrakorporalen Kreislaufes zugeführt wird; ein Verfahren, bei dem noch viele Fragen (zum Beispiel zum Wirkungsmechanismus) ungeklärt sind

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Hyperthermie

Hyperthermie und Melphalan im Rahmen der regionalen Perfusion die Response-Rate von 35 auf 80 Prozent gegenüber der alleinigen Zytostatika-Gabe steigern (19).

In letzter Zeit findet die Thermo- Radio-Therapie in der Behand- lung organrespektierender Tumo- ren immer mehr Interesse. Hier- bei wird die Hyperthermie mit ei- ner Strahlentherapie kombiniert, wobei sowohl eine externe Be- strahlung als auch eine intersti- tielle Bestrahlung (zum Beispiel mit Radio-Seeds) zur Anwendung kommt.

Nach einer Arbeitshypothese er- reichen hypoxische Zellen einen höheren Grad an Strahlensensiti- vität, wenn sie auf ein höheres Wärmeniveau gebracht werden.

Aus anderen Experimenten schließt man jedoch, daß subleta- le Schäden, die durch die Be- strahlung induziert werden, von der Zelle nicht mehr kompensiert werden können, da die Überwär- mung auf zellulärer Ebene ther- moinstabile Reparaturmechanis- men schädigt (1).

Lokoregionale Hyperthermie Bei der klinischen Anwendung der Hyperthermie ist zwischen der lokoregionalen (auf ein Organge- biet begrenzten) und der systemi- schen, das heißt Ganzkörperhy- perthermie zu unterscheiden. Bei der lokoregionalen Hyperthermie kommen derzeit die verschieden- sten Verfahren zur Anwendung wie Ultraschall, Hochfrequenz-, Mikro- und elektromagnetische Wellen. Dabei erweisen sich zahl- reiche biophysikalische Probleme als noch nicht befriedigend gelöst oder nur durch nicht vertretbare Kompromisse lösbar. Das bezieht sich vor allem auf die feingeweb- liche Absorption der Wärme in verschiedenen Schichten des Ge- webes. Bei Mikrowellen ist die Wärmeentwicklung von der unter- schiedlichen Impedanz des Ge- webes abhängig. Radiowellen sind schwer zu fokussieren;

Ultraschall reflektiert an Oberflä- chen, besonders an Knochen oder Luft.

Ein weiteres Problem ist die Ein- dringtiefe. Temperaturen von 42,0 bis 42,5 °C, wie sie zur Tumorzell- schädigung erforderlich sind, können mit den bisher vorhande- nen Vorrichtungen maximal bis zu einer Tiefe von 6 cm erreicht wer- den. So kommen im Grunde nur oberflächliche Malignome in Fra- ge (Mammakarzinome, Tumoren im Kopf- und Halsbereich sowie Extremitätentumoren). Bei gut durchbluteten Organen wie Leber und Niere stellt sich ferner das Problem des Wärmeverlustes durch Konvektion.

Eine wirksame und praktikable Art der lokoregionalen Hyperthermie stellt die regionale Perfusion dar (Erhitzung des Blutes über einen extrakorporalen Kreislauf), wie sie 1967 von Cavalliere (5) zum ersten Mal praktiziert wurde. Sie bedeu- tet allerdings einen operativen Eingriff und ist nur an Extremitä- ten durchführbar. Bei Extremitä- tentumoren, insbesondere bei malignen Melanomen ist diese Methode in Kombination mit der Zytostase ein erfolgreiches Thera- pieverfahren (17). Auf diesem be- grenzten Gebiet ist die Hyperther- mie über das Versuchsstadium

hinaus und hat Eingang in die Schulmedizin gefunden.

Systemische Hyperthermie Eine systemische, das heißt Ganz- körperhyperthermie wurde schon 1935 von Warren erprobt (21).

1974 wurde eine Methode be- schrieben, bei der Patienten in Wachs mit einer Temperatur von über 42 °C eingebettet wurden (17). Positive Erfahrungen gibt es auch mit einem mit Wasserschlan- gen durchzogenen Anzug, der als Thermokonvektor dient (14). Ein ähnliches Verfahren wird derzeit mit aufheizbaren Wassermatten praktiziert (3).

In der eigenen Klinik kommt in An- lehnung an Parks (16) eine Metho- de der extrakorporalen Wärmeap- plikation zur Anwendung: Die nö- tige Wärmeenergie wird dem Pa- tienten mit Hilfe eines extrakorpo- ralen Kreislaufes zugeführt (13).

Auch wenn sich bei der systemi- schen Hyperthermie erste Erfolge zeigen, sollte diese Methode nur bei Patienten mit metastasieren- den malignen Tumoren ange- wandt werden, bei denen sämt- liche

konventionelle Therapiever-

fahren wie Chirurgie, Che-

motherapie

und Strahlentherapie Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 4 vom 22. Januar 1986 (55) 187

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

FÜR SIE GELESEN

Hyperthermie

bereits ausgeschöpft sind. Es han- delt sich hierbei um ein Verfah- ren, bei dem noch zahlreiche Fra- gen offen sind (zum Beispiel die Frage der Immunsuppression).

Daher sollte diese Behandlung nur im Rahmen prospektiver kon- trollierter Studien durchgeführt werden.

Keine Wunderwaffe

im Kampf gegen den Krebs Bei der klinischen Anwendung der Hyperthermie zeigen sich er- ste Erfolge. In erster Linie handelt es sich jedoch um klinische Erfah- rungsberichte. Kontrollierte klini- sche Studien liegen bisher nicht vor. Diese ersten positiven Ergeb- nisse berechtigen aber zur Zeit noch in keiner Weise zu den in der Boulevardpresse immer wieder aufgegriffenen Schlagzeilen, in denen die Hyperthermie als Wun- derwaffe gegen den Krebs darge- stellt wird. Gefährlich sind die von manchen medizinischen Außen- seitern als Wundermittel im Kampf gegen den Krebs angebo- tenen Hyperthermieverfahren. Es handelt sich hierbei sowohl in Handhabung und erzielter Tem- peratur um völlig unzureichende Behandlungsmethoden, die bei Krebspatienten Hoffnungen er- wecken, die mit Sicherheit nicht erfüllt werden können.

Die Anerkennung der Hyperther- mie als klinisches Therapieverfah- ren kann nur durch konsequente wissenschaftliche Forschung und kontrollierte prospektive klinische Studien erreicht werden. Die klini- sche Anwendung der Hyperther- mie beim Menschen muß, von ei- nigen Indikationen abgesehen, noch als experimentell angese- hen werden. Derzeit kann sie nicht an die Stelle von bewährten Behandlungsmethoden in der Krebstherapie treten.

Vielzahl ungelöster Probleme Somit steht außer Frage, daß die Hyperthermie eine tumorzerstö-

rende Wirkung hat. Dennoch ste- hen wir vor einer Viezahl ungelö- ster Probleme:

> Wie ist der Wirkungsmechanis- mus der Hyperthermie zu verste- hen?

> Bei welchen Tumoren wird sie am besten eingesetzt?

> Mit welcher Kombinations- therapie (Strahlentherapie, Che- motherapie) wird sie am besten eingesetzt?

> Welche Hyperthermietechnik ist die effektivste für die einzelnen Tumoren?

> Wie sieht der optimale Be- handlungsfahrplan (Sequenz mit anderen Therapieverfahren) aus?

All diese Fragen können nicht durch die Leistung einzelner, son- dern nur durch die gemeinsame Anstrengung aller gelöst werden, die sich mit Hyperthermie befas- sen: Chirurgie, Onkologie, Strah- lentherapie und Grundlagenfor- schung.

Einen wesentlichen Weg dazu, auch zur kritischen Wertung der Ergebnisse durch Hyperthermie in unserer Klinik, hat Professor Manfred von Ardenne (Dresden) durch seinen wissenschaftlichen und medizinischen Pioniergeist auf diesem interdisziplinaren Ge- biet gewiesen. Ohne seine Ergeb- nisse hätte die Hyperthermie wahrscheinlich nicht eine so be- ständige Renaissance in der exak- ten Medizin erfahren.

Literatur im Sonderdruck, zu be- ziehen über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. Jochen Lange Chirurgische Klinik und Poliklinik

der Technischen Universität München

Ismaninger Straße 22 8000 München 80

Immunglobulin G bei Purpura im Kindesalter

In einer randomisierten Studie an 28 Krankenhäusern wurde bei 108 Kindern mit unbehandelter akuter im mu n-th rombozytopenischer Purpura die Wirkung von intrave- nösem Immunglobulin G mit der oralen Gabe von Kortikosteroiden verglichen. Das Immunglobulin G erwies sich als eine wirksame Therapie ohne schwere uner- wünschte Reaktionen.

Bei 62 Prozent aller Patienten, bei denen ein schneller Thrombozy- tenanstieg beobachtet wurde, zeigten sich Immunglobulin G und Kortikosteroide gleichermaßen wirksam, 38 Prozent der Patienten mit erforderlicher Weiterbehand- lung sprachen jedoch besser auf eine Therapie mit Immunglobulin G an.

Der Serumspiegel von Immunglo- bulin G stieg um das Zweifache nach IgG-Gabe. Ein signifikanter Anstieg des Immunglobulin-M- Spiegels wurde nach Gabe von Immunglobulin G zusammen mit Kortikosteroiden beobachtet. Der plättchen-assoziierte IgG-Index lag bei 75 Prozent aller Patienten hoch,

Signifikante Unterschiede zwi- schen den zwei Behandlungs- gruppen wurden nicht gefunden, Patienten mit schneller Reaktion hatten jedoch im Durchschnitt ei- nen kleineren initialen plättchen- assoziierten IgG-Index, der sich schneller und beständiger norma- lisierte als bei den Patienten mit langsamer Reaktion. Lng

Imbach, 0.; Berchtold, W.; Hirt, A.; Mueller- Eckhardt, C.; Rossi, E.; Wagner, H. P.; Gae- dickes, G.; Joller, P.; Müller, B.; Barandun, S.:

lntravenous Immunoglobulin versus oral Corti- costeroids in Acute Immune Thrombocytope- nic Purpura in Childhood. Lancet II, 1985, 464-468.

Dr. P. Joller, Kinderklinik der Universitätsklini- ken, Inselspital, CH-3010 Bern. Schweiz

188 (56) Heft 4 vom 22. Januar 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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