Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 48⏐⏐1. Dezember 2006 A3235
P O L I T I K
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enaue Zahlen gibt es nicht – wie bei allen illegalen Ge- schäften. Doch seriöse Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) belegen die Dimension des Problems. Zwischen zehn und 30 Prozent aller Medikamente, die in Entwicklungsländern auf dem Markt angeboten werden, sind Fälschun- gen. In einigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion liegt das Niveau der Fälschungen bei 20 Prozent. Auf komfortable ein Prozent bringen es die Industrieländer. Noch – denn die zunehmende Nutzung des Versand- handels über das Internet öffnet auch in diesen Staaten Arzneimittelfäl- schern Tür und Tor. Verkaufsschlager sind dort insbesondere sogenann- te Lifestylepräparate wie Potenz- und Haarwuchsmittel, Wachstums- hormone zum Muskelaufbau oder Schlafmittel. In den Entwicklungs- ländern werden vor allem Antibio- tika, Chemotherapeutika, Entzün- dungshemmer und Analgetika ge- fälscht. Armut, ein nur mangelhaft funktionierendes öffentliches Ge- sundheitswesen sowie kaum regu- lierte Arzneimittelmärkte ebnen den Produktpiraten den Weg.Patienten sterben
Die Auswirkungen wirkungsloser, unter- oder überdosierter Medika- mente auf die Gesundheit sind zum Teil verheerend. Schwere Erkran- kungen bleiben unbehandelt, Resis- tenzen entwickeln sich, Patienten sterben – wie jüngst in Panama, wo Kriminelle Frostschutzmittel als Hustensaft deklariert hatten.
Mit der International Medical Products Anti-Counterfeiting Task- force (IMPACT) will die WHO das Problem jetzt systematisch und auf internationaler Ebene angehen. „Wir haben ein Paket von Maßnahmen geschnürt, das sicherstellen soll, dass die Öffentlichkeit besser vor Fäl- schungen geschützt wird“, erklärte WHO-Mitarbeiterin Malebona Mat- soso anlässlich der konstituierenden Sitzung der Arbeitsgruppe Mitte November in Königswinter. Fünf Arbeitsgruppen sollen die WHO- Mitgliedstaaten dabei unterstützen, wirksame Gesetze gegen Arzneimit- telfälschungen zu erlassen und deren Einhaltung zu überwachen, den Me-
dikamentenmarkt effektiv zu regulie- ren, Fälschungen mithilfe moderner Technologie zu verhindern oder zu erkennen und über die Risiken von Produktfälschungen zu informieren.
„Wir müssen das öffentliche Bewusst- sein für diese Risiken stärken“, be- tonte Matsoso. Das Thema werde deshalb auch auf der Tagesordnung der nächsten Weltgesundheitsver- sammlung im Mai 2007 stehen.
Dass der Kampf gegen die Fäl- scher mehr ist als der gegen die
sprichwörtlichen Windmühlen, bele- gen erste Erfolge. Mit Unterstützung von IMPACT haben Indonesien und Mali damit begonnen, ihre Bevölke- rung über die Risiken von Arznei- mittelkäufen auf dem Schwarzmarkt aufzuklären, während Vietnam die Zusammenarbeit zwischen Arznei- mittelbehörden, Zoll, Polizei und Regionalbehörden verbessern will, um Fälschern das Handwerk legen zu können. Alle drei Staaten sind in hohem Maß von Medikamenten- fälschungen betroffen.
Erste Erfolge
Auch in China, neben Indien eines der Hauptherkunftsländer gefälsch- ter Ware, hat die Regierung nach Angaben von Harvey Bale vom In- ternationalen Verband der Pharma- hersteller (IFPMA) erste Maßnah- men zur Eindämmung der Fäl- schungen getroffen. Unter anderem seien dort wirksame Medikamen- tentests eingeführt worden.
Auch Nigeria hat erste Erfolge zu verzeichnen. Eine nationale Arznei- mittelüberwachungsbehörde nahm dort 1993 ihre Arbeit auf. Seither wurden Aufklärungskampagnen durchgeführt, das Personal wurde geschult und angemessen bezahlt – denn, so Hashim Ubale Yusufu, einer der Mitarbeiter, „Fälschungen und Korruption gehen Hand in Hand“. Zur Gründung einer Task- force habe die West African Health Organization zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt, berichtete Yusufu in Königswinter. Waren 1993 noch mehr als 50 Prozent der Arzneimittel auf dem nigeria- nischen Markt Imitate, seien es zu Beginn dieses Jahres „nur“ noch 16 Prozent gewesen. „Für die Ent- wicklungsländer ist die internatio- nale Zusammenarbeit in dieser Frage
essenziell.“ I
Heike Korzilius
ARZNEIMITTELFÄLSCHUNGEN
Globale Lösung für ein globales Problem
Die Weltgesundheitsorganisation hat eine Arbeitsgruppe gegründet, um den weltweiten Kampf gegen gefälschte Medikamente effektiver führen zu können. Mitte November hat sich die Taskforce in Bonn konstituiert und ihre Ziele formuliert.
Beschlagnahmte Fälschungen in Lagos:Nigeria hat im Kampf gegen minderwertige oder gefälschte Arznei- mittel 30 Pharma- firmen auf eine schwarze Liste gesetzt.
Foto:AP