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Archiv "Sexuell übertragbare Erkrankungen (STD): „Safer-Sex“-Praktiken haben nach wie vor Priorität" (21.03.2008)

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M E D I Z I N R E P O R T

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ie Botschaft wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein:

„Unter optimalen Voraussetzungen kann ein HIV-differentes Paar heute normalen Geschlechtsverkehr ohne Kondom haben, denn dann wird HIV nicht über Sexualkontakte weiter- gegeben.“ Mit dieser Aussage in der Schweizerischen Ärztezeitung (2008; 89: 163–9) hatte Prof. Dr.

med. Pietro Vernazza (Präsident der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen) die Fachwelt überrascht und bei ihr auch Unverständnis hervorgerufen. Fürchtet man doch, dass diese Kurzdarstellung fälschlich als Entwarnung verstanden werden könnte und die mühevolle Arbeit der Prävention konterkariert.

Vernazza betont zwar, dass der Verzicht auf „Safer-Sex“-Praktiken an bestimmte Bedingungen ge- knüpft sein müsse: „Sind diese aber erfüllt – was bei der Mehrzahl der behandelten Personen der Fall ist –, wird die Prävention tatsächlich ein- fach.“ Als Voraussetzungen müs- sen für den Leiter des Fachbereichs Infektiologie des Kantonsspitals St. Gallen erfüllt sein, dass

1. die antiretrovirale Therapie durch den HIV-Patienten eingehal- ten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert wird,

2. die Viruslast seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweis- grenze von 40 Kopien/ml Blut liegt, 3. keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern beste- hen und

4. auch die HIV-negativen Part- nerinnen und Partner in die ärztliche Betreuung einbezogen werden.

Die zunehmende „Normalisie- rung“ der Lebensbedingungen von HIV-Infizierten durch potente Arz-

neimittel war für die Schweizer Kommission Motivation dafür, die wissenschaftlichen Grundlagen zur Beurteilung des Transmissionsrisi- kos unter antiretroviraler Therapie (ART) zu studieren. Basierend auf epidemiologischen und biologischen Daten kam man zu dem Schluss, dass unter einer gut durchgeführten HIV- Therapie das Restrisiko „vernachläs- sigbar klein ist“ (< als 1 : 100 000) und damit der Größenordnung der normalen Lebensrisiken (zum Bei- spiel Flugzeugabsturz) entspricht.

Vernazza und Koautoren leiten ihre Aussagen von epidemiologi- schen und biologischen Daten ab. In

einer Längsschnittstudie mit 393 he- terosexuellen serodifferenten Paaren (eine Person HIV-positiv, die andere HIV-negativ) konnte bei Partnern von antiretroviral behandelten Per- sonen im Verlauf von 14 Jahren kei- ne HIV-Infektion festgestellt wer- den, während die Transmissionsrate bei Paaren ohne ART 8,6 Prozent betrug (J Acquir Immun Defic Syndr. 2005; 40: 96–101). In einer an- deren Längsschnittstudie mit 93 se-

rodifferenten Paaren, von denen 41 der HIV-infizierten Partner thera- piert wurden, kam es bei sechs Part- nern zur Virustransmission. Die Be- troffenen waren alle Partner von unbehandelten HIV-Infizierten mit einer Viruslast im Blut von mindes- tens 1 000 Kopien/ml (16thInterna- tional Aids Conference Toronto, TUPE0430. 2006). Und unter 62 serodifferenten Paaren (Mann HIV- positiv und unter ART), die zur Er- füllung des Kinderwunsches unge- schützten Geschlechtsver- kehr hatten, blieben alle Partnerin-

nen gesund (J Acquir Immun Defic Syndr. 2006; 43: 324–6).

Als biologische Gründe führt Vernazza an, dass das Transmis- sionsrisiko durch die HIV-RNA- Konzentration im Sperma beein- flusst werde. Bei nicht nachweis- barer HIV-RNA gehe das Trans- missionsrisiko „asymptotisch gegen null“. Auch sei die Viruslast (freie HIV-RNA) im weiblichen Genital- sekret in der Regel geringer als im

SEXUELL ÜBERTRAGBARE ERKRANKUNGEN (STD)

„Safer-Sex“-Praktiken haben nach wie vor Priorität

Deutsche Mediziner halten das HIV-Transmissionsrisiko trotz einer Schweizer Studie für grundsätzlich unverändert. Personen mit Risikoverhalten sollten von den Ärzten intensiver über Test- und Behandlungsmöglichkeiten von STD aufgeklärt werden.

Foto:Bilderbox

Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 1221. März 2008 A619

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A620 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 1221. März 2008

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Blut und unter wirksamer ART nicht nachweisbar. Lassen sich dennoch zellassoziierte Virusgenome nach- weisen, seien diese nicht infektiös, da es sich nicht um vollständige Viren handelt. „Diese biologischen Daten zeigen, dass das Risiko durch wirksame ART stark gesenkt wird“, so das Resümee.

Differenzierte Einschätzung hat juristische Konsequenzen

Grundsätzlich will Vernazza die Präventionsstrategie der Schweiz nicht verändert sehen. Außerhalb einer festen Beziehung gehe die Selbstschutzpflicht vor, betont er.

Die differenzierte Einschätzung des Transmissionsrisikos hat seiner An- sicht nach aber juristische Konse- quenzen: „Wenn jemand nicht infek- tiös ist, kann er nicht wegen versuch- ter Infektion verurteilt werden.“

Für die Bundeszentrale für ge- sundheitliche Aufklärung (BZgA), das Robert-Koch-Institut (RKI) so- wie die Deutsche Aidshilfe bleibt die allgemeine Gefährdungslage trotz des jüngsten Schweizer Vor- stoßes „grundsätzlich unverändert“.

Nach wie vor gelte die zentrale Botschaft „Safer Sex, also Kondom- nutzung, ist der entscheidende Schutz vor HIV und auch anderen sexuell übertragbaren Erregern“, heißt es in einer gemeinsamen Stel- lungnahme.

Zudem ließen sich die Studien, die der Schweizer Empfehlung zu- grunde gelegt wurden, nicht eins zu eins auf Deutschland übertra- gen. „Ein wesentlicher Punkt ist nämlich, dass sich diese ausschließ- lich auf den heterosexuellen Über- tragungsweg beziehen. In Deutsch- land sind die meisten HIV-infizier- ten Personen jedoch Männer, die Sex mit Männern haben“, betont der Leiter des Aidsreferats in der BZgA, Dr. med. Dr. Wolfgang Mül- ler, gegenüber dem Deutschen Ärz- teblatt: „Zum Transmissionsrisiko bei homosexuellen Sexualkontakten gibt es bisher keine vergleichbaren Daten.“

Zur vorsichtigen Interpretation der Daten rät auch der Präsident der Deutschen Aidsgesellschaft, Prof.

Dr. med. Jürgen Rockstroh (Uni- versitätsklinik Bonn): „Wenngleich

bei suffizienter HIV-Therapie und persistierender Viruslast unter der Nachweisgrenze die Ansteckungs- fähigkeit wahrscheinlich gegen null geht, muss darauf hingewiesen wer- den, dass bei Patienten mit einer HIV-RNA im Plasma von unter 50 Kopien vereinzelt eine messbare HIV-Viruslast im Sperma vorhan- den ist, teilweise sogar mit Resis- tenzmutationen.“

Als eine Ursache sieht Rockstroh die schlechte Penetration von be- stimmten Medikamentenklassen (zum Beispiel Proteasehemmer) in das urogenitale Kompartiment. „Außer- dem ist die Viruslastbestimmung, die normalerweise alle drei Monate erfolgt, immer nur eine Moment- aufnahme; sie schließt nicht aus, dass es nachfolgend doch noch zu einem Therapieversagen kommt.“

Dr. med. Osamah Hamouda (Lei- tung des Fachgebiets HIV/Aids am RKI) sorgt sich, dass die Publi- kation falsch interpretiert werden könnte: „Fachlich sehe ich in der Schweizer Veröffentlichung nichts Falsches, doch die Einschränkun- gen, unter denen die Empfehlung steht, könnten auf dem Weg zum

‚Endverbraucher‘ verloren gehen.

Und dies in einer Zeit, wo wir eine massive Zunahme auch von ande- ren sexuell übertragbaren Erkran- kungen beobachten.“

Auch der Sprecher des Kom- petenznetzes HIV/Aids, Prof. Dr.

med. Norbert H. Brockmeyer (Bo- chum), hält den „Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten heute für wichtiger als je zuvor“, und mahnt, dass „gefährdete Personen es sich und anderen schuldig sind, auf ihre sexuelle Gesundheit zu achten“. Er plädiert dafür, Personen mit einem Risikoverhalten verstärkt und proak- tiv über Test- und Behandlungsmög- lichkeiten der HIV-Infektion und an- derer sexuell übertragbarer Erkran- kungen aufzuklären.

Zudem sollte „das Netz niedrig- schwelliger Testangebote ausge- weitet werden“. Der HIV-Test sei nicht nur ein diagnostisches Verfah- ren, sondern auch eine wichtige Säule der Prävention. „Frühzeitiges Testen und der Zugang zu einer effektiven Behandlung sind der Schlüssel zur Bekämpfung von

Aids“, so Brockmeyer. Der Bochu- mer Wissenschaftler empfiehlt ei- nen HIV-Test, wenn anhaltendes Fieber, massive Durchfälle, Nacht- schweiß, lang anhaltende Schwel- lungen der Lymphknoten, Mund- soor, Gürtelrose, Hauttumoren oder Herpesinfektionen vorliegen. Zwin- gend sei ein HIV-Test, wenn andere sexuell übertragbare Erkrankungen, zum Beispiel Syphilis oder Gonor- rhö, diagnostiziert wurden.

In diesem Zusammenhang weist der Kompetenznetz-Sprecher darauf hin, dass zu jedem Test ein umfassen- des Beratungsgespräch gehört. „Da- bei muss auch auf das diagnostische Fenster hingewiesen werden: Wie der Bluttest auf Syphilis, ist ein HIV- Test nicht sofort nach dem Infek- tionsereignis positiv, sondern meist erst nach zwölf Wochen.“

Schwellenängste vor einem HIV-Test abbauen

Flächendeckende Reihenuntersu- chungen der Bevölkerung, wie sie zurzeit in den USA diskutiert wer- den, lehnt der Sprecher des Kom- petenznetzes jedoch ab. Suchtests auf HIV seien höchst empfindlich eingestellt, um auch im Blutspen- dewesen einsetzbar zu sein. Der Preis sei eine Genauigkeit von

„nur“ 99 Prozent.

„Das heißt, von jeweils 100 unter- suchten Blutproben gerät eine zu Unrecht in den Verdacht, HIV-posi- tiv zu sein. Bei Massenuntersuchun- gen von mehreren Hunderttausend Menschen ist daher mit mehreren Tausend falschpositiven Testen zu rechnen, die jeweils mit aufwendi- gen und teuren Kontrolluntersu- chungen korrigiert werden müssen“, sagte Brockmeyer dem Deutschen Ärzteblatt.

Es sei aber sehr wohl an der Zeit, Schwellenängste vor einem HIV- Test abzubauen. Im Rahmen gut betreuter Projekte könnten zum Bei- spiel in Arztpraxen, Krankenhäu- sern und Gesundheitsämtern nied- rigschwellige Programme auch mit Schnelltesten angeboten werden.

Brockmeyer unterstreicht: „Letztlich muss der Wunsch nach einem HIV- Test vom gut aufgeklärten Men- schen selbst ausgehen.“ I Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

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